OGH 2Ob70/93

OGH2Ob70/9325.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria F*****, vertreten durch Dr.Franz Zimmermann, Rechtsanwalt in Klagenfurt, und deren Nebenintervenientin Hermine Z*****, vertreten durch Dr.Herwig Medwed, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Andreas M*****, vertreten durch Dr.Michael Ruhdorfer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Zahlung von S 100.000,-- s.A. und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 17.Mai 1993, GZ 6 R 155/92-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 14.Mai 1993, GZ 26 Cg 99/91-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß der Berufung der beklagten Partei nicht Folge gegeben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.657,40 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 942,90, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 4.077,- (darin enthalten S 679,50 Umsatzsteuer, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist seit dem Jahre 1949 Mieterin einer Wohnung im Hause P*****gasse 16 in K*****, dessen Mehrheitseigentümerin die Nebenintervenientin ist. Das Haus weist zwei Eingänge auf, wobei der eine unmittelbar von der P*****gasse, der andere über die K*****straße und das dem Beklagten gehörige Grundstück 135/3 zu erreichen ist. Zu Lasten des letzteren Grundstückes ist dem Grundstück, auf welchem sich das Haus P*****gasse 16 befindet, als herrschendem Gut die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes eingeräumt.

Am 13.12.1990 verließ die Klägerin ihre Wohnung, um über das Grundstück des Beklagten in die K*****straße zu gelangen. Da leichter Schneeflaum auf dem vereisten Weg lag, stürzte sie rund 5 m östlich der westlichen Fluchtlinie des Gebäudes K*****straße Nr.15, somit im asphaltierten Bereich des dem Beklagten gehörenden Grundstückes zwischen der K*****straße und dem Hauseingang P*****gasse 14.

Für die durch diesen Sturz erlittenen Verletzungen begehrt die Klägerin Schmerzengeld in der Höhe von 100.000,-- S sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche künftigen Schäden. Die Klägerin machte geltend, das Alleinverschulden an dem von ihr erlittenen Unfall trage der Beklagte, weil er als Liegenschaftseigentümer seiner im § 93 StVO normierten Streupflicht nicht nachgekommen sei; darüber hinaus hafte er nach § 1319a ABGB, weil er sich grob fahrlässig um die Schneeräumung und das Bestreuen des Weges nicht gekümmert habe.

Der Beklagte wendete ein, weder gegenüber den Mietern des Hauses P*****gasse 14 noch aufgrund der zugunsten des Hauses P*****gasse 16 eingeräumten Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes den Mietern dieses Hauses gegenüber zur Schneeräumung verpflichtet gewesen zu sein. Sollte ihn eine Haftung treffen, so treffe die Klägerin zumindest ein 50 %iges Mitverschulden, weil ihr bekannt war, daß in dem Bereich, wo sie den Unfall erlitt, nicht geräumt wird und sie zu einer erhöhten Sorgfalt verpflichtet gewesen wäre.

Das Erstgericht sprach der Klägerin ein Schmerzengeld von 80.000,-- S zu und gab dem Feststellungsbegehren statt. Es vertrat die Ansicht, den Beklagten treffe die Haftung nach § 1319a ABGB, weil er sich um die Schneeräumung und das Bestreuen des Weges in den letzten Jahren nicht gekümmert habe. Den Mitverschuldenseinwand hielt das Erstgericht für nicht gerechtfertigt, weil die Klägerin den winterlichen Verhältnissen entsprechende Stiefel getragen habe und eine unvorsichtige Gangweise ihr schon im Hinblick auf ihr Alter (die Klägerin ist 1914 geboren) nicht vorgeworfen werden könne. Das Erstgericht erachtete ein Schmerzengeld von S 80.000,-- für angemessen und wies das darüber hinausgehende Klagebegehren ab.

Während der klagsabweisende Teil dieser Entscheidung in Rechtskraft erwuchs, erhob der Beklagte Berufung. Seinem Rechtsmittel wurde zum Teil Folge gegeben und ihm eine Zahlungspflicht von lediglich 40.000,-- S auferlegt. Weiters wurde festgestellt, daß er nur zur Hälfte für sämtliche Schäden, die der Klägerin aufgrund des Unfalls vom 13.12.1990 in Zukunft entstehen, haftbar sei.

