OGH 2Ob66/93

OGH2Ob66/9325.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmut K*****, vertreten durch Mag.Dr.Josef Kartusch, Rechtanwalt in Klagenfurt, wider die beklagten Parteien 1. Emanuel P*****, und 2. ***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Dieter Sima, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 130.179,64 S sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgerichtes vom 28.Juli 1993, GZ 3 R 138/92-10, womit das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 8.April 1992, GZ 29 Cg 283/91-6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von 6.223,14 S (darin 1.037,19 S an Umsatzsteuer) und an Kosten des Rekursverfahrens den Betrag vonn 7.468,56 S (darin 1.244,76 S an Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 13.März 1987 ereignete sich in Glantschach ein Verkehrsunfall, an dem der Erstbeklagte als Lenker und Halter eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges und der Kläger, der auf einem Kleinmotorrad am Soziussitz mitgefahren war, beteiligt waren. Die Beklagten haften dem Kläger zur ungeteilten Hand für sämtliche künftigen Schäden aus diesem Verkehrsunfall, die Haftung der Zweitbeklagen jedoch beschränkt auf die vertragliche Versicherungssumme in Ansehung des bei ihr versicherten Kraftfahrzeuges.

Mit der am 4.Oktober 1991 erhobenen Klage begehrte der damals 21jährige Kläger von den beklagten Parteien zur ungeteilten Hand die Zahlung von 127.021,24 S sA, welches Begehren er auf 130.179,64 S sA ausdehnte. Mit der zu 29 Cg 57/91 eingebrachten Klage - in welchem Verfahren die Beklagten das gestellte Feststellungsbegehren anerkannt hätten - habe er Verdienstentgang bis einschließlich 1989 geltend gemacht. Mit der gegenständlichen Klage begehre er den Verdienstentgang für das Jahr 1990.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger gehe offensichtlich davon aus, daß er unfallskausal berufs- und erwerbsunfähig sei. Dies stehe jedoch nicht außer Streit, weshalb der Kläger die Unfähigkeit, eine Beschäftigung auszuüben und einen Verdienst zu erzielen, zu behaupten und zu beweisen haben werde. Dem Kläger sei trotz der gravierenden Unfallsfolgen eine seiner körperlichen und geistigen Eignung entsprechende Ersatzbeschäftigung zumutbar. Der Kläger habe es in Verletzung der ihn treffenden Schadensminderungspflicht unterlassen, eine andere Erwerbsmöglichkeit aufzunehmen.

Der Kläger erwiderte hierauf, daß ihm wegen dauernder Invalidität eine Invaliditätspension zuerkannt worden sei und bei dieser Sachlage der Schädiger für die Differenz zwischen dem fiktiven Lohn und der Invaliditätspension aufzukommen habe; in diesem Fall könne der Schädiger nicht einwenden, daß eine Ersatzbeschäftigung zumutbar sei. Die bei ihm, Kläger, vorliegende Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage zumindest 80 %; er sei zur Aufnahme irgendeiner Beschäftigung weder körperlich noch geistig geeignet (ON 3 dA).

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus Feststellungen über die dem Kläger mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 9.3.1988 gemäß § 254 Abs 1 Z 1 ASVG ab 1.12.1987 gewährte Invaliditätspension und die dem Kläger im Jahr 1990 einschließlich Ausgleichszulage zugeflossenen Nettobeträge sowie über jenen Betrag, den der Kläger - wäre es nicht zu dem Unfall gekommen - als Geselle bei der H***** KG ins Verdienen gebracht hätte. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß der Kläger, dessen Invalidität im Sinne des § 254 Abs 1 Z 1 ASVG festgestellt worden sei, aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und damit ohne Rücksicht auf seine Arbeitsfähigkeit erwerbsunfähig geworden sei. Die Frage der effektiven Arbeitsfähigkeit des Klägers sei deshalb nicht mehr zu prüfen gewesen (SZ 44/169).

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück, wobei es aussprach, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Es erachtete die in der Berufung allein erhobene Rechtsrüge als berechtigt, und nahm dazu im wesentlichen wie folgt Stellung:

Das Erstgericht stütze die rechtliche Beurteilung seiner Entscheidung auf ein Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes vom 4.11.1971, SZ 44/169, dessen Leitsatz vollständig wie folgt laute: "Scheidet der Verletzte infolge eines durch einen Unfall ausgelösten berechtigten Antrages auf Gewährung einer Invaliditätspension aus dem Erwerbsleben aus und kann er in dieses nicht wieder eingegliedert werden, so ist er erwerbsunfähig geworden. Seine Arbeitsfähigkeit ist nicht mehr zu prüfen."

