Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei, die mit S 19.582,80 (darin enthalten S 2.263,80 Umsatzsteuer und S 6.000,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 1.6.1989 verschuldete der Beklagte auf der *****Bundesstraße ***** mit dem von ihm gelenkten, bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW einen Verkehrsunfall, bei welchem das Fahrzeug des Otto K***** beschädigt wurde. Die Klägerin hat dem Unfallgegner des Beklagten die Unfallschäden ersetzt. Der Beklagte hatte damals, der in seinem Führerschein vermerkten Auflage, beim Lenken eines Fahrzeuges eine Korrekturbrille oder Kontaktlinsen zu tragen, nicht entsprochen; der Beklagte ist kurzsichtig, die Sehschwäche beträgt auf einem Auge etwa 1,25 Dioptrien, auf dem anderen Auge 1 Dioptrie.
Über das Unfallsgeschehen steht folgendes fest: Beide Fahrzeuge fuhren in Richtung N***** und hielten zunächst eine Geschwindigkeit von ca. 40 - 50 km/h ein, wobei der Tiefenbstand des Beklagten ca. 7 - 8 m betrug. Kurz vor dem Ortsausgang beschleunigte der Beklagte sein Fahrzeug (70 km/h-Beschränkung). Gleichzeitig sah er zu dem rechts neben der Straße befindlichen Baggersee, weil er sehen wollte, wer sich dort aufhält. Dadurch bemerkte er nicht rechtzeitig, daß das vor ihm fahrende Fahrzeug links blinkte, wegen Gegenverkehrs aber auf seiner Fahrspur anhalten mußte. Trotz einer starken Bremsung konnte der Beklagte das Auffahren nicht verhindern.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von S 94.213,- s.A. Sie habe dem Unfallsgegner des Beklagten Entschädigung geleistet, sei dem Beklagten gegenüber jedoch gemäß § 6 Abs 2 VersVG und § 6 Abs 2 Z 1 und AKHB leistungsfrei, weil dieser beim Unfall die vorgeschriebene Korrekturbrille nicht getragen habe. Nur deshalb habe der Beklagte das Fahrzeug des Unfallsgegners übersehen. Dessen Schadenersatzforderung sei auf sie übergegangen.
Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Die Forderung der Klägerin sei gemäß § 12 VersVG verjährt. Abgesehen davon sei das Nichttragen der Korrekturbrille für das Auffahren nicht ursächlich gewesen. Trotz der ihm erteilten Auflage benötige er die Brille nur zum Lesen. Der Unfall sei aber auch nur darauf zurückzuführen, daß er unaufmerksam gewesen und nicht auf die Fahrbahn sondern auf den rechts daneben liegenden Baggersee geblickt habe. Nur dadurch habe er das Anhalten des vor ihm fahrenden Fahrzeuges übersehen.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Dem Beklagten sei der ihm gemäß § 6 Abs 2 VersVG obliegende Gegenbeweis gelungen, daß der Unfall nicht durch das Nichtragen der Brille verursacht worden sei. Zu dem Unfall sei es lediglich wegen der Unachtsamkeit des Beklagten gekommen. Außerdem sei die eingeklagte Forderung verjährt, weil der eingeklagte Anspruch der zweijährigen Verjährungsfrist des § 12 Abs 1 VersVG unterliege.
