OGH 2Ob529/93

OGH2Ob529/9327.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gunda K*****, vertreten durch Dr.Manfred Melzer ua Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Gabriele W*****, und 2. Johannes W*****, beide *****, wegen Bekanntgabe eines Losungswortes (Streitwert 100.000,-- S), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 5.März 1993, GZ 15 R 11/93-5, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 17. Dezember 1992, GZ 30 Cg 300/92-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Mit der am 10.Dezember 1992 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin von den beiden Beklagten die Bekanntgabe des Losungswortes für ein bestimmt bezeichnetes Sparbuch. Sie sei Mieterin einer Wohnung im *****Wiener Gemeindebezirk gewesen und habe von dem ihr vertraglich eingeräumten Weitergaberecht Gebrauch gemacht und der Beklagten in Ausübung dieses Rechtes ihre Mietrechte an dieser Wohnung abgetreten. Als Kaufpreis für die in der Wohnung verbleibenden Fahrnisse und als Investitionskostenersatz sei ein Gesamtbetrag von 400.000,-- S vereinbart worden. Über einen Betrag von 380.000,-- S sei der Klägerin von den Beklagten ein Sparbuch mit Losungswort übergeben worden, wobei vereinbart worden sei, daß bei Erhalt des Mietvertrages die Beklagten das Losungswort bekanntgeben würden. Die Beklagten hätten in der Folge jedoch vertragswidrig die Wohnung nicht bezogen und sich auf den Standpunkt gestellt, nicht Mieter dieser Wohnung geworden zu sein. Da die Beklagten jedoch Mieter des Bestandobjektes geworden seien bzw. von ihnen dies wider Treu und Glauben vereitelt worden sei und auch kein wirksamer Rücktritt erfolgt sei, habe die Klägerin ein Recht auf Bekanntgabe des Losungswortes für das ihr übergebene Sparbuch.

Das Erstgericht wies diese Klage a limine wegen Unzuständigkeit zurück. Seit der Zivilprozeßnovelle 1983 sei das Bezirksgericht gemäß § 49 Abs 2 Z 5 JN für alle Streitigkeiten aus Bestandverträgen ausschließlich zuständig. Da es sich im vorliegenden Fall um die Nachwirkungen des Eingehens oder Bestehens eines solchen Bestandvertrages handle, sei die Klage wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen gewesen (§ 43 Abs 1 JN).