Kläger in jenem Rechtsstreit sei ein über 60jähriger Schlosser gewesen, für den es nach Zuerkennung der Invalidenrente unmöglich gewesen sei, wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert zu werden. Es sei weder eine nochmalige Beschäftigungsaufnahme beim bisherigen Dienstgeber noch eine Vermittlung durch das Arbeitsamt in Frage gekommen, weil Rentner, die nahe der Altersgrenze sind, grundsätzlich nicht mehr vermittelt würden. Inwieweit aber der erst 23jährige Kläger des gegenständlichen Rechtsstreites in ein Berufsleben wieder eingegliedert werden könne, und ob daher - allenfalls nach einer Umschulung - auch dessen Erwerbsfähigkeit anzunehmen sei, sei vom Erstgericht nicht geprüft worden. Als invalide im Sinne des ASVG werde derjenige angesehen, dem es im Rahmen seiner Verweisbarkeit nicht mehr möglich sei, zumindest 50 % des Einkommens eines körperlich und geistig gesunden Dienstnehmers zu verdienen. Seine Arbeitsfähigkeit sei also so weit abgesunken, daß ihr Einsatz zu keinem ausreichenden Arbeitseinkommen führen könne. Daraus folge aber, daß auch jemand, der eine Invaliditätspension beziehe, durchaus auf Grund eigener Arbeitsleistungen ein - wenn auch geringes - Einkommen selbst erzielen könnte. Es komme hier nämlich nicht auf die medizinisch-physiologische Arbeitsfähigkeit an, die für die Sozialversicherungsträger bedeutsam sei, sondern nur auf die wirtschaftliche Erwerbsfähigkeit. Deshalb seien auch die Annahmen eines Sozialversicherungsträgers für das Gericht nicht bindend (Reischauer in Rummel, Rz 22 zu § 1325 ABGB). Trotz der vorliegenden sozialversicherungsrechtlichen Invalidität des Klägers werde daher vom Erstgericht noch zu prüfen sein, inwieweit der Gesundheitszustand des Klägers seine zumindest teilweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß zuläßt und ob er es schuldhaft unterlassen habe, einem ihm nach den Umständen zumutbaren Erwerb nachzugehen bzw eine darauf abzielende Umschulung in Anspruch zu nehmen. Zu berücksichtigen werde dabei allerdings sein, daß die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß der Geschädigte durch Aufnahme einer anderen konkreten, ihm auch zumutbaren Beschäftigung den Verdienstentgang hätte mindern können, die Beklagten treffe (ZVR 1987/113 ua). Des weiteren werde vom Erstgericht zu berücksichtigen sein, daß zumutbar nur die Verwendung in einem entsprechenden Beruf sei, wobei sich der Geschädigte auch eine nach den Umständen zumutbare Umschulung gefallen lassen müsse.

Da die entscheidungsrelevante Frage, ob und wenn ja, in welchem Umfang der Kläger als erwerbfähig anzusehen sei, vom Erstgericht nicht geprüft worden sei und sich erst daraus dessen allfällige Verletzung der Schadensminderungspflicht ergeben könnte, sei das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen gewesen.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof begründete das Berufungsgericht mit dem Fehlen einer gefestigten Judikatur zur Frage, ob bei Vorliegen der Invalidität des Verletzten dessen Erwerbsfähigkeit dennoch zu prüfen sei.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs des Klägers, in dem die Aufhebung des rekursgerichtlichen Beschlusses mit dem Auftrag an das Gericht zweiter Instanz, in der Sache selbst zu entscheiden, begehrt wird.

Die Beklagten beantragten in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Ergebnis berechtigt.

In seinem Rekurs vertritt der Kläger die Ansicht, das Berufungsgericht wäre gemäß § 190 ZPO in der Frage der Berufsunfähigkeit an die diesbezügliche Entscheidung des Sozialversicherungsträgers gebunden gewesen, weshalb es Sache der Beklagten gewesen wäre, zu behaupten und zu beweisen, daß er durch Aufnahme einer anderen konkreten, ihm auch zumutbaren Beschäftigung den in der Differenz zwischen der Pension und dem fiktiven Arbeitseinkommen ohne den gegenständlichen Unfall liegenden Verdienstentgang hätte mindern können. Dem ist folgendes zu entgegnen:

