OGH 9ObA109/93(9ObA110/93)

OGH9ObA109/93(9ObA110/93)29.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Roman Merth und Mag.Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei mj. Dalibor L*****, vertreten durch den Vater Zarko L*****, beide *****, dieser vertreten durch Dr.Hans-Jörg Vogl, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagten Parteien 1. Roland B*****, Mechaniker, ***** 2. Rudolf G***** GmbH & Co KG, ***** 3. K***** GmbH, ***** 4. Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsanstalt, Wien 1, Ringturm, die erst- und viertbeklagte Partei vertreten durch Dr.Reinhold Nachbaur, Rechtsanwalt in Feldkirch, die zweit- und drittbeklagte Partei vertreten durch Dr.Manfred De Bock, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen S 100.000 sA und Feststellung (S 50.000), infolge Revision und Rekurses der zweit- und drittbeklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Jänner 1993, GZ 5 Ra 222/92-19, womit das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. April 1992, GZ 33 Cga 24/92-11, zum Teil abgeändert und zum Teil aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision und dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisions- und Rekursverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 27.11.1974 geborene Kläger war bei der Zweitbeklagten, deren Komplementärin die Drittbeklagte ist, als Schlosserlehrling beschäftigt. Am 4.12.1990 sollten Geräte und Holzspanplatten vom alten Firmenstandort der Zweitbeklagten mit einem vom Vater des Erstbeklagten zur Verfügung gestellten LKW zu dem etwa 3 km entfernten neuen Betriebsgelände gebracht werden. Beim Aufladen der Geräte und Platten durch Leute der Zweitbeklagten war der Kläger nicht beteiligt. Während der vordere Teil der Ladefläche des LKW praktisch vollständig mit Seilwindetrommeln, Seilhaspeln und anderen Geräten belegt war, wurden sechs oder sieben Spanplatten im Ausmaß von ca 2,4 x 1,9 m und einer Stärke von 4 cm im linken hinteren Bereich in einem Winkel zur Ladefläche von etwa 75 Grad bündig an die linke Bordwand angelehnt, ohne sie zu befestigen oder sonst wie zu sichern. Jede dieser Platten hatte ein Gewicht von 70 bis 80 kg. Neben den Platten verblieb eine freie Ladefläche von ca 1,5 bis 2 m Breite.

Nach der Beendigung des Ladevorgangs sollten insgesamt vier Arbeitnehmer mitfahren, um beim Abladen zu helfen. Der anwesende Meister teilte dazu unter anderem den Kläger ein. Da für den Sitz im Führerhaus neben dem Erstbeklagten als Lenker des Fahrzeuges bereits ein anderer Arbeitnehmer vorgesehen war, entschloß sich der Kläger, auf der Ladefläche mitzufahren. Er bestieg gemeinsam mit einem weiteren Lehrling der Zweitbeklagten die Ladefläche. Der Erstbeklagte, der am Ladevorgang ebenfalls nicht beteiligt war, verschloß die hintere Ladebordwand und ermahnte die zwei Lehrlinge, daß sie aufpassen sollten. Ihm war aufgefallen, daß die Spanplatten nur angelehnt und nicht befestigt waren. Er sah aber von einer Sicherung ab, da der Transport nur über eine kurze Wegstrecke durchzuführen war. Er gab den Lehrlingen keinerlei Anweisung, wo sie sich auf der Ladefläche aufzuhalten hätten.

Während sich der andere Lehrling auf eine Trommel setzte, nahm der Kläger im hinteren Bereich der Ladefläche Platz. Er setzte sich mit dem Rücken an die Platten gelehnt auf den Boden. Der andere Lehrling warnte ihn, daß es ihm "das Kreuz abschlagen" könne, wenn die Platten umfielen. Der Kläger, der gesehen hatte, daß die Platten nur angelehnt aber nicht befestigt waren, nahm diese Warnung nicht ernst. Obwohl im vorderen Bereich der Ladefläche noch Platz für ihn gewesen wäre, blieb er neben den Platten sitzen, da er sich dort sicher fühlte.

