Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Streitsache wird an das Prozeßgericht erster Instanz zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten dieses Rechtsstreits.
Text
Begründung
Die Klägerin und der Beklagte - beide österreichische Staatsbürger - haben am 15.Juni 1981 die Ehe geschlossen. Ihrer Ehe entstammt ein am 20. Feber 1983 geborener Sohn.
Am 11.Jänner 1985 erlitt der Mann als Lenker eines Personenkraftwagens auf dem Weg zur Arbeit bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen. Er war vom 11.Jänner 1985 bis zum 22.Feber 1985 im Unfallkrankenhaus aufgenommen.
Am 25.Oktober 1990 brachte die Frau die auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Mannes gerichtete Klage ein. Er verhalte sich seit längerer Zeit ihr gegenüber lieblos und unleidig, suche Zank und sei unbegründet eifersüchtig. Er versuche den Kontakt der Frau mit ihren Eltern zu verhindern und sei selbst über Weihnachten zu seinen Verwandten in die Heimat gefahren. Er trage nicht zum Unterhalt der Familie bei und habe bei einem Streit die Frau mißhandelt. Bei Arbeitskollegen der Frau habe der Mann angerufen und die Frau des Ehebruchs bezichtigt.
Der Mann trat der Scheidung der Ehe entgegen. Seit seinem Unfall könne er sich nicht beherrschen, sein Verhalten könne ihm nicht als Verfehlung angelastet werden. Die Frau habe ihm selbst eingestanden, mit einem Arbeitskollegen ein intimes Verhältnis gehabt zu haben. Seither habe er sie ersucht, nicht allein auszugehen. Er sei seit seinem Unfall invalid und arbeitsunfähig, habe aber den Haushalt betreut und 1988 die Wohnung und die Einrichtung bezahlt. Seit seiner Schädelverletzung habe er bei Aufregung Kopfschmerzen und neige zu Aggressionen. Nur für den Fall der Scheidung beantragte der Mann die Feststellung des überwiegenden Verschuldens der Frau an der Scheidung, weil sie ihn ohne Grund verlassen und sich ihm gegenüber lieblos verhalten habe.
Schon in der Verhandlungstagsatzung am 7.Oktober 1991 beantragte der Mann die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie zum Beweis, daß seine etwaigen Emotionsausbrüche eine Unfallfolge und ihm nicht als schuldhaft zuzurechnen seien. In der Verhandlungstagsatzung am 21.Mai 1992 wiederholte der Mann den Antrag auf Einholung des Gutachtens zum Beweis, daß sein allfälliges unleidliches Verhalten auf die im Jahr 1985 erlittene Schädelverletzung zurückzuführen sei.
Das Erstgericht erkannte auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Mannes. Es stellte im wesentlichen fest, daß der Mann bei dem Unfall im Jahr 1985 eine Gehirnerschütterung, einen Bruch der zweiten bis neunten Rippe und eine Lungenverletzung, "jedoch keine Knochenverletzungen" erlitt, seither Invaliditätspensionist ist und eine Pension bezieht, seine Frau aber schon vor dem Unfall durch kleinliche Bemerkungen quälte. Seit dem Unfall wurde die Lage für die Frau noch unerträglicher, weil es auf Grund seines kleinlichen Verhaltens täglich zu Streitigkeiten kam. Der Beklagte hatte seit dem Unfall Zeit, seine Frau zu verfolgen und zu beobachten. Er ertrug es nicht, daß sie beruflich Erfolg hatte, Seminare besuchte und am Abend öfter mit Arbeitskollegen wegging. Er zeigte keine liebevolle Zuwendung, schimpfte auf Angehörige der Frau und schrie. Im Dezember 1989 fuhr er über Weihnachten und Neujahr auf Verwandtenbesuch in seine Heimat, ohne sein Frau dazu einzuladen. Die Wohnungskosten trug die Frau aus ihrem Einkommen.
Anfang Oktober 1990 wollte der Mann die Frau hindern, zu ihren Eltern zu fahren, und ihr den Autoschlüssel abnehmen. Er ließ sie nicht aus der Wohnung und versetzte ihr eine Ohrfeige. Dies nahm die Frau zum Anlaß, mit dem Sohn die Ehewohnung zu verlassen und nach neuerlichen Beschimpfungen und Bedrohungen gesondert Wohnung zu nehmen. Sie lebt seither mit dem Kind bei ihren Eltern.
