OGH 11Os165/93

OGH11Os165/9318.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Jänner 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut, Dr. Hager, Dr. Schindler und Dr. Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kramer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Abdullah Mohamed A* wegen des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 22. Juni 1993, GZ 20 x Vr 11436/92‑67, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Weiss, und der Verteidigerin Dr. Strommer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:E33856

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

 

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der syrische Staatsangehörige Abdulla Mohamed A*des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er sich am 25. September 1992 in W* seiner geschiedenen Ehefrau Johanna A*sowie des gemeinsamen Kindes Samiha dadurch mit Gewalt bemächtigt, daß er, mit einem Jagdmesser bewaffnet, beiden Personen Schläge versetzte, sie sodann mit einer Eisenkette, an der eine Sprengvorrichtung angebracht war, an sich fesselte und eine weitere Sprengvorrichtung in der Hand hielt, um einen Dritten, und zwar Angehörige der Bundespolizeidirektion Wien ‑ Sicherheitsbüro, zu einer Handlung, nämlich zur Bereitstellung eines Hubschraubers, der ihn samt seinen beiden Geiseln nach Syrien bringen sollte bzw. eines Kraftfahrzeuges und eines Hubschraubers, mit denen er und seine Geiseln zu einem Flugzeug nach Wien‑Schwechat gebracht werden sollten, widrigenfalls er die Bomben zünden werde, zu nötigen.

Die Geschworenen hatten die auf die Begehung des bezeichneten Verbrechens gerichtete Hauptfrage stimmeneinhellig bejaht und die (uneigentliche) Zusatzfrage nach dem Vorliegen des strafsatzändernden Milderungsumstandes nach § 102 Abs 4 StGB, ob Abdullah Mohamed A* freiwillig unter Verzicht auf die begehrte Leistung Johanna A* sowie das gemeinsame Kind Samiha ohne ernstlichen Schaden in ihren Lebenskreis zurückgelangen ließ, mit sechs gegen zwei Stimmen verneint.

Nur gegen die zufolge Verneinung der Zusatzfrage unterbliebene Anwendung des milderen Strafsatzes des § 102 Abs 4 StGB richtet sich die auf Z 8, 9 und 10 a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Vorweg erblickt der Beschwerdeführer eine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung (Z 8) darin, daß die vom Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes zur Erläuterung der im § 102 Abs 4 StGB angeführten Rechtsbegriffe dargestellten Beispielsfälle nicht ausgewogen geschildert, sondern damit ausschließlich Umstände aufgezeigt worden seien, die die Privilegierung nach § 102 Abs 4 StGB ausschließen. Zudem sei infolge eines Schreibfehlers eines der aufgezählten negativen Beispiele derart unrichtig formuliert worden, daß ein darauf beruhendes Mißverständnis der Rechtsbelehrung durch die Geschworenen nicht ausgeschlossen werden könne.

Der Vorwurf der Aufzählung ausschließlich negativer Beispielsfälle trifft nicht zu. Der Vorsitzende hat nämlich zu den ohnehin allgemein verständlichen vier Rechtsbegriffen des § 102 Abs 4 StGB (Freiwilligkeit, Verzicht auf die begehrte Leistung, kein ernstlicher Schaden, Zurückgelangenlassen des Tatopfers in seinen Lebenskreis) lediglich in Ansehung der letzten beiden Begriffe je ein, zudem nicht auf den konkreten Fall abgestelltes Negativbeispiel angeführt.

