OGH 3Ob80/92

OGH3Ob80/9215.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger, Dr. Angst, Dr. Graf und Dr. Gerstenecker als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei S.C. "A.*****" *****, ***** vertreten durch Dr. Rudolf Griss und Dr. Gunter Griss, Rechtsanwälte in Graz, wider die verpflichtete Partei S***** Handelsgesellschaft mbH, auch "S***** GmbH", Elisabethinergasse 22, 8020 Graz, vertreten durch Dr. Hella Ranner und Dr. Franz Krainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen 21.606,-

Belgische Francs und 34.072,- Deutsche Mark, infolge Revisionsrekurses der verpflichteten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgerichtes vom 15. Juni 1992, GZ 6 R 97/92-7, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 25. Feber 1992, GZ 27 Nc 610/92-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden unter Einbeziehung des rechtskräftigen abweisenden Teiles des Beschlusses des Erstgerichtes dahin abgeändert, daß der Antrag der betreibenden Partei, ihr auf Grund der rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteile des Handelsgerichtes von Brüssel in Belgien vom 15. September 1988 zu R.G./8.564/88 und vom 4. Oktober 1990 zu R.G./5.246/89 zur Hereinbringung der vollstreckbaren Forderungen von 21.606,-

Belgischen Franken und des Gegenwertes in Belgischen Franken zum am Zahlungstag höchstens Wechselkurs für einen Betrag von 34.072,-

Deutschen Mark je samt 8 % Zinsen seit dem 1.Jänner 1987 sowie an Kosten 41.251,- Belgischen Franken und der Kosten für die Überweisung des geschuldeten Gesamtbetrages und aller Kosten des Exekutionsverfahrens die Exekution durch Pfändung, "Verwertung" und Verkauf aller in der Gewahrsame der verpflichteten Partei an ihrem Sitz in ***** oder sonst wo immer befindlichen beweglichen Sachen aller Art einschließlich der im § 296 EO angeführten Wertpapiere und Einlagebücher zu bewilligen, abgewiesen wird.

Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die mit S 10.882,80 (darin S 1.813,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Handelsgericht von Brüssel entschied am 15. September 1988 zu R.G. 8.564/88, daß das Ausbleiben der säumigen hier verpflichteten beklagten Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung festgestellt und diese zur Zahlung des Betrages von 21.606 Belgischen Franken und des Gegenwertes in Belgischen Franken von 34.072,- Deutschen Mark samt Zinsen und der Kosten von 22.359,- Belgischen Franken an die klagende Partei verurteilt wird.

Gegen dieses wegen Säumnis erlassene Urteil erhob die beklagte Partei Einspruch und wurde zur Verhandlung vor das Handelsgericht von Brüssel für den 27. September 1990 geladen. Ihr Vertreter kam zur Verhandlung nicht.

Mit Urteil vom 4. Oktober 1990 entschied das Handelsgericht von Brüssel zu R.G./5.246/89 nach Anhören beider Parteien nach Artikel 751 des Code Judiciaire, daß der Einspruch für verspätet und unbegründet erklärt und das Säumnisurteil vom 15. September 1988 voll wirksam wird. Es verurteilte die Einspruchswerberin zur Zahlung von 1.700,-- Belgischen Franken an Kosten.

Gegen dieses Urteil wurde keine Berufung erhoben.

Die betreibende Partei beantragte am 3. Feber 1982, ihr auf Grund der in Belgien gefällten Urteile vom 15. September 1988 und vom 4. Oktober 1990 zur Hereinbringung der vollstreckbaren Geldforderungen von 21.606,- Belgischen Franken und von 34.072,-- Deutschen Mark in Belgischen Franken zum Wechselkurs am Zahlungstag sowie der Zinsen und der Kosten die Fahrnisexekution zu bewilligen. Die betreibende Partei behauptete, die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit im Inland seien gegeben, weil das Handelsgericht von Brüssel iSd Abkommens BGBl 1961/141 zuständig war. Der zugrunde liegende Kaufvertrag sollte in Brüssel erfüllt werden, dort sei auch die Erklärung abgegeben worden, daß der Austausch mangelhafter Ware erfolge und die Transportkosten übernommen werden, und die verpflichtete Partei habe sich durch Erhebung der "opposition" in das Verfahren vor dem Handelsgericht von Brüssel eingelassen, ohne Einwendungen gegen die Zuständigkeit zu erheben.

