OGH 13Os89/93(13Os90/93, 13Os91/93, 13Os92/93)

OGH13Os89/93(13Os90/93, 13Os91/93, 13Os92/93)2.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 2.Juni 1993 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hörburger, Dr.Markel, Dr.Mayrhofer und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hautz als Schriftführer in den Strafsachen gegen Richard S*****

1. wegen des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB, AZ 10 U 35/91 des Bezirksgerichtes Villach;

2. wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach dem § 107 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 11 E Vr 281/92 des Landesgerichtes Klagenfurt,

über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die aus dem Spruch ersichtlichen Entscheidungen und Vorgänge nach Anhörung des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, in öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Es wurde das Gesetz verletzt:

1./ in der Strafsache gegen Richard S***** wegen des Vergehens nach dem § 83 Abs 1 StGB, AZ 10 U 35/91 des Bezirksgerichtes Villach,

a) durch die Unterlassung des nach dem zweiten Halbsatz des § 494 a Abs 1 Z 3 StPO gebotenen Ausspruches im Urteil vom 6. Feber 1992 (ON 8) in dieser Gesetzesstelle;

b) durch die Unterlassung einer Verständigungsanordnung, aufgrund welcher der im Urteil vom 6.Feber 1992 ergangene nachträgliche Strafausspruch unverzüglich im Verfahren AZ 10 U 3/91 dieses Gerichtes aktenkundig zu machen gewesen wäre, in der Bestimmung des § 494 a Abs 8 StPO;

2./ in der Strafsache gegen Richard S***** wegen der Vergehen nach den §§ 107 Abs 1, 83 Abs 1 und 125 StGB, AZ 11 E Vr 281/92 des Landesgerichtes Klagenfurt,

a) durch das Urteil des Einzelrichters dieses Gerichtshofes vom 1. Juni 1992 (ON 11) insoweit, als ungeachtet des bereits unter 1./a) erwähnten nachträglichen Strafausspruches erneut nach dem § 494 a Abs 1 Z 3, erster Halbsatz, StPO in Ansehung des zu AZ 10 U 3/91 des Bezirksgerichtes Villach unter Vorbehalt der Strafe ergangenen Schuldspruches vorgegangen wurde, in dem im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft, ferner infolge Unterlassung des nach dem zweiten Halbsatz des § 494 a Abs 1 Z 3 StPO vorgesehenen Ausspruches in der letzterwähnten Gesetzesstelle;

b) durch den Vorgang, daß das Bezirksgericht Villach zu AZ 10 U 3/91 von der unter 2./a) erwähnten Entscheidung nach dem § 494 a Abs 1 Z 3

StPO nicht unverzüglich, sondern erst aufgrund einer Anordnung in der Endverfügung vom 30.Juni 1992 verständigt wurde, in der Bestimmung des § 494 a Abs 8 StPO.

Gemäß dem § 292, letzter Satz, StPO wird

das oben unter 1./a) bezeichnete Urteil durch den Ausspruch ergänzt, daß im Verfahren AZ 10 U 3/91 des Bezirksgerichtes Villach ein nachträglicher Strafausspruch in Ansehung des Richard S***** nicht mehr in Betracht kommt, und

das unter 2./a) bezeichnete Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt, welches im übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und

a) der Antrag des öffentlichen Anklägers auf nachträglichen Strafausspruch zum Verfahren AZ 10 U 3/91 des Bezirksgerichtes Villach zurückgewiesen, sowie

b) die Strafsache im übrigen Umfang der Aufhebung an das Landesgericht Klagenfurt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung über die nach dessen aufrechtgebliebenem Schuldspruch vom 1.Juni 1992 wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach dem § 107 Abs 1 StGB, der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB und der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB zu verhängende Strafe zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Villach vom 8.August 1991, GZ 10 U 3/91-10, wurde der am 7.November 1974 geborene (sohin jugendliche) Richard S***** der Vergehen der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB und der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftaten zu verhängenden Strafe wurde gemäß dem § 13 Abs 1 JGG 1988 für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten.

