European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:E34477
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Durch den angefochtenen Beschluß wurde Pululu M* im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
Der am 19. Juli 1956 geborene zairische Staatsbürger Pululu M* befindet sich seit 11. Februar 1992 in Haft. Die Untersuchungshaft wurde über ihn am 14. Februar 1992 verhängt.
Mit Beschlüssen vom 12. August 1992 und vom 13. Oktober 1992 erklärte das Oberlandesgericht Linz gemäß § 193 Abs. 4 StPO die Untersuchungshaft vorerst bis zu acht und dann bis zu zehn Monaten für zulässig. Den Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg auf weitere Verlängerung der zulässigen Höchstdauer der Untersuchungshaft bis zu zwölf Monaten wies das Oberlandesgericht Linz am 11. Dezember 1992 ab. Pululu M* wurde sodann am 15. Dezember 1992 aus der Untersuchungshaft entlassen und der Fremdenpolizei überstellt (ON 105). Die Bundespolizeidirektion Salzburg nahm ihn daraufhin in Schubhaft. Noch vor Ablauf der zweimonatigen Frist des § 48 Abs. 2 Fremdengesetz verhängte der Vorsitzende des Schöffensenates des Landesgerichtes Salzburg am 11. Februar 1993 (neuerlich) die Untersuchungshaft gemäß § 193 Abs. 6 StPO zum Zwecke der Durchführung der Hauptverhandlung ((ON 129). Zur Begründung verwies er darauf, daß Pululu M*, der in Österreich keinen festen Wohnsitz aufweise, lediglich bis 14. Februar 1993 in Schubhaft angehalten würde und beabsichtige, sich ins Ausland abzusetzen. Pululu M* nahm diesen Beschluß "beschwerdelos" zur Kenntnis (ON 127).
Eine mit 22. Februar 1993 datierte Beschwerde des Pululu M* in französischer Sprache langte beim Oberlandesgericht Linz am 8. März 1993 ein (ON 155). Nach zunächst veranlaßter Übersetzung (12. März 1993, AS 161/III) erklärte sich das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 24. März 1993 für nicht zuständig (ON 164 = ON 34 im Teilakt) und entschied zugleich, daß für eine Maßnahme nach § 114 Abs. 3 StPO bzw § 15 StPO keine Veranlassung bestehe. Dabei ging es in den Gründen auf die Haftvoraussetzungen ein, brachte zum Ausdruck, daß eine Rechtswidrigkeit der Haft nicht vorliege, und wies den Antragsteller auf die Möglichkeit hin, in der für den nächsten Tag anberaumten Hauptverhandlung einen neuen Enthaftungsantrag einzubringen. Eine Erledigung der Beschwerde durch die dafür zuständige Ratskammer des Landesgerichtes Salzburg unterblieb.
In der Hauptverhandlung vom 25. März 1993 vor dem Schöffengericht wurde Pululu M* des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen schweren Betruges nach den §§ 15, 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3, 148 2.Fall StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil meldete er Berufung wegen Strafe an (ON 167).
In der Hauptverhandlung hatte Pululu M* neuerlich seine Enthaftung beantragt, das Schöffengericht jedoch seinen Antrag abgewiesen (ON 166b = ON 37 im Teilakt). Mit Beschluß vom 13.April 1993, AZ 9 Bs 92/93, gab das Oberlandesgericht Linz der gegen die Ablehnung der Enthaftung erhobenen Beschwerde Folge und änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß die Untersuchungshaft aufgehoben wurde. Es stützte sich dabei auf die ‑ die analoge Haftproblematik beim Mitangeklagten Jean Marie M* betreffende ‑ Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 30. März 1993, GZ 11 Os 54/93‑6, wonach es für die Untersuchungshaft nach § 193 Abs. 6 StPO einer spezifischen Aktualisierung des ‑ dort wie hier allein zur Diskussion gestandenen ‑ Haftgrundes der Fluchtgefahr in der Richtung bedürfe, daß die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Inhaftierung zu scheitern drohe.
In seiner am 27. April 1993, somit rechtzeitig, gegen den letztbezeichneten Beschluß des Oberlandesgerichtes erhobenen Grundrechtsbeschwerde (ON 184) macht der Beschwerdeführer nunmehr (lediglich) geltend, daß die die Freiheitsbeschränkung beendende Entscheidung zu spät getroffen worden sei, weil das Oberlandesgericht bereits in dem vorangegangenen Beschluß vom 24. März 1993 die Aufhebung der rechtswidrigen Untersuchungshaft hätte anordnen müssen.
Rechtliche Beurteilung
Die Grundrechtsbeschwerde ist nicht berechtigt.
Vorweg ist zunächst davon auszugehen, daß Gegenstand einer Grundrechtsbeschwerde nach § 1 Abs. 1 GRBG nur gerichtliche Entscheidungen oder Verfügungen nach Erschöpfung des Instanzenzuges sein können. Der Grundrechtsbeschwerde unterliegen demnach Beschlüsse, gegen die kein Rechtsmittel zulässig ist, wie auch Rechtsmittelentscheidungen ohne weiteren Rechtszug, im letzteren Fall aber nur diese und nicht (auch) vorangegangene Entscheidungen von Vorinstanzen (JAB 852 Beilagen Nr. XVII.GP zu § 1).
