Spruch:
Durch den angefochtenen Beschluß wurde Haradin D***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Der 23-jährige Kosovoalbaner Haradin D***** wurde am 22.Juli 1993 im Zuge von umfangreichen Erhebungen des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich gegen eine international tätige jugoslawische Tätergruppe, die sich mit der Herstellung und Verbreitung totalgefälschter jugoslawischer Führerscheine beschäftigt, auf Anordnung des Untersuchungsrichters festgenommen (ON 7 und S 145 f im Aktenband ON 16). Am 26.Juli 1993 wurde gegen Haradin D***** die Voruntersuchung wegen des Vergehens nach den §§ 223 Abs. 1 und Abs. 2, 224 StGB eingeleitet und über ihn die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr gemäß dem § 180 Abs. 2 Z 1, 2 und 3 lit. b StPO verhängt (ON 25/Bd. ON 16).
Laut Stellungsanzeige soll der Beschuldigte in Zusammenarbeit mit mehreren Mittätern in zahlreichen Fällen Bestellungen von Führerscheinfalsifikaten entgegengenommen, an den im Ausland (Preßburg) durchgeführten Fälschungen selbst mitgewirkt und die nachgemachten Dokumente den Bestellern schließlich in Kenntnis deren Vorhabens ausgeliefert haben, die Falsifikate den österreichischen Behörden zwecks Umtausch gegen einen österreichischen Führerschein vorzulegen. Zentrum seiner gesetzwidrigen Aktivitäten sei ein von ihm in Wien-Hernals betriebenes Kaffeehaus gewesen.
Enthaftungsanträge des Beschuldigten vom 27.Juli 1993 (ON 18/II) und vom 19.August 1993 (ON 38/II) wurden mit den Beschlüssen der Ratskammer vom 11.August 1993 (ON 39/II) bzw. vom 1.September 1993 (ON 44/II) abgewiesen. Den dagegen erhobenen Beschwerden hat das Oberlandesgericht Wien mit den Beschlüssen vom 7.September 1993, AZ
26 Bs 387/93 (= ON 62/II), bzw. vom 20.September 1993, AZ 26 Bs
407/93 (= ON 65/II), nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Beschluß vom 20.September 1993, der sich infolge des geringen zeitlichen Abstandes weitgehend auf den Beschluß vom 7. September 1993 bezieht, richtet sich die jedenfalls rechtzeitig am 8. Oktober 1993 beim Erstgericht überreichte, beim Obersten Gerichtshof am 19.Oktober 1993 eingelangte Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten.
Den geltend gemachten Beschwerdepunkten (§ 3 Abs. 1 GRBG) ist folgendes zu erwidern:
Eine Fortsetzung sicherheitsbehördlicher Erhebungen im Rahmen einer gerichtlichen Voruntersuchung widerspricht nicht dem Gesetz. Von einer unzulässigen Verschiebung der Untersuchungstätigkeit des Gerichtes auf die Sicherheitsbehörde kann daher keine Rede sein. Aus Verzögerungen solcher Erhebungen - die vom Beschwerdeführer zwar behauptet aber nicht dargetan werden und nach der Aktenlage auch gar nicht unterlaufen sind (vgl. ON 45/II) - könnte eine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit erst dann abgeleitet werden, wenn deshalb die Dauer der Haft im Verhältnis zu der Strafe, die der Beschuldigte wegen der ihm angelasteten strafbaren Handlungen zu erwarten hat, offenbar unangemessen wäre (13 Os 26/93), was aber hier - worauf noch einzugehen sein wird - ebensowenig der Fall ist.