Nachdem der Erstbeklagte mit dem LKW, dessen Eigentümer und Halter der Vater des Erstbeklagten und nicht die Zweitbeklagte war, langsam losgefahren war, stürzten die Holzspanplatten beim Ausfahren aus dem Betriebsgelände in einer Linkskurve um, fielen auf den Kläger und begruben ihn zum Teil unter sich. Der Kläger erlitt dabei erhebliche Verletzungen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger einen Teilbetrag von S 100.000 sA an Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, Kostenersatz, Verdienstentgang und Aufwandsersatz für vermehrte Bedürfnisse, sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Arbeitsunfall unter Beschränkung auf die Haftpflichtversicherungssumme für den LKW. Der Erstbeklagte habe als Lenker des bei der Viertbeklagten haftpflichtversicherten LKW nicht nur einschlägige Bestimmungen des KFG, sondern auch entscheidende Bestimmungen der Dienstnehmerschutzverordnung grob fahrlässig verletzt. Die Zweitbeklagte als Arbeitgeberin und deren Komplementärin hätten gemäß § 1313 a ABGB für das Verschulden des bei ihnen beschäftigten Erstbeklagten einzustehen, da sie als Arbeitgeberin gemäß § 1157 ABGB eine Fürsorgepflicht treffe. Das Haftungsprivileg des Arbeitgebers gemäß § 333 ASVG werde nicht wirksam, da der Unfall beim Betrieb eines Verkehrsmittels eingetreten sei, für das eine erhöhte Haftpflicht besteht.

Die Beklagten beantragten, die Klagebegehren abzuweisen. Sie wandten ein Mitverschulden des Klägers von 50 % ein, da sich dieser trotz der Warnung des zweiten mitfahrenden Lehrlings auf die Ladefläche neben die ungesicherten Spanplatten gesetzt habe. Die Zweit- und die Drittbeklagte erhoben überdies den Einwand der mangelnden passiven Klagelegitimation, da es sich bei dem verwendeten LKW nicht um ein Firmenfahrzeug gehandelt habe und die Zweitbeklagte nicht Eigentümerin und sohin Halterin des LKW gewesen sei. Der Erstbeklagte und die Viertbeklagte stellten ein globales Schmerzengeld von S 100.000, die Besuchskosten von S 2.904 und die Kosten für die vermehrten Bedürfnisse von S 2.000 der Höhe nach außer Streit; darauf seien unpräjudiziell schon S 50.000 gezahlt worden. Die übrigen Forderungen seien nicht berechtigt. Hinsichtlich des begehrten Verdienstentganges sei die erbrachte Entgeltfortzahlung durch die Gebietskrankenkasse zu berücksichtigen. Im Hinblick auf das Quotenvorrecht des Sozialversicherers bestehe aufgrund des Mitverschuldens des Klägers kein weiterer Anspruch mehr.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß die Ansprüche des Klägers gegen den Erstbeklagten und die Viertbeklagte dem Grunde nach zu drei Viertel zu Recht bestünden und wies mit Teilurteil die Klagebegehren gegen die Zweit- und Drittbeklagte ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Haftung des Arbeitgebers (auch nach § 1313a ABGB) gemäß § 333 Abs 1 und 2 ASVG auf eine vorsätzliche Beschädigung des Arbeitnehmers eingeschränkt sei. Nach der neuen Fassung des § 333 Abs 3 ASVG durch die 48.ASVG-Novelle bestehe zwar eine Ausnahme von diesem Haftungsprivileg, doch nur insoweit, als eine für das Verkehrsmittel zur Verfügung stehende Versicherungssumme als Haftungspotential vorhanden sei. Dies hätte aber zur Voraussetzung, daß die Zweitbeklagte Halterin des LKW gewesen wäre. Da dies nicht der Fall sei, bestehe gegen die Zweit- und Drittbeklagte kein Ersatzanspruch.

Hingegen seien die Ansprüche des Klägers gegen den Erstbeklagten und die Viertbeklagte zu drei Viertel berechtigt. Das Verschulden des Erstbeklagten wiege deutlich schwerer als jenes des Klägers. Als verantwortlicher Lenker hätte er die im steilen Winkel angelehnten Spanplatten absichern oder den Lehrlingen zumindest sichere Sitzplätze zuweisen müssen. Aber auch dem Kläger sei eine gewisse Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten anzulasten. Er habe bemerkt, daß die Holzplatten ungesichert waren. Dennoch habe er sich in den Gefahrenbereich gesetzt, obwohl ihn der mitfahrende Lehrling davor gewarnt habe. Der Kläger habe durch sein Verhalten damit ebenfalls zur Risikoerhöhung beigetragen.

