OGH 10ObS131/93

OGH10ObS131/9313.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Helmut Szongott (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Murmann (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Raimund K*****, vertreten Heinrich Keller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.April 1993, GZ 32 Rs 31/93-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23.November 1992, GZ 17 Cgs 365/91-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 21.10.1991 lehnte die Beklagte den Antrag des am 2.3.1940 geborenen Klägers vom 5.6.1991 auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit iS des § 273 Abs 1 ASVG ab.

Das Erstgericht wies das auf eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab Antragstag gerichtete Klagebegehren ab.

Nach den auch der Berufsentscheidung zugrundegelegten erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen kann der Kläger mit dem seit dem Pensionsantrag bestehenden, im einzelnen festgestellten Leidenszustand während der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen leichte Arbeiten leisten. Mittelschwere Arbeiten kann er ununterbrochen bis zu einer Stunde ausüben, insgeamt über den Arbeitstag verteilt bis zur Hälfte der Arbeitszeit. Arbeiten im Sitzen müssen nach höchstens 30 Minuten durch kurzfristiges Aufstehen (etwa für eine Minute) unterbrochen werden. Dauerndes Gehen ist nicht möglich, wohl aber überwiegendes Gehen und Stehen mit gelegentlichem Niedersetzen. Nach einstündigem (ununterbrochenem) Stehen muß der Kläger 15 Minuten sitzen können. Arbeiten an erhöhten exponierten Stellen und unter ganztägigem besonderem Zeitdruck sowie solche, die im Arbeitsablauf auch nur gelegentliches Bücken erfordern, sind ausgeschlossen. Bücken im Einzelfall ist hingegen möglich. Der Kläger kann bis 15 kg tragen. Seine Fingerfertigkeit ist erhalten. Er ist unterweisbar und einordenbar. Die Anmarschwege sind nicht eingeschränkt.

Der Kläger ist gelernter Installateur. Er war von Februar 1983 bis Juni 1991 als Verkaufsberater für Fliesen und Sanitärprodukte bei der Firma I***** tätig. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werden vor allem in Baugroßmärkten, bei denen es sich um Selbstbedienungsverkaufsmärkte mit Kundenberatung handelt, neben gelernten Einzelhandelskaufleuten einschlägig ausgebildete Facharbeiter (zB Installateure, Elektroinstallateure, Tischler) als Verkaufsberater eingesetzt. Einzelhandelskaufleute (und Verkaufsberater) arbeiten überwiegend im Gehen und Stehen und müssen sich gelegentlich bücken. "Der für den Kläger erforderliche Haltungswechsel kann dabei nicht durchgeführt werden." Seine Arbeitsfähigkeit reicht jedoch für die "unqualifizierte" Tätigkeit eines Telefonisten aus, für die es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen gibt.

Wegen dieser Verweisungsmöglichkeit erachtete das Erstgericht den Kläger nicht als berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der inhaltlich nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge.

Feststellungen über den der Verkaufsberatertätigkeit vorangegangenen Installateurberuf und über die Gründe der Aufgabe dieser Tätigkeit erachtete das Berufungsgericht für entbehrlich. Bei der Tätigkeit als Verkaufsberater handle es sich um keine Teiltätigkeit des erlernten Installateurberufes, sondern um eine des Einzelhandelskaufmannes. Das ergebe sich schon daraus, daß die Lehrzeiten dieser beiden Lehrberufe nicht wechselseitig anrechenbar seien, aber auch aus dem Berufsbild des Einzelhandelskaufmannes. Da in allen drei Lehrjahren dieses Berufes die Fächer "Kenntnis der Waren des Fachbereiches" und "Warenverkauf und Kundenbetreuung" gelehrt würden, müsse ein ausgelernter Einzelkaufmann in einer Sanitärwarenfirma die Waren des Sanitärbereiches genau kennen. Der Kläger habe daher für Verkaufstätigkeiten keine bessere Qualifikation als ein solcher Einzelhandelskaufmann. Wenn er meine, bei ihm wäre nicht die Verkaufstätigkeit, sondern die Kundenberatung im Vordergrund gestanden, übersehe er, daß eine Verkaufstätigkeit ohne Kundenberatung schwer vorstellbar sei. Der Kläger habe während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag überwiegend eine kaufmännische Tätigkeit ausgeübt, von der bei der Prüfung seiner Verweisbarkeit nach § 273 Abs 1 ASVG auch dann auszugehen sei, wenn er den Wechsel von der Installateur- zur Verkaufsberatertätigkeit - wie in der Berufung behauptet - aus gesundheitlichen Gründen vorgenommen hätte.

