OGH 9ObA207/93

OGH9ObA207/9322.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Eberhard Piso und Martin Pohnitzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Brigitte P*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Dr.Johannes J*****, Rechtsanwalt in Wien, als Masseverwalter im Konkurs der G***** Handelsgesellschaft mbH, ***** wegen Feststellung (Streitwert S 174.896,56 sA), infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.April 1993, GZ 34 Ra 86/92-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6.März 1992, GZ 16 Cga 588/91-14, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der Klägerin wird nicht Folge gegeben.

Der Revision des Beklagten wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

Das Begehren der Klägerin auf Feststellung von S 174.896,56 netto sA als Konkursforderung wird abgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 33.222 (darin S 5.537 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit S 6.795 (darin S 1.132,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 7.471,80 (darin S 1.245,30 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 1.7.1985 bei der G***** Handelsgesellschaft mbH in Wien als Filialleiterin beschäftigt. Mit Beschluß vom 29.10.1990 eröffnete das Handelsgericht Wien das Konkursverfahren über das Vermögen dieses Unternehmens. Am 6.11.1990 erklärte die Klägerin - wie die übrigen Arbeitnehmer - ihren berechtigten vorzeitigen Austritt gemäß § 25 Abs 1 KO zum 9.11.1990. Der Betrieb der Gemeinschuldnerin wurde am 9.11.1990 praktisch stillgelegt. Das Konkursgericht genehmigte am 22.11.1990 die Schließung des Unternehmens der Gemeinschuldnerin, da liquide Mittel nicht vorhanden seien und das Betriebsobjekt geräumt werden müsse. Lediglich in einer Filiale kam es noch bis 15.12.1990 zum Abverkauf von Restposten. Am 13.11.1990 teilte die Klägerin einer Mitarbeiterin des Beklagten mit, daß sie schwanger sei und übermittelte dem Beklagten mit Schreiben vom 15.11.1990 darüber auch eine Bestätigung.

Im Konkursverfahren anerkannte der Beklagte die bis 9.2.1991 entstandenen Ansprüche an Entgelt, Kündigungsentschädigung und Abfertigung. Die weiters angemeldeten Forderungen auf Kündigungsentschädigung in der eingeschränkten Höhe von S 174.896,56 für die Zeit vom 10.2. bis 27.4.1991 und vom 19.8.1991 bis 31.3.1992 sowie an Urlaubsentschädigung für 30 Werktage aus dem Urlaubsjahr 1991/92 wurden bestritten.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung der bestrittenen Beträge als Konkursforderung. Sie habe zum Zeitpunkt ihres Austritts dem Kreis der nach dem MuttSchG geschützten Arbeitnehmerinnen angehört. Der Masseverwalter hätte sie daher gemäß § 10 Abs 1 MuttSchG erst nach Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung (21.6.1991) kündigen können. Unter Bedachtnahme auf die Kündigungsfrist von drei Monaten wäre ihre Kündigung demnach frühestens zum Ablauf des nächsten Kalendervierteljahres, sohin zum 31.3.1992 möglich gewesen.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Betrieb der Gemeinschuldnerin sei bereits am 9.11.1990 stillgelegt worden. Die Klägerin habe ihn erst sieben Tage nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses von ihrer Schwangerschaft verständigt. Unter Berücksichtigung der dreimonatigen Kündigungsfrist seien die Ansprüche der Klägerin nur bis 9.2.1991 berechtigt. Weitere Ansprüche auf Kündigungsentschädigung für die Zeit vom 10.2.1991 bis 31.3.1992 sowie auf Urlaubsentschädigung stünden ihr nicht zu.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze - jedoch unter Feststellung einer Einrechnungsverpflichtung - statt. Es traf folgende für das Revisionsverfahren noch wesentliche Feststellungen:

Anläßlich der Betriebsschließung wurde ein Großteil der Einrichtungsgegenstände, Geräte und Maschinen verkauft; ein Unternehmensverkauf fand nicht statt. Bei der Hauptbetriebsstätte der Gemeinschuldnerin handelte es sich um ein Leasing-Objekt. Der Leasingvertrag war schon lange vor der Konkurseröffnung wegen Nichtzahlung des Entgelts aufgelöst worden.

