OGH 9ObA102/93

OGH9ObA102/9319.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Vera Kremslehner und Mag.Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Klägers Günther K*****, Chauffeur, ***** vertreten durch Dr.Erhard Hackl und Dr.Karl Hatak, Rechtsanwälte in Linz, wider die Beklagte E***** AG, ***** vertreten durch Dr.Eduard Saxinger ua Rechtsanwälte in Linz, wegen S 31.174,75 s.A., infolge Revision beider Streitteile gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.Dezember 1992, GZ 13 Ra 85/92-14, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 16.Juni 1992, GZ 11 Cga 24/92-8, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision des Klägers wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der Beklagten wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 6.036,48 (darin S 1.006,08 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 4.350,72 (hievon S 725,12 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 14.2.1972 beim beklagten Verkehrsunternehmen beschäftigt und ab 1.8.1972 als Buschauffeur eingesetzt. Die zu fahrenden Kurse beginnen in der Regel an einem anderen Ort als sie enden. Dies war dem Kläger seit Beginn des Dienstverhältnisses bekannt. Dienstort des Klägers ist das mit (Linien-)bussen der Beklagten befahrene Straßennetz. Die Rückkehr des Kläges nach dem Ende des (letzten) Kurses zum Ausgangspunkt des (ersten) Kurses ist nur deshalb notwendig, weil er dort (bei Dienstbeginn) seinen Privat-PKW abgestellt hat und diesen wieder abholen mußte. Eine betriebliche Weisung, zum Ausgangspunkt des Kurses zurückzukehren, besteht nicht. Über eine Entlohnung der Wegzeit nach Ende der Arbeitszeit zurück zum Ausgangspunkt des Kurses gibt es weder eine einzelvertragliche noch eine kollektivvertragliche Regelung. Der Kläger darf - unabhängig von seiner Dienstverrichtung - das gesamte Liniennetz der Beklagten gratis benützen. Wenn bei Nachtdienst eine Rückfahrt mit Verkehrsmitteln der Beklagten nicht mehr möglich ist, steht dem Kläger ein VW-Bus der Beklagten zum Abholen zur Verfügung. Der Kläger könnte sämtliche Fahrten von seinem Wohnort nach L***** und zurück - mit Ausnahme jener Fälle, in denen sein Dienst vor 5 Uhr 30 beginnt - mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Ein- bis zweimal pro Woche hat der Kläger sog "Zweiteiler-Dienst". Dieser besteht darin, daß er einen Teil des Dienstes am Vormittag leistet, dann eine Pause von zwei bis fünf Stunden hat und danach den Dienst an einem anderen Punkt fortsetzt als jener vor der Pause geendet hat. Für diesen Weg zwischen Endpunkt und Ausgangspunkt der Dienste benötigt der Kläger zu Fuß etwa 30 Minuten. Für den "Zweiteiler-Dienst" am 9.6. und 12.6.1992 ist daher eine Wegzeit von einer Stunde entstanden.