Das Gericht zweiter Instanz gab dem von der Klägerin gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000,-- S übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Zu den in die Eigenzuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden Streitigkeiten aus Bestandverträgen über die im § 560 ZPO bezeichneten Sachen gehörten auch Streitigkeiten über die Eingehung, das Bestehen oder Nichtbesthen und die Auflösung solcher Verträge, auf Zahlung des Mietzinses oder Nutzungsentgelts, über die Nachwirkungen aus solchen Bestandverträgen und wegen der Zurückhaltung der vom Mieter oder Pächter eingebrachten oder sonstigen dem Verpächter zur Sicherstellung des Bestandzinses haftenden Fahrnisse (Fasching, Lehrbuch2 Rz 249). Die ausschließliche Zuständigkeit des Bezirksgerichtes habe allerdings nach der bisherigen Auffassung vorausgesetzt, daß es sich um eine Streitigkeit zwischen den Parteien des Bestand- oder Nutzungsvertrages handelt, mit Ausnahme der durch die Wertgrenzennovelle 1989 vorgenommenen Erweiterung, daß nunmehr alle Streitigkeiten über nach § 27 MRG verbotene Ablösen in die Eigenzuständigkeit der Bezirksgerichte fallen, gleichgültig zwischen welchen Personen sie stattfänden (Fasching, aaO). Im Vordergrund stehe die Auslegung des § 49 Abs 2 Z 5 JN. Daraus ergäbe sich, daß der Gesetzgeber bestandrechtliche Streitigkeiten bei den Bezirksgerichten konzentrieren wollte. Dadurch habe offensichtlich eine Spezialsierung ermöglicht werden sollen, anderseits habe sich auch die im Verhältnis zu den Gerichtshöfen grundsätzlich größere Ortsnähe bei Lokalaugenscheinen günstig auswirken sollen. Die in § 49 Abs 2 Z 5 JN angeführten Streitigkeiten, die grundsätzlich zwischen den Parteien des Bestand- oder Nutzungsvertrages ausgetragen werden, seien durch die Wertgrenzennovelle 1989 um die Streitigkeiten zwischen wem immer über verbotene Ablösen (§ 27 MRG) erweitert worden. In den erläuternden Bemerkungen werde dazu ausgeführt, daß damit alle im Zusammenhang mit dem § 83 JN - zwecks Vermeidung von Kompetenzzersplitterungen - anfallenden Streitigkeiten, unter nunmehriger Einbeziehung der Streitigkeiten zwischen wem immer über verbotene Ablösen beim Bezirksgericht der gelegenen Sache konzentriert werden sollten. Im gegenständlichen Fall liege ein Streit zwischen der Vormieterin und den (angeblichen) Nachmietern, sohin nicht zwischen den Parteien des Bestandverhältnisses, über ein zur Besicherung der Investitionsablöse begebenes klausuliertes Sparbuch vor. Es werde auch nicht die Rückforderung einer verbotenen Ablöse behauptet, sondern ausdrücklich, wobei das Gericht sich an den Klagsangaben zu orientieren habe, davon ausgegangen, daß ein Investitionskostenersatz für in der Wohnung verbleibenden Fahrnisse sowie wirtschaftliche Investitionen vereinbart worden sei. Grundsätzlich von Bedeutung sei bei Beurteilung des Sachverhaltes naturgemäß die Frage, ob ein Mietvertrag mit den Nachmietern zustande gekommen ist, sohin eine bestandrechtliche Frage. Der Umstand der offensichtlich erschöpfenden Zuständigkeitsregelung im § 49 Abs 2 Z 5 JN schließe für sich allein die analoge Anwendung nicht aus (vgl. MietSlg. 37.818; RZ 1990/59, JUS 1992/969 ua). Voraussetzung sei aber, daß eine planwidrige Unvollständigkeit, also eine nicht gewollte Gesetzeslücke, vorliegt (SZ 57/194; SSV-NF 2/82, 6/60). Hiefür böten sich allerdings die auf die Vermeidung der Kompetenzzersplitterung gerichteten Argumente als ausreichende Anhaltspunkte. Solche zweifelhaften Rechtsfragen seien in erster Linie durch Ausfüllung der festgestellten Gesetzeslücke nach § 7 ABGB durch Analogieschluß zu lösen. Im vorliegenden Fall sei im Wege der Gesetzesanalogie (Einzelanalogie) eine bestimmte gesetzliche Regelung im Einklang mit ihrer ratio, aber über ihren Wortlaut hinaus, auf einen ähnlichen Fall "erstreckt". Die Ähnlichkeit bestehe gerade in der Gleichheit des Rechtsgrundes und des Schutzbedürfnisses, wobei der Zweck der Konzentration der Zuständigkeit gemäß § 49 Abs 2 Z 5 JN beim Bezirksgericht bei der bereits genannten Spezialisierung und grundsätzlichen größeren Ortsnähe liege. Dies ergäbe sich aus den erläuternden Bemerkungen zur WGN 1989, nämlich aus dem Hinweis auf die Vermeidung von "Kompetenzversplitterungen". Im vorliegenden Fall sei aus der Zweckbestimmung der Zuständigkeitsregelung des § 49 Abs 2 Z 5 JN auch für den gegenständlichen Rechtsstreit - im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Beschluß - ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die sachliche Zuständigkeit der Bezirksgerichte gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen rekursgerichtlichen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin, der zulässig (§ 528 Abs 2 Z 2 und Abs 1 ZPO), und auch berechtigt ist.

Mit Recht wendet sich die Revisionsrekurswerberin gegen die Bejahung der Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites kraft Analogie durch das Rekursgericht.

Das Rekursgericht hat vorerst den Zuständigkeitstatbestand des § 49 Abs 2 Z 5 ZPO unter Hinweis auf Fasching zutreffend dargestellt und - von den für die Beurteilung der Zuständigkeit maßgeblichen Ausführungen in der Klage ausgehend - auch richtig erkannt, daß der vorliegende Rechtsstreit nicht zwischen den Parteien eines Bestand- oder sonstigen Nutzungsvertrages geführt wird (vgl. MGA JN-ZPO14 § 49 JN/E 69; Fasching, Kommentar I 303, 419; Palten, Bestandverfahren Rz

