OGH 10ObS218/93

OGH10ObS218/939.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Dr. Franz Köck und Ernst Viehberger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Otto E*****, ***** vertreten durch Dr.Reinfried Eberl, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Hilflosenzuschusses infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes in Arbeits-und Sozialrechtssachen vom 30. Juni 1993, GZ 13 Rs 46/93-12, womit der Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 16. Februar 1993, GZ 18 Cgs 6/93-8, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

1. Der angefochtene Beschluß wird insoweit bestätigt, als er die Zurückweisung des auf einen Hilflosenzuschuß für die Zeit vom 5. September 1990 bis 26. Juni 1991 gerichteten Teiles des Klagebegehrens betrifft.

2. Insoweit die Beschlüsse der Vorinstanzen die Zurückweisung des auf einen Hilflosenzuschuß für die Zeit vom 27. Juni 1991 bis 7. September 1992 gerichteten Teiles des Klagebegehrens betreffen, werden sie aufgehoben. Insoweit wird dem Erstgericht die Aufnahme der Verhandlung in der Hauptsache unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

3. Der angefochtene Beschluß wird auch im Kostenpunkt aufgehoben. Die Kosten des Rekurses und des Revisionsrekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger bezieht von der Beklagten eine Alterspension. Am 25. Juni 1990 meldete er bei der Beklagten seinen Anspruch auf einen Hilflosenzuschuß an, den die Beklagte mit Bescheid vom 5. September 1990 ablehnte. Durch die rechtzeitig erhobene, auf den abgelehnten Zuschuß gerichtete Klage trat dieser Bescheid außer Kraft (§ 71 Abs 1 ASGG). Mit erstgerichtlichem Urteil vom 26. Juni 1991, 20 Cgs 201/90-14, wurde das Klagebegehren abgewiesen. Der Berufung und der Revision des Klägers wurde mit den Urteilen des Oberlandesgerichtes Linz vom 10. März 1992, 13 Rs 123/91-24, und des Obersten Gerichtshofes vom 16. Juni 1992, 10 ObS 123/92-28, nicht Folge gegeben, so daß das abweisende Urteil rechtskräftig wurde (§ 411 Abs 1 ZPO).

Am 8.September 1992 meldete der Kläger bei der Beklagten neuerlich seinen Anspruch auf Hilflosenzuschuß an. Mit Bescheid vom 27. Oktober 1992 gewährte ihm die Beklagte vom 8. September 1992 (Zeitpunkt der Anmeldung des Erhöhungsanspruches - § 64 Abs 1 GSVG) an einen Hilflosenzuschuß (§ 74 leg cit) im Ausmaß von 2.887 S monatlich.

Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage, deren Begehren sich schließlich auf Leistung des Hilflosenzuschusses auch für die Zeit vom 5. September 1990 bis 7. September 1992 richtet, während der er bereits hilflos gewesen sei.

Die Beklagte wendete ein, daß über den Antrag auf Hilflosenzuschuß vom 25. Juni 1990 rechtskräftige abschlägige sozialgerichtliche Entscheidungen vorlägen. Daher richte sich der Wirksamkeitsbeginn der Erhöhung der Pension durch den Hilflosenzuschuß nach § 64 Abs 1 GSVG nach der neuerlichen Anmeldung dieses Erhöhungsanspruches am 8. September 1992. Deshalb sei das Klagebegehren abzuweisen.

Das Erstgericht wies die Klage wegen entschiedener Streitsache zurück.

Die nach § 411 Abs 2 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigende Rechtskraft der im Vorverfahren ergangenen sozialgerichtlichen Urteile schließe ein neuerliches Verhandeln über das identische Begehren auf Hilflosenzuschuß für die Zeit vom 5. September 1990 bis 7. September 1992 aus. Da dem Kläger auf Grund seines neuerlichen Antrages vom 8. September 1992 ab diesem Tag der Hilflosenzuschuß bescheidmäßig gewährt worden sei, fehle ihm an der Bekämpfung dieses Bescheides ein Rechtsschutzbedürfnis.

In der Rechtsrüge seines auch wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhobenen Rekurses machte der Kläger im wesentlichen geltend, daß sich die Rechtskraftwirkung des Urteiles des Landesgerichtes Salzburg vom 26. Juni 1991, 20 Cgs 201/90-14, nur auf den Sachverhalt bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung an diesem Tag beziehen könne, nicht jedoch darauf, ob der Kläger danach Anspruch auf Hilflosenzuschuß habe. Er beantragte die Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses und die Zurückverweisung der Rechtssache zwecks Verfahrensergänzung.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge.

Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit. Die Klage sei schon deshalb nach § 73 ASGG zurückzuweisen gewesen, weil sie ohne die im § 67 Abs 1 Z 1 leg cit genannte Voraussetzung erhoben worden sei. Der beklagte Versicherungsträger habe nur über den durch den Antrag des Klägers vom 8. September 1992 ausgelösten Anspruch auf Hilflosenzuschuß ab dem 8. September 1992 bescheidmäßig entschieden, nicht aber über den eingeklagten Anspruch auf diesen Zuschuß für einen früheren Zeitraum. Auf die Fragen, ob auch und inwieweit (rechtskräftig) entschiedene Streitsache vorliege, müsse deshalb nicht mehr eingegangen werden.

