OGH 8Ob642/93

OGH8Ob642/9318.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.E.Huber, Dr.Jelinek, Dr.Rohrer und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Gabriele F*****, und

2.) Dr.Johann F*****, beide Wien *****, erstere vertreten durch den Zweitkläger, wider die beklagte Partei E*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Kurt Heller und Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Duldung und Herausgabe (Streitwert S 500.000,-), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24.März 1993, GZ 16 R 32/93-31, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 29.September 1992, GZ 10 Cg 264/90-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die vorinstanzlichen Urteile werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, die fachgerechte Abnahme des im Geschäftslokal 1 top 1 in 1010 Wien, Blutgasse 3, an der linksseitigen Wand befindlichen Freskos zu dulden und das Fresko Zug um Zug gegen Wiederherstellung der Mauer in den früheren Zustand den klagenden Parteien herauszugeben.

Die beklagte Partei ist weiter schuldig, den Klägern die mit S 178.186,96 bestimmten Prozeßkosten (einschließlich S 25.457,84 Umsatzsteuer und S 25.440,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Gabriele F***** GesmbH mietete im Jahre 1981 von der beklagten Partei das Geschäftslokal im Hause W*****, B*****gasse *****, um darin eine Galerie zu betreiben. Anläßlich der Eröffnung der Galerie verfertigten dort drei mit den Klägern befreundete Maler gemeinsam ein Wandbild.

Mit ihrer Klage vom 19.11.1990 begehren die Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen, die fachgerechte Abnahme des im Geschäftslokal an der linksseitigen Wand befindlichen Freskos und die Wiederherstellung des früheren Zustandes durch die klagenden Parteien zu dulden und ihnen das Fresko herauszugeben. Es stelle ihr ausschließliches Eigentum dar.

Die beklagte Partei bestritt den Klageanspruch und die Aktivlegitimation der Kläger und wendete ein, Bestandnehmerin sei die Gabriele F***** GesmbH gewesen und diese Gesellschaft sei wegen Mietzinsrückständen gerichtlich zur Räumung verpflichtet worden. Durch seine Aufbringung sei das Fresko unselbständiger Bestandteil des Gebäudes geworden und stehe daher im auschließlichen Eigentum der beklagten Partei, sodaß sie keine Herausgabepflicht treffe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest:

Die klagenden Parteien sind Gesellschafter der Gabriele F***** GesmbH, die Erstklägerin ist auch Geschäftsführerin der Gesellschaft und leitete die Galerie. Bereits seit dem Jahre 1985 hatte Robert F***** auf Grund einer Vereinbarung mit den Klägern bzw. der Gabriele F***** GesmbH das Lokal für eine esoterische Buchhandlung benützt. Infolge Mietzinsrückstandes der Gesellschaft wurde diese auf Räumung der Bestandsache geklagt und mit rechtskräftigem Urteil vom 2.10.1990 zur Räumung verpflichtet, die sodann am 16.11.1990 durchgeführt wurde.

Das anläßlich der Eröffnung der Galerie von den mit den Klägern befreundeten akademischen Malern Erhard G*****, Axel L***** und Josef B***** gemeinsam angefertigte Wandbild weist eine Höhe von 2 m und eine Breite von 80 cm auf und wurde in Secco-Technik aufgebracht. Es handelt sich dabei um einen Freundschaftsdienst der Künstler, die das Bild unentgeltlich schufen und als Geschenk an die Kläger ansahen. Welche Rechtsfolgen sich daraus ergäben, daß das Secco-Bild auf fremdem Material, nämlich der Mauer des Hauses, aufgebracht wurde, haben weder die Kläger noch die Künstler bedacht; auch wurde nicht überlegt, was für den Fall sein sollte, daß die Gabriele F***** GesmbH ihre Mietrechte am Lokal aufgibt. Die beklagte Partei wurde weder von den Klägern noch von den Künstlern von der Aufbringung des Gemäldes verständigt und eine Vereinbarung für den Fall der Aufgabe der Mietrechte durch die Gabriele F***** GesmbH demgemäß nicht getroffen. Auch als im Jahre 1985 Robert F***** das Lokal benützte, wurde mit der beklagten Partei über das Schicksal des Wandbildes nicht gesprochen. Diese erfuhr knapp vor der Räumung durch einen Anruf des Zweitklägers erstmals von der Existenz des Bildes. Sie hat das Eigentumsrecht der Kläger an diesem Bild niemals anerkannt und ebensowenig deren Berechtigung, das Bild abzunehmen. Ein Restaurator wäre in der Lage, das Wandgemälde abzunehmen; die Kosten hiefür würden rund S 50.000,- betragen.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Kläger hätten am Wandgemälde kein Eigentum erworben, weil zwar ein Titel, nämlich die Schenkung, vorliege, eine Übergabe an sie aber nicht erfolgt sei. Die Aufbringung des Secco-Wandbildes sei als Fall der Verarbeitung anzusehen und es sei daher bestenfalls Miteigentum zwischen den Künstlern und der beklagten Partei zustandegekommen. Die Kläger seien demgemäß zur Geltendmachung des Anspruches nicht legitimiert.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-