Der Beschuldigte ist geständig, in zwei Fällen den Fälschungsauftrag an den Fälscher weitergegeben, ihm die für die Herstellung der Führerscheinfalsifikate notwendigen Personaldaten mitgeteilt und die erforderlichen Lichtbilder überbracht sowie die Führerscheine hernach den Bestellern gegen Bezahlung ausgefolgt zu haben (S 277 a und verso in Bd. ON 16). Nach den bisherigen polizeilichen Ermittlungen dürfte eine Reihe von weiteren Führerscheinfalsifikaten aus derselben Fälscherwerkstätte stammen, woraus sich - dem Beschwerdevorbringen zuwider - der dringende Verdacht ergibt, daß der Beschuldigte sich weit über die von seinem Geständnis erfaßten beiden Fälle hinaus auf die beschriebene Weise als Vermittler gefälschter Führerscheine betätigt hat.
Dieses Verhalten ist zunächst als Bestimmung zum Vergehen der Urkundenfälschung nach den §§ 12, zweiter Fall, 223 Abs. 1 StGB zu beurteilen. Die Qualifikation nach dem § 224 StGB liegt allerdings - worauf bereits das Oberlandesgericht hingewiesen hat - mangels gesetzlicher oder staatsvertraglicher Gleichstellung von jugoslawischen und österreichischen Führerscheinen nicht vor. Inwieweit die Übergabe der Falsifikate an deren Besteller als das (allenfalls nur versuchte) Vergehen nach den §§ 12, dritter Fall, 223 Abs. 2 StGB bzw. § 15 StGB zu beurteilen ist und als solches das Vergehen nach Abs. 1 verdängt, wird im einzelnen noch zu prüfen sein. Die behördliche Sicherstellung der Falsifikate könnte dafür sprechen, daß die Führerscheinkäufer zumindest bereits versucht haben, die Fälschungen im Rechtsverkehr zu gebrauchen.
Der Haftgrund der Fluchtgefahr wurde vom Oberlandesgericht Wien zu Recht angenommen. Der Beschuldigte ist Ausländer und hat zuletzt unangemeldet in Wien gewohnt. Ein Asylantrag wurde rechtskräftig abgewiesen. Besondere familiäre Bindungen im Inland bestehen nicht, zumal sich der Beschuldigte von seiner in Österreich angetrauten Ehegattin getrennt hat und intensive Beziehungen zu einer in Preßburg wohnhaften Frau unterhält (S 163, 169/Bd. ON 16). Darauf, daß auch der vom Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Bruder geführte Kaffeehausbetrieb nicht dazu angetan ist, die aus den angeführten bestimmten Tatsachen resultierende Gefahr einer Flucht oder eines Verborgenhaltens zu beseitigen, hat der Gerichtshof zweiter Instanz zutreffend hingewiesen. Gelindere Mittel, etwa die angebotene Abnahme des Reisepasses (ON 38/II) oder der zur Führung eines Fahrzeuges nötigen Papiere, sind nach Lage des Falles, insbesondere mit Rücksicht auf die Art der dem Beschuldigten zur Last liegenden strafbaren Handlungen zur Abwendung des Haftgrundes nicht geeignet.
Auf die übrigen Haftgründe (§ 180 Abs. 2 Z 2 und 3 lit. b StPO) ist daher im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr einzugehen (vgl. 12 Os 15/93 ua). Allerdings kommt Verdunkelungsgefahr nunmehr wegen Zeitablaufes (§ 193 Abs. 3 StPO) nicht mehr in Betracht und auch der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr dürfte im Hinblick auf die mit 1. Oktober 1993 in Kraft getretene Zuständigkeitsverschiebung zum Bezirksgericht durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993 (§ 9 Abs. 1 Z 1 StPO nF) nach Erhebung eines Strafantrages beim Bezirksgericht nicht mehr angenommen werden (§ 452 Z 3 StPO).
Schließlich kann aber auch von einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 193 Abs. 2 StPO) nicht gesprochen werden. Mit Rücksicht auf die Androhung einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und das Gewicht der strafbaren Handlung, deren der Beschwerdeführer dringend verdächtig ist, war die im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung noch nicht einmal zwei Monate andauernde Untersuchungshaft im Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe noch nicht offenbar unangemessen.
Da somit Haradin D***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt ist, war seine Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)