OGH 15Os96/93(15Os97/93)

OGH15Os96/93(15Os97/93)19.8.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.August 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Schindler und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Weigl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alois M***** wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 StGB im Verfahren AZ 18 E Vr 1997/92 des Landesgerichtes Klagenfurt sowie des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB sowie einer anderen strafbaren Handlung im Verfahren AZ 35 E Vr 2372/89 des Landesgerichtes Salzburg über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 24.Februar 1993, GZ 35 E Vr 2372/89-25, sowie gegen den Vorgang, daß das Landesgericht Klagenfurt im Verfahren 18 E Vr 1997/92 vor Fassung des Beschlusses über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht sich keine Kenntnis über die Vorverurteilungen verschaffte und nach dieser Beschlußfassung die unverzügliche Verständigung jenes Gerichtes, das die bedingte Strafnachsicht gewährt hatte, unterließ, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Presslauer, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Gesetz wurde verletzt

1. im Strafverfahren AZ 18 E Vr 1997/92 des Landesgerichtes Klagenfurt

a/ durch den Vorgang, daß das Landesgericht Klagenfurt vor dem am 15. Dezember 1992 gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO gefaßten Beschluß über den Widerruf der dem Alois M***** im Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 5.Jänner 1990, GZ 35 E Vr 2372/89-9, gewährten bedingten Strafnachsicht keine Einsicht in die Akten über diese frühere Verurteilung oder in eine Abschrift dieses früheren Urteils nahm, in der Bestimmung des § 494 a Abs. 3 StPO;

b/ durch den Vorgang, daß das Landesgericht Klagenfurt von seinem gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO gefaßten Widerrufsbeschluß nicht unverzüglich das Landesgericht Salzburg zum AZ 35 E Vr 2372/89 verständigte, in der Bestimmung des § 494 a Abs. 8 StPO;

2. im Strafverfahren AZ 35 E Vr 2372/89 des Landesgerichtes Salzburg durch den Beschluß dieses Gerichtes vom 24.Februar 1993 über die Endgültigkeit der dem Alois M***** im Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 5.Jänner 1990, GZ 35 E Vr 2372/89-9, gewährten bedingten Strafnachsicht in den Bestimmungen der §§ 43 Abs. 2 und 49 StGB sowie in dem sich aus § 494 a Abs. 4 StPO ergebenden Verbot, nach einer dort bezeichneten (wenn auch noch nicht rechtskräftigen) Beschlußfassung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht außerhalb eines diesen Beschluß betreffenden Verfahrens in der Sache nochmals zu entscheiden.

Dieser Beschluß wird aufgehoben.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg, die Endgültigkeit der bedingten Strafnachsicht auszusprechen, wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit rechtskräftigem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Salzburg vom 5.Jänner 1990, GZ 35 E Vr 2372/89-9, wurde Alois M***** wegen des Vergehens des teils vollendeten und teils versuchten Diebstahls nach §§ 127 und 15 StGB sowie wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt.

Wegen abermaliger Delinquenz in der bestimmten Probezeit wurde der Genannte mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Klagenfurt vom 15.Dezember 1992, GZ 18 E Vr 1997/92-7, des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 StGB schuldig erkannt und zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe verurteilt. Gemeinsam mit diesem Urteil faßte das Landesgericht Klagenfurt gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO den Beschluß auf Widerruf der im eingangs bezeichneten Erkenntnis des Landesgerichtes Salzburg vom 5.Jänner 1990, GZ 35 E Vr 2372/89-9, ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht. Dieser Widerrufsbeschluß erging, ohne daß das Landesgericht Klagenfurt in Befolgung der Vorschrift des § 494 a Abs. 3 StPO eine Einsichtnahme in die Akten über die frühere Verurteilung oder zumindest in eine Abschrift des früheren Urteiles vornahm. Ebensowenig wurde der Anordnung des § 494 a Abs. 8 StPO entsprochen, wonach das Landesgericht Klagenfurt von diesem Widerrufsbeschluß unverzüglich das Landesgericht Salzburg zu verständigen gehabt hätte, weil dessen Vorentscheidung von diesem Beschluß betroffen war. Die Verständigung wurde erst nach rechtskräftigem Abschluß des Strafverfahrens verfügt und verfehlte wegen des verspäteten Zeitpunktes ihren Zweck, nämlich das ohne Eingreifen der Regelung des § 494 a StPO zuständige Gericht von einer eingetretenen Zuständigkeitsverschiebung zu verständigen und zu verhindern, daß dieses Gericht weiterhin eine diesbezügliche Kompetenz in Anspruch nimmt. Zur Erreichung dieses Zieles hat die vorgeschriebene Verständigung sogleich nach der jeweiligen Entscheidung ohne Rücksicht darauf zu erfolgen, ob das Erkenntnis schon ausgefertigt ist oder ob es rechtskräftig ist. Die Verständigung muß insbesondere dann mit besonderer Dringlichkeit vorgenommen werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - dem erkennenden Gericht jene Vorakten über andere Verfahren gar nicht zur Verfügung stehen und demgemäß in dieser Hinsicht kein manipulatives Hindernis dagegen wirksam ist, daß das andere Gericht in Unkenntnis von der gemäß § 494 a Abs. 1 StPO ergangenen Entscheidung und des demgemäß eingetretenen Verlustes der eigenen Entscheidungsbefugnis in diesem Umfang Rechtsprechungsakte setzt.

Gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 15.Dezember 1992, GZ 18 E Vr 1997/92-7, meldete Alois M***** "Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung" an. Während des hiedurch in Gang gesetzten Rechtsmittelverfahrens sprach das Landesgericht Salzburg - welches von der Strafsache AZ 18 E Vr 1997/92 des Landesgerichtes Klagenfurt keine Kenntnis hatte - mit Beschluß vom 24.Februar 1993 über Antrag der Staatsanwaltschaft aus, daß die dem Alois M***** mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 5.Jänner 1990, GZ 35 E Vr 2372/89-9, gewährte bedingte Strafnachsicht endgültig geworden sei (ON 25 des Aktes).

Dieser in Rechtskraft erwachsene Beschluß steht in mehrfacher Beziehung mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Zunächst erging er vor dem Ende der ab 9.Jänner 1990 laufenden dreijährigen Probezeit, weil in diesen Zeitraum die rund siebenmonatige behördliche Anhaltung des Alois M***** in Deutschland (S 182 des Aktes AZ 8 Vr 1395/91 des Landesgerichtes Klagenfurt) nicht einzurechnen war (§ 49 StGB). Ferner fehlte es an der begriffsessentiellen Voraussetzung für die Erklärung, daß die bedingte Strafnachsicht endgültig sei, nämlich am Unterbleiben des Widerrufs (§ 43 Abs. 2 StGB), weil zuvor das Landesgericht Klagenfurt bereits auf einen derartigen Widerruf erkannt hatte.

Der Widerrufsbeschluß dieses Gerichtes vom 15.Dezember 1992 entfaltete ab seiner Verkündung insoweit Bindungswirkung, als er nur mehr der Behebung oder Abänderung im Wege der in den Prozeßgesetzen vorgesehenen Rechtsmittel (oder Rechtsbehelfe) unterlag, wogegen außerhalb eines solchen Verfahrens eine neuerliche Entscheidung über die entschiedene Widerrufsfrage nicht zulässig war. Das Landesgericht Salzburg hat daher durch die Beschlußfassung vom 24.Februar 1993 eine Entscheidungskompetenz rechtswidrig in Anspruch genommen (15 Os 76/91; EvBl. 1989/64).

Der demgemäß ab seiner Verkündung rechtswirksame Widerrufsbeschluß vom 15.Dezember 1992 erlangte mit der abweislichen Entscheidung des Oberlandesgerichtes Graz vom 31.März 1993 über die Berufung des Alois M***** gegen das im Regelungszusammenhang (EvBl. 1991/186, 12 Os 125/92 ua) stehende Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 15. Dezember 1992, GZ 18 E Vr 1997/92-7, materielle Rechtskraft.

Der dem entgegenstehende, erst am 24.Februar 1993 ergangene Beschluß des Landesgerichtes Salzburg konnte sonach weder den schon vorher durch das zuständige Landesgericht Klagenfurt wirksam beschlossenen Widerruf der bedingten Strafnachsicht beseitigen, noch sonst eine Rechtsfolge hervorrufen. Der konstitutive Gehalt des ab seiner Verkündung wirksamen und später auch in Rechtskraft erwachsenen Widerrufsbeschlusses blieb vielmehr hievon unberührt. Der ohne jegliche rechtliche Auswirkung auf Alois M***** gebliebene Beschluß des Landesgerichtes Salzburg über die Endgültigkeit der bedingten Strafnachsicht war daher aufzuheben (JBl. 1989, 400 = EvBl. 1989/64) und der Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 24.Februar 1993 auszusprechen, daß die bedingte Nachsicht der Strafe endgültig geworden ist, abzuweisen.

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