OGH 3Ob526/93

OGH3Ob526/9314.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Angst, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des ***** Rene D*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Leibnitz als Sachwalter, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Günther B*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgerichtes vom 14. April 1993, GZ 1 R 525/92-19, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Leibnitz vom 30. Oktober 1992, GZ P 419/78-15, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß und der Beschluß des Erstgerichtes, der bezüglich der Festsetzung des Unterhalts ab 1.Oktober 1992 mangels Anfechtung unberührt bleibt, wird im übrigen aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällenden Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Der Revisionsrekurswerber ist der Vater des am 30.September 1978 außer der Ehe geborenen Kindes, das sich in der Obsorge seiner Mutter befindet. Er verpflichtete sich zuletzt in einem am 27.Jänner 1989 vor dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger abgeschlossenen Vergleich, für das Kind einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 3.000 S zu bezahlen. Am 7.Oktober 1992 beantragte das Kind, den Vater ab 1. Jänner 1992 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 5.000 S zu verurteilen. Seit der letzten Unterhaltsfestsetzung seien sowohl seine Bedürfnisse als auch die Lebenshaltungskosten bedeutend gestiegen. Der Vater sei in der Lage, den begehrten Unterhaltsbetrag zu bezahlen.

Der Vater erklärte sich mit der Festsetzung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 3.500 S einverstanden, weil er diesen Betrag schon seit Anfang 1991 bezahle. Er beantragte die Abweisung des Mehrbegehrens, insbesondere des Begehrens auf Erhöhung des Unterhalts für die Vergangenheit. Er habe mit dem Kind und seiner Mutter bis Ende Juli 1992 im gemeinsamen Haushalt gelebt und in beträchtlichem Umfang Naturalunterhalt geleistet. Der Mutter seien seine Einkommensverhältnisse bekannt gewesen. Nach der Trennung von ihr habe er eine Eigentumswohnung gekauft und sei aus diesem Grund Schuldverpflichtungen eingegangen, die eine monatliche Belastung von 8.297,80 S zur Folge gehabt hätten. Hiezu kämen noch Betriebskosten in der Höhe von etwa 4.000 S im Monat.

Das Erstgericht setzte den dem Kind zu leistenden monatlichen Unterhaltsbetrag ab 1.Oktober 1992 mit 5.000 S fest und wies das auf Erhöhung des Unterhalts für die Zeit vom 1.Jänner bis 30.September 1992 gerichtete Mehrbegehren ab. Es stellte fest, daß der Vater, der nur für den Pflegebefohlenen zu sorgen hat, im Durchschnitt ein monatliches Einkommen von 25.821,27 S bezieht. Es war rechtlich der Meinung, daß sich daraus ein Unterhaltsanspruch des Kindes von 5.000 S im Monat ergebe. Der erhöhte Unterhalt könne allerdings nicht für die Vergangenheit zuerkannt werden, weil der Mutter die Einkommensverhältnisse des Vaters "zweifellos" schon vor dem 1. Oktober 1992 bekannt gewesen seien und sie "zeitgerecht" den Antrag auf Erhöhung des Unterhalts stellen hätte können.

Das Rekursgericht erkannte infolge Rekurses des Kindes den monatlichen Unterhaltsbetrag von 5.000 S "abzüglich bereits geleisteter Zahlungen" auch für die Zeit vom 1.Jänner bis 30. September 1992 zu und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die bloße Untätigkeit der Mutter rechtfertige nicht die Annahme, daß sie für die Vergangenheit auf den Unterhalt verzichtet habe. Auch aus der vom Vater behaupteten Erbringung von Naturalleistungen könne ein solcher Verzicht nicht abgeleitet werden, zumal dies voraussetzen würde, daß die Mutter mit der Anrechnung der Naturalleistungen auf den Unterhaltsanspruch des Kindes einverstanden gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Vater gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Dem Rekursgericht ist zwar darin beizupflichten, daß ein schlüssiger Verzicht auf die Leistung des Unterhalts nicht deshalb angenommen werden darf, weil die Erhöhung des Unterhalts nicht sofort begehrt wurde (EFSlg 63.143, 43.476 u.a.). Das Rekursgericht hat aber verkannt, daß es hier nicht darum geht, ob Naturalleistungen auf den - bereits festgesetzten - Geldunterhaltsanspruch angerechnet werden dürfen (vgl. hiezu EFSlg 61.741), sondern inwieweit erbrachte Naturalleistungen auf die Festsetzung des Unterhaltsanspruchs von Einfluß sind.