Das Erstgericht bewilligte die Fahrnisexekution zur Hereinbringung der Kapitalforderungen samt 8 % Zinsen seit dem 1. Jänner 1987 und der Kosten von 41.251,- Belgischen Franken sowie 10.850,40 Schilling (unter Abweisung des geringfügigen Mehrbegehrens, die Exekution auch zur Hereinbringung der Überweisungskosten zu bewilligen).

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der verpflichteten Partei nicht Folge und sprach aus, daß der (ordentliche) Revisionsrekurs zulässig sei. Nach dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Königreich Belgien über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechtes vom 16. Juni 1959, BGBl 1961/287, werde die vom Gericht eines der vertragschließenden Staaten gefällte Entscheidung im Gebiet des anderen Staates anerkannt, wenn u.a. das Titelgericht nach Art 3 zuständig gewesen ist (Art 2 Abs 1 lit a). Bei der Beurteilung, ob sich die Beklagte in die Sache selbst eingelassen hat, sei belgisches Verfahrensrecht maßgebend. Gegen ein in der Einleitungstagsatzung gefälltes Versäumungsurteil finde ein Einspruch (opposition) statt. Die früher Beklagte trete als Antragstellerin (opposante), die frühere Klägerin als Gegnerin (defenderesse sur opposition) auf. Infolge des Einspruches werde entschieden, ob das gefällte Versäumungsurteil aufrecht bleibe oder nicht. Da jedoch mit dem zweiten Urteil der Einspruch (Widerspruch) wegen Verspätung inhaltlich nicht erledigt und deshalb als nicht begründet angesehen wurde, liege keine Einlassung vor, weil auch eine (verspätete) Einwendung gegen die Zuständigkeit des Titelgerichtes keine Erledigung gefunden hätte. Im Ergebnis sei für die verpflichtete Partei daraus nichts gewonnen. Nach Art 3 Abs 1 Punkt A lit g des Abkommens sei die Zuständigkeit des Titelgerichtes auch gegeben, wenn ein auf einen Vertrag gegründeter Rechtsstreit, der nicht unbewegliches Vermögen betraf, vor ein Gericht des Staates gebracht wurde, in dem nach der ausdrücklichen oder stillschweigenden Übereinkunft der Parteien die Verpflichtung erfüllt wurde oder erfüllt werden sollte. Aus den vorgelegten Urkunden sei hinreichlich deutlich abzuleiten, daß zumindest nach stillschweigender Übereinkunft der Parteien der Kaufvertrag über Bekleidungsware am Sitz der betreibenden Partei in Belgien erfüllt werden sollte.

Der Revisionsrekurs der betreibenden Partei ist zulässig (§ 83 Abs 3 EO, § 78 EO und § 528 Abs 1 ZPO) und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach den hier zufolge § 84 EO maßgebenden Anordnungen über die Gewährung der Exekution und die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit ausländischer exekutionsfähiger Akte in dem Staatsvertrag mit Belgien BGBl 1961/287, kurz als Abkommen bezeichnet, werden Entscheidungen des Titelgerichtes iSd Artikel 1 Abs 4 des Abkommens im anderen Staat anerkannt, wenn das Titelgericht zuständig gewesen und die Entscheidung rechtskräftig ist, die Parteien entsprechend vertreten waren oder für säumig erklärt wurden, nachdem sie dem Gesetz entsprechend geladen worden sind, und die vorgelegte Ausfertigung der Entscheidung die nach den Gesetzen im Staat des Titelgerichtes erforderlichen Voraussetzungen für ihre Echtheit erfüllt und mit dem Siegel des Titelgerichtes versehen ist (Art 2 Abs 1 des Abkommens).

Ob die Zuständigkeit des Titelgerichtes iSd Art 2 Abs 1 lit a des Abkommens begründet ist, bestimmt sich nach Art 3 Punkt A des Abkommens danach, ob eine der in den lit a bis lit i aufgezählten Voraussetzungen erfüllt ist.