Der Kläger begehrt für die Wegzeit vom Endpunkt des jeweiligen Kurses zum Ausgangspunkt für die Zeit vom Jänner 1990 bis Ende 1992 Überstundenentlohnung von S 31.068,75 brutto und für die Wegzeit beim "Zweiteiler-Dienst" am 9.6. und 12.6.1992 S 106 brutto. Diese Wegzeiten seien auf die betriebliche Organisation zurückzuführen und daher als Arbeitszeit zu entlohnen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß die Zeit für den Weg vom Wohnort zur Arbeitsstätte und zurück keine Arbeitszeit bilde und deshalb nicht zu entlohnen sei. Im übrigen sei Verfall aller im November 1991 fälliger Ansprüche eingetreten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die Zeit, die der Arbeitnehmer auf dem Weg zur und von der Arbeit verbringe, sei grundsätzlich nicht als Arbeitszeit zu beurteilen und daher auch nicht zu entlohnen. Dienstort des Klägers sei das Liniennetz der Beklagten. Als Arbeitsbeginn könne daher nur der Zeitpunkt des Eintreffens des Arbeitnehmers an der Stelle des Kursbeginnes gelten, wo er vereinbarungsgemäß arbeitsbereit zu sein habe. Von diesem Zeitpunkt laufe die Arbeitszeit bis zum Ende des Kurses. Da die Wegzeit zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht Arbeitszeit sei, sondern in den Privatbereich des Arbeitnehmers falle, sei es unerheblich, mit welchen Verkehrsmitteln der Arbeitnehmer seinen Arbeitsort erreiche. Die Wegezeit sei daher nicht als Arbeitszeit zu entlohnen. Auch beim "Zweiteiler-Dienst" stehe dem Kläger eine Entlohnung der Wegezeit vor und nach der Pause nicht zu. Infolge der dem Kläger zwischen den beiden Dienstteilen verbleibenden Freizeit von mehr als zwei bzw drei Stunden sei ihm in diesem Zeitraum auch eine Rückkehr an seinen Wohnort möglich. Innerbetriebliche Wegzeiten lägen daher nicht vor.

Das Berufungsgericht sprach dem Kläger für den Zweiteiler-Dienst am 9.6. und 12.6.1992 S 106 brutto s.A. zu und bestätigte die Abweisung des Mehrbegehrens von S 31.068,75 sA. Es sprach aus, daß die Revision nach § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig sei.

Rechtsgrundlage für die Beurteilung der Entgeltlichkeit der Wegezeiten sei mangels einer einzelvertraglichen oder kollektivvertraglichen Regelung ausschließlich das Arbeitszeitgesetz. Nach diesem sei aber grundsätzlich nur die Arbeitszeit zu entlohnen. Wegezeiten, also Zeiten, die der Arbeitnehmer für den Weg von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück benötige, seien nicht Arbeitszeiten. Von den Wegezeiten seien Reisezeiten zu unterscheiden, die dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsstätte verlassen muß, um an einen anderen Ort Arbeitsleistungen zu erbringen. Diese seien als Arbeitszeit zu entlohnen. Soweit Reisetätigkeit zum ständigen Aufgabenkreis eines Arbeitnehmers gehöre, wie etwa bei einem Monteur, der zur Durchführung von Servicearbeiten von Kundschaft zu Kundschaft fährt, sei Reisezeit stets Arbeitszeit im engeren Sinn.

Erstrecke sich der Tätigkeitsbereich auf einen mit dem Unternehmenssitz des Arbeitgebers nicht zusammenfallenden (auch größeren) örtlichen Bereich, dann sei dieser der Arbeitssort. Dienstort des Klägers sei das Streckennetz der Beklagten in L*****. Die Dauer der Dienstzeit sei nicht vom Wohnort und damit von der Dauer der Anreisezeit zu Dienstbeginn und der Dauer des Heimweges nach Dienstende abhängig. Ob der Kläger zum Erreichen seines Dienstantrittsortes einen PKW benötige, sei unerheblich. Daher bleibe es auch ohne Bedeutung, daß er wegen der Benützung seines PKWs an den Ort des Dienstantrittes zurückkehren müsse. Anspruch auf Entlohnung dieser (besonderen) Wegzeiten bestehe nicht.

Beim "Zweiteiler-Dienst" müsse aber der Arbeitnehmer unabhängig von seinem Wohnort zwischen dem Ende des ersten Teiles und dem Beginn des zweiten Teiles des Dienstes den Weg vom Endpunkt des ersten Dienstteiles zum Ausgangspunkt des zweiten Dienstteiles zurücklegen. Dieser notwendige Dienstweg sei dem Weg eines Monteurs, der von einer Kundschaft zur nächsten fährt, gleichzuhalten und daher Arbeitszeit im engeren Sinn. Um diesen Betriebsweg werde die Arbeitspause der Busfahrer zwischen den beiden Dienstteilen verkürzt, so daß ihnen ein Entlohnungsanspruch zustehe.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Streitteile. Der Kläger beantragt die Aufhebung, die Beklagte die Abänderung und hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Beide Streitteile beantragen, der Revision des jeweiligen Gegners nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt, die der Beklagten hingegen berechtigt.

