OGH 11Os96/93

OGH11Os96/9329.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 1993 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager und Dr. Schindler als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hautz als Schriftführer, in der bei dem Landesgericht Feldkirch zum AZ 29 Vr 722/93 anhängigen Strafsache gegen Bülent Ö***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142, 143 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Bülent Ö***** gegen die Enthaftungsverfügung des Untersuchungsrichters vom 16. Juni 1993 nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Gegen Bülent Ö***** ist beim Landesgericht Feldkirch eine Voruntersuchung wegen des Verdachtes des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142, 143 StGB und anderer strafbarer Handlungen anhängig, in deren Verlauf über Bülent Ö***** mit Beschluß vom 19. Mai 1993 die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr gemäß dem § 180 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 2, 3 lit a bis c StPO verhängt wurde.

Auf Grund einer dagegen gerichteten Haftbeschwerde des Beschuldigten wurde nach durchgeführter Haftprüfungsverhandlung am 2. Juni 1993 die Aufhebung der Untersuchungshaft unter Anwendung von gelinderen Mitteln gemäß dem § 180 Abs 5 Z 1 bis 4 StPO beschlossen. Dies mit der Begründung, daß hinsichtlich eines Teiles des Vorwurfs, nämlich jenes des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142, 143 StGB, nach den bis dahin vorliegenden Verfahrensergebnissen kein dringender Tatverdacht bestehe. Zudem wurde das Vorliegen von Haftgründen verneint, ungeachtet dessen allerdings die Aufhebung der Untersuchungshaft von der Anwendung der gelinderen Mittel des § 180 Abs 5 Z 1 bis 4 StPO abhängig gemacht. Die Haftprüfungsverhandlung war nach dem Inhalt des Amtsvermerks des Untersuchungsrichters vom 16. 6. 1993 gegen 9.45 Uhr beendet, die Enthaftung wurde vom Untersuchungsrichter nach Vernehmung des Beschuldigten in der Zeit von 12.30 Uhr bis 12.40 Uhr verfügt.

Rechtliche Beurteilung

In seiner am 14. Juni 1993 beim Landesgericht Feldkirch eingebrachten Grundrechtsbeschwerde erachtet sich Bülent Ö***** dadurch beschwert, daß der Untersuchungsrichter ungeachtet der Beschlußfassung der Ratskammer um (so die Beschwerde) 9.30 Uhr die Enthaftung erst nach Vernehmung des Beschuldigten zwischen 12.30 Uhr und 12.40 Uhr verfügt habe. In der solcherart verspäteten Verfügung des Untersuchungsrichters erblickt Bülent Ö***** eine Verletzung im Grundrecht auf persönliche Freiheit und vermeint in Vernachlässigung des § 113 StPO, dem Beschuldigten sei eine Anfechtung der verspäteten untersuchungsrichterlichen Verfügung nicht eingeräumt, weswegen nach Erschöpfung des Instanzenzuges (§ 1 Abs 1 GRBG) die Grundrechtsbeschwerde offenstehe.

Diese Rechtsauffassung der Beschwerde ist verfehlt.

Wie in der Beschwerdeschrift zutreffend ausgeführt, steht dem Betroffenen gemäß § 1 Abs 1 GRBG die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof wegen Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges zu.

Zwar wurde in den Erläuterungen zum Initiativantrag vom 22. Oktober 1992 betreffend ein Bundesgesetz über die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zu § 1 GRBG die Auffassung vertreten, daß nicht nur die Aufsichtsbeschwerde gemäß dem § 15 StPO oder der Fristsetzungsantrag gemäß dem § 91 GOG keine Rechtsmittel iS des § 1 GRBG seien, sondern auch die Beschwerde an die Ratskammer gemäß § 113 StPO gegen Verfügungen oder Verzögerungen des Untersuchungsrichters. Diese Rechtsbehelfe könnten, müßten aber nicht vom Betroffenen ergriffen werden; ergreife er sie nicht, so stehe das der Grundrechtsbeschwerdeberechtigung nicht im Wege. Der Justizausschuß hat sich jedoch, soweit es die Beschwerde gemäß § 113 StPO betrifft, dieser Auffassung nicht angeschlossen. Im JAB 852 BlgNR XVIII. GP heißt es hiezu:

"Abweichend von der Antragsbegründung vertritt der Justizausschuß die Auffassung, daß zur Erschöpfung des Instanzenzuges auch die gegen Verfügungen oder Verzögerungen des Untersuchungsrichters durch § 113 StPO eingeräumte Beschwerde an die Ratskammer erforderlich ist, die, obwohl unbefristet, im Gesetz (Überschrift zu § 113 StPO) und in der Lehre (Lohsing-Serini, Österreichisches Strafprozeßrecht4 526) als Rechtsmittel bezeichnet wird. Die Alternative zu dieser Rechtsauffassung, die auf ein Wahlrecht des Betroffenen zwischen der Beschwerde an die Ratskammer und der Anrufung des Obersten Gerichtshofes hinausliefe, erscheint nicht akzeptabel. Gegen eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters muß also (als Prozeßvoraussetzung für die Grundrechtsbeschwerde) die Beschwerde an die Ratskammer nach § 113 StPO und in den in § 114 StPO vorgesehenen Fällen auch die weitere Beschwerde an das Oberlandesgericht ergriffen werden."

Übereinstimmend mit dieser Interpretation des Begriffes "Erschöpfung des Instanzenzuges" gemäß § 1 Abs 1 GRBG durch den Justizausschuß vertritt auch der Oberste Gerichtshof - der schon zu 13 Os 26/93, 13 Os 47/93, 15 Os 74/93 ua ausgesprochen hat, daß gegen Verfahrensverzögerungen im Stadium der Voruntersuchung ausschließlich die Beschwerde an die Ratskammer (§ 113 StPO) vorgesehen ist, und daß von der Erschöpfung des Instanzenzuges erst gesprochen werden kann, wenn dieses Rechtsmittel genützt wurde - die Auffassung, daß eine verspätete (verzögerte) Verfügung des Untersuchungsrichters betreffend die Haft (also auch die Verfügung der Enthaftung) erst dann zum Gegenstand einer Grundrechtsbeschwerde gemacht werden kann, wenn zuvor Beschwerde gemäß dem § 113 StPO ergriffen wurde. Der Oberste Gerichtshof hält an dieser Rechtsprechung auch aus der Sicht dieser Beschwerdesache fest:

Der Beschuldigte hat, wie sich aus dem Akteninhalt und seinem eigenen Vorbringen in der Grundrechtsbeschwerde ergibt, gegen die - seiner Meinung nach verzögerte - Verfügung der Enthaftung keine Beschwerde an die Ratskammer ergriffen, so daß es an der gemäß § 1 Abs 1 GRB erforderlichen Erschöpfung des Instanzenzuges fehlt.

Die Grundrechtsbeschwerde war daher als unzulässig zurückzuweisen, weswegen im Hinblick auf § 8 GRBG auch eine Entscheidung über das Begehren auf Zuerkennung der Beschwerdekosten zu unterbleiben hatte.

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