Die Beschwerde ist allerdings insoweit formal im Recht, als die den Geschworenen zum zweiten Rechtsbegriff (Verzicht auf die begehrte Leistung) erteilte Rechtsbelehrung tatsächlich fehlerhaft war. Sie lautete nämlich: "Der Verzicht auf die begehrte Leistung muß ausdrücklich oder zumindest schlüssig erklärt werden. Freilassung des Opfers kann als schlüssiger Verzicht nicht gewertet werden, wenn der Täter die begehrte Leistung nicht weiter fordert". Zutreffend verweist die Beschwerde darauf, daß dieser Teil der Rechtsbelehrung offensichtlich dem von Leukauf‑Steininger verfaßten Kommentar zum StGB, dritte Auflage (vgl RN 32 zu § 102), entnommen, dabei aber diese Kommentarstelle durch irrige Einfügung des Wortes "nicht" im ersten Halbsatz des zweiten Satzes unrichtig wiedergegeben wurde. Bei unvoreingenommener Betrachtung der Rechtsbelehrung ist allerdings davon auszugehen, daß deren Unrichtigkeit lediglich auf einem - aus dem Sinngehalt und dem inhaltlichen Zusammenhang des Satzes auch für den Ungeschulten ohne weiteres erkennbaren, den Beschwerdeführer im übrigen bei streng grammatikalischer Auslegung begünstigenden - Schreibfehler beruht. Die dem von diesem Schreibfehler betroffenen Satz voranstehende Passage führt nämlich aus, daß der Verzicht auf die begehrte Leistung ausdrücklich oder zumindest schlüssig erklärt werden muß. Die logische Fortsetzung dieses Gedankens besteht in der Überlegung, daß eine solche schlüssige Erklärung auch (und nicht: "nicht") in der Freilassung des Opfers gelegen sein kann, wenn der Täter die begehrte Leistung nicht weiter fordert. Es mußte daher auch den Laienrichtern - wie es auch der Niederschrift der Geschworenen zu entnehmen ist - ins Auge springen, daß das bezügliche "nicht" bloß zufolge eines Schreibfehlers in den ersten Halbsatz aufgenommen wurde. Eine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung, die auf einem bloßen Schreibfehler beruht, begründet aber nur dann Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 8 StPO, wenn sie für den Ungeschulten nicht ohne weiteres erkennbar ist und ein Mißverständnis möglich macht (ÖJZ‑LSK 1982/150); ein solcher Fall scheidet vorliegend jedoch aus.

Nicht zielführend sind aber auch die weiteren vom Angeklagten gegen die Rechtsbelehrung erhobenen Einwände. Umstände, die den konkreten Fall betreffen, gehören nämlich nicht in die schriftliche Rechtsbelehrung, sondern in die im Anschluß daran mit dem Vorsitzenden abzuhaltende Besprechung (§ 323 Abs 2 StPO). Entgegen den Beschwerdeausführungen legt die Rechtsbelehrung entsprechend der Vorschrift des § 321 Abs 2 StPO schließlich auch das Verhältnis der beiden Fragen zueinander und die Folgen der Bejahung und Verneinung jeder Frage klar, indem sie ausführt, daß im Fall der Bejahung der Hauptfrage auch die Zusatzfrage zu beantworten ist, wobei (auch) deren Bejahung die Anwendung eines milderen Strafsatzes zur Folge hätte (vgl. zweiter und dritter Absatz in dem mit den Worten "Beantwortung der an die Geschworenen gestellten Fragen" überschriebenen Abschnitt der Rechtsbelehrung).

Den Nichtigkeitsgrund der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO hinwieder erblickt der Angeklagte ausschließlich in dem Umstand, daß die Begründung der Geschworenen zur Zusatzfrage in der von ihnen verfaßten Niederschrift unvollständig und auch undeutlich sei. Damit wird der genannte Nichtigkeitsgrund aber nicht prozeßordnungsgemäß dargestellt, können doch Urteilsnichtigkeit begründende Mängel des Wahrspruchs in der Bedeutung der genannten Gesetzesstelle ausschließlich aus dem Wahrspruch selbst abgeleitet werden, nicht jedoch aus der von den Geschworenen gemäß § 331 Abs 3 StPO zu verfassenden Niederschrift (Mayerhofer‑Rieder StPO E 7 zu § 345 Z 9).