Der Oberste Gerichtshof hat hiezu in der Entscheidung vom 8.Oktober 1991, 5 Ob 544/91 (= EFSlg 66.369), schon ausgesprochen, daß bei der Lösung der Frage, inwieweit Sachleistungen bei der Ausmessung des für die Vergangenheit gebührenden Unterhalts zu berücksichtigen sind, auf die von den Gerichten zweiter Instanz bei Prüfung des Vorliegens einer Unterhaltsverletzung als Voraussetzung für die gerichtliche Unterhaltsfestsetzung entwickelte Rechtsprechung heranzuziehen ist und bei dieser Prüfung grundsätzlich alle Geld- und Naturalleistungen (mit Unterhaltscharakter) in Anschlag zu bringen sind (vgl. EFSlg 42.645 f, 49.515, 58.732, 61.065 u.a.). Davon ausgehend müsse geprüft werden, ob der Unterhaltspflichtige diese Naturalleistungen auch dann erbracht hätte, wenn er bereits zur Zeit der Leistung von der ihn rückwirkend treffenden Unterhaltsverpflichtung Kenntnis gehabt hätte. Nur wenn er sie trotzdem erbracht hätte, komme eine Anrechnung nicht in Betracht. Im Zweifel sei dies aber nicht zu vermuten. Inwieweit grundsätzlich anrechenbare Leistungen bei der rückwirkenden Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen sind, richte sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei der gesamte Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten, also alle seine Unterhaltsbedürfnisse, den Lebensverhältnissen entsprechend ausgewogen abgedeckt werden müßten und eine sachlich nicht gerechtfertigte Überalimentation in einem Teilbereich nicht zur Kürzung in einem anderen Teilbereich der Bedürfnisse führen dürfe. Ähnlich hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung vom 19.Februar 1992, 1 Ob 541/92 (= EvBl 1992/108), ausgesprochen, daß die Auffassung, gemischter Unterhalt (bestehend aus Natural- und Geldleistungen) sei grundsätzlich unzulässig, auch dann nicht zum Tragen kommt, wenn durch die Naturalleistungen die Unterhaltsbedürfnisse in einem Maß und in einer Art gedeckt werden, daß der Unterhaltsberechtigte zur Bestreitung seines vollständigen Unterhalts nur mehr eines geringeren als des festgesetzten Geldbetrages bedürfte. Dies gilt sinngemäß im besonderen für die Festsetzung des Unterhalts für die Vergangenheit. Sie ist in dem Umfang ausgeschlossen, in dem der Unterhaltspflichtige die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten durch nicht in Schenkungsabsicht erbrachte Naturalleistungen in ausgewogener Weise gedeckt hat, weil insoweit der Unterhaltsanspruch bereits getilgt wurde.

Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren daher in erster Linie den Umfang der vom Vater erbrachten Geld- und Naturalleistungen festzustellen und außerdem zu klären haben, ob hiedurch im Sinn der vorstehenden Ausführungen der Unterhaltsanspruch des Kindes gemindert wurde. Zu beachten wird dabei auch der Einwand des Vaters sein, daß er ohnedies bereits um 500 S im Monat mehr bezahlte, als seiner im Vergleich festgelegten Unterhaltsverpflichtung entsprach. Wenn diese Zahlungen erwiesen sind, muß darauf schon bei der Schaffung des Unterhaltstitels Bedacht genommen werden (EFSlg 65.890 = RPflSlgA 8.063; EFSlg 59.627). Die Einschränkung "abzüglich bereits geleisteter Zahlungen" genügt nicht.

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