übersteigt und daß die Revision nicht zulässig sei. In seiner Entscheidungsbegründung führte es aus:

Da die Klage als dingliche Eigentumsklage nach § 366 ABGB anzusehen sei, müßten die Kläger die Erwerbung des Eigentums, somit Titel und Erwerbungsart (§§ 369, 380, 425 ABGB) nachweisen. Ob das Wandbild als selbständiger oder unselbständiger Bestandteil des Hauses zu gelten habe, sei nicht entscheidend, weil die Kläger in keinem der beiden Fälle Eigentum erwerben hätten können. Betrachte man nämlich das Wandbild unselbständigen Bestandteil des Hauses, wofür jedenfalls die Verkehrsauffassung spreche, so sei es sonderrechtsunfähig und teile das sachenrechtliche Schicksal der Hauptsache. Ein Eigentumserwerb der Kläger sei daher ausgeschlossen. Sehe man aber das Wandbild als selbständigen Bestandteil der Hauptsache, so lasse sich damit für die Berufung ebenfalls nichts gewinnen. Nach den getroffenen Feststellungen liege zwar ein Schenkungsversprechen der Künstler vor, doch fehle es an einer wirklichen Übergabe. Das Wandbild sei von den Geschenkgebern direkt auf die im Eigentum der beklagten Partei stehende Hausmauer aufgebracht worden und somit im Zeitpunkt seiner Entstehung physischer Bestandteil des Hauses geworden. Eine rechtliche Erwerbungsart könne daher nur durch Abtrennung und körperliche Übergabe (§ 426 ABGB) stattfinden. Der von der Berufung vertretenen Ansicht, es sei eine Übergabe durch Erklärung nach § 428 ABGB erfolgt, könne nicht beigetreten werden. Das Besitzkonstitut reiche für die wirkliche Übergabe der Schenkung nicht aus. Eine Übergabe kurzer Hand sei nicht eingetreten, weil die Voraussetzung der vorangehenden Innehabung durch die Kläger ohne dingliches Recht und die nachfolgende Erklärung der schenkenden Künstler, daß an die Stelle der Innehabung der Besitz aus dem Eigentumsrecht treten solle, fehle. Da die Kläger kein Eigentum am Wandbild erworben hätten, sei auch der Hinweis der Berufung auf § 415 ABGB nicht zielführend. Ein obligatorischer Herausgabeanspruch sei aus den festgestellten Sachverhalt ebenfalls nicht ableitbar. Ein Wegnahmerecht nach den Bestimmungen der §§ 1097, 1109 ABGB stehe den Klägern, wie sie selbst einräumten, nicht zu, weil sie niemals Mieter der gegenständlichen Räumlichkeiten gewesen seien.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erheben die Kläger außerordentliche Revision mit dem Antrag, in Abänderung der vorinstanzlichen Urteile dem Klagebegehren stattzugeben.

Die Revisionswerber führen aus, nach dem festgestellten Sachverhalt liege hier im Sinne der Rechtsprechung ein klassischer Fall des Erwerbsaktes durch Besitzüberlassung (traditio brevi manu) vor, weil eine besondere körperliche Übergabe wegen bereits bestehender Gewahrsame der Übernehmer nicht mehr denkbar sei. Die Abgrenzung zur körperlichen Übergabe sei belanglos, wenn nicht aus besonderen Kundbarkeitserfordernissen die Gewahrsame des Übergebers ausgeschlossen werden müsse. Solche Erfordernisse seien hier undenkbar, weil die Geschenkgeber keine Gewahrsame mehr gehabt hätten. Die vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung sei daher nicht anwendbar und die Revision demgemäß zulässig. Die drei Künstler hätten an dem Wandbild keine Gewahrsame mehr gehabt und das Bild sei in der "von der Erstklägerin als Gesellschafterin und dem Zweitkläger als Geschäftsführer der Gesellschaft" betriebenen Galerie zu sehen gewesen. Dies sei die einzig denkbare Art der Innehabung und "Benützung" eines Wandbildes. In der Schenkung und Zuwidmung an die Kläger liege eine Übergabe durch Erklärung, das Bild sei selbständiger Bestandteil des Hauses und daher sonderrechtsfähig, weshalb auch die Berufung auf § 415 ABGB erfolgt sei. Die Innehabung durch die Kläger sei in der von ihnen ausgeübten Herrschaft über das Wandbild gelegen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 502 Abs1 ZPO zulässig und sie ist auch gerechtfertigt.