Bei der Exekutionsbewilligung auf Grund des im Ausland geschaffenen Titels sind allein die aus der Sicht des Abkommens auf ihre Eignung, die Vollstreckbkarkeit im Inland zu verschaffen, zu prüfenden Urkunden entscheidend. Wegen des im Rekursverfahren geltenden Verbotes des Vorbringens neuer Umstände kann auf von der verpflichteten Partei im Rechtsmittelverfahren behauptete Tatsachen nicht Bedacht genommen werden. Da sie vor der Entscheidung über die Exekutionsbewilligung nicht gehört wird, könnte sie neue Umstände nur mit Widerspruch geltend machen.

Allerdings muß der Antrag auf Exekutionsbewilligung nach § 54 Abs 1 Z 1 EO auch alle Angaben enthalten, welche nach Beschaffenheit des Falles für die vom Bewilligungsgericht zu erlassenden Verfügungen von Wichtigkeit sind. Alle für eine beantragte richterliche Entscheidung oder Verfügung wesentlichen Umstände sind von dem Antragsteller zu beweisen (§ 55 Abs 2 EO).

Die betreibende Abnehmerin stützte sich schon im Exekutionsantrag darauf, daß der ihr vom Gericht in Belgien zuerkannte Geldanspruch aus dem mit der verpflichteten Partei im Dezember 1985 geschlossenen Kaufvertrag stammt, der nach zumindest stillschweigender Übereinkunft der Vertragsteile in Brüssel zu erfüllen war. Sie berief sich auf die von der verpflichteten Partei unterschriebenen Auftragsformblätter je vom 20. Dezember 1985 über die Lieferung von Daunenbekleidung aus der Republik China Taiwan an die betreibende Partei (Beil./A) und auf eine Verpflichtungserklärung zur Tragung der Transportkosten für den Austausch beanstandeter Ware vom 8. Oktober 1986 (Beil./B) und legte diese Urkunden mit dem Antrag vor.

Die vom Rekursgericht aus diesen Urkunden abgeleitete Annahme, daß es sich um Ansprüche aus einem Vertrag über bewegliche Sachen handelte, der nach stillschweigender Übereinkunft wegen des Sitzes der Käuferin in Brüssel in Belgien erfüllt werden sollte, ist nicht berechtigt. Wer Begünstigter aus dem übertragbaren, unwiderruflichen Akkreditiv war, ist für die Ermittlung des Erfüllungsortes bedeutungslos. Aus den vorgelegten Urkunden mag zwar im Zusammenhang mit der Beurkundung des Gerichtsvollziehers über die Übermittlung der Mahnung und die Zustellung der Ladung für den 15. September 1988 vor das Handelsgericht von Brüssel, die der verpflichteten Partei am 17. August 1988 zugestellt wurde, urkundlich belegt sein, daß der Rechtsstreit auf einen über Handelsware geschlossenen Kaufvertrag gegründet war. Ein Erfüllungsort ist der Urkunde jedoch nicht zu entnehmen. Die Ware sollte nach den vorgelegten Urkunden Beil./A aus Taiwan kommen. Die Spezifikationen enthalten den Vermerk: "Preis ab Hamburg unverzollt CIV" und Preise in Deutschen Mark. Die Auftragsschreiben sind auch allein von der verpflichteten Partei unterzeichnet. Es kann dahingestellt bleiben, nach welchem nationalen Recht die Vertragsbeziehung zu beurteilen wäre und welcher Erfüllungsort aus der Vereinbarung abzuleiten wäre oder sich nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nach der Natur und dem Zweck der Verbindlichkeit ergäbe. Da Artikel 3 Abs 1 Punkt A lit g des Abkommens nur darauf abstellt, daß der Rechtsstreit auf einen Vertrag gegründet ist, der nach der ausdrücklichen oder stillschweigenden Übereinkunft der Parteien im Staat des Erstgerichtes erfüllt wurde oder erfüllt werden sollte, eine solche Übereinkunft der Parteien aber nicht nachgewiesen ist, fehlt es an der darauf gestützten Zuständigkeit des Titelgerichtes. Das Gericht in Belgien hat selbst keine ausdrückliche Zuständigkeitsprüfung vorgenommen und im Versäumnisurteil keine Feststellungen über den Ort der Vertragserfüllung getroffen. Es wäre nur von Bedeutung, wenn das Titelgericht nach Eingehen in eine Unzuständigkeitseinwendung seine Zuständigkeit ausdrücklich in Anspruch genommen hätte, etwa weil es das Zustandekommen einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Übereinkunft der Parteien bindend feststellte.

