OGH 11Os194/93

OGH11Os194/935.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Jänner 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager und Dr. Schindler als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Obergmeiner als Schriftführerin, in der beim Landesgericht für Strafsachen Graz zum AZ 14 Vr 2964/93 anhängigen Strafsache gegen Dr. Emmerich A***** und einen anderen Beschuldigten wegen des Verdachtes des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 12, 146, 147 Abs 3, 148, zweiter Fall, StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Emmerich A***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 9. Dezember 1993, AZ 9 Bs 493/93 (= ON 69 des Vr-Aktes) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Dr. Emmerich A*****im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Beim Landesgericht für Strafsachen Graz ist (ua) gegen Dr. Emmerich A*****zum AZ 14 Vr 2964/93 die Voruntersuchung wegen des Verdachtes des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 12, 146, 147 Abs 3, 148, zweiter Fall, StGB anhängig. Im Zuge des Vorverfahrens wurde über Dr. A*****mit Beschluß vom 6. November 1993 die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 180 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StPO verhängt (ON 40). Mit Ratskammerbeschluß vom 17. November 1993 (ON 58) wurde auf Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem genannten Haftgrund erkannt. Das Oberlandesgericht Graz "verwarf" mit dem angefochtenen Beschluß eine dagegen erhobene Beschwerde des Beschuldigten "als unbegründet" (ON 69).

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz geht davon aus, daß nach dem bisherigen Ergebnis der Voruntersuchung Dr. Emmerich A*****dringend verdächtig ist, in der Zeit zwischen dem 28. Oktober 1991 und dem 8. Juli 1992 "den gemeinsam mit ihm verfolgten Holger Z*****mit der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, dazu bestimmt zu haben, mit dem Vorsatz, die S*****GesmbH und Dr. Emmerich A*****als deren geschäftsführenden Gesellschafter durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Beamte der Gruppe für Rüstungsdienste des Eidgenössischen Militärdepartements Bern durch die Vorlage inhaltlich unrichtiger Rechnungen und Bestätigungen über die Erfüllung des zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der S*****GesmbH abgeschlossenen Vertrages Nr. 83.690 über die Entsorgung und Vernichtung von 88.376 Streuminen, teils inklusive Druckzünder bzw. Druckteller, mithin durch Täuschung über Tatsachen, zur Bezahlung von Werklöhnen, mithin zu Handlungen zu verleiten, die die Schweizerische Eidgenossenschaft an ihrem Vermögen im Betrag von zumindest 19,383.088 S schädigte". Der Fortbestand sowohl des dringenden Tatverdachtes als auch des Haftgrundes der Fluchtgefahr wurde in dieser Entscheidung bejaht.

Mit der gegen diesen Beschluß (rechtzeitig) ausgeführten Grundrechtsbeschwerde bestreitet der Beschwerdeführer sowohl den dringenden Tatverdacht als auch das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den (einzig) angenommenen Haftgrund der Fluchtgefahr. Jedenfalls - so die Beschwerde - sei die Haft durch gelindere Mittel nach § 180 Abs 5 StPO substituierbar.

Die Grundrechtsbeschwerde ist unbegründet.

Zum Tatverdacht:

Das Beschwerdevorbringen zum dringenden Tatverdacht, wonach der Tatbestand des Verbrechens des (gewerbsmäßigen) schweren Betruges schon objektiv mangels eines im Vermögen der Schweizerischen Eidgenossenschaft eingetretenen Schadens nicht erfüllt sei, weil die Entsorgung der Minen durch ihre Verbringung nach Österreich vertragskonform erfolgt und ein besonderes wirtschaftliches Interesse der Schweizerischen Eidgenossenschaft an der Art und Weise der Vernichtung der Minen nicht gegeben sei, geht deswegen fehl, weil es weder den Inhalt des zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, vertreten durch die Gruppe für Rüstungsdienste des Eidgenossenschaftlichen Militärdepartements (kurz: GRD) und der S*****GesmbH (kurz: SMI) abgeschlossenen Vertrages mit der Nr. 83.690 (= ON 17/I) noch das besondere Interesse der GRD an der vertragskonformen Entsorgung der 88.376 Streuminen berücksichtigt. Nach den aktenkonformen Annahmen des angefochtenen Beschlusses beschränkt sich der Vertrag nicht bloß auf die Übernahme der Streuminen durch die SMI in Österreich, sondern regelt auch detailliert die Modalitäten der Vernichtung der Streuminen und der (teilweisen) Wiederverwertung des Sprengstoffes (Artikel 1.1 und 1.2); die sach- und fachgerechte Entsorgung der Minen ist der Kern des Vertragswerkes. Deswegen wurde auch den Vertretern der GRD ein Zutrittsrecht zu den Lagerräumlichkeiten der Minen zur Kontrolle der vertragsgemäßen Entsorgung eingeräumt (Artikel 4.2). Zudem ist - ungeachtet dieses Zutrittsrechtes - die Verantwortung der SMI und ihrer Schwesterfirmen für eine sach- und vorschriftskonforme Entsorgung (unter Einhaltung auch der entsprechenden österreichischen Vorschriften) vertraglich festgelegt (Artikel 1.2 und 4.3). Schließlich wurde als letzter Entsorgungstermin der 31. Dezember 1991 (Artikel 3.2) vereinbart und die Bezahlung der monatlichen (von der SMI auszustellenden) Rechnungen für die Entsorgung vom Arbeitsfortschritt abhängig gemacht (Artikel 7.2 und 7.3).