Die Klägerin entband am 21.6.1991. Sie befand sich vom 18.8.1991 bis 21.6.1992 in "Mutterschaftskarenz". Unmittelbar nach ihrem Austritt wandte sich die Klägerin arbeitssuchend an das Arbeitsamt. Da ihr dort mitgeteilt wurde, daß sie ab April Wochenhilfe erhalten und deshalb nicht mehr vermittelt werde, versuchte sie nicht mehr, einen neuen Arbeitsplatz zu erlangen.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Klägerin den Beklagten innerhalb der Frist des § 10 Abs 2 MuttSchG von ihrer Schwangerschaft verständigt habe. Sie genieße daher den Kündigungsschutz des MuttSchG. Die faktische Stillegung des Betriebs sei am 9.11.1990 erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt sei das Arbeitsverhältnis der Klägerin bereits beendet gewesen. Die Stillegung habe daher keinen Einfluß auf den Anspruch auf Kündigungsentschädigung. Gemäß § 10 Abs 1 MuttSchG sei eine Kündigung der Klägerin durch den Masseverwalter frühstens nach Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist möglich gewesen. Ihr stünden daher die der Höhe nach unbestrittenen Ansprüche bis zum fiktiven Endigungszeitpunkt am 31.3.1992 zu.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es die Forderung der Klägerin mit S 146.838,58 netto als Konkursforderung feststellte und das Feststellungsmehrbegehren abwies.

Die Klägerin habe ihren befristeten Austritt zulässigerweise (Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser, ArbR3 I 303) zum 9.11.1990 erklärt. Die Betriebsstillegung sei zwar auch am 9.11.1990 erfolgt, doch "ganz offensichtlich" als Folge des Austritts sämtlicher Arbeitnehmer, so daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Betriebsstillegung bereits aufgelöst gewesen sei. Der Beklagte hätte daher das Arbeitsverhältnis aus diesem Grunde nicht mehr gemäß § 10 Abs 3 MuttSchG lösen können. Der Klägerin gebühre somit die Kündigungsentschädigung für den Zeitraum bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung gemäß § 10 Abs 1 MuttSchG zuzüglich der gesetzlichen Kündigungsfrist (WBl 1993, 90 = RdW 1993, 154).

Da der Beklagte als Masseverwalter nach § 25 Abs 1 KO nur an die Kündigungsfristen und Kündigungsbeschränkungen gebunden sei, sei der gesetzliche Kündigungstermin unbeachtlich, so daß keine Berechnung der Ansprüche bis zum nächsten Quartalende vorzunehmen sei. Die Ansprüche der Klägerin auf Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 19.8.1991 bis 31.3.1992 seien daher auf sieben Monate abzüglich des achtwöchigen Wochengeldbezuges zu reduzieren.

Gegen dieses Urteil richten sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Revisionen beider Parteien.

Die Klägerin beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils, in eventu deren Aufhebung. Unter Bedachtnahme auf die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen nach dem MuttSchG wäre der Beklagte erst nach Ablauf des Bestandschutzes zur Kündigung berechtigt gewesen, so daß das begünstigte Lösungsrecht des Masseverwalters gemäß § 25 KO nicht mehr durchschlagen könne. Der Beklagte hätte auch den Kündigungstermin zu beachten gehabt. Sollte dieser Ansicht nicht beigepflichtet werden, werde im Hinblick auf das vom Verfassungsgerichtshof eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren angeregt, einen Antrag auf Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 25 KO beim Verfassungsgerichtshof zu stellen.

Der Beklagte begehrt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Gemäß § 10 Abs 3 letzter Satz MuttSchG sei eine Zustimmung zur Kündigung nach Stillegung des Betriebs nicht mehr erforderlich. Der Beklagte hätte sohin bei seiner Kündigung lediglich auf die gesetzlichen Kündigungsfristen Bedacht nehmen müssen. Die Ansprüche der Klägerin seien daher nur für die Zeit vom 10.11.1990 bis 9.2.1991 berechtigt und bis dahin anerkannt worden. Benötige der Masseverwalter den Arbeitnehmer im Zuge des Konkursverfahrens nicht, was bei einer Betriebsstillegung unbestritten der Fall sei, müsse er, um für die Konkursmasse das Quotenprivileg der Qualifizierung als Konkursforderung in Anspruch nehmen zu können, die Kündigung innerhalb der Frist des § 25 KO aussprechen.

Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben.

