OGH 9ObA115/93

OGH9ObA115/938.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Gerald Traxler und Olga Makomaski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Norbert S*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr.Markus Orgler und Dr.Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. Reisebüro S*****GesmbH & Co KG, 2. Reisebüro S*****GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Helmut A.Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 1,047.927,70 brutto sA (im Revisionsverfahren S 565.552,03 brutto sA), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.Februar 1993, GZ 5 Ra 12/93-22, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. Oktober 1992, GZ 44 Cga 226/91-14, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 21.184,02 (darin S 3.530,67 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung können allfällige Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht für nicht gegeben erachtet wurden, nicht neuerlich in der Revision als Mängel des Berufungsverfahrens geltend gemacht werden (SZ 27/4; SZ 60/157; ÖBl 1984, 109; RZ 1989/16; RZ 1992/57; DRdA 1991/10 uva). Dieser Grundsatz gilt auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren, da die im § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG vorgesehene Neudurchführung der Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht in das ASGG übernommen wurde (SZ 62/88 mwH; 9 ObA 67/93). Da die Entscheidung des Gerichtes, ob § 273 ZPO anzuwenden ist, eine verfahrensrechtliche ist, ist eine nochmalige Überprüfung dieser Frage im Revisionsverfahren nicht mehr möglich (vgl SZ 60/157 mwH; 9 ObA 7/91; 9 ObA 200,201/91 ua). Auf die von den Revisionswerbern erhobene Mängelrüge ist daher nicht einzugehen.

Im übrigen hat das Berufungsgericht die Frage, welche Ansprüche dem Kläger auf Grund seines gemäß § 82 a lit d GewO erklärten vorzeitigen Austrittes zustehen, zutreffend gelöst. Es reicht daher insofern aus, auf die Richtigkeit der eingehenden Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerber, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch Entlassung geendet habe, ihm das Entgelt nicht ungebührlich vorenthalten worden sei und ihm Überstundenentgelt für die Zeit nach dem 31.8.1990 zustehe, insbesondere entgegenzuhalten:

Nach dem Wortlaut des "Entlassungsschreibens" vom 30.8.1990 sprach die Erstbeklagte lediglich eine "Suspendierung mit sofortiger Wirkung" aus. Das Schreiben enthält weiters die Ankündigung, daß der Antrag auf "Zustimmung zur Entlassung" beim Arbeits- und Sozialgericht Innsbruck eingebracht werde. Bis zur Klärung des Antrags blieben die Bezüge bis auf weiteres "ausgesetzt". Die Erstbeklagte brachte demgemäß am 3.9.1990 eine Klage gegen den nunmehrigen Kläger auf "Zustimmung zur Entlassung gemäß § 120 Abs 1 ArbVG" ein, wobei die nunmehr behauptete nachträgliche Einholung der Zustimmung zur bereits ausgesprochenen Entlassung im Sinne des § 122 Abs 3 ArbVG nie Gegenstand dieses Verfahrens war.

Da eine Zustimmungserteilung im Sinne des § 120 Abs 1 ArbVG eine Rechtsgestaltungsentscheidung ist, mit der die Entlassung erst erlaubt wird (vgl Floretta-Strasser, MKK, ArbVG2 § 120 Anm 6; Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser, ArbR3 I 317; Cerny, ArbVG8 § 120 Erl 6; Schwarz-Löschnigg, ArbR4, 470 ff ua), und eine solche Zustimmung nicht erteilt wurde, ist davon auszugehen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers erst durch seinen vorzeitigen Austritt endete. Auf das prozessuale Verhalten des nunmehrigen Klägers im Vorprozeß kommt es dabei nicht an. Dem Kläger stehen daher gemäß § 1155 ABGB Entgeltansprüche zu (vgl Arb 9411). Aus dem Umstand, daß der Kläger wegen der Nichtzahlung des Entgelts gezwungen war, anderweitig ein befristetes Arbeitsverhältnis einzugehen, kann, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, weder ein schlüssiger Austritt noch ein Verzicht auf das Betriebsratsmandat abgeleitet werden. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld hätte gemäß § 7 Z 1 AlVG zur Voraussetzung gehabt, daß der Kläger arbeitslos gewesen wäre (§ 12 Abs 1 leg cit), was aber zufolge des aufrechten Beschäftigungsverhältnisses zur Erstbeklagten bei weiter bestehendem Entgeltanspruch nicht der Fall war.

Da der Entgeltanspruch, den die Erstbeklagte trotz wiederholter dringlicher Mahnungen nicht erfüllte, zwingend war, erfolgte der Austritt des Klägers im Sinne des § 82 a lit d GewO zu Recht. Soweit sich die Beklagten auch im Revisionsverfahren wiederum auf eine ihnen zustehende Gegenforderung beziehen und daraus ableiten wollen, daß das Vorenthalten des Entgelts nicht ungebührlich war, ist ihnen im Einklang mit dem Berufungsgericht entgegenzuhalten, daß sie eine diesbezügliche Aufrechnung (Rummel in Rummel, ABGB2 § 1438 Rz 11) erstmals in diesem Verfahren erklärten, so daß ihre Forderung im Sinne des Art XIV Abs 1 des Bundeskollektivvertrags für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben auch verfallen ist (vgl SZ 59/137 mwH), und die Entgeltansprüche - abgesehen von allfälligen Aufrechnungshindernissen - ohnehin wesentlich höher sind als die geltend gemachte Gegenforderung.

Hinsichtlich der Entlohnung für Überstunden nach dem hypothetischen Entgeltverlauf ist festzuhalten, daß die verfahrensrechtliche Frage der Anwendung des § 273 ZPO nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist. Ob es noch parate Beweismittel gegeben hätte, ist demnach unerheblich. In die rechtliche Beurteilung fällt lediglich die Frage, ob das Ergebnis der Anwendung des § 273 ZPO richtig ist. Da die Erstbeklagte die Arbeitsleistung des Klägers nicht mehr annahm, ist das Lohnausfallsprinzip maßgeblich (vgl auch § 115 Abs 3 ArbVG; Krejci in Rummel aaO § 1155 Rz 14). Darauf, ob die Beklagte den Kläger überhaupt nicht mehr hätte beschäftigen und zu Überstunden heranziehen wollen, kommt es nicht an, da ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers den Arbeitgeber allenfalls zur Entlassung, nicht aber zur Entgeltkürzung berechtigt. Dazu hat aber bereits das Berufungsgericht ausführlich Stellung genommen. Jede andere Betrachtungsweise würde den arbeitsverfassungsrechtlichen Schutz der Mitglieder des Betriebsrats vor Benachteiligung unterlaufen. Die Revisionswerberinnen vermögen dazu keine neuen Gesichtspunkte aufzuzeigen.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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