Das Berufungsgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung des Betrages von S 94.213,- samt 4 % Zinsen seit 28.5.1992 und bestätigte die Abweisung eines darüber hinausgehenden Zinsenmehrbegehrens. Weiters sprach es aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die gemäß § 158 f VersVG auf die Klägerin übergegangene Forderung sei keine Forderung aus dem Versicherungsverhältnis und unterliege daher nicht der Verjährungsbestimmung des § 12 VersVG. Durch den Forderungsübergang änderte sich nichts an der Rechtsnatur der übergegangenen Forderung als Schadenersatzforderung des geschädigten Dritten. Die Regreßforderung unterliege daher der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB. Diese Frist sei zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage noch nicht abgelaufen gewesen. Der Beklagte habe aber - entgegen der Ansicht des Erstgerichtes - den ihm obliegenden Kausalitätsgegenbeweis nicht erbracht. § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 bestimme als Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs 2 VersVG bei sonstiger Leistungsfreiheit die Verpflichtung, daß der Lenker die kraftfahrrechtliche Berechtigung besitzt, das versicherte Fahrzeug zu lenken. Ein Kraftfahrzeuglenker, in dessen Führerschein die Auflage vermerkt ist, beim Lenken des Fahrzeuges eine Korrekturbrille oder Kontaktlinsen zu tragen, sei im Falle des Nichttragens eines derartigen Sehbehelfes so zu behandeln, als ob er keinen Führerschein hätte. Wie bei allen anderen Obliegenheiten gelte auch für den Verstoß gegen die Führerscheinklausel der Grundsatz, daß der Versicherer bei Geltendmachung der Leistungsfreiheit nur den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nachzuweisen habe; dieser Beweis sei der Klägerin im vorliegenden Fall durch den Beweis des Nichttragens der Brille durch den Beklagten gelungen. Für die Leistungsfreiheit nach § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 genüge gemäß § 6 Abs 2 VersVG jedes Verschulden, also auch leichte Fahrlässigkeit. Den Beweis seiner Schuldlosigkeit habe der Beklagte nicht angetreten. Auf die vereinbarte Leistungsfreiheit wegen Verletzung einer Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs 2 VersVG könne sich der Versicherer aber auch dann nicht berufen, wenn die Verletzung keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der ihm obliegenden Leistung gehabt hat. Die Erbringung dieses sogenannten Kausalitätsgegenbeweises sei Aufgabe des Versicherungsnehmers. Dieser habe strikt zu beweisen, daß die Verletzung der Obliegenheit nicht nur auf den Eintritt des Versicherungsfalles, sondern auch auf den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung keinen Einfluß gehabt hat. Schon eine teilweise Beeinflussung des Versicherungsfalles oder des Leistungsumfanges durch die Obliegenheitsverletzung mache den Versicherer nach dem hier geltenden Alles-oder-nichts-Prinzip leistungsfrei, wobei die Leistungsfreiheit nach § 6 Abs 1 und 2 AKHB 1988 nunmehr gemäß § 6 Abs 3 AKHB 1988 mit einem Betrag von S 100.000,- beschränkt sei. Die Rechtsprechung stelle an den Kausalitätsgegenbeweis hohe Anforderungen. Es genüge nicht, wenn der Versicherungsnehmer nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges dartue. Beim Mangel der kraftfahrrechtlichen Lenkerberechtigung, welcher auch beim Nichttragen der vorgeschriebenen Korrekturbrille vorliege, stehe der Mangel der erforderlichen Befähigung des Fahrers unwiderleglich fest; ein Nachweis, daß dem Fahrer im Einzelfall gleichwohl die erforderliche Befähigung zu eigen gewesen sei, komme daher nicht in Betracht. Es verbleibe nur der eingeschränkte Kausalitätsgegenbeweis in der Richtung, daß der Unfall durch keinerlei Fahrfehler, sondern etwa durch ein technisches Gebrechen oder das ausschließliche Verschulden einer Dritten verursacht wurde. Der Beklagte könne daher nicht beweisen, daß er trotz der Führerscheineintragung über ausreichendes Sehvermögen verfüge. Der Zweck der Führerscheinklausel könne auch in diesen Fällen nur dadurch erreicht werden, daß der nachträgliche Beweis auf andere Unfallursachen als einen Fahrfehler eingeschränkt werde. Der Schutz des Versicherers und der Risikogemeinschaft aller Versicherten vor dem grundsätzlich erhöhten Risiko des Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Tragen der vorgeschriebenen Korrekturbrille sei nur dadurch zu bewerkstelligen, daß dem Lenker jeder Fahrfehler, der mit dem unterlassenen Tragen der vorgeschriebenen Brille im Zusammenhang stehen kann, zugerechnet werde. Abgesehen von dem hier gar nicht erbrachten Beweis, daß der Unfall durch ein technisches Gebrechen oder das ausschließliche Verschulden eines Dritten verursacht wurde, könnte daher höchstens der Nachweis eines solchen Fahrfehlers hinreichen, der schon seiner Art nach außer jedem Zusammenhang mit jenem erhöhten Risiko steht. Unter Anwendung dieser Grundsätze sei dem Beklagten der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen; daher sei die Klägerin leistungsfrei. Der Beklagte habe das verkehrsbedingte Anhalten des vor ihm fahrenden Fahrzeuges verspätet bemerkt. Daraus ergebe sich schon, daß er das Verkehrsgeschehen nicht voll erfaßt und deshalb zu spät darauf reagiert habe. Dieser Fahrfehler finde notwendig seine ausschließliche Erklärung in dem Aufmerksamkeitsfehler, daß der Beklagte von der Fahrbahn weg zu einem Baggersee geblickt hat. Nach der Lebenserfahrung könne die verspätete Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens durchaus auch auf das Nichttragen der Brille zurückzuführen sein. Diese verspätete Wahrnehmung sei ein Fehler, der nach seiner Art durchaus auch damit zusammenhängen könne, daß der Beklagte die vorgeschriebene Korrekturbrille nicht getragen hat. Unter diesen Umständen sei daher der Kausalitätsgegenbeweis nicht erbracht worden.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Beklagten erhobene außerordentliche Revision ist zulässig, weil eine Rechtsprechung zu der Frage fehlt, ob ein im Wegsehen von der Fahrbahn bestehender Aufmerksamkeitsfehler im Falle der durch das Nichttragen der vorgeschriebenen Korrekturbrille bewirkten Obliegenheitsverletzung gemäß § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 den Kausalitätsgegenbeweis im Sinne des § 6 Abs 2 VersVG ausschließt; sie ist auch berechtigt.
Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988, wonach als Obliegenheit, deren Verletzung im Zeitpunkt des Schadenereignisses die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt, bestimmt ist, daß der Lenker die kraftfahrrechtliche Berechtigung besitzt, das versicherte Fahrzeug zu lenken, auch die Verletzung der Auflage in der Lenkerberechtigung umfaßt, eine Korrekturbrille zu tragen (EvBl 1976/155 ua; Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in den Kfz-Versicherungen, ZVR 1985, 65 ff [72]). Es trifft auch zu, daß der Versicherer bei der Geltendmachung der Leistungsfreiheit wegen eines Verstoßes gegen die "Führerscheinklausel" nur den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nachweisen muß (Petrasch aaO 68; ZVR 1991/27; ZVR 1984/329; VR 1987, 98). Die Versicherungsbedingungen unterstellen diese Obliegenheit ausdrücklich den § 6 Abs 2 VersVG; danach kann sich der Versicherer auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen, wenn die Verletzung der Obliegenheit keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der ihm obliegenden Leistung gehabt hat. Dieser dem Beklagten obliegende Kausalitätsgegenbeweis ist nach ständiger Rechtsprechung strikt zu führen; der Beweis der Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges reicht nicht aus (vgl Petrasch aaO 69). Nach herrschender Rechtsprechung (ZVR 1983/40 mwN) kann er beim Fehlen der allgemeinen Lenkerberechtigung nicht durch einen Nachweis entsprechender Fahrkenntnisse erbracht werden. Im Falle der Mißachtung der Auflage, beim Lenken eines Kraftfahrzeuges eine Korrekturbrille zu tragen, ist der Beweis ausgeschlossen, daß der Lenker ohnedies über ausreichendes Sehvermögen verfügt; der Nachweis, daß sich der Unfall unabhängig von diesem Mangel aber etwa infolge eines technischen Gebrechens oder aus dem Alleinverschulden eines Dritten ereignet hat, ist nicht ausgeschlossen (EvBl 1976/155 ua). Der Kausalitätsgegenbeweis ist in solchen Fällen auf den Nachweis beschränkt, daß für den Unfall gar kein Fahrfehler oder nur ein solcher Fehler kausal war, der schon seiner Art nach außerhalb jedes denkbaren Zusammenhanges mit dem erhöhten Risiko stand (Petrasch aaO 73; SZ 50/114 im Falle des Lenkens eines Fahrzeuges durch einen Behinderten ohne die erforderliche Ausgleichseinrichtung).
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte die Geschwindigkeitsverminderung des vor ihm fahrenden Fahrzeuges, das Blinkzeichen und des verkehrsbedingte Anhalten vor dem Linksabbiegen nicht etwa trotz Beobachtung des Verkehrsgeschehens vor ihm nicht ausreichend wahrgenommen, was zweifellos auch einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Mangel der Wahrnehmung und dem Nichttragen der Korrekturbrille bewirkt hätte. Es steht vielmehr fest, daß er seinen Blick von der Fahrbahn weg, in Richtung eines rechts daneben befindlichen Baggersees gerichtet hat; nur deshalb hat er nach der erstgerichtlichen Feststellung die Geschwindigkeitsverringerung, das Blinkzeichen und das verkehrsbedingte Anhalten des vor ihm fahrenden Fahrzeuges nicht rechtzeitig wahrgenommen. Damit basiert der Unfall aber auf einem Fahrfehler, der mit der durch das Nichttragen der Brille bewirkten Risikoerhöhung in keinem Zusammenhang mehr steht. In einem solchen Fall ist daher der Kausalitätsgegenbeweis gelungen; der Einfluß der Obliegenheitsverletzung auf den Eintritt des Versicherungsfalles ist hier einer objektiven Nachprüfung nicht unzugänglich geblieben.
Daher war die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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