Entgegen der Tatsachenrüge (Z 10 a) bestehen aber auch keine erheblichen Bedenken gegen die von den Geschworenen zur Zusatzfrage in freier, unanfechtbarer Beweiswürdigung getroffenen Tatsachenfeststellungen. Wie sich aus der Niederschrift der Geschworenen (Beilage D zum Hauptverhandlungsprotokoll ON 66) ergibt, haben sie die Zusatzfrage nach einem allfälligen freiwilligen Verzicht des Angeklagten auf die begehrte Leistung mit der Begründung verneint, daß die Situation für den Angeklagten aussichtslos geworden und er zur Einsicht gelangt war, daß auch bei Aufrechterhaltung der Geiselnahme seine Forderungen nicht mehr erfüllt würden. Richtig ist zwar, daß das in der Niederschrift zur Begründung außerdem herangezogene (bloße) Zureden des Opfers oder dritter Personen (im konkreten Fall der intervenierenden Polizeibeamten und eines Bekannten des Angeklagten) noch nicht die Ausübung eines solchen psychischen Druckes bedeutet, der einen freiwilligen Verzicht auf die begehrte Leistung ausschließen müßte; entgegen der vom Angeklagten in der Beschwerdeschrift vertretenen Rechtsmeinung wird die Freiwilligkeit eines derartigen Verzichts aber auch nicht erst dann ausgeschlossen, wenn das Tatvorhaben objektiv unmöglich geworden ist, sondern schon dann, wenn der Täter sein Vorhaben im Bewußtsein der Aussichtslosigkeit, sein Ziel zu erreichen, aufgibt (Leukauf‑Steininger aaO § 102 RN 31 iVm § 16 RN 2). Im vorliegenden Fall waren trotz der über mehrere Stunden aufrecht erhaltenen Drohung des Angeklagten, sich mit den beiden Geiseln in die Luft zu sprengen, keine seiner darauf gegründeten Forderungen erfüllt worden. Es hatten sich vielmehr im Verlauf der Verhandlungsgespräche zwei intervenierende Polizeibeamte dem Angeklagten letztlich bis auf etwa einen Schritt genähert (483), wobei der Zeuge W* vom Angeklagten den Eindruck gewonnen hatte, daß dieser infolge Erkennens der Aussichtslosigkeit seiner Situation sein Vorhaben aufgegeben habe (529/I). Die einen freiwilligen Verzicht auf die geforderte Leistung behauptende Tatsachenrüge stellt sich demnach lediglich als eine im kollegialgerichtlichen Verfahren nach wie vor unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung der Geschworenen nach Art einer Schuldberufung dar.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Aber auch die Berufung ist nicht begründet.

Das Geschworenengericht hat bei der Strafbemessung als erschwerend die einschlägige Vorstrafe sowie den Umstand gewertet, daß der Angeklagte seine Tat gegen zwei Opfer richtete, ferner den langen Tatzeitraum, die genaue Planung der Tat und die besonders massive und unmittelbare Drohung mit den Sprengkörpern; als mildernd hingegen nahm es das Geständnis an. Davon ausgehend hielt es eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren für tatschuldangemessen.

Wenn die Berufung die Eignung der Vorstrafe des Angeklagten als besonderen Erschwerungsgrund gemäß § 33 Z 2 StGB in Zweifel zieht, genügt der Hinweis auf § 71 StGB, wonach mit Strafe bedrohte Handlungen dann auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, wenn sie gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet oder auf gleichartige verwerfliche Beweggründe beziehungsweise auf den gleichen Charaktermangel zurückzuführen sind. Abgesehen davon, daß sich die den Gegenstand der Vorverurteilung bildende Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) ebenfalls gegen Johanna A* richtete und daher einen gleichartigen verwerflichen Beweggrund erkennen läßt, ist das Verbrechen der erpresserischen Entführung nach § 102 StGB - obzwar systematisch den Delikten gegen die Freiheit zugeordnet ‑ auf Grund der im vorliegenden Fall besonders hervortretenden Gewaltkomponente kriminalpolitisch (auch) als gegen Leib und Leben gerichtetes Delikt zu beurteilen. Mit seinen Ausführungen, wonach die freiwillige Umkehr zusätzlich als mildernd zu beurteilen gewesen wäre, ist der Angeklagte auf die bezüglichen Darlegungen bei Erörterung der Nichtigkeitsbeschwerde zu verweisen. In dem Umstand, daß er sein Vorhaben nur im Bewußtsein der Aussichtslosigkeit, sein Ziel zu erreichen, aufgegeben hat, kann aber kein mildernder Umstand erblickt werden, der - auch im Verein mit dem Geständnis des Angeklagten ‑ geeignet wäre, die Voraussetzungen für die Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 Abs 1 StGB herzustellen. Für ein Unterschreiten der - angesichts des Verbrechenstypus vom Gesetzgeber bewußt hoch angesetzten ‑ Untergrenze des Strafrahmens des § 102 Abs 1 StGB fehlen daher die gesetzlichen Voraussetzungen.

Sohin konnte auch der Berufung des Angeklagten kein Erfolg beschieden sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.

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