OGH 9ObA85/93

OGH9ObA85/9319.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Vera Kremslehner und Mag.Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei P***** E*****, Vertragsbediensteter der Gemeinde Wien, ***** vertreten durch Dr.Manfred Weidinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stadt Wien, Wien 1., Rathaus, vertreten durch den Bürgermeister Dr.Helmut Zilk, dieser vertreten durch Dr.Konrad Kuderna, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung des Fortbestehens eines Dienstverhältnisses (Streitwert 540.000 S), infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.Jänner 1993, GZ 32 Ra 156/92-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 14.September 1992, GZ 2 Cga 1060/92-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 15.981 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 4.November 1974 bei der Beklagten beschäftigt und war als Straßenbahnfahrer im Einmannbetrieb eingesetzt. In der Zeit von 1982 bis 1992 erstattete der Kläger 41 Krankmeldungen mit insgesamt 515 Krankenstandstagen. Alle Krankenstände waren medizinisch gerechtfertigt. Am 24.Oktober 1988 teilte die Personalabteilung der Beklagten dem Kläger mit, daß seine Krankenstände beträchtlich überhöht seien und er bei weiterhin überhöhten Krankenständen mit der Kündigung zu rechnen habe. Seit diesem Zeitpunkt erstattete der Kläger 15 Krankmeldungen mit insgesamt 207 Krankenstandstagen. In den Zeiten, in denen er sich nicht im Krankenstand befand, hat der Kläger ordentlich gearbeitet; er ließ sich keine schwereren Pflichtwidrigkeiten zuschulden kommen. Am 4.Mai 1992 richtete die Beklagte an den Kläger ein Schreiben mit folgendem Inhalt:

"Kündigung

Ihr Dienstverhältnis zu den Wiener Stadtwerken-Verkehrsbetrieben wird gemäß § 37 der Vertragsbedienstetenordnung 1979 für den 31.Oktober 1992 gekündigt.

Maßgebend für diese Kündigung ist, daß Sie wegen Ihrer beträchtlich überhöhten Krankenstände den allgemein erzielbaren Arbeitserfolg nicht erreichen, weshalb Ihr Dienstverhältnis gemäß § 37 Abs 2 Z 6 der Vertragsbedienstetenordnung 1979 durch Kündigung aufzulösen war.

Gemäß § 43 Vertragsbedienstetenordnung 1979 gebührt Ihnen eine Abfertigung in der Höhe des Sechsfachen des Ihnen für den letzten Monat Ihres Dienstverhältnisses gebührenden Monatsbezuges.

....................".

Die Personalvertretung wurde von der beabsichtigten Maßnahme vor dem Ausspruch der Kündigung verständigt und erteilte hiezu ihre Zustimmung.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß sein Dienstverhältnis über den 31.Oktober 1992 hinaus aufrecht bestehe. Der im Kündigungsschreiben zitierte Kündigungsgrund liege nicht vor. Überdies seien die Bestimmungen des Wiener Personalvertretungsgesetzes nicht eingehalten worden, so daß die Kündigung auch aus diesem Grund unwirksam sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Die zahlreichen und langdauernden Krankenstände erfüllten den Tatbestand des § 37 Abs 2 Z 6 der Vertragsbedienstetenordnung der Stadt Wien (Wr VBO); an der Berechtigung der Kündigung würde sich aber nichts ändern, wenn man den Sachverhalt unter § 37 Abs 2 Z 2 Wr VBO subsumierte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Krankenstände in der Dauer, wie sie der Kläger konsumiert habe, erfüllten wohl den Tatbestand des § 37 Abs 2 Z 2 Wr VBO. Die Beklagte habe jedoch die Kündigung auf § 37 Abs 2 Z 6 Wr VBO gestützt; daher sei nur dieser Kündigungsgrund zu prüfen. § 32 Abs 2 lit c VBG 1948, dem jene Bestimmung nachgebildet sei, binde die Zulässigkeit der Kündigung aus diesem Grund an die vorhergehende Ermahnung. Wenn dies in der Wr VBO nicht vorgesehen sei, könne dies nur damit erklärt werden, daß dies dem Landesgesetzgeber völlig selbstverständlich erschienen sei. Damit setze aber dieser Kündigungsgrund ein willkürliches, vom Dienstnehmer zu beeinflussendes Verhalten voraus. Dies sei bei Krankenständen aber nur dann der Fall, wenn sie widerrechtlich in Anspruch genommen wurden. Hier stehe jedoch fest, daß die Krankenstände medizinisch erforderlich gewesen seien. Damit scheide aber eine Kündigung nach § 37 Abs 2 Z 6 Wr VBO, der allein geltendgemacht worden sei, aus.

