Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.
In Abänderung der angefochtenen Entscheidung wird die beklagte Partei schuldig erkannt, der klagenden Partei binnen 14 Tagen weitere S
106.620 samt 4 % Zinsen seit 7.3.1990 zu bezahlen und die insgesamt mit S 65.646,96 (einschließlich S 6.206,83 Umsatzsteuer und S 28.406 Barauslagen) bestimmten Prozeßkosten aller drei Instanzen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Anläßlich einer tätlichen Auseinandersetzung am 6.12.1987 wurde der Kläger vom Beklagten schwer verletzt.
An diesem Tag begab sich der damals noch jugendliche Beklagte ein Begleitung dreier Freunde um ca. 2.50 Uhr früh von ihrem etwas entfernt geparkten PKW in Richtung einer Veranstaltungshalle. Kurz vor deren Erreichen kamen ihnen der Kläger und dessen Bruder entgegen, die eben die Veranstaltungshalle verlassen hatten. Sowohl in diesem Lokal als auch in einem anderen, in dem sie zuvor eine Veranstaltung besucht hatten, kam es zu Diskussionen mit anderen Personen wegen eines Augenfehlers des Klägers; er schielte nämlich stark.
Der Kläger war - auch für den Beklagten erkennbar - zum damaligen Zeitpunkt leicht alkoholisiert. Er begann in stänkerischer Form eine wörtliche Auseinandersetzung mit den Entgegenkommenden, indem er sagte: "Wie schwer seid's Ihr?" und "wollt's raufen?". In der Folge erfaßte er den Beklagten, der einen halben Kopf größer und wesentlicher kräftiger als er ist, an der Oberbekleidung und drückte ihn einen halben Meter zurück zu einem dort abgestellten PKW. Ohne daß der Kläger den Beklagte bedroht hätte, indem er etwa mit der Hand zum Schlag ausgeholt oder sonst Anstalten gemacht hätte, ihn tätlich anzugreifen, versetzte der Beklagte dem körperlich unterlegenen Kläger einen derart heftigen Faustschlag in das Gesicht, daß dieser rücklings zu Boden stürzte, mit dem Hinterkopf am Asphalt aufschlug und bewußtlos liegen blieb. Dabei erlitt der Kläger schwere Verletzungen. Der Beklagte hielt bei seinem tätlichen Angriff einen Verletzungserfolg ernstlich für möglich und nahm ihn billigend in Kauf.
Der Kläger erlitt bei dem Unfall einen Schädeldachbruch, einen temporobasalen Bruch rechts mit subtotaler Trommelfelldurchstoßung, eine Gehirnkontusion mit traumatischem Hirnödem und posttraumatischer Psychose und ein akutes Subturalhämatom links. Er wurde mit der Rettung in das LKH Deutschlandsberg gebracht und von dort noch am gleichen Tag per Hubschrauber in die Neurochirurgische Klinik des LKH Graz transportiert. Dort wurde er stationär vom 6.12.1987 bis 22.12.1987 behandelt: Es mußte eine Hämatomentleerung sowie eine Entlastungstrepantion mit Einlegung eines externen Ventrikeldrains gemacht werden. Als Komplikation trat eine chronische Mittelohrentzündung recht mit rezidivierenden Ohrfluß auf. Am 22.12.1987 wurde der Kläger in das LKH Deutschlandsberg überführt; dort wurde mit der Mobilisierung begonnen. Bei der Entlassung am 11.1.1988 lag noch eine Sprach- und Gangstörung vor. Vom 5.8.1988 bis 25.1.1989 befand sich der Kläger in stationärer Nachbehandlung im Rehabilitationszentrum Meidling. Am 27.2.1989 wurde die bitemporale Schädellücke an der Neurochirurgischen Klinik Graz plastisch bedeckt; er war dort vom 26.2.1989 bis 6.3.1989.
Seit 1.7.1989 wird dem Kläger eine Invaliditätspension der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter gewährt.
Der Kläger hatte zusammengefaßt 14 Tage starke, 28 Tage mittelstarke und 100 Tage leichte Schmerzen zu ertragen. Zu berücksichtigen ist weiters, daß es durch den Vorfall auch zu einer über das übliche Ausmaß hinausgehenden psychischen Alteration des Klägers kam, weil dieser lebensgefährliche Verletzungen davontrug und dem Tode nahe war; er mußte über einen längeren Zeitraum um seine Genesung fürchten.
Als Dauerfolgen bleiben neben reaktionslosen Operationsnarben am Schädel eine Geschmacksstörung, ein horizontal gerichtetes Augenzittern, das mit einer Kleinhirnverletzung in Einklang zu bringen ist, eine beinbetonte Halbseitenlähmung links mit einem Lähmungsgrad 4 bis 5, Koordinationsstörungen zerebellärer Art und eine Schwerhörigkeit rechts zurück. Die durch den Vorfall eingetretene Minderung der Erwerbsfähigkeit ist mit 55 % einzustufen.