Das Berufungsgericht änderte das Zwischenurteil des Erstgerichts mit Teil- und Zwischenurteil dahin ab, daß es die auf Leistung gerichteten Ansprüche des Klägers gegen sämtliche Beklagten als dem Grunde nach mit drei Viertel zu Recht bestehend erkannte. Die Entscheidung über das Feststellungsbegehren hob es auf und sprach aus, daß der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß das Feststellungsbegehren schon begrifflich ein Zwischenurteil ausschließe. Im übrigen habe das Erstgericht die Verschuldensteilung gemäß § 1304 ABGB zutreffend vorgenommen. Gemäß § 106 Abs 2 KFG hätte der Erstbeklagte die Lehrlinge nur dann auf der Ladefläche des LKW befördern dürfen, wenn sie dort durch die Ladung nicht gefährdet gewesen wären. Ihm sei die Gefahrensituation bekannt und bewußt gewesen. Hingegen könne man dem erst kurz im Arbeitsleben gestandenen Kläger zubilligen, daß er mit den Gefahren des Arbeitsalltags noch nicht hinreichend vertraut gewesen sei.

Die geltend gemachten Ansprüche stünden dem Kläger aber auch gegen die Zweit- und Drittbeklagte zu. Für die Ausnahme vom Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG sei gemäß § 333 Abs 3 ASVG (idF der 48.ASVG-Novelle) nur wesentlich, ob der Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel eingetreten sei, für dessen Betrieb aufgrund gesetzlicher Vorschriften eine erhöhte Haftpflicht bestehe. Darauf, ob das Verhalten des Arbeitgebers von der Haftpflichtversicherung umfaßt sei, komme es nicht an. Bei der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers handle es sich um eine arbeitsvertragliche Verpflichtung, deren Verletzung arbeitsvertragliche Ansprüche des Arbeitnehmers auslöse (§ 1298 ABGB). Dabei hafte der Arbeitgeber gemäß § 1313a ABGB auch für die Erfüllungsgehilfen. Die Zweitbeklagte habe nichts zu ihrer Entlastung vorgebracht; sie müsse sich daher das Fehlverhalten des Erstbeklagten bei der (mangelnden) Erfüllung der Sicherungspflichten anrechnen lassen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision und der Rekurs der Zweit- und Drittbeklagten mit dem Antrag, das klageabweisende Teilurteil des Erstgerichts wieder herzustellen. Der Kläger beantragt in seiner Revisions- und Rekursbeantwortung, den Rechtsmitteln nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Weder die Revision noch der Rekurs sind berechtigt.

Nach dem durch die 48.ASVG-Novelle, BGBl 1989/642 neu gefaßten § 333 Abs 3 ASVG sind die Bestimmungen der Abs 1 und 2 ASVG (Haftungsprivileg des Arbeitgebers) nicht anzuwenden, wenn der Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel eingetreten ist, für dessen Betrieb aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht besteht. Allerdings haftet der Arbeitgeber - ausgenommen eine hier nicht in Betracht kommende vorsätzliche Schädigung - nur bis zur Höhe der aus einer bestehenden Haftpflichtversicherung zur Verfügung stehenden Versicherungssumme. Mit dieser Neuregelung wollte der Gesetzgeber den bisherigen Haftungsausschluß der kraftfahrzeughaftpflichtversicherten Arbeitgeber bei Arbeitsunfällen gemäß § 175 ASVG, insbesondere Verkehrsunfällen, die ein Arbeitnehmer in einem der Allgemeinheit nicht zugänglichen Fahrzeug des Arbeitgebers erleidet, beseitigen (vgl RV 1098 BlgNR 17.GP 16). Die Ausnahmebestimmung des § 333 Abs 3 ASVG schafft damit keinen neuen Haftungsgrund, sondern schließt die Anwendung des Haftungsprivilegs nur für einen gewissen haftpflichtversicherungsrechtlich orientierten Bereich aus. Im Hinblick auf diese haftpflichtversicherungsrechtliche Komponente der Neuregelung und die in der zitierten EBzRV wiedergegebene Absicht des Gesetzgebers umfaßt die Ausnahmeregelung des § 333 Abs 3 ASVG somit sämtliche durch einen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer gedeckten Personenschäden (eingehend 9 Ob A 84/93 mwH). Im Rahmen der Versicherungssumme trifft den (nicht vorsätzlich handelnden) Arbeitgeber einerseits die Gefährdungshaftung als Kraftfahrzeughalter und andererseits die Verschuldenshaftung, die auch die Haftung für schuldhaftes Verhalten eines Gehilfen einschließt (vgl Apathy, Kommentar zEKHG § 3 Erl 14;