Das Berufungsgericht wies auf Berufung der Beklagten das Klagebegehren ab. Der Kündigungsgrund nach § 37 Abs 2 Z 6 Wr VBO sei zwar aus den vom Erstgericht dargelegten Gründen nicht erfüllt. Daraus sei aber für den Kläger nichts gewonnen. Seine langdauernden Krankenstände erfüllten jedenfalls den Kündigungstatbestand nach § 37 Abs 2 Z 2 Wr VBO. Für die Wirksamkeit der Kündigung sei es aber unerheblich, wenn der im Kündigungsschreiben deutlich angeführte Kündigungsgrund irrtümlich einer unrichtigen Gesetzesstelle unterstellt werde. Die Kündigung sei daher ungeachtet der Zitierung des § 37 Abs 2 Z 6 Wr VBO nach § 37 Abs 2 Z 2 VBO wirksam.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 37 Abs 1 Wr VBO LGBl 1979/20 kann das auf unbestimmte Zeit eingegangene Dienstverhältnis dann, wenn es zum Zeitpunkt der Aussprechung der Kündigung mindestens drei Jahre gedauert hat, von der Gemeinde (Dienstgeberin) nur schriftlich unter Angabe eines Grundes gekündigt werden; § 37 Abs 2 Wr VBO enthält eine beispielsweise Aufzählung der Kündigungsgründe.

Ein in der Kündigung nicht angeführter Grund kann nach ständiger Rechtsprechung zum VBG 1948 nicht nachträglich zur Rechtfertigung der Maßnahme herangezogen werden (Arb 6328, 6721; EvBl 1963/149; Arb

10.637 = JBl 1988, 257). Es schadet jedoch weder eine irrtümliche Unterstellung des angeführten Kündigungsgrundes unter eine andere Gesetzesstelle noch ein Schreibfehler, wenn dem Kündigungsschreiben deutlich entnommen werden kann, was in Wahrheit als Kündigungsgrund geltend gemacht wurde (EvBl 1963/408; Arb 8760; Arb 10.637 = JBl 1988, 257; 9 Ob A 87/87). Diese Grundsätze sind auch bei der Auslegung des § 37 Abs 1 Wr VBO heranzuziehen.

Hier hat sich die Beklagte zur Begründung der Kündigung ausdrücklich auf die überhöhten Krankenstände des Klägers berufen. § 37 Abs 1 Wr VBO fordert weder eine dem Gesetz entsprechende Zitierung des geltend gemachten Kündigungsgrundes noch die Verwendung der verba legalia bei seiner Umschreibung, mag dies auch zur genauen Einordnung des geltend gemachten Grundes zweckmäßig sein. Wenn auch hier bei der Anführung der Krankenstände als Kündigungsgrund eine Wortfolge verwendet wurde, die sich in § 37 Abs 2 Z 6 Wr VBO findet und auch diese Bestimmung zitiert worden sei, hindert dies die Prüfung der Berechtigung der Kündigung aus dem Grund des § 32 Abs 2 Z 2 Wr VBO nicht, da aus dem Schreiben deutlich hervorgeht, was in Wahrheit als Kündigungsgrund geltend gemacht wird. Daß tatsächlich die (gerechtfertigten) Krankenstände als Kündigungsgrund geltend gemacht wurden, ergibt sich im übrigen auch daraus, daß dem Kläger im Kündigungsschreiben eine Abfertigung zuerkannt wurde; diese Leistung hat nämlich nach § 43 Abs 2 Z 5 Wr VBO zur Voraussetzung, daß den Bediensteten an der Kündigung kein Verschulden trifft.