Der Kläger begehrte vom Beklagten S 600.000 Schmerzengeld, wovon ihm im Strafverfahren gegen den Beklagten bereits S 3.000 zugesprochen worden waren, und weitere - nicht mehr streitgegenständliche - Beträge (S 105.000 Verdienstentgang und diverse kleinere Beträge) in der Gesamthöhe von S 216.500 sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden, die er mit S 150.000 bewertete.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte im wesentlichen vor, den Kläger treffe das überwiegende Verschulden am Vorfall, das Schmerzengeld sei weit überhöht und der Kläger habe sowohl von der Gebietskrankenkasse als auch von der Pensionsversicherungsanstalt ohnedies bereits Geld bezogen.
Das Erstgericht sprach dem Kläger S 302.833 sA zu, stellte fest, daß der Beklagte dem Kläger für alle zukünftigen kausalen Schäden und Folgen aus dem Vorfall vom 6.12.1987 zu zwei Dritteln zu haften hat, und wies das Leistungsmehrbegehren von S 513.666,68 sA und das Feststellungsmehrbegehren von einem Drittel ab.
Der Kläger habe die wörtliche Auseinandersetzung begonnen und in der Folge den Beklagten an der Oberbekleidung erfaßt und zum Kotflügel eines abgestellten PKWs zurückgedrängt, wodurch sich der Beklagte provoziert fühlen konnte und sich veranlaßt sah, einen Faustschlag gegen den Kläger zu führen; dem Beklagten wäre es aber möglich gewesen, dem für ihn erkennbar betrunkenen Kläger auszuweichen. Dieses Verhalten (Provokation durch den Kläger; stark überzogene Reaktion des Beklagten) rechtfertige eine Verschuldensaufteilung 2 :
1 zu Lasten des Beklagten. Schmerzengeld hielt das Erstgericht in der Höhe von S 240.000 für angemessen. Unter Berücksichtigung eines Drittelmitverschuldens und den bereits im Strafverfahren zugesprochenen Betrag von S 3.000, sprach es dem Kläger daher S 157.000 sA Schmerzengeld und weitere - nicht mehr entscheidungswesentliche - S 145.833,42 sA zu.
Gegen dieses Urteil richtete sich die Berufung beider Teile.
Der Kläger begehrte - ausgehend vom Alleinverschulden des Beklagten und einem angemessenen Schmerzengeldbetrag von S 400.000 - , daß ihm in Abänderung des Ersturteils insgesamt S 615.750 zugesprochen und seinem Feststellungsbegehren zur Gänze stattgegeben werde.
Der Beklagte strebte eine Verschuldensteilung von 2 : 1 zu Lasten des Klägers an und beantragte die Abänderung des Ersturteils dahingehend, daß dem Kläger lediglich insgesamt S 149.916,66 zugesprochen und dem Feststellungsbegehren nur mit einem Drittel stattgegeben werde.
Das Berufungsgericht gab beiden Berufungen nicht Folge und sprach aus, daß Revisionen unzulässig seien.
Gegen dieses Urteil richten sich die außerordentlichen Revisionen beider Teile.
Der Kläger macht Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß ihm auf der Basis eines angemessenen Schmerzengeldes von S 400.000 und nunmehr unter Anerkennung der Mitverschuldensquote von einem Drittel weitere S 106.620 zugesprochen werden.
Der Beklagte macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt wie in seiner Berufung, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß auf der Basis einer Verschuldensquote seinerseits von nur einem Drittel dem Kläger lediglich insgesamt S 149.916,66 sA zugesprochen und festgestellt werde, daß er für künftige Schäden nur zu einem Drittel zu haften habe.
Die Revision des Beklagten ist unzulässig, hingegen ist die Revision des Klägers zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Zur außerordentlichen Revision des Beklagten:
Die außerordentliche Revision des Beklagten ist gemäß § 508 a Abs 2 ZPO mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO), weil auch die Verschuldensteilung bei Raufhändeln (Provokation durch den Kläger einerseits; stark überzogene Retorsionshandlung des Beklagten andererseits) immer eine Frage des Einzelfalles ist, die die Vorinstanzen im Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung gelöst haben.
2. Zur außerordentlichen Revision des Klägers:
Der Kläger versucht mit der Behauptung, es lägen erhebliche Fragen des Verfahrensrechts vor, ein höheres Schmerzengeld zu bekommen, nämlich Zuspruch auf das Basis eines angemessenen Schmerzengeldes von S 400.000 anstatt von S 240.000. Diese erheblichen Fragen des Verfahrensrechts sollen darin gelegen sein, daß es das Erstgericht trotz Antrags unterlassen habe, ein Sachverständigengutachten zu erörtern; dies habe das Berufungsgericht zu Unrecht toleriert. Die Gutachten der Sachverständigen deckten sich nicht; die Ausführungen des Berufungsgerichts über die Diskrepanz seien aktenwidrig.
Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und die behauptete Aktenwidrigkeit liegen nicht (§ 510 Abs 3 ZPO): Nicht reversible Verfahrensmängel, wie behauptete Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Berufungsgericht verneint worden sind, können auch nicht zum Gegenstand einer Grundsatzrevision gemacht werden (zuletzt 8 Ob 1501/89 uva). Auch die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Im übrigen wäre sie unerheblich, weil das Erstgericht, soweit die Sachverständigengutachten divergieren, aus ihnen ohnedies die für den Kläger günstigeren Feststellungen getroffen hat; lediglich die vorzeitige körperliche Ermüdbarkeit wurde nicht ausdrücklich festgestellt; dies ist aber bei den schweren Verletzungen und Dauerfolgen, die der Kläger erlitten hat, für die Höhe des global zu bemessenden Schmerzengeldes ohne meßbaren Einfluß.
Wenn auch die Höhe des angemessenen Schmerzengeldes eine Frage des Einzelfalls ist, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu begründen vermag, ist die Revision hier ausnahmsweise wegen der eklatanten Fehlbemessung des Schmerzengeldes, die völlig aus dem Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt, aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zulässig und berechtigt.
Im Hinblick auf die Dauer und Intensität der Schmerzen, die Schwere und Lebensgefährlichkeit der Verletzungen sowie der damit verbundenen psychischen Alteration und unter Berücksichtigung der zurückgebliebenen schweren dauernden Beeinträchtigungen ist das von den Vorinstanzen als angemessen angesehene Schmerzengeld weit zu gering bemessen. Das vom Kläger noch begehrte Schmerzengeld auf der Basis von S 400.000 ist im Vergleich zu anderen Fällen mit ähnlich schweren Verletzungen und Dauerfolgen jedenfalls nicht als überhöht anzusehen, sodaß dem Kläger der noch begehrte Betrag unter Anrechnung des nun nicht mehr bekämpften Mitverschuldens von einem Drittel zuzuerkennen und ihm daher weitere S 106.620 zuzusprechen sind.
Die Entscheidung über die Kosten erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs 1 und 2 ZPO. Der Kläger ist lediglich mit einem geringfügigen Teilbetrag von S 750 (Behandlungskostenselbstbehalt) und mit einem Teil seines Schmerzengeldbegehrens unterlegen, doch liegt keine Überklagung vor (Unterliegen mit bloß einem Drittel), sondern war die Abweisung des Schmerzengeldmehrbegehrens vom richterlichen Ermessen abhängig. Die Bemessungsgrundlage für die erstinstanzlichen Verfahrenskosten vermindert sich jedoch um S 200.750 (vgl MGA ZPO14 § 43/E 37). Kosten für die Privatbeteiligung konnten nicht zuerkannt werden, weil infolge gänzlichen Zuspruchs des im Strafverfahren begehrten Schmerzengeldes keine Verweisung auf den Zivilrechtsweg stattgefunden hat und deshalb die im § 393 Abs 4 StPO genannten Voraussetzungen nicht vorliegen. Dem Kläger gebühren für das erstinstanzliche Verfahren daher insgesamt S 40.835,40 (einschließlich S 4.471,57 Umsatzsteuer und S 14.006 Barauslagen).
Für das Berufungsverfahren beruht die Kostenentscheidung auf § 43 Abs 1 und § 50 ZPO. Der Beklagte blieb mit seinem Rechtsmittel zur Gänze erfolglos, hat daher die Kosten seiner Berufung einschließlich der Pauschalgebühr selbst zu tragen und dem Kläger die Berufungsbeantwortung, allerdings nur auf der Basis von S 202.916,65 zu ersetzen. Hingegen hat der Kläger mit seiner Berufung letztlich im Ausmaß von drei Zehntel obsiegt. Er muß daher dem Beklagten vier Zehntel der verzeichneten Kosten für die Berufungsbeantwortung ersetzen, erhält aber seinerseits von diesem drei Zehntel seiner Pauschalgebühr (§ 43 Abs 1 letzter Satz ZPO). Insgesamt erhält daher der Kläger für das Berufungsverfahren S 6.021,96 (einschließlich S 603,66 Umsatzsteuer und S 2.400 Barauslagen).
Im Revisionsverfahren gründet sich der Kostenzuspruch an den Kläger auf die §§ 41 und 50 ZPO; er erhält S 18.789,60 (einschließlich S 1.131,60 Umsatzsteuer und S 12.000 Barauslagen).
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