derselbe in FS Walter Schwarz (1991), 467 ff; Reischauer, Neuerungen beim Arbeitgeber-Haftungsprivileg, DRdA 1992, 317 ff, 322 f;

Messiner, Die Haftung des Kfz-Haftpflichtversicherers nach Arbeitsunfällen gemäß § 333 ASVG, ZVR 1990, 38 ff; Steininger, Schadenersatz bei Arbeitsunfällen, GedS Franz Gschnitzer (1969), 393 ff, 404 ff; Bodendorfer, Probleme des Dienstgeberhaftungsprivilegs, ZAS 1985, 43 ff, 50 ff uva).

Gemäß § 1 Abs 2 AKHB 1988, BGBl 1988/107 sind mitversicherte Personen der Eigentümer, der Halter und die Personen, die mit Willen des Halters bei der Verwendung des Fahrzeugs (dazu Schauer, Einführung in das österreichische Vertragsversicherungsrecht2, 326) tätig sind, mit seinem Willen mit dem Fahrzeug befördert werden oder den Lenker einweisen. Für die Beurteilung, wer als Halter des Fahrzeugs anzusehen ist, ist nicht das Eigentum am Fahrzeug entscheidend; es kommt vielmehr in erster Linie darauf an, wer tatsächlich bestimmen kann, wo und für welchen Zweck das Fahrzeug in Betrieb gesetzt werden soll. Die Gefährdungshaftung soll nämlich jenen treffen, dem die Möglichkeit der Gefahrenabwendung offen steht (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 II 529; SZ 51/84 ua). Neben dieser tatsächlich gegebenen Verfügungsgewalt wird von der Rechtsprechung auch verlangt, daß der Halter das Fahrzeug auf eigene Rechnung in Gebrauch haben muß, also den Nutzen daraus zieht und etwa die Kosten der Betriebsmittel trägt. Auf diese Weise kann die Haltereigenschaft auch nur für kurze Zeit begründet werden und es können mehrere Beteiligte als Halter eines Fahrzeugs gelten (vgl Veit, EKHG5 § 5 E 2 ff, insbesondere 5, 18, 26, 33, 34 ff; Apathy, KommzEKHG § 5 Erl 10 ff, 14, 16 ff ua; ZVR 1987/57 ua).

Im vorliegenden Fall hat die Zweitbeklagte zwar den Nutzen aus dem Gebrauch des Fahrzeuges gezogen; es fehlen aber nähere Feststellungen über die Kostentragung (Betriebsmittel). Diese sind auch nicht erforderlich, da dem Tatbestandsmerkmal der Verfügungsgewalt diesfalls die größere Bedeutung zukommt (Apathy aaO Erl 14; SZ 43/109 uva). Die Zweitbeklagte bestimmte nicht nur den Einsatz des LKW selbständig, sondern stellte auch einen ihrer Arbeitnehmer als Lenker bei. Auch die letztlich zum Arbeitsunfall führende Beladung erfolgte ausschließlich durch die Arbeitnehmer der Zweitbeklagten. Diese ist damit zumindest Mithalter (Betriebsunternehmer) hinsichtlich des LKW geworden, so daß auch ihr der in § 1 AKHB 1988 normierte Versicherungsschutz zukommt. Das Haftungsprivileg des Arbeitgebers gemäß § 333 Abs 1 und 2 ASVG ist daher auch gegenüber der Zweit- und Drittbeklagten ausgeschlossen. Die vom Berufungsgericht gebilligte Verschuldensteilung wird in der Revision nicht mehr bekämpft.

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.

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