Gegen die Ansicht der Vorinstanzen, daß häufige und langdauernde Krankenstände den Kündigungstatbestand des § 32 Abs 2 Z 2 erfüllen können, wird in der Revision nichts vorgebracht. Der Kläger bestreitet lediglich, daß er zugegeben habe, daß Krankenstände in der festgestellten Dauer einen Kündigungstatbestand begründen könnten. Gegen dieses Ergebnis bestehen aber keine Bedenken. Dieser Kündigungsgrund ist nicht nur dann erfüllt, wenn die mangelnde körperliche oder geistige Eignung für die Erfüllung der Dienstpflichten dauernd vorliegt, sondern auch dann, wenn der Bedienstete durch die genannten Umstände in einem Maß eingeschränkt ist, das ihn von einer regelmäßigen Dienstleistung ausschließt. Treten Krankenstände auf, die den Bediensteten laufend in einem weit über dem Durchschnitt liegenden Maß an der Dienstleistung hindern, so ist er zur Erfüllung seiner Dienstpflichten ungeeignet. Auf welche Gründe diese - berechtigten - Krankenstände zurückzuführen sind, ist nicht erheblich (SozM I D 67). Auch wenn sie zum Teil dadurch verursacht worden sein sollten, daß der Beruf des Klägers besondere Anforderungen stellte, würde dies nichts daran ändern, daß er in diesen Zeiten zur Leistung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit nicht in der Lage war. Daß aber Krankenstände von durchschnittlich 50 Tagen jährlich - dies entspricht etwa 10 Wochen - weit über dem Durchschnitt liegen, kann als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden. So hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, daß häufige und langdauernde Krankenstände bewirken können, daß der einem Versicherten verbliebene Rest an Arbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt unverwertbar wird, weil der Betroffene dann nur unter Nachsicht und mit besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers einer Beschäftigung nachgehen könnte. Dies wurde bereits in Fällen angenommen, in denen leidensbedingt Krankenstände in einer 6 Wochen übersteigenden Dauer zu erwarten waren. Begründet wurde dies damit, daß nach den statistischen Unterlagen auf 1000 Beschäftigte im Jahr 1986 in Österreich 1056 Krankenstandsfälle und auf jeden Fall durchschnittlich 14,6 Krankenstandstage kamen. Durch regelmäßige, 6 Wochen jährlich übersteigende Krankenstände werde diese Grenze erheblich überschritten (SSV-NF 6/82). Dies trifft im Fall des Klägers in noch höherem Maß zu, war er doch durch seine Krankenstände rund zweieinhalb Monate jährlich an der Dienstleistung verhindert.

Ob eine Kündigung nach § 37 Abs 2 Z 2 Wr VBO berechtigt ist, ist nach dem Zeitpunkt der Kündigungserklärung zu beurteilen. War in diesem Zeitpunkt ein gesetzlicher Kündigungsgrund erfüllt, dann kann auch eine nachträgliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes dem Dienstgeber nicht mehr zum Nachteil gereichen (4 Ob 112/79). Ob wegen einer Besserung des Gesundheitszustandes nach der Kündigung allenfalls mit einer Verminderung der Dauer der Krankenstände zu rechnen ist, war daher nicht zu prüfen. Daß sich aber in der letzten Zeit vor der Kündigung die Krankenstandsdauer gegenüber den früheren Durchschnittswerten erheblich verändert hätte, hat der Kläger nicht behauptet.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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