Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 12.10.1990 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 7.9.1990 auf Invaliditätspension ab, weil er nicht invalid sei.
Die auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß "ab Antragstag" gerichtete fristgerechte Klage stützt sich darauf, daß der Kläger wegen seines körperlichen Zustandes weder seinen überwiegend ausgeübten erlernten Beruf als Fußbodenverleger bzw angelernten Beruf als Belagsverleger noch überhaupt eine geregelte Arbeit ausüben könne.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger könne noch alle mittelschweren Arbeiten in der üblichen Arbeitszeit verrichten und daher als Tischler, Fußbodenleger, Maschinenarbeiter, Fräser, Reißer udgl arbeiten.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Nach den wesentlichen Feststellungen kann der am 20.4.1941 geborene Kläger wegen seines im einzelnen beschriebenen körperlichen Zustandes seit dem Pensionsantrag während der üblichen (Arbeits)Zeiten mit den üblichen Pausen leichte, halbzeitig auch mittelschwere Arbeiten verrichten, die nicht überwiegend im Hocken oder Knien zu leisten sind, und den Arbeitsplatz erreichen.
Der Kläger hat den Beruf eines Tischlers erlernt, war aber vom 2.2.1976 bis 1.11.1990 bei einer Firma, die sämtliche Belagsarbeiten durchführte, als Belagsverleger beschäftigt. Er brachte schom beim Eintritt gewisse Vorkenntnisse als Bodenverleger mit und wurde bei dieser Firma auch auf das Verlegen von Kunststoff- und Textilböden umgelernt, daneben verlegte er Holzböden. Seit 1982 war er als Vorarbeiter tätig und wurde auch zur Ausbildung von Lehrlingen herangezogen. Er deckte sämtliche Bereiche des Bodenverlegens ab.
Die festgestellte Arbeitsfähigkeit reicht für die (manuelle) Tätigkeit als Belagsverleger, auch als Vorarbeiter, nicht mehr aus. In Einrichtungshäusern udgl gibt es aber eine entsprechende Zahl von Arbeitsplätzen für Verkaufsberater und Vertreter. Dafür werden oft einschlägig ausgebildete Fachkräfte, zB Belagsverleger, eingesetzt, die wegen ihres Fachwissens für eine solche Tätigkeit geeignet sind. Dafür würde die Arbeitsfähigkeit des Klägers ausreichen. Weil solche Beschäftigungen ausschließlich im Angestelltenverhältnis erfolgen, müßte beim Kläger eine gewisse Bereitschaft vorhanden sein, sich innerbetrieblich einfache kaufmännische Kenntnisse anzueignen. Er könnte aber als Verkaufsberater oder Vertreter für Einrichtungshäuser im Fachbereich Bodenverlegung überwiegend sein Fachwissen als Belagsverleger einsetzen.
Deshalb liege keine unzumutbare Umschulung oder Umstellung auf einen völlig neuen Beruf vor, so daß der Kläger auf die genannten Angestelltentätigkeiten verwiesen werden könne. Eine angemessene Weiter- und zusätzliche Ausbildung sei durchaus zumutbar. Der technische Fortschritt erfordere in allen Fachberufen eine ständige Fortbildung. Diese gehöre heute zu den Grundvoraussetzungen, damit ein Facharbeiter auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig bleibe. Auch werde die frühere strenge Trennung zwischen dem Arbeiter- und Angestelltensektor zunehmend aufgeweicht. Wegen der unzulässigen Verweisung auf ebenfalls Berufsschutz genießende Angestelltentätigkeiten sei der Kläger nicht invalid iS des § 255 Abs 1 ASVG.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge.
Von einem Facharbeiter könne gefordert werden, daß er seine Kenntnisse an die sich ändernden Berufsanforderungen, insbesondere an neue Arbeitsmethoden, Werkstoffe, Verfahrensmethoden usw, anpasse. Allerdings sei bloß eine Nachschulung iS des § 19 Abs 1 lit b 3. Fall AMFG, also die Weiterentwicklung im bisherigen Beruf zumutbar. Nur eine solche werde vom Kläger verlangt, weil er sich für die Tätigkeit als Verkaufsberater oder Vertreter in Einrichtungshäusern etc nur innerbetrieblich einfache kaufmännische Kenntnisse aneignen müsse, wofür - wie sich aus den Feststellungen ergebe - lediglich eine kurze Anlernzeit erforderlich sei.
Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch Zuerkennung einer Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab Stichtag abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.
Rechtliche Beurteilung
Das nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Rechtsmittel ist berechtigt.
Die geltend gemachten Aktenwidrigkeiten (§ 503 Z 3 ZPO) liegen allerdings nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit). Bei den als aktenwidrig gerügten Stellen des Berufungsurteils (Urteilsseiten 3 und 4, Aktenseiten 109 und 111) handelt es sich in Wirklichkeit nur aus den Feststellungen des Erstgerichtes abgeleitete Annahmen des Berufungsgerichtes, die mit dem Akteninhalt nicht in Widerspruch stehen.
Die Rechtsrüge ist jedoch begründet.
Ein - wie der Kläger - überwiegend als (gelernter oder angelernter) Facharbeiter tätig gewesener Versicherter, auf den die Voraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG nicht zutreffen, gilt nicht schon als invalid, wenn er die überwiegend ausgeübte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten kann, sondern erst dann, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und (mindestens) gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist (Abs 1 leg cit). Dabei ist als Vergleichsgröße die Arbeitsfähigkeit eines gesunden Versicherten heranzuziehen, der die Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die von gelernten Facharbeitern des jeweiligen Berufes in dessen auf dem Arbeitsmarkt gefragten Varianten (Berufsgruppe) unter berücksichtigung einer betriebsüblichen Einschulungszeit verlangt werden (SSV-NF 2/122).
Einem überwiegend als Facharbeiter tätig gewesenen Versicherten darf daher nicht der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten eines wegen unähnlicher Ausbildung und anderen zur Ausübung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten fremden Berufes zugemutet werden, weil es sich dann um die Ausbildung für einen neuen Beruf (vgl zB § 198 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und § 255 Abs 5 ASVG), also um eine Umschulung iS des § 19 Abs 1 lit b zweiter Fall AMFG handeln würde (vgl Steinbach-Danimann-Potmesil, AMFG § 19 FN 13). Geht es hingegen bloß um eine Nachschulung iS des § 19 Abs 1 lit b dritter Fall AMFG, so beziehen sich deren Maßnahmen nur auf die Weiterentwicklung oder Spezialisierung im bisherigen Beruf (in der bisherigen Berufsgruppe), also nicht auf den Erwerb völlig neuer Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern auf die Auffrischung oder Ergänzung der auf Grund der Ausbildung und Ausübung im bisherigen Beruf erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten und damit auf die Hebung der beruflichen Leistungsfähigkeit durch Vervollkommnung der Fachkenntnisse, durch Anpassung an veränderte berufliche Anforderungen, insbesondere an neue Arbeitsmethoden, Werkstoffe, Verfahrensmethoden, Apparate und Instrumente (vgl Steinbach-Danimann-Potmesil, AMFG § 19 FN 14 und 21; ähnlich Oberlandesgericht Wien 28.5.1971 SSV 11/49 und 28.9.1971 SVSlg 21.854). Bei durch Nachschulungsmaßnahmen erwerbbaren Kenntnissen und Fähigkeiten handelt es sich also um solche, die bei Versicherten, die im selben erlernten oder angelernten Beruf tätig sind und ihre Fachkenntnisse an die sich ändernden Berufsanforderungen angepaßt haben, vorhanden sein müssen und auf dem Arbeitsmarkt von solchen Facharbeitern üblicherweise verlangt werden (SSV-NF 2/122; 3/79).
Ein Versicherter, der überwiegend in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig war (§ 255 Abs 1 ASVG), darf auch auf Teiltätigkeiten seines Berufes, besser seiner Berufsgruppe, verwiesen werden, durch die er den bereits erworbenen sogenannten "Berufsschutz" nicht verliert (SSV-NF 3/29 mwN, 3/119, 5/40 uva).