Nach § 1325 ABGB hat bei einer Körperverletzung der Schädiger dem Beschädigten, wenn dieser zum Erwerb unfähig wird, den ihm entgangenen und auch den künftig entgehenden Verdienst zu ersetzen. Da der Geschädigte alle für seinen Anspruch notwendigen Tatsachen zu behaupten und im Bestreitungsfall unter Beweis zu stellen hat, obliegt es dem Verletzten, die infolge der Körperverletzung eingetretene Erwerbsunfähigkeit oder Erwerbsminderung zu behaupten und zu beweisen. Nach Lehre und Rechtsprechung ist unter Erwerbsfähigkeit - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte - die Fähigkeit zu verstehen, in einer der Ausbildung, den Anlagen und der bisherigen Tätigkeit entsprechenden Stellung den Lebensunterhalt zu verdienen, wobei es auf die Erwerbsfähigkeit im wirtschaftlichen Sinn (wirtschaftliche Erwerbsfähigkeit) und nicht auf die medizinisch-physiologische Arbeitsfähigkeit ankommt (Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 22 zu § 1325 und Apathy, EKHG, Rz 9 zu § 13 je samt Hinweis auf Lehre und Rechtsprechung). Da die wirtschaftliche Erwerbsfähigkeit für die Frage des Verdienstentganges maßgeblich ist, kommt dem in den Sozialversicherungsgesetzen normierten Begriff der Invalidität oder Berufsunfähigkeit hier keine rechtserhebliche Bedeutung zu. Die Zuerkenung einer Leistung aus der gesetzlichen Sozialversicherung wegen Invalidität oder Berufsunfähigkeit hat somit für die Frage des Verdienstentganges keine das Gericht bindende Wirkung (vgl JBl 1956, 180; ZVR 1959/149 = JBl 1959, 31; SZ 51/91; ZVR 1980/154). Das Berufungsgericht ist daher ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß die Frage, ob und in welchem Grad Erwerbsunfähigkeit besteht, eine vom Erstgericht unabhängig von der sozialversicherungsrechtlich gegebenen Invalidität des Klägers zu lösende Tatfrage bildet.

Was die infolge der von den Beklagten behaupteten Verletzung der Schadensminderungspflicht durch den Kläger bedeutsam gewordene Beweislastverteilung in Ansehung einer gleichwertigen zumutbaren Beschäftigung anlangt, so ist grundsätzlich zu unterscheiden, ob der Verletzte seine frühere Erwerbsfähigkeit bloß teilweise oder in vollem Ausmaß wiedererlangt hat. Hat der Verletzte seine frühere Erwerbsfähigkeit nicht gänzlich wiedererlangt, dann obliegt dem Schädiger der Beweis, daß der Geschädigte eine ihm nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ausgeschlagen hat. Lediglich dann, wenn der Verletzte seine Erwerbsfähigkeit im vollen früheren Ausmaß wiedererlangt hat, muß er beweisen, daß er trotzdem eine gleichwertige zumutbare Beschäftigung nicht finden konnte (vgl Apathy, aaO, Rz 22 zu § 13 samt Rechtsprechungshinweis).

Der Kläger hat in der Klage behauptet, bei dem gegenständlichen Verkehrsunfall "schwerstens" verletzt worden zu sein (AS 2) und zur Aufnahme irgendeiner Beschäftigung weder körperlich noch geistig geeignet zu sein (AS 15). Die Beklagten haben dieses Vorbringen bestritten und behauptet, der Kläger wäre trotz der gravierenden Unfallsfolgen zu einer ihm zumutbaren Ersatzbeschäftigung geeignet. Aus diesem Prozeßvorbringen der Beklagten ergibt sich, daß sie die völlige Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Klägers, wie sie vor dem Unfall bestand, gar nicht behaupten. Kann somit im Verfahren nicht davon ausgegangen werden, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers im selben Ausmaß wie vor dem Unfall wieder gegeben ist, so wäre es Aufgabe der Beklagten gewesen, zu behaupten und unter Beweis zu stellen, daß dem Kläger eine ihm nachgewiesene Erwerbstätigkeit zumutbar gewesen wäre und er diese ausgeschlagen hat. Die Beklagten haben jedoch nicht einmal den Versuch unternommen, diesen Beweis anzutreten. Das Erstgericht ist daher im Ergebnis zu Recht zu keiner Minderung des Verdienstentgangs infolge der eingewendeten Verletzung der Schadensminderungspflicht gelangt. Da die Beklagten in ihrer Berufung die für die Ausmittlung des Verdienstentganges maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichtes unbekämpft ließen, erweist sich die von ihnen erhobene Berufung als unberechtigt und die Rechtssache im Sinne der Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung spruchreif (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO).

Es war daher dem Rekurs Folge zu geben, der Beschluß des Berufungsgerichtes aufzuheben und der Berufung der Beklagten nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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