Lediglich die Revision des Beklagten ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Klägerin ist beizupflichten, daß eine Kündigung durch den Beklagten während der Schutzfrist des MuttSchG - sei es auch eine "vorgezogene" Kündigung für die Zeit nach der Entbindung - nicht hätte wirksam ausgesprochen werden können (vgl Arb 10.935 = Arb

10.969 mwH). Daraus folgt, daß die begünstigte Lösungsmöglichkeit des § 25 KO nach dem Ende der Schutzfrist zufolge Überschreitung der Monatsfrist nicht mehr in Betracht gekommen wäre (in der Entscheidung WBl 1993, 90 war die Frage des Kündigungstermins nicht verfahrensgegenständlich). Damit ist für die Klägerin aber nichts gewonnen.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde der vorzeitige Austritt der Klägerin zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem auch der Betrieb der Gemeinschuldnerin stillgelegt worden ist. Inwiefern das Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Stillegung des Betriebs bereits "ganz offensichtlich" aufgelöst gewesen sein soll, ist weder den Feststellungen noch den Verfahrensergebnissen zu entnehmen. Auch wenn man der Ansicht des Berufungsgerichtes folgt, ist anzunehmen, daß das Ende des Arbeitsverhältnisses mit der Betriebsstillegung (vgl dazu Knöfler-Martinek, MuttSchG9 § 10 Erl 7.3.1.2) zusammenfällt. Gemäß § 10 Abs 3 letzter Satz MuttSchG hätte der Beklagte nach der Stillegung des Betriebes keiner Zustimmung des Gerichts zur Kündigung mehr bedurft (vgl Arb 9927 = ZAS 1982/19; 9 ObS 13/92 = WBl 1993, 90 [dort nur teilweise veröffentlicht] ua).

Die auf dem Schadenersatzprinzip beruhende Kündigungsentschädigung ist in ihrer Höhe und in ihrer Dauer von dem Zeitraum abhängig, der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Ablauf der Vertragszeit oder durch ordnungsgemäße Kündigung hätte verstreichen müssen (§ 1162 b ABGB; § 29 AngG). Da der Arbeitnehmer das bekommen soll, was ihm ohne seine berechtigte Auflösungserklärung zugekommen wäre, ist bei der Begrenzung der Ansprüche auf den (fiktiven) Ablauf der Vertragszeit nicht nur auf den Zeitablauf im Sinne des § 1158 Abs 1 ABGB (bzw § 19 Abs 1 AngG), sondern auch auf vorher tatsächlich eingetretene gesetzliche Endigungsgründe, mit denen der Verlust aller künftigen Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis verbunden ist, Bedacht zu nehmen (vgl WBl 1993, 155 mwH). Dieselben Erwägungen müssen für den Fall gelten, in dem zugleich mit dem Austritt die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen wegfallen. Das fiktive Ende der Vertragszeit ist hier durch die nunmehr mögliche Kündigung durch den Masseverwalter bereits im Zeitpunkt des Austritts vorgegeben und absehbar. Dabei erfolgt keine unzulässige Bedachtnahme auf allenfalls nachträglich entstehende Umstände (vgl Arb 10.145, 10.473) - der Beklagte hätte nämlich gar nicht mehr kündigen können -, sondern lediglich auf den Zeitraum, der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordnungsgemäße Kündigung durch den Arbeitgeber hätte verstreichen müssen; die Klägerin ist so zu stellen, als ob ihr Arbeitsverhältnis durch Kündigung durch den Beklagten beendet worden wäre. Da eine Kündigung der Klägerin demnach bereits am 10.11.1990 zulässig gewesen wäre, hatte der Masseverwalter im Sinne des § 25 KO keinen Kündigungstermin, sondern nur die gesetzliche Kündigungsfrist einzuhalten. Die der Klägerin bis 10.2.1991 zustehenden Ansprüche sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens (S 35 und 37). Darüber hinausgehende Ansprüche stehen der Klägerin nicht zu.

Der Oberste Gerichtshof teilt zwar die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen § 25 KO (vgl 9 ObS 16/93 und 9 ObS 17/93). Eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Überprüfung dieser Gesetzesstelle ist jedoch nicht mehr möglich, da der Verfassungsgerichtshof § 25 KO bereits mit Erkenntnis vom 1.7.1993, G 15, 16/93-6, G 80/93-8 und G 96/93-8, als verfassungswidrig aufgehoben hat. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30.6.1994 in Kraft. Bis dahin ist die aufgehobene Bestimmung auf alle bis zum Ablauf der Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme der Anlaßfälle weiter anzuwenden (§ 140 Abs 7 letzter Satz B-VG).

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet. Die vom Beklagten verzeichneten Pauschalgebühren sind nicht zuzusprechen, da die Bemessungsgrundlage für eine Feststellungsklage S 7.000 (bzw vor der Nov BGBl 1991/694 S 6.000) beträgt (§ 16 Z 1 GGG) und Verfahren in Arbeitsrechtssachen bis zu einem Streitwert von S 15.000 gebührenfrei sind (Anm 5 zu TP 2 und 3).

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