Der Mann verfolgte die Frau schon vor seinem Unfall mit Eifersucht. Nur um Ruhe zu haben, gestand ihm die Frau einen Ehebruch mit einem Arbeitskollegen. Im Sommer 1990 verdächtigte der Mann die Frau, mit ihrem Vorgesetzten ein intimes Verhältnis zu haben. Er rief in der Personalabteilung an und verbreitete dort seine Vermutung, die sich darauf stützte, daß er seine Frau eingehängt mit dem Vorgesetzten heimkommen gesehen habe. Es bestand jedoch kein Intimverhältnis zwischen den beiden. Der Mann quälte die Frau immer wieder auf sadistische Weise und brachte sie zum Weinen. Sie war mit den Nerven fertig. Zu lauten Streitigkeiten der Eheleute kam es nicht. Der Mann kündigte an, er werde sich nicht scheiden lassen; bevor seine Frau die Wohnung bekomme, werde er Feuer legen.
Der Beweisantrag auf Beiziehung eiens Sachverständigen sei offenbar in Verschleppungsabsicht gestellt worden. Die Richterin habe sich überzeugt, daß ein die Scheidung nur nach § 50 oder § 51 EheG rechtfertigender Grad an geistiger Störung oder Geisteskrankheit nicht vorliege. Der Beklagte leide zwar seit dem Unfall an Lähmungserscheinungen, sei mehr vergeßlich und habe Konzentrationsschwierigkeiten, sei aber nicht so reduziert, daß er seine Interessen nicht wahren könne. Der Beklagte habe durch seine Eheverfehlungen schuldhaft die Ehe so tiefgreifend zerrüttet, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei. Der Frau seien keine Verfehlungen anzulasten.
Das Berufungsgericht bestätigte. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Ein Verfahrensmagel liege nicht vor. Der Beklagte habe zwar behauptet, Emotionsausbrüche oder ein unleidliches Verhalten seien allein auf die Folgen seines Unfalls zurückzuführen, doch habe er die Frau "gequält". Er habe das selbe Verhalten schon vor seinem Unfall gesetzt. Von der Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Fache der Psychiatrie und Neurologie sei daher zutreffend Abstand genommen worden. Das Berufungsgericht billigte den Kern der erstgerichtlichen Feststellungen, daß der Mann schon vor dem Unfall die Frau "sekkiert" hat. Seine Emotionsausbrüche hätten keinen entscheidenden Stellenwert. Bei der gebotenen Gesamtschau sei in der Scheidung aus Verschulden des Mannes kein Rechtsirrtum gelegen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Mannes, die auf Abänderung in die Abweisung des Scheidungsbegehrens, hilfsweise auf Änderung des Ausspruches über das Verschulden, und allenfalls auf Aufhebung und Zurückweisung der Rechtssache an eine Vorinstanz abzielt.
Die Frau hat in ihrer Revisionsbeantwortung beantragt, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, ihr aber jedenfalls nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht wies den (zweiten) Antrag auf Einvernahme eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie (auch) wegen Verschleppungsabsicht zurück (§ 275 Abs 2 ZPO), obwohl sich der Mann schon viel früher auf diesen Beweis berufen hatte. Das Berufungsgericht billigte die Zurückweisung nicht, verneinte aber das Vorliegen eines Verfahrensmangels. Seit der Beseitigung der Amtswegigkeit im Verfahren über die Scheidung der Ehe durch die Neuordnung des Eheverfahrens (§ 460 Z 4 ZPO idF BGBl 1983/566) gilt der Untersuchungsgrundsatz nicht mehr (Fasching Zivilprozeßrecht2 Rz 2355). Es kann daher hier ein Mangel des Verfahrens erster Instanz, dessen Vorliegen das Berufungsgericht verneint hat, nicht im Revisionsverfahren neuerlich geltend gemacht werden (EFSlg 64.137 uva).