Ob der überwiegend als angelernter Belagsverleger tätig gewesene und deshalb "Berufsschutz" genießende Kläger auf die von den Vorinstanzen genannten Tätigkeiten eines Verkaufsberaters oder Vertreters (für Beläge aller Art) in Einrichtungshäusern udgl verwiesen werden darf, hängt also zunächst davon ab, ob es sich bei diesen Tätigkeiten um qualifizierte Teiltätigkeiten (auch) seines angelernten Berufes handelt.
Das kann mangels erschöpfender Erörterung und ausreichender Feststellungen noch nicht verläßlich beurteilt werden.
Dafür spräche allerdings, daß der Aufgabenbereich eines Belagsverlegers nach dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen für Berufskunde (ON 11, Seite 2 des GA, AS 49) nicht nur im Verlegen der Beläge sondern auch in der Kundenberatung besteht, welche das - Kontaktfähigkeit erfordernde (S 6 des GA, AS 57) - Beraten hinsichtlich Material, Farbe, Qualität und Zweckmäßigkeit der Beläge und das Informieren über Reinigung und Pflege der Beläge umfaßt, aber auch, daß viele Klein- und Mittelbetriebe, die in erster Linie Verlegearbeiten durchführen, zusätzlich einen Handel mit Beläge, Teppichen, Tapeten und Vorhängen betreiben, daß auch große Einrichtungshäuser bzw Bodenbelagsfirmen Belagsverleger beschäftigen (berufskundliches schriftliches Gutachten aaO) und daß Einrichtungshäuser etc oft einschlägig ausgebildete Fachkräfte (Tapezierer, Belagsverleger etc) auf Grund ihres Fachwissens als Verkaufsberater und Vertreter aufnehmen, wobei bei diesen Arbeitnehmern eine gewisse Bereitschaft vorhanden sein muß, sich einfache kaufmännische Kenntnisse anzueignen (berufskundliches schriftliches Gutachten S 9, AS 63). Bei den letztgenannten Tätigkeiten wäre das auf Grund des Lehrberufes erworbene Fachwissen überwiegend einzusetzen (Ergänzung des berufskundlichen Gutachtens ON 13, AS 72).
Dennoch bedarf es zur Beurteilung, ob ein wegen seines Fachwissens auf dem Gebiet der Belagsverlegung als Verkaufsberater oder Vertreter eingesetzter Belagsverleger noch qualifizierte Teiltätigkeiten seines erlernten oder angelernten Berufes ausübt, genauer Feststellungen über die von einem solchen Verkaufsberater oder Vertreter zu verrichtenden Tätigkeiten, die dafür verwertbaren Teile der Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten des erlernten oder angelernten Berufes sowie über die zusätzlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, hinsichtlich deren auch die Umstände, unter denen sie erworben werden können, geklärt werden müssen. Die diesbezügliche erstgerichtliche Feststellung, der Kläger müßte sich innerbetrieblich einfache kaufmännische Kenntnisse aneignen, und die aus den erstgerichtlichen Feststellungen abgeleitete Annahme des Berufungsgerichtes, daß nur eine kurze Anlernzeit erforderlich wäre, sind zu unbestimmt.
Dies trifft auch auf die eigentlich der rechtlichen Beurteilung zuzurechnende erstgerichtliche "Feststellung" zu, daß es in Einrichtungshäusern udgl eine "entsprechende Zahl" von Arbeitsplätzen für Verkaufsberater und Vertreter gibt. Mangels Offenkundigkeit wird die Zahl der auf dem österreichischen Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsplätze für in Einrichtungshäusern udgl als Verkaufsberater oder Vertreter eingesetzte gelernte oder angelernte Belagsverleger wenigstens näherungsweise festzustellen sein (SSV-NF 2/20; 3/70, 5/38 ua).
Wegen der aufgezeigten Feststellungsmängel waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und war die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).
Sollte der Kläger die in der Revision enthaltenene, aber gegen das im Revisionsverfahren geltende Neuerungsverbot (§ 504 ZPO) verstoßende Behauptung, er könne sich die für die Tätigkeiten eines Verkaufsberaters und Vertreters erforderlichen kaufmännischen Kenntnisse nicht aneignen und diese Tätigkeiten (wegen seines geistigen Zustandes) nicht ausüben, im fortgesetzten Verfahren wiederholen, wäre auch dieses Vorbringen zu erörtern und zu klären.
Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)