10) und auch nicht die Rückforderung einer verbotenen Ablöse betrifft, der vorliegende Rechtsstreit somit vom Wortlaut der genannten Zuständigkeitsbestimmung nicht erfaßt wird. Dem Rekursgericht kann aber insoweit nicht gefolgt werden, als es die Ansicht vertritt, die Entscheidung über die vorliegende Rechtssache hinge von der Beurteilung der Frage ab, ob ein Mietvertrag mit den Beklagten als Nachmieter der Klägerin zustandegekommen sei, hier also eine "bestandrechtliche Frage" zu beantworten sei. Die Klägerin hat ihr Begehren nämlich gar nicht allein aus dem Zustandekommen eines Mietvertrages mit den Beklagten abgeleitet, sondern vielmehr auch behauptet, die Beklagten hätten vertragswidrig die Wohnung nicht bezogen, sich vielmehr auf den Standpunkt gestellt, nicht Mieter geworden zu sein. Wird das Klagebegehren aber auf einen solchen Vertragsbruch gestützt, so hängt die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites vom Inhalt des zwischen den Streitteilen geschlossenen Abtretungsvertrages und nicht von Ansprüchen der Klägerin aus einem Bestand- oder Nutzungsvertrag im Sinne des § 49 Abs 2 Z 5 1.Fall JN ab. Da - abgesehen von den Streitigkeiten über verbotene Ablösen - weder die ZVN 1983 noch die WGN 1989 eine Änderung der Zuständigkeit für "alle Streitigkeiten aus Bestandverträgen" herbeigeführt hat, hat die Lehre mit Recht den Standpunkt vertreten, daß auch die vor diesen Gesetzesänderungen in Lehre und Rechtsprechung vertretene Auffassung ihre Gültigkeit beibehalten hat, wonach die Begründung der Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Bestandverträgen nach § 49 Abs 2 Z 5 und § 83 JN grundsätzlich zur Voraussetzung hat, daß der Streit unmittelbar zwischen den Parteien des Bestand- oder Nutzungsvertrages geführt wird (Palten, aaO Rz 14 Punkt 10. samt Rechtsprechungshinweis). Wird ein Rechtsschutzbegehren aber - so wie im vorliegenden Fall - nicht aus einem Bestand- oder Nutzungsvertrag abgeleitet und auch nicht zwischen den Parteien eines solchen Vertrages bzw. deren Rechtsnachfolgern geltend gemacht, sondern ist vielmehr Gegenstand des Rechtsstreites ein aus einem Vertrag über die Abtretung von Mietrechten abgeleitetes Leistungsbegehren des Zedenten gegen den Zessionar, so liegt doch kein Sachverhalt vor, von dem gesagt werden könnte, daß er nach der im § 49 Abs 2 Z 5 JN zum Ausdruck kommenden Wertung mit den darin beschriebenen Rechtsstreitigkeiten in den maßgeblichen Voraussetzungen übereinstimmt, sodaß der im § 49 Abs 2 Z 5 JN geregelte, vom Wert des Streitgegenstandes unabhängige Zuständigkeitstatbestand auch für den vorliegenden, darunter nicht zu subsumierenden Sachverhalt im Sinne einer Lückenfüllung anzuwenden wäre. Die vom Rekursgericht erwähnte Absicht des Gesetzgebers, bestandrechtliche Streitigkeiten bei den Bezirksgerichten zu konzentrieren, rechtfertigt noch nicht die Annahme der vom Rekursgericht erblickten Rechtslücke. Denn es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er hätte alle Rechtsstreitigkeiten, in welchen bestandrechtliche Probleme - im Zusammenhang mit unbeweglichen Sachen - bloß als Vorfragen zu lösen sind, und auch unabhängig davon, ob das Verfahren zwischen den Parteien des Bestand- oder sonstigen Nutzungsvertrages oder deren Rechtsnachfolger geführt wird, in die Eigenzuständigkeit der Bezirksgerichte verweisen wollen. Auch die mit der WGN 1989 erfolgten Ausdehnung des Zuständigkeitstatbestandes des § 49 Abs 2 Z 5 JN auf Streitigkeiten über verbotene Ablösen (§ 27 MRG) "zwischen wem immer" läßt nicht den Schluß zu, der Gesetzgeber hätte den bisher anerkannten Grundsatz, daß die Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes in diesen Fällen nur dann gegeben ist, wenn es sich um einen Rechtsstreit zwischen den Parteien des Bestandverhältnisses oder sonstigen Nutzungsverhältnisses bzw deren Rechtsnachfolger handelt, nicht bloß bei Streitigkeiten über verbotene Ablösen durchbrechen, sondern ganz allgemein für alle Streitigkeiten "aus" Bestandverträgen beseitigen wollen. Wäre dies Absicht des Gesetzgebers gewesen, so hätte er diesen Umstand wohl durch Neufassung sämtlicher Zuständigkeitstatbestände dieser Bestimmung dergestalt zum Ausdruck gebracht, daß die Unmaßgeblichkeit der an den Streitigkeiten beteiligten Personen für alle hier geregelten Fälle und nicht bloß für die neu in die Eigenzuständigkeit der Bezirksgerichte einbezogenen Streitigkeiten normiert wird. Da verbotene Ablösen erfahrungsgemäß nicht nur von Vermietern, sondern vielfach auch von Vormietern, bisweilen auch von Verwaltern begehrt wurden, sollte durch Schaffung des neuen Zuständigkeitstatbestandes im § 49 Abs 2 Z 5 JN durch Art IX Z 1 lit b WGN 1989 eine Konzentration aller Ablöseprozesse beim Bezirksgericht, in dessen Sprengel die Bestandsache bzw durch Nutzungsvertrag überlassene Sache liegt, erreicht werden. Kann somit nicht gesagt werden, daß der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Neuschaffung eines weiteren Tatbestandes für die Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes auch eine Änderung des bisher bereits geltenden Zuständigkeitstatbestandes hätte vornehmen müssen, so kann von einer planwidrigen Unvollständigkeit und damit Ergänzungsbedürftigkeit der wiederholt genannten Zuständigkeitsnorm keine Rede sein.

Zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites ist daher gemäß § 49 Abs 1 JN das von der Klägerin zu Recht angerufene Erstgericht zuständig.

Es mußte daher dem Revisionsrekurs Folge gegeben und dem Erstgericht nach ersatzloser Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen werden.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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