Rechtliche Beurteilung

Die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben, ist berechtigt.

Der Kläger war in den letzten 15 Jahre vor dem Stichtag, also in der Zeit von Juli 1976 bis Juni 1991 zunächst in seinem erlernten Beruf als Installateur und sodann als "Verkaufsberater für Fliesen und Sanitärprodukte" in einem Großmarkt dieser Sparte beschäftigt. (Während der letztgenannten Beschäftigung war er in der Pensionsversicherung der Angestellten versichert.)

Nach stRsp des erkennenden Senates (zuletzt SSV-NF 5/40 mwN) richtet sich der Anspruch auf eine Leistung aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit bei einem Versicherten, der trotz seiner Versicherung als Angestellter Arbeitertätigkeiten verrichtet hat, - ungeachtet seiner Leistungszugehörigkeit zur Pensionsversicherung der Angestellten und der Leistungszuständigkeit des Versicherungsträgers dieses Zweiges der Pensionsversicherung - inhaltlich nicht nach dem Berufsunfähigkeitsbegriff des § 273 ASVG, sondern nach dem Invaliditätsbegriff des § 255 leg cit.

Ob der Kläger als "Verkaufsberater" im Geschäftsbetrieb eines Kaufmannes vorwiegend zur Leistung kaufmännischer Dienste (als Handlungsgehilfe) oder höherer, nicht kaufmännischer Dienste angestellt war oder ob er nur ausnahmsweise zu kaufmännischen Diensten verwendet wurde oder vorwiegend untergeordnete Verrichtungen leistete, kann mangels erschöpfender Erörterung und ausreichender Feststellungen noch nicht verläßlich beurteilt werden. In den ersten beiden Fällen wären auf sein Dienstverhältnis nach § 1 Abs 1 Angestelltengesetz die Bestimmungen dieses Gesetzes anzuwenden, in den letzten beiden Fällen wäre er nach Abs 2 leg cit nicht als Handlungsgehilfe anzusehen. Auch die Frage, ob es sich bei der Tätigkeit als "Verkaufsberater" um eine qualifizierte Teiltätigkeit (auch) des erlernten Installateurberufes handelte, durch deren Ausübung dieser "Berufsschutz" gewahrt bliebe (SSV-NF 3/29), läßt sich noch nicht abschließend beantworten.

[Ob ein als "Verkaufsberater" für Fliesen und Sanitärprodukte in einem einschlägigen Großmarkt eingesetzter gelernter Installateur noch qualifizierte Teiltätigkeit seines Lehrberufes ausübt, bedarf genauer Feststellungen der von einem solchen "Verkaufsberater" zu verrichtenden Tätigkeiten, der dafür verwertbaren Teile der Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten des erlernten Berufes sowie der zusätzlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, hinsichtlich deren auch die Umstände, unter denen sie erworben werden können, geklärt werden müssen (ähnlich 28.1.1993, 10 Ob S 271/92).]

Wäre der Anspruch des Klägers nach § 255 ASVG zu beurteilen, dann müßte auch geklärt werden, ob er überwiegend (Abs 2 Satz 2 leg cit) in erlernten (angelernten) Berufen tätig war. In diesem Fall wäre seine Invalidität nach Abs 1 dieser Gesetzesstelle zu beurteilen. Er könnte dann nur auf Berufstätigkeiten verwiesen werden, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern wie diese qualifizierten Berufe (SSV-NF 5/40 mwN und SSV-NF 6/153).

Aber auch dann, wenn der Kläger als "Verkaufsberater" zuletzt nicht nur vorübergehend in einem Angestelltenberuf tätig gewesen wäre und sich sein Anspruch nach § 273 Abs 1 ASVG richten sollte, dürfte er nur auf Berufstätigkeiten verwiesen werden, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen wie in der zuletzt ausgeübten Angestelltenberufsgruppe.

Wegen der aufgezeigten Feststellungsmängel waren die Urteile der Vorinstanzen jedoch aufzuheben und war die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten beruht auf dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

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