Aus diesem Vertragsinhalt durfte das Oberlandesgericht Graz darauf schließen, daß die GRD (wie jedes auf sein nationales und internationales Ansehen bedachtes Unternehmen) ein erhebliches (nicht nur wirtschaftliches) Interesse an der fachgerechten Entsorgung gefährlicher Altlasten (hier: aus den Beständen des schweizer Heeres auszuscheidender Sprengminen) hatte, das sich nicht in der bloßen Übergabe der Streuminen an ein anderes (ausländisches) Unternehmen zur Entsorgung auf welche Art immer erschöpfte. Nur durch die Vortäuschung der sachgerechten Entsorgung durch Vertreter der SMI (nämlich des im Auftrag des Dr. Emmerich A*****handelnden Mitbeschuldigten Holger Z*****) wurde die GRD zur Leistung dieses - zugleich den Vermögensschaden bildenden - Betrages in der Annahme verleitet, daß die fachgerechte Entsorgung bereits stattgefunden habe. Ob die - nach der derzeitigen Lage der Dinge in zeitlich unbestimmte Ferne entrückte Leistung - letztendlich doch noch erbracht wird, bleibt dabei ohne Belang, weil der Vermögensschaden kein dauernder sein muß (Leukauf-Steininger Komm3 § 146 RN 39, 40 und 44).

Zur subjektiven Tatseite konnte das Oberlandesgericht Graz - wenngleich die abschließende Beweiswürdigung nach den Prozeßgrundsätzen einem allfälligen Erkenntnisverfahren vorbehalten bleibt und einer Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens entzogen ist (12 Os 120/93) - die Aussagen ehemaliger Mitarbeiter des Beschwerdeführers (Z*****, ON 21; M*****, ON 53; K*****, ON 54), wonach er zu den Tatzeitpunkten in Kenntnis darüber war, daß die fachgerechte Entsorgung der Minen in absehbarer Zeit nicht möglich sein werde, als Indizien werten, die geeignet sind, Schlüsse auf ein Handeln des Beschuldigten mit (zumindest bedingtem) Betrugsvorsatz zuzulassen. Der nunmehrigen Behauptung des Beschwerdeführers, sein Bemühen um eine solche fachgerechte Entsorgung habe schon seinerzeit bestanden, es wäre die von ihm geplante Entsorgung lediglich durch bestimmte Umstände verhindert worden, steht der Hinweis des Oberlandesgerichtes gegenüber, Dr. Emmerich A***** habe in seiner Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Leoben vom 28. Juli 1993, in welchem ihm unter anderem die Entfernung der Minen binnen zweier Wochen, ihre Lagerung in einem behördlich bewilligten Sprengmittellager und in weiterer Folge ihre Zuführung einer geordneten Entsorgung aufgetragen worden war, seine Verpflichtung zu den aufgetragenen Leistungen im Hinblick auf einen behaupteten Eigentumsübergang abgelehnt. Damit vermögen die Beschwerdeeinwände den im § 180 Abs 1 StPO verlangten höheren Grad an Wahrscheinlichkeit, daß der Beschwerdeführer die ihm angelastete Straftat begangen habe, angesichts der vom Oberlandesgericht Graz angeführten belastenden Momente insgesamt nicht zu entkräften. Im übrigen ist die Annahme des dringenden Tatverdachtes auch in Ansehung eines gewerbsmäßigen Handelns des Angeklagten nach der Aktenlage gerechtfertigt, wurden doch im Auftrag des Beschwerdeführers im Zeitraum zwischen dem 28. Oktober 1991 bis zum 8. Juli 1992 insgesamt sieben unrichtige Fakturenbelege (davon sechs mit einem 1,6 Mio. S übersteigenden Rechnungsbetrag) an die GRD zur Bezahlung übersandt. Zudem umfaßt der Tatverdacht auch die gleichfalls eine Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe begründende (Schadens-)Qualifikation nach § 147 Abs 3 StGB.