Auch das Berufungsgericht erachtete die Schadenersatzpflicht des Beklagten für gegeben, es vertrat jedoch die Ansicht, daß auch der Klägerin ein Verschulden zur Last falle. Dieses bestehe darin, daß sie den Weg, den sie ständig benützte und von dem ihr bekannt war, daß er nicht geräumt und nicht gestreut war, ungeachtet seines Gefälles und seiner Beschaffenheit benützte, obwohl sie die Benützung - durch Wählen eines geringfügigen Umweges über den Ausgang in die P*****gasse, was der Sachlage nach durchaus zumutbar gewesen wäre - leicht hätte vermeiden können. Das Verschulden der Klägerin sei nicht geringer als jenes des Beklagten zu werten.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Ersturteil wiederhergestellt werde; hilfsweise wird beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren zu 2/3 stattgegeben werde; in eventu wird weiters ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen; in eventu ihm keine Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht nicht bedachte, daß sich die Prüfung des Mitverschuldens auf jene tatsächlichen Umstände zu beschränken hat, die der Beklagte im Verfahren erster Instanz eingewendet hat. Das Berufungsgericht ist insoweit von der Judikatur des Obersten Gerichtshofes abgegangen, sodaß die Voraussetzungen des § 502 Abs.1 ZPO gegeben sind.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel der Klägerin ist auch berechtigt.

Die Klägerin macht in ihrer Revision geltend, der Mitverschuldenseinwand sei nur in dem vom Gegner behaupteten Umfang zu prüfen. Den Einwand, die Klägerin hätte den Ausgang in die P*****gasse nehmen sollen, habe der Beklagte nicht erhoben. Wie sich aus der Aussage der Nebenintervenientin ergebe, sei der Eingang P*****gasse immer nur von den Bewohnern des ersten Stockes benützt worden, die Klägerin, die im zweiten Stock wohne, habe immer nur den hinteren Eingang benützt. Die Klägerin selbst habe ausgesagt, daß sie nie über einen Schlüssel zu dem in die P*****gasse führenden Haustor verfügte.

Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend. Nach ständiger Rechtsprechung (siehe ZVR 1989/108 mwN) hat sich die Prüfung des Mitverschuldens auf jene tatsächlichen Umstände zu beschränken, die der Beklagte im Verfahren erster Instanz eingewendet hat. Im vorliegenden Fall hat nun der Beklagte lediglich eingewendet, daß die Klägerin ein 50 %iges Mitverschulden an ihrem Sturz deshalb treffe, weil ihr nach eigenen Angaben bekannt war, daß in "diesem" Bereich nicht geräumt wird und sie zu einer erhöhten Sorgfalt verpflichtet gewesen wäre (AS 62). Der Klägerin wurde aber nicht vorgeworfen, sie hätte anstelle des rückwärtigen Ausganges jenen verwenden sollen, der direkt in die P*****gasse mündet. Das Mitverschulden der Klägerin hätte nur dann auf diesen Umstand gestützt werden können, wenn seitens des Beklagten eine entsprechende Tatsachenbehauptung aufgestellt worden wäre. Dann hätte die Klägerin zu diesem Vorwurf auch Stellung nehmen können - sie bestreitet in der Revision, daß ihr die Benützung dieses Ausganges überhaupt möglich war - und hätte es entsprechender Tatsachenfeststellungen bedurft. Mangels eines auf diesen tatsächlichen Umstand gestützten Einwandes des Beklagten erweist sich die darauf gegründete Mitverantwortung der Klägerin als unbegründet. Keinesfalls aber kann der Klägerin vorgeworfen werden, sie hätte - in Kenntnis des Umstandes, daß der von ihr benutzte Weg nicht gestreut wird - überhaupt zu Hause bleiben müssen. Es hieße nämlich die Sorgfaltspflicht in eigenen Angelegenheiten überspannen, würde man von der Klägerin verlangen, daß sie bei Schnee und Eis ihre Wohnung überhaupt nicht mehr verläßt. Es muß dem Bewohner einer Stadt grundsätzlich offenstehen, auch bei Schnee und Eis seine Wohnung zu verlassen, ohne sich schon allein dadurch dem Vorwurf der Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern auszusetzen (vgl. 2 Ob 45/91 zum Teil veröffentlicht in NRsp. 1991/272).

Es war daher der Revision der Klägerin Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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