Nach § 2 Abs. 2 GRBG kann überdies auch aus Anlaß einer die Freiheitsbeschränkung beendenden Entscheidung oder Verfügung die Grundrechtsbeschwerde "mit der Behauptung erhoben werden, daß die Entscheidung oder Verfügung zu spät getroffen worden sei". Diese Erweiterung des Anwendungsbereiches trägt dem Umstand Rechnung, daß das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen an der Feststellung einer entsprechenden Grundrechtsverletzung mit deren Beendigung nicht unbedingt wegfallen muß. Demnach sollen ungerechtfertigte Verzögerungen durch das Gericht der letzten Instanz in jedem Fall als Grundrechtsverletzung bekämpfbar sein. Auch verspätete Entscheidungen von Vorinstanzen können "aus Anlaß einer die Freiheitsbeschränkung beendenden Entscheidung oder Verfügung" als Grundrechtsverletzung aufgegriffen werden (erneut JAB aaO).
Mit der allein gegen die Nichtaufhebung der Untersuchungshaft (schon) mit der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 24. März 1993 gerichteten Rüge zeigt die Beschwerde jedoch keine derartige, aus der Sicht des § 2 Abs. 2 GRBG im hier aktuellen Sachzusammenhang wahrnehmbare Grundrechtsverletzung auf. Richtig ist zwar, daß die bezeichnete Beschwerdeentscheidung in dem nunmehr aufgegriffenen Punkt dem Gesetz widersprach und daher ihrerseits der ‑ nach Lage des Falles erfolgreichen ‑ Anfechtung mit ‑ der Beschwerdebehauptung zuwider durchaus zielführender ‑ Grundrechtsbeschwerde unterlegen wäre. Deren seinerzeitiges Versäumnis ist jedoch entgegen der nunmehrigen Beschwerdeintention im Zusammenhang mit dem anschließenden (letzten) Enthaftungsantrag nicht mehr wettzumachen. Soweit sich die Beschwerde (am 27. April 1993 erhobene) ‑ so gesehen ‑ sinngemäß gegen die (dem Angeklagten schon am 25. März 1993 eröffnete) Beschwerdeentscheidung vom 24. März 1993 richtet, erweist sie sich mithin als verspätet (§ 4 Abs. 1 GRBG).
Im übrigen hat der Beschwerdeführer jenen Enthaftungsantrag, der im Rechtszug letztlich zur Aufhebung der Untersuchungshaft führte, in der Hauptverhandlung vom 25. März 1993 gestellt. Diesen Antrag wies der Schöffensenat noch in dieser Hauptverhandlung ab, sodaß insoweit eine Verspätung in erster Instanz nicht eintrat. Über die am 29. März 1993 ausgeführte) Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluß entschied das Oberlandesgericht am 13. April 1993 und damit noch innerhalb einer Zeitspanne, die nach den hier gegebenen Umständen abermals keine nach § 2 Abs. 2 GRBG faßbare Verzögerung erkennen läßt. Soweit die Beschwerde daher den Beschluß des Oberlandesgerichtes vom 13. April 1993 als zu spät gefaßt rügt, ist sie damit gleichfalls nicht im Recht.
Hinzuzufügen ist, daß mit dem letzten Enthaftungsantrag vom 25. März 1993 ein neuer die angestrebte Enthaftung betreffender Verfahrensvorgang eingeleitet wurde, dessen Instanzenzug mit dem Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 13. April 1993 endete. Die Verfahrensschritte zum Antrag vom 22. Februar 1993, über den mit Beschwerdeentscheidung vom 24. März 1993 endgültig abgesprochen wurde, hatten bei der hier relevanten Prüfung auf eine Verspätung der gerichtlichen Entscheidungstätigkeit im Zusammenhang mit dem neuen Antrag außer Betracht zu bleiben.
Nur der Vollständigkeit halber ist schließlich festzuhalten, daß das Oberlandesgericht Linz zuletzt nicht nur in Stattgebung der Beschwerde gegen den die Enthaftung ablehnenden Beschluß des Schöffensenates die Aufhebung der Untersuchungshaft angeordnet, sondern darüberhinaus (dem rechtlichen Feststellungsinteresse des Angeklagten ohnedies umfassend Rechnung tragend) zutreffend in den Gründen auch zum Ausdruck gebracht hat, daß schon bei der Beschlußfassung am 11. Februar 1993 die Voraussetzungen für die Haftverhängung nach § 193 Abs. 6 StPO nicht vorlagen.
Somit ergibt sich, daß Pululu M* durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 13. April 1993 in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Da dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten nur in einem stattgebenden Erkenntnis aufzuerlegen ist (§ 8 GRBG), hatte eine Kostenentscheidung zu entfallen.
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