Zutreffend rügt der Revisionswerber aber die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht. Der beklagte Mann hat mehrmals im Verfahren erster Instnaz behauptet, daß ihm vorgeworfene Eheverfehlungen - wenn sie erwiesen werden - nicht schuldhaft gesetzt wurden und nicht als Eheverfehlung iSd § 49 EheG betrachtet werden können, weil das Verhalten auf geistiger als Folge einer Kopfverletzung eingetretenen Störung beruht. Das Erstgericht meinte, dies treffe nicht zu. Ob die Richterin ohne Zuziehung des Sachverständigen nach § 364 ZPO entscheiden durfte, weil die eigene Fachkunde oder das eigene Wissen diese Zuziehung überflüssig machte, braucht schon deshalb nicht erörtert werden, weil es jedenfalls an der Zustimmung beider Parteien fehlte; doch kommt es darauf nicht an:
In Wahrheit fehlen nämlich die für die abschließende rechtliche Beurteilung erforderlichen Feststellungen, ob als Folge der erlittenen schweren Verletzungen unter anderem des Kopfes eine geistige Störung vorliegt, die dem Mann als schwere Eheverfehlung vorgeworfene Verhaltensweisen bestimmt und ihm daher nicht als Schuld iSd § 49 EheG anzulasten sind. Dabei kann entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes nicht allein auf ein Verhalten vor dem Unfall verwiesen werden, das natürlich nicht unfallsbedingt sein konnte. Allfällige bis 1985 gesetzte schwere Eheverfehlungen könnten nämlich, wenn nicht schuldhaft später weitere schwere Eheverfehlungen gesetzt wurden, nach § 57 Abs 1 EheG nicht zur Scheidung der Ehe nach § 49 EheG führen, weil die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten erst im Oktober 1990 aufgehoben wurde. Das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens erlischt, wenn nicht binnen sechs Monaten die Klage erhoben wird. Die Frist beginnt mit der Kenntnis des Scheidungsgrundes und läuft nicht, solange die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten aufgehoben ist. Eheverfehlungen, auf die eine Scheidungsklage nicht mehr gegründet werden kann, können allerdings nach Ablauf der Fristen des § 57 EheG zur Unterstützung einer auf andere Eheverfehlungen gegründeten Scheidungsklage geltend gemacht werden (§ 59 Abs 2 EheG). Mit Recht weist der Revisionswerber darauf hin, daß entscheidend ist, ob unverjährte und unverziehene schwere Eheverfehlungen erwiesen sind, die auf schuldhaftem Verhalten des Mannes beruhen. Nur dann sind auch frühere Verfehlungen in die Gesamtwertung einzubeziehen. Nur unter dieser Voraussetzung ist auch fortgesetztes ehewidriges Verhalten als Einheit aufzufassen und der Fristablauf auf die letzte Handlung abzustellen (EFSlg 60.239; EFSlg
63.436 uva).
Der Ansicht des Berufungsgerichtes, das im Tatsachenbereich festgestellte Verhalten erschöpfe sich nicht in der als Unfallsfolge geltend gemachten erhöhten Reizbarkeit und in Emotionsausbrüchen sondern gehe darüber hinaus, wird nicht geteilt. Ob die von den Tatsacheninstanzen als erwiesen angenommenen Verhaltensweisen des Mannes als schwere die unheilbare Zerrüttung der Ehe bewirkende Verfehlungen zu werten sind, hängt wesentlich davon ab, inwieweit sie schuldhaft gesetzt wurden oder wegen einer (unfallsbedingten) geistigen Störung nicht vorwerfbar sind. Da die Frau die Scheidung der Ehe allein nach § 49 EheG begehrt, müßte, wenn die Voraussetzungen nach § 50 EheG gegeben sind, ihr Klagebegehren abgewiesen werden. Vorgeworfen wird dem Mann im entscheidenden Zeitraum vor allem sein liebloses, nörgelndes Verhalten, sein Mißtrauen zum Umgang der Frau mit Mitarbeitern und ihrer Familie, eine Mißhandlung, das Verschweigen einer Einkommensquelle und das als "Quälen" und "Sekkieren" umschriebene Vorgehen durch kleinliche Vorhaltungen und Einengungen. Zwischen dem Mißtrauen und einer unfallbedingten Behinderung des Mannes kann aber durchaus ein Zusammenhang bestehen, noch dazu, wo die Frau durch ihr Verhalten Anlaß zu Eifersucht gegeben haben mag. Der Mann behauptete, seine Aggression sei ihm nicht zuzurechnen. Es bedarf der Feststellung, ob und inwieweit zwischen seinem Verhalten und den erlittenen Verletzungen ein solcher Zusammenhang besteht, daß der Schuldvorwurf nach § 49 EheG ausscheidet. Ob das festgestellte, objektiv als Verstoß gegen die Pflichtetn der Ehegatten zueinander zur anständigen Begegnung und zum Beistand (§ 90 ABGB) verstoßende Vorgehen des Mannes auf einer geistigen Störung beruht, wird wohl nur durch Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie geklärt werden können. Selbst wenn dann nicht alle angenommenen Eheverfehlungen ausscheiden, muß danach erneut beurteilt werden, ob sie dann als schwer iSd § 49 EheG anzusehen sind. Käme nur eine Scheidung nach § 50 EheG in Frage, bei der andere Rechtsfolgen eintreten als bei der Scheidung wegen Verschuldens nach § 49 EheG, wäre das Scheidungsbegehren abzuweisen.
Die Sache ist wegen Feststellungsmängeln nicht spruchreif. Dies führt nach § 510 Abs 1 ZPO zur Aufhebung der Urteile und zur Zurückweisung der Streitsache an die erste Instanz.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.
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