Das streitverfangene Wandgemälde wurde im sogenannten Seccoverfahren, also auf trockenem Wandbewurf (vgl Brockhaus Enzyklopädie19 Band 7, 650), hergestellt. Derartige Wandgemälde können, wie allgemein bekannt ist (siehe Brockhaus aaO Band 18, 320), von fachkundigen Restauratoren nach verschiedenen Methoden (im Strappo- oder Distacco-Verfahren; siehe aaO Band 18, 320) von der Wand (mit einer dünneren oder einer dickeren Putzmörtelschicht; aaO) abgenommen werden. Für den vorliegenden Fall wurde die Abnehmbarkeit auch vom Erstgericht unangefochten festgestellt.

Damit steht aber fest, daß dieser Bestandteil des Hauses im Sinne der ständigen Rechtsprechung (SZ 55/105; SZ 58/89 und 208; SZ 64/109; JBl 1991, 376; 8 Ob 550/92 ua) ein selbständiger Bestandteil und damit sonderrechtsfähig ist.

Dieses sonderrechtsfähige Wandgemälde wurde den beiden Klägern von den drei Künstlern, die es hergestellt haben, geschenkt. Mit der Herstellung durch Aufbringung an der Wand im Geschäftslokal des Hauses B*****gasse ***** im *****Wiener Gemeindebezirk haben die drei Geschenkgeber das Wandgemälde den beschenkten Klägern im Sinne des § 426 ABGB ins Eigentum übertragen. Diese Art der Besitzübertragung, nämlich durch körperliche Übergabe (von Hand zu Hand), darf nicht wörtlich begriffen werden, denn es kommt in Wahrheit auf die im Einzelfall nach den besonderen Umständen erforderlichen und möglichen Akte an, die sinnfällig die Veränderung der Gewahrsame und der damit verbundenen faktischen Verfügungsgewalt über die bewegliche Sache zum Ausdruck bringen (vgl dazu Koziol-Welser II9 26; Spielbüchler in Rummel2 Rz 2 zu § 425 und 1, 2 zu § 426 ABGB; Pimmer in Schwimann Rz 1 und 2 zu § 426 ABGB; Klang in Klang II2 75; SZ 44/132 und 157; SZ 46/50 ua). "Physisches" Ergreifen der Sache durch den Erwerber ist nicht erforderlich, wenn der Gegenstand der Übereignung ein Wandgemälde ist, das vom Übergeber erst durch Aufbringung an der Wand

eines Raumes im Gewahrsamsbereich des Erwerbers hergestellt wird, weil der Akt der Herstellung des Kunstwerkes unter diesen Umständen die Gewahrsame und die damit verbundene faktische Verfügungsgewalt des Erwerbers über die Sache im Sinne des § 426 ABGB ausreichend "signalisiert" (Koziol-Welser aaO). Das Wandgemälde wurde zwar durch die Aufbringung an die Wand des Geschäftslokals, das sich im Eigentum der Beklagten befindet und damals von der Gabriele F***** GesmbH gemietet war, zum selbständigen Bestandteil des Hauses; infolge seiner Sonderrechtsfähigkeit blieb es jedoch im Eigentum der beschenkten Kläger. Der Umstand, daß sich zur Zeit der Besitzübereignung des Wandgemäldes das Geschäftslokal, in dem es an einer Wand angebracht worden ist, im Bestandrecht der Gabriele F***** GesmbH befand, konnte dem Besitzerwerb der beiden Kläger an dem Wandgemälde nicht hinderlich sein, weil die Erstklägerin damals als Geschäftsführerin dieser GesmbH der Aufbringung des Gemäldes an einer Wand des Geschäftslokals zugestimmt hat.

Aus diesen Erwägungen muß der Revision der Kläger Folge gegeben und in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen dem Klagebegehren stattgegeben werden.

Der Ausspruch über die Prozeßkosten beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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