In der Hauptverhandlung vom 6.Feber 1992 zu AZ 10 U 35/91 des Bezirksgerichtes Villach (deren Protokoll ON 7 übrigens nicht die nach dem § 271 Abs 1 StPO bei sonstiger Nichtigkeit gebotene Unterschrift des Richters aufweist) wurde über Richard S***** wegen einer neuen Jugendstraftat, nämlich des am 19.Oktober 1991 begangenen Vergehens nach dem § 83 Abs 1 StGB, "unter gleichzeitiger Straffestsetzung zu 10 U 3/91 des Bezirksgerichtes Villach" eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen je S 70,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 20 Tage) verhängt. Ein Strafteil von 20 Tagessätzen wurde gemäß dem § 43 a Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen. In diesem Urteil unterblieb der nach dem zweiten Halbsatz des § 494 a Abs 1 Z 3 StPO gebotene Ausspruch, daß im Verfahren, in dem der Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe ergangen war, ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht komme. Von einer Verbindung der Akten AZ 10 U 35/91 und AZ 10 U 3/91 gemäß dem § 56 StPO nahm das Bezirksgericht Villach Abstand, ohne hierüber einen förmlichen Beschluß zu fassen. Eine gerade im Hinblick auf diese Unterlassung unverzüglich im Sinne des § 494 a Abs 8 StPO gebotene Anordnung, im Vorakt AZ 10 U 3/91 den nachtäglichen Strafausspruch aktenkundig zu machen, wurde nach Inhalt des Aktes AZ 10 U 35/91 vom erkennenden - mit dem Verhandlungsrichter zu AZ 10 U 3/91 identischen - Richter nicht getroffen. Die dennoch (unter ON 14 a) im Akt AZ 10 U 3/91 erliegende Ausfertigung des Urteils vom 6.Feber 1992 war jedenfalls noch nicht Bestandteil dieses Aktes, als er am 26.Feber 1992 beim Landesgericht Klagenfurt als Beiakt zum dortigen Verfahren AZ 11 E Vr 281/92 einlangte, und kann demnach erst nach dem Rücklangen von diesem Gerichtshof am 10.Juli 1992 zum Akt genommen worden sein (vgl. GZ 11 E Vr 281/92-20 des Landesgerichtes Klagenfurt und 10 U 3/91-14a, 15 des Bezirksgerichtes Villach). In Unkenntnis des bereits am 6.Feber 1992 erfolgten nachträglichen Stafausspruches verhängte daher der Einzelrichter des Landesgerichtes Klagenfurt mit Urteil vom 1.Juni 1992, GZ 11 E Vr 281/92-11 (Protokollsvermerk und gekürzte Urteilsausfertigung), über Richard S***** wegen der am 1.Jänner 1992 begangenen Vergehen der gefährlichen Drohung nach dem § 107 Abs 1 StGB und der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB sowie des am 10.Feber 1992 verübten Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB "unter Einbeziehung der nachträglichen Straffestsetzung gemäß § 494 a Abs 1 Z 3 StPO zu 10 U 3/91 des Bezirksgerichtes Villach" über Richard S***** eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen je S 50,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 90 Tage), von welcher gemäß dem § 43 a Abs 1 StPO ein Teil von 140 Tagessätzen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Hiebei sah auch der Einzelrichter von einer Aktenverbindung gemäß dem § 56 StPO ohne ersichtlichen Grund ab und unterließ den Ausspruch nach dem zweiten Halbsatz des § 494 a Abs 1 Z 3 StPO. Eine Verständigung des Bezirksgerichtes Villach zu AZ 10 U 3/91 vom nachträglichen Strafausspruch wurde vom Einzelrichter des Landesgerichtes erst in der Endverfügung vom 30.Juni 1992, ON 12 (abgefertigt am 8.Juli 1992), angeordnet.

Mit Urteil vom 23.Juli 1992, GZ 10 U 14/92-6, verhängte das Bezirksgericht Villach über Richard S***** wegen des am 21.März 1992 begangenen Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB eine - zur Hälfte gemäß dem § 43 a Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehene - Geldstrafe von 80 Tagessätzen je S 40,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 40 Tage) und faßte gemäß dem § 494 a Abs 1 Z 4 StPO den Beschluß auf Widerruf der zu AZ 10 U 35/91 gewährten bedingten Straf(rest)nachsicht. Erst nach Urteilsrechtskraft ordnete der Richter des Bezirksgerichtes Villach (der bereits in den dortigen Verfahren AZ 10 U 3/91 und AZ 10 U 35/91 erkannt hatte) in der Endverfügung ON 9 vom 28.Juli 1992 (abgefertigt am 19.August 1992) die Übermittlung einer Kopie des Widerrufsbeschlusses zum Akt AZ 10 U 35/91 an.

Unter den - vom Generalprokurator in seiner Beschwerde zu Recht aufgezeigten - Gesetzesverletzungen hat sich der Verstoß gegen den aus dem XX. Hauptstück der StPO hervorgehenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft infolge der durch den nachträglichen Strafausspruch im Verfahren AZ 11 E Vr 281/92 des Landesgerichtes Klagenfurt bewirkten Doppelbestrafung wegen der schon mit dem Strafausspruch zu AZ 10 U 35/91 des Bezirksgerichtes Villach geahndeten Straftaten, die Gegenstand des Schuldspruches zu AZ 10 U 3/91 dieses Bezirksgerichtes waren, zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt. Insoweit war Anlaß für eine konkrete Maßnahme nach dem § 292, letzter Satz, StPO die in der Aufhebung des Strafausspruches des Einzelrichters des Landesgerichtes, der Zurückweisung des Antrages auf nachträglichen Strafausspruch und der Zurückverweisung der Strafsache an das Landesgericht zur Strafneubemessung für die von dessen eigenem Schuldspruch erfaßten Delikte, nunmehr unter Beachtnahme gemäß den §§ 31, 40 StGB auf die zu AZ 10 U 14/92 des Bezirksgerichtes Villach verhängte Strafe, zu bestehen hatte. Überdies war angesichts der sowohl dem Gerichtshof als auch dem Bezirksgericht unterlaufenen Unterlassung des in § 494 a Abs 1 Z 3, zweiter Halbsatz, StPO vorgesehenen Ausspruches - der gerade der Vermeidung der Doppelbestrafung dienen soll - über die Feststellung der insoweit unterlaufenen Gesetzesverletzung hinaus auch Anlaß für eine konkrete Maßnahme im Sinne einer entsprechenden Ergänzung des ansonsten unberührt bleibenden Urteiles vom 6.Feber 1992. Schließlich war es wegen der immer wieder zu beobachtenden Verletzung der durch den § 494 a Abs 8 StPO auferlegten Verpflichtung, im Fall einer Entscheidung im Sinne des § 494 a Abs 1 oder Abs 7 StPO unverzüglich - nicht erst nach Eintritt der Rechtskraft - alle Gerichte zu verständigen, deren Vorentscheidungen betroffen sind (vgl. insbesondere Mayerhofer-Rieder3 § 494 a StPO E 36) angebracht, die Gesetzwidrigkeit jener Verstöße gegen diese Verständigungspflicht (in den Verfahren AZ 11 E Vr 281/92 des Landesgerichtes Klagenfurt und AZ 10 U 35/91 des Bezirksgerichtes Villach) festzustellen, die hinsichtlich der Dauer (zum Teil auch der Folgen) der Verzögerung am schwersten wiegen.

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