Es entspricht einhelliger Lehre und Rechtsprechung, daß die auf dem Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte (und zurück) verbrachten Zeiten nicht als Arbeitszeit zu vergüten sind, weil sie vor Arbeitsbeginn oder nach Arbeitsende liegen (Grillberger, AZG 33; Cerny, Arbeitszeitrecht2, 31, 92; Schwarz ARG 108; Grillberger DRdA 1986, 265 [266 f]; Arb 8565 = ZAS 1969/10 [Andexlinger]; Arb 8910 = SozM III A 140 mwN; Arb 10.180; Ind 1987 H 5, 22). Ob und inwieweit solche Zeiten ausnahmsweise zu vergüten sind, hängt von einzelvertraglichen oder kollektivvertraglichen Vereinbarungen ab (Arb 8910 = SozM III A 140; Arb 10.180; Ind 1987 H 5, 22), die im vorliegenden Fall fehlen.

Was als Arbeitsort anzusehen ist, richtet sich primär nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages. Er ergibt sich meist schlüssig aus dem Standort des Betriebes, doch können Natur und Zweck (§ 905 ABGB) des Arbeitsverhältnisses auch wechselnde Arbeitsorte innerhalb eines bestimmten Bereiches ergeben (Krejci in Rummel, ABGB2 I Rz 18 zu § 1153; Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 I 130; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, 220; Martinek-M.und W.Schwarz, AngG7, 176; WBl 1988,90; ecolex 1990,305). Arbeitsort eines Arbeitnehmers ist somit der regelmäßige Mittelpunkt seines tatsächlichen Tätigwerdens, der mit dem Betriebsort (bzw der Zentrale) des Unternehmens, bei dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, nicht zusammenfallen muß (Arb 10.194). Wechselnde Arbeitsorte ergeben sich insbesondere bei Reisenden, Bauarbeitern (Krejci in Rummel aaO; derselbe Arbeitsrechte Probleme der Bau-Arge in:

Arbeitsgemeinschaften in der Bauwirtschaft 134; Arb 8493,8565; DRdA 1983,114), Monteuren (vgl Arb 10.356 = EvBl 1984/150) und Kraftfahrern (Arb 10.194; 10.507). Für letztere hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, daß ein Kraftfahrer nicht dort seinen ständigen Arbeitsort hat, wo er mit der Durchführung der ihm aufgetragenen Transporte regelmäßig beginnt. Entscheidend ist der örtliche, von den regelmäßigen Fahrten umfaßte Bereich (Arb 7377, 8791, 10.194, 10.507; ecolex 1990,305). Nur wenn dieser örtliche Bereich so groß ist, daß der Arbeitnehmer nicht täglich an seinen Wohnort zurückkehren kann, liegt eine Dienstreise vor (Arb 10.194). Daraus folgt aber, daß sich der Arbeitsort eines Kraftfahrers, der bei einem städtischen Verkehrsunternehmen im Linienverkehr (Personenbeförderung) tätig ist, nicht nach dem Standort (der Zentrale) des Betriebes oder nach dem Ausgangs- oder Endpunkt des von ihm jeweils zu fahrenden Kurses bestimmt, sondern das gesamte örtliche (Kraftfahr-)Liniennetz umfaßt. Arbeitsort des Klägers ist daher das (Kraftfahr-)Liniennetz der Beklagten.