Gegen die Rekursentscheidung richtet sich der nicht beantwortete Revisionsrekurs des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, die vorinstanzlichen Beschlüsse aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der nach § 47 Abs 2 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 leg cit zulässige Revisionsrekurs ist teilweise berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt allerdings nicht vor (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO). Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates können in der Berufung behauptete, vom Berufungsgericht aber verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz auch in einer Sozialrechtssache nicht neuerlich in der Revision gerügt werden (ua SSV-NF 3/115 mit eingehender Stellungnahme zu der von Kuderna an dieser Rechtsprechung insb in seinem Beitrag 'Der Untersuchungsgrundsatz im Verfahren in Sozialrechtssachen', FS 100 Jahre österreichische Sozialversicherung, 341 geübten Kritik; SSV-NF 6/28 mwN; zuletzt 24. August 1993, 10 ObS 134/93 unter Hinweis auf Ballon, Zu den Verfahrensmängeln im Zivilprozeßrecht in Matscher-FS (1993), 15 f). Diese Rechtsprechung gilt auch für wiederholte Rügen vom Rekursgericht verneinter Mängel des Verfahrens erster Instanz in einem Revisionsrekurs (SSV-NF 5/28).

Die Rechtsrüge ist hingegen teilweise berechtigt.

Nach den gemäß § 194 Abs 1 GSVG hinsichtlich des Verfahrens zur Durchführung dieses Bundesgesetzes geltenden Verfahrensbestimmungen des Siebenten Teiles des ASVG sind Leistungssachen u.a. solche Angelegenheiten, bei denen es sich um die Feststellung des Bestandes und des Umfanges eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung handelt. Die Leistungsansprüche werden von den Versicherungsträgern in der Pensionsversicherung auf Antrag festgestellt und neu festgestellt (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG), über welche Anträge jedenfalls ein Bescheid zu erlassen ist (§ 367 Abs 1 und 2 leg cit). Sozialrechtssachen sind u.a. Rechtsstreitigkeiten über den Bestand und den Umfang eines Anspruches auf Versicherungsleistungen (§ 65 Abs 1 Z 1 ASGG). In einer solchen Leistungssache darf nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG vom Versicherte - vorbehaltlich des im vorliegenden Fall nicht in Frage kommenden § 68 leg cit - eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat.

Diese Verfahrensvoraussetzung liegt - entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichtes - hier vor, weil die Beklagte mit dem Bescheid vom 27. Oktober 1992 über den Bestand und den Umfang des Anspruchs des Klägers auf Alterspension, nämlich darüber entschieden hat, ob zu dieser Pension eine Erhöhung (§ 64 Abs 1 GSVG) durch einen Hilflosenzuschuß (§ 74 leg cit) gebührt. Daß in diesem Bescheid nach § 64 Abs 1 GSVG auch darüber entschieden wurde, ab wann die Erhöhung der Pension gebührt, ändert an dieser Voraussetzung auch dann nichts, wenn - wie in der vorliegenden Sozialrechtssache - die bescheidmäßig festgestellte Leistung schon von einem früheren Zeitpunkt als dem im Bescheid genannten begehrt wird (vgl. SSV-NF 1/1 unter Hinweis auf Kuderna, ASGG § 71 Erl 4 und SSV-NF 2/42). Eine solche Klage darf nicht mangels Vorliegens der im § 67 Abs 1 Z 1 ASGG genannten Voraussetzungen nach § 73 leg cit zurückgewiesen werden. Ob ein derartiges zulässiges Begehren auch begründet ist, ist eine Frage des materiellen Sozialversicherungsrechtes. (Diese wird im vorliegenden Fall allerdings wohl zu verneinen sein, weil die Erhöhung von Pensionen nach § 64 Abs 1 GSVG nur für die Zeit ab Anmeldung des Anspruches, hier also erst ab dem im Bescheid genannten 8. September 1992, gebührt.)

Allerdings war nach § 240 Abs 3 und § 411 Abs 2 ZPO, die gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwenden sind, jederzeit von Amts wegen die Rechtskraft des zwischen denselben Parteien ergangenen Urteils des Landesgerichtes Salzburg vom 26. Juni 1991, 20 Cgs 201/90-14, zu berücksichtigen, mit dem das auf einen Hilflosenzuschuß gerichtete Klagebegehren abgewiesen wurde. Die materielle Rechtskraft dieses Urteils bezieht sich auf die Sachlage, wie sie im Zeitpunkt des Schlusses der damaligen mündlichen Verhandlung in erster Instanz am 26. Juni 1991 vorlag. Nachträgliche Änderungen des rechtserzeugenden Sachverhaltes, zB ein vermehrtes Bedürfnis nach Wartung und Hilfe, werden von der Rechtskraftwirkung dieses Urteils nicht erfaßt und machen eine neue Klage nicht unzulässig (Fasching, ZPR**2 Rz 1531). Das ergibt sich für Sozialrechtssachen auch aus § 362 ASVG (§ 194 Abs 1 GSVG) und § 68 ASGG.

Deshalb war dem Revisionsrekurs nur teilweise wie aus dem Spruch ersichtlich Folge zu geben.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten des Rekurses und des Revisionsrekurses beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

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