Da eine Übereinkunft nicht nachgewiesen ist, kann auch dann, wenn an den autonomen Erfüllungsortbegriff des Abkommens nicht anzuknüpfen ist (so Geimer - Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2 1528 [1984]) und der Erfüllungsort nach dem Recht des Erststaates (Geimer - Schütze, aaO und II, 280 [1971]) oder den Verweisungsregeln des IPR über das auf den Vertrag anzuwendende Recht (so Kropholler, Eur ZPR4, Rz 12 zu Art 5 EVÜ mwN in FN 38) zu bestimmen wäre, nichts gewonnen. Daß ein Erfüllungsort in Belgien ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart war, hätte die betreibende Partei urkundlich nachzuweisen gehabt. Die von ihr vorgelegten Urkunden lassen eine solche Übereinkunft der Parteien nicht erkennen. Eine mit den Mitteln der Urkundenauslegung nicht behebbare Unklarheit geht zu Lasten der Partei, die sich auf die Urkunde beruft (vgl WBl 1987, 17 ua).

Eine Gerichtsstandvereinbarung ist für die Erfüllung der Voraussetzung nach Artikel 3 Abs 1 Punkt A lit g des Abkommens allerdings nicht gefordert: Wenn sich der Beklagte der Zuständigkeit des Titelgerichtes durch Annahme eines Wohnsitzes (election de domicile) oder eine andere Zuständigkeitsvereinbarung ausdrücklich unterworfen hat, liegt die Zuständigkeitsvoraussetzung nach Artikel 3 Abs 1 Punkt A lit c des Abkommens vor.

Die Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung des Gerichtes in Belgien, daß dieses Titelgericht zuständig war, ist daher nicht nach Artikel 3 Abs 1 Punkt A lit g des Abkommens gegeben.

Die verpflichtete Partei hat sich, wie das Rekursgericht erkannte, iSd Artikel 3 Abs 1 Punkt A lit g des Abkommens in die Sache selbst nicht eingelassen, ohne Einwendungen gegen die Zuständigkeit des Titelgerichtes zu erheben, wenn sie der am 17. August 1988 dem Postbevollmächtigten zugestellten Ladung für den 15. September 1988 nicht nachkam und nach der Zustellung des Versäumnisurteiles durch ihre Anwälte in Belgien Einspruch erhob aber zu der darüber anberaumten Verhandlung am 27. September 1990 wieder nicht kam, so daß der Einspruch für zu spät und somit nicht begründet erklärt wurde, wogegen sie kein Rechtsmittel ergriffen hat. Eine Einlassung iSd dieser Bestimmung des Abkommens setzt voraus, daß die Prozeßhandlung im ausländischen Verfahren berücksichtigt und daher wirksam wurde (vgl. Gottwald in Münchener Komm ZPO, Rz 76 zu § 328 dZPO; Wieczorek, ZPO**2, E II d 1 zu § 328 dZPO); dies ist nicht der Fall, wenn die Prozeßhandlung als verspätet zurückgewiesen wurde.

Es scheidet daher auch eine auf Art 3 Abs 1 Punkt A lit d des Abkommens gegründete Zuständigkeit des Titelgerichtes aus, die die betreibende Partei in ihrem Antrag nicht nur zu behaupten, sondern auch nachzuweisen gehabt hätte. Die Voraussetzung für die Vollstreckbarkeit der Urteile des belgischen Titelgerichtes im Inland nach Art 2 Abs 1 lit a des Abkommens ist nicht gegeben. Der Exekutionsantrag ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 EO und auf § 41 sowie § 50 Abs 1 ZPO. Rekurskosten hat die verpflichtete Partei nicht verzeichnet (§ 78 EO, § 54 Abs 1 ZPO).

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