Die Wegzeit des Klägers zum jeweiligen Ausgangspunkt und vom jeweiligen Endpunkt der von ihm innerhalb des vereinbarten Arbeitsortes zu fahrenden Kurse fiel daher in seine Freizeit; sie gehörte nicht zu seinem dienstlichen Aufgabenkreis. Das Zurückkehren des Klägers zum Ausgangspunkt des (ersten) Kurses nach Beendigung der Arbeit beruhte nicht auf einer betrieblichen Weisung. Es war nur erforderlich, weil der Kläger nach der Beendigung der letzten Fahrt seinen PKW dort abholen mußte, wo er ihn bei Dienstbeginn abgestellt hatte. Dieser Weg gehört daher zur Privatsphäre und ist nicht anders zu beurteilen, wie etwa das im Belieben des Arbeitnehmers stehende Wechseln der Verkehrsmittel und der Wegstrecke auf dem Weg zum und vom Arbeitsort.

Die Arbeitszeit für Lenker von Kraftfahrzeugen umfaßt gemäß § 14 Abs 1 AZG die Lenkzeiten, die Zeiten für sonstige Arbeitsleistungen und die Zeiten der Arbeitsbereitschaft. Beim sogenannten "Zweiteiler-Dienst" lag zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Dienstes eine Pause von zwei bis fünf Stunden. Diese Pause ist keine Arbeitszeit, weil keine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber erfolgte. Es entfällt daher der Anspruch auf Entlohnung, gleichgültig ob dieser Zeitraum als Ruhepause nach § 11 AZG oder als Lenkpause (Cerny, Arbeitszeitrecht2, 116 f, Grillberger, AZG 101,103), als Wartezeit (§ 18 Abs 3 AZG) oder als Freizeit anzusehen ist. Ruhepausen gehören grundsätzlich nicht zur Arbeitszeit (§ 2 Abs 1 Z 1 AZG; 4 Ob 66/83; Grillberger aaO 35; Cerny aaO 103; Marhold, RdW 1987, 57). Da für die im Liniendienst eingesetzten Arbeitnehmer die allgemeinen Regelungen über die Ruhepausen gelten - § 15 Abs 3 AZG ist mangels Erlassung einer entsprechenden Verordnung für diesen Personenkreis nicht wirksam geworden -, ist davon auszugehen, daß weder durch Gesetz (§ 15 Abs 3 AZG) noch durch Verordnung im Sinne des § 21 AZG, aber auch nicht durch Kollektivvertrag eine von § 11 AZG abweichende Pausenregelung getroffen wurde; daher sind die Lenk- und Ruhepausen auch dann, wenn sie über das in § 11 AZG bestimmte Mindestausmaß hinausgehen, nicht als Arbeitszeit zu honorieren (9 Ob A 308/92).

Die Zeiten zwischen den zwei Diensten sind daher - auch soweit in diesen Zeitraum Wegzeiten fallen - nicht Arbeitszeit, zumal nach den Feststellungen kein Anhaltspunkt dafür vorliegt, daß es sich dabei um Wartezeiten während einer Einsatzzeit handelt. Eine besondere kollektivvertragliche Entlohnung ist aber nicht vorgesehen.

Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes ist auf den sog "Zweiteiler-Dienst" die zur Reisezeit der im Außendienst tätigen Arbeitnehmer entwickelte Rechtsprechung (Arb 10.357 = EvBl 1984/150; ZAS 1992/14) nicht anzuwenden. Während bei Arbeitnehmern im Außendienst (zB Monteuren) die Reisetätigkeit von einem Kunden zum andern zum vereinbarten Aufgabengebiet gehört und daher die Reisezeit Arbeitszeit ist, gehört die Wegzeit des Klägers zum Antrittsort des zweiten (selbständigen) Dienstteiles (also gewissermaßen einer zweiten "Halbtagsschicht") nicht zum dienstlichen Aufgabengebiet, sondern fällt in die Freizeit oder Pause und ist der Wegzeit vom oder zum Arbeitsort gleichzusetzen.

Der Revision des Klägers war daher nicht Folge zu geben. In Stattgebung der Revision der Beklagten war das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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