Zum Haftgrund:

Das Beschwerdegericht hat den Haftgrund der Fluchtgefahr nicht nur abstrakt aus der hohen Strafdrohung des § 147 Abs 3 StGB abgeleitet, sondern die vom Gesetz als Voraussetzung für die Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft erforderlichen bestimmten Tatsachen bezeichnet, die seiner Ansicht nach die Fluchtgefahr begründen, nämlich den Verlust der gesellschaftlichen Reputation in Österreich, den wirtschaftlichen Niedergang des Firmenimperiums des Beschwerdeführers und seine dadurch bedingte bedrängte finanzielle Situation im Zusammenspiel mit erheblichen Vermögenswerten sowie zahlreichen Bekannten und einer Wohnmöglichkeit im Ausland. Bei der Beurteilung des Vorliegens des Haftgrundes der Fluchtgefahr durfte das Beschwerdegericht zulässigerweise auch aus der Verdichtung der Beweislage einen Schluß auf die Aktualisierung des Fluchtanreizes ziehen, womit es die Annahme der Fluchtgefahr (und nicht bloß jene der Fluchtmöglichkeit) zureichend begründet hat. Es nahm nicht - wie die Beschwerde vermeint - an, durch die Verhängung der Untersuchungshaft sei der Haftgrund der Fluchtgefahr entstanden, das Beschwerdegericht ging vielmehr ersichtlich davon aus, daß die Verdichtung der Beweislage, die zur Einleitung der Voruntersuchung wegen des in Rede stehenden Verbrechens (§§ 12, 146 ff StGB) und zur Ausdehnung der Voruntersuchung gegen den Beschwerdeführer wegen des (nunmehr in einem gesondert geführten Strafverfahren untersuchten) Verdachtes des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 StGB führte (siehe dazu den Antrag der Staatsanwaltschaft Graz vom 5. November 1993 im Antrags- und Verfügungsbogen), die Fluchttendenz dermaßen ungünstig beeinflußt hat, daß ihr nur durch Verhängung der Untersuchungshaft wirksam begegnet werden konnte. Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Graz erweist sich sohin auch in diesem Punkte als gesetzeskonform.

Wenn der Beschwerdeführer schließlich ein Eingehen des Beschwerdegerichtes auf sämtliche Möglichkeiten der im § 180 Abs 5 StPO angeführten gelinderen Mittel vermißt, ist er darauf hinzuweisen, daß er selbst nur die Hinterlegung der Reisepapiere und die Ablegung eines Gelöbnisses angeboten hat (siehe seine Haftbeschwerde ON 42 in Band II). Daß die Abnahme der Reisepapiere im vorliegenden Fall aber die Fluchtgefahr nicht abzuwenden vermag, hat das Oberlandesgericht Graz gleichfalls zureichend begründet. Diese Begründung gilt umso mehr für die übrigen - vom Oberlandesgericht Graz nicht ausdrücklich erwähnten - gelinderen Mittel der Z 1 bis 4, 6 und 8 des § 180 Abs 5 StPO. Inwieweit der Haftgrund der Fluchtgefahr vorliegendenfalls durch die Leistung einer Sicherheit nach §§ 190 bis 192 StPO (§ 180 Abs 5 Z 7 StPO) abgewendet werden könnte, war vom Oberlandesgericht nicht zu untersuchen, weil der Erlag einer Kaution gemäß § 190 Abs 1 StPO nur auf Verlangen aufzutragen ist. Ein solches Verlangen des Beschwerdeführers liegt aber bisher nicht vor.

Aus all diesen Gründen war die Beschwerde abzuweisen, weswegen gemäß § 8 GRBG ein Ausspruch über den Ersatz der Beschwerdekosten zu unterbleiben hatte.

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