European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0150OS00059.9300000.0506.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Durch den angefochtenen Beschluß wurde Josef K* im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die von seinem Verteidiger Dr.C* ausgeführte Beschwerde wird abgewiesen.
Hingegen wird die von seinem Verteidiger Dr.B* ausgeführte Beschwerde zurückgewiesen.
Begründung:
Gegen Josef K* ist beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein Strafverfahren wegen des Verdachtes des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB anhängig. Ihm wird angelastet, in der Zeit vom 12.September 1988 bis einschließlich 31.März 1992 als Kundenberater und Mitarbeiter der Wertpapierabteilung der Bank für W* und F* die ihm eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich mißbraucht und dadurch Bankkunden bzw. letztlich der genannten Bank einen Vermögensnachteil von zumindest 15 Mio S zugefügt zu haben.
Über Josef K* wurde mit Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13.November 1992 die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht‑ und der Verdunkelungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 2 StPO verhängt (ON 8).
In der Haftprüfungsverhandlung vom 27.November 1992 ordnete die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien die Fortdauer der Untersuchungshaft (nur) aus den Haftgründen der Verdunkelungsgefahr sowie der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO an (ON 16, 17). Der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 22.Dezember 1992 (ON 25) nicht Folge.
Am 19.Februar 1993 lehnte die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien einen Enthaftungsantrag des Beschuldigten wegen Fortbestehens des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr ‑ jener der Verdunkelungsgefahr war wegen Zeitablaufes in Wegfall geraten ‑ ab (ON 58 und 61). Diese Entscheidung wurde mit dem angefochtenen Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien bestätigt (ON 66). Der Beschluß wurde den beiden ausgewiesenen Verteidigern des Beschuldigten, Rechtsanwalt Dr.C* und Rechtsanwalt Dr.B*, zugestellt.
Rechtliche Beurteilung
Am 6.April 1993 ‑ und somit innerhalb offener Frist ‑ brachte der Beschuldigte gegen diesen Beschluß durch Dr.C* beim Landesgericht für Strafsachen Wien und durch Dr.B* unmittelbar beim Obersten Gerichtshof jeweils eine Grundrechtsbeschwerde ein, wobei beide Beschwerden am Vortag zur Post gegeben worden waren. Während in der erstgenannten Beschwerde lediglich das Vorliegen des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr bekämpft wird, wendet sich die von Dr.B* verfaßte Beschwerde auch gegen die Annahme des dringenden Tatverdachtes.
Damit ist vorab zu prüfen, ob die Einbringung zweier Beschwerdeschriften durch verschiedene Verteidiger des Beschwerdeführers gegen ein und dieselbe gerichtliche Haft‑Entscheidung zulässig ist und ‑ verneinendenfalls ‑ welche Beschwerdeschrift meritorisch zu behandeln ist, wenn die beiden Beschwerdeschriften gleichzeitig eingebracht wurden.
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Nach einhelliger Rechtsprechung ‑ insbesondere zur Nichtigkeitsbeschwerde und zur Berufung (§§ 285 Abs 1, 294 Abs 2, 467 Abs 1 StPO) ‑ ist die Einbringung mehrerer Rechtsmittelschriften unzulässig, und zwar auch dann, wenn der Beschuldigte von seinem in § 40 Abs 2 StPO normierten Recht Gebrauch macht, mehrere Verteidiger beizuziehen (vgl KH 1724; EvBl 1950/386; EvBl 1950/521; RZ 1973/101; EvBl 1975/235; 13 Os 106/89; 13 Os 101/91; ebenso für den Bereich der ZPO EvBl 1959/223). Auch in diesem Fall ist nämlich das Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in sinngemäßer Anwendung des § 40 Abs 2 StPO nur mit der Beschränkung zulässig, daß die vom Gesetz vorgesehene Zahl von Rechtsmittelschriften nicht überschritten wird, darf doch durch eine mehrfache Verteidigung keine Vermehrung prozessualer Rechte geschaffen werden (vgl 11 Os 131/79).
Wurden mehrere ‑ für sich allein gesehen zulässige ‑ Rechtsmittelschriften eingebracht, so ist nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes der zuerst beim ‑ für die Einbringung ‑ zuständigen (Erst‑)Gericht eingelangten der Vorzug zu geben, während die späteren Rechtsmittelausführungen als unzulässig zurückzuweisen sind, weil das Recht zu ihrer (Anmeldung und) Ausführung schon verbraucht war (in diesem Sinne auch 10 Os 14/87).
