OGH 6Ob521/93

OGH6Ob521/9328.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am *****geborenen Julia Franziska E*****infolge der Revisionsrekurse des Vaters Friedrich G*****sowie der väterlichen Großeltern Maria und Friedrich G*****senior, alle *****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 23.12.1992, GZ 3 R 609/92-15, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom 24.11.1992, GZ P 9/91-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Pflegschaftssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die am 31.7.1989 geborene Minderjährige ist das uneheliche Kind der Hannelore B*****, verehelichte E*****und des Friedrich G*****. Noch während der Schwangerschaft wurde die Lebensgemeinschaft der Eltern aufgelöst. Die Mutter lebte zunächst mit ihrem Kind bei ihren Eltern. Im Juni 1990 übersiedelte sie mit dem Kind in den Haushalt des Siegfried E*****, den sie im Dezember 1990 ehelichte. Am 31.3.1992 erfolgte die Namensgebung durch den Ehemann der Mutter, nachdem das Erstgericht die verweigerte Zustimmung des Vaters zur Namensgebung mit Beschluß vom 21.2.1991 ersetzt hatte. Zwischen Siegfried E*****und der Minderjährigen entwickelte sich eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende gute und innige Beziehung. Eine solche Beziehung wurde auch zu den Eltern des Ziehvaters, die auf dem gemeinsamen Hof leben, aufgebaut. Schon während der krankheitsbedingten Krankenhausaufenthalte der Mutter, die an einer Tumorerkrankung litt, welcher sie am 15.10.1992 erlegen ist, verblieb die Minderjährige in der Pflege und Erziehung der Familie E*****.

Der außereheliche Vater bewohnt in T*****mit seinen Eltern und seiner am Bezirksgericht *****berufstätigen Lebensgefährtin, die selbst keine Kinder bekommen kann, einen Bauernhof und hat nach dem Tode der Mutter den Wunsch, die Minderjährige in seinem Haushalt aufzuziehen. Nach der Geburt seiner Tochter hatte er zu dieser keinen Kontakt, weil die Mutter dies nicht wünschte und er aus Rücksicht auf ihre Erkrankung ihr eine zusätzliche seelische Belastung durch sein Erscheinen am Hof ihres Ehemannes ersparen wollte. Er hat sich gegen den Antrag des Siegfried E*****, ihm die Obsorge für die Minderjährige zu übertragen, ausgesprochen, weil er diese selbst übernehmen will. Mit Bescheid vom 12.11.1992 hat die Bezirkshauptmannschaft Spittal/Drau Siegfried E*****die Bewilligung erteilt, die Minderjährige in Pflege und Erziehung zu nehmen.

Das Erstgericht hat mit seinem Beschluß vom 24.11.1992 antragsgemäß die Obsorge für die Minderjährige an Siegfried E*****übertragen. Es führte aus, gemäß § 145 ABGB habe das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes zu entscheiden, ob die Obsorge, die zuvor einem Elternteil allein zugekommen sei, dem anderen Elternteil übertragen werden solle. Nach § 186a ABGB habe das Gericht den Pflegeeltern auf deren Antrag die Obsorge zu übertragen, wenn eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung bestehe, das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt sei und die Übertragung dem Wohl des Kindes entspreche. Stimmten die Eltern der Übertragung nicht zu, so dürfe dies nur verfügt werden, wenn ohne sie das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Dies sei hier - auch nach der Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Spittal-Jugendamt, welche sich für eine Übernahme der Obsorge durch den Stiefvater ausgesprochen habe - gegeben, denn es sei evident, daß das Kindeswohl gefährdet wäre, wenn man es aus seiner vertrauten Umgebung herausrisse, insbesondere unter Berücksichtigung seiner psychischen Belastung, die durch den Tod der Mutter entstanden sei. Es bestehe daher die konkrete Gefahr, daß bei Wegfall auch der nächsten vertrauten Bezugspersonen, nämlich des Stiefvaters und dessen Eltern, eine psychische Schädigung des Kindes, das eine Umstellung verstandesmäßig noch nicht verarbeiten könne, eintrete. Es wäre allerdings denkbar, daß durch einen behutsamen Kontaktaufbau zwischen der Minderjährigen und ihrem leiblichen Vater im Rahmen einer Besuchsrechtsausübung eine Beziehung aufgebaut werde, die in späteren Lebensjahren eine Übertragung der Obsorge an den Vater ermöglichte.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters keine Folge.

Der leibliche Vater eines unehelichen Kindes habe bei Ableben der allein obsorgeberechtigten Mutter grundsätzlich Priorität auf Übertragung der Obsorge, wenn dies dem Wohl des Kindes entspreche, während einem Stiefvater ein solcher Anspruch auch dann nicht zustehe, wenn das Kind bereits seit längerer Zeit in seinem Haushalt gelebt habe. Das Elternrecht gehe vor, so daß die mit dem Wechsel regelmäßig verbundene, meist aber vorübergehende Belastung des