Dieselben Grundsätze müssen auch für den Anwendungsbereich des Grundrechtsbeschwerdegesetzes gelten. Nach § 1 dieses Gesetzes steht dem in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit Verletzten "die Grundrechtsbeschwerde" an den Obersten Gerichtshof zu, die nach § 4 Abs 1 leg cit vom Betroffenen binnen vierzehn Tagen beim Gericht erster Instanz einzubringen ist. Zwar räumt § 4 Abs 1 zweiter Satz auch die Möglichkeit ein, die Beschwerde bei dem Gericht, das die bekämpfte Entscheidung oder Verfügung in höherer Instanz getroffen hat, oder beim Obersten Gerichtshof selbst einzubringen, doch soll damit ‑ wie in den jüngeren Verfahrensregelungen der §§ 63 Abs 5 AVG, 249 Abs 1 BAO und 150 Abs 3 FinStrG ‑ nur vermieden werden, daß eine Beschwerde als verspätet zurückgewiesen wird, weil der Beschwerdeführer sie versehentlich nicht an das Erstgericht, sondern direkt an ein Gericht höherer Ordnung adressiert hat. Daß der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung die Möglichkeit eröffnen wollte, rechtswirksam mehrere Beschwerden gegen ein und dieselbe Haft‑Entscheidung oder Verfügung bei verschiedenen Gerichtsinstanzen einzubringen, kann weder dem Wortlaut des § 4 Abs 1 noch dessen erklärter ratio (vgl JAB zu § 4) entnommen werden; vielmehr ist davon auszugehen, daß nach dem Gesetz nur eine Ausführung der Grundrechtsbeschwerde vorgesehen ist (so schon 11 Os 44/93) und daß die "richtige" (dh primäre) Einbringungsstelle für diese Beschwerde das Gericht erster Instanz ist (vgl abermals JAB zu § 4 GRBG; siehe auch Foregger‑Kodek Nachtrag 1993 zu MKK StPO5 Anm zu § 4 GRBG). Werden daher (wie hier) Grundrechtsbeschwerden sowohl beim Gericht erster Instanz als auch bei einem Gericht höherer Ordnung eingebracht, so ist der beim Erstgericht eingebrachten Beschwerde der Vorzug zu geben.
Daraus folgt für den vorliegenden Sachverhalt, daß der Beschuldigte mit seiner beim Erstgericht eingebrachten Grundrechtsbeschwerde des Verteidigers Dr.C* sein Beschwerderecht erschöpft hat, weshalb die unmittelbar beim Obersten Gerichtshof ‑ wenn auch gleichzeitig ‑ eingebrachte Grundrechtsbeschwerde des Verteidigers Dr.B* als unzulässig zurückzuweisen war.
Der vom Verteidiger Dr.C* ausgeführten Grundrechtsbeschwerde kommt indes Berechtigung nicht zu.
Der von den Unterinstanzen angenommene (und von der vorliegenden Beschwerde nicht in Zweifel gezogene) dringende Tatverdacht ist nach der derzeitigen Aktenlage (schon) aufgrund des Geständnisses des Beschwerdeführers, der eine Selbstanzeige bei der Bank für W* und F* erstattet und die ihn belastenden Ergebnisse der bankinternen Revision anerkannt hatte (ON 2), gegeben. Wenngleich der Beschwerdeführer anläßlich seiner erstmaligen untersuchungsrichterlichen Einvernahme den Vorwurf, die in Rede stehenden Transaktionen unbefugt durchgeführt zu haben, unter Hinweis auf seine ständige Überprüfung in Zweifel zu ziehen suchte (AS 177/1), vermag diese Verantwortung angesichts der vorliegenden Ermittlungsergebnisse die vom Oberlandesgericht angenommene Intensität des Tatverdachtes nicht zu entkräften. Im übrigen begnügt sich ‑ was der Vollständigkeit halber beigefügt sei - auch der Verteidiger Dr.B* in der von ihm ausgeführten Beschwerde nur mit einer globalen Bestreitung des Tatverdachts unter ausdrücklichem Hinweis auf mangelnde Aktenkenntnis (durch Verweigerung der Akteneinsichtnahme), ohne konkrete Einwände zu erheben.
Der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO aber wurde angesichts der Vielzahl der Angriffe, der Höhe des Schadens und der aussichtslosen finanziellen Situation des Beschwerdeführers schon deshalb vom Gerichtshof zweiter Instanz zutreffend bejaht, weil der Beschwerdeführer bereits im Jahr 1986 im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses bei der E*Sparkasse gleichartige Malversationen unternommen hatte, die nur aufgrund eines Vergleiches mit der geschädigten Bank zur Zurücklegung der seinerzeit darüber erstatteten Anzeige geführt hatten, nunmehr aber im Wege einer formlosen Wiederaufnahme in die Voruntersuchung miteinbezogenen wurden, da der Beschuldigte seinen Schadensgutmachungsverpflichtungen nicht termingemäß nachgekommen ist (ON 59; AS 261/II). Eben darin sind nun aber jene bestimmten Tatsachen zu erblicken, die mit Grund befürchten lassen, der Beschuldigte werde auch weiterhin versuchen ‑ etwa durch Ausnutzung seines erworbenen Insiderwissens in Anlagefragen ‑ auf vermögensschädigende Art und damit unter Verletzung desselben Rechtsgutes wie jenes, dessen Beeinträchtigung ihm durch die aktuellen Tathandlungen angelastet wird, Geldmittel zu erlangen, um seiner ausweglos scheinenden finanziellen Situation zu begegnen.
Die Bereitschaft des Beschwerdeführers, an der Aufklärung des Schadensumfanges mitzuwirken, vermag die Tatbegehungsgefahr ebensowenig zu beseitigen wie die Aussicht auf eine Erwerbstätigkeit, die Sorgepflichten für zwei minderjährige Kinder oder die angekündigte Bereitwilligkeit von Verwandten, zur Schadenreduzierung beizutragen. Daß die bloße Annahme, der Beschwerdeführer könnte noch über Bankformulare verfügen, die ihm die Vornahme vermögensschädigender Handlungen erleichtern könnte, für sich allein gesehen noch keine bestimmte Tatsache im Sinne des § 180 Abs 2 StPO darstellt, trifft zwar zu, ist hier aber angesichts der angeführten übrigen Umstände nicht entscheidend.
Da somit durch den angefochtenen Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien das Grundrecht des Beschwerdeführers auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde (§ 2 Abs 1 iVm § 7 GRBG), war die ‑ zulässige ‑ Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Demzufolge hatte gemäß § 8 GRBG ein Ausspruch über einen Ersatz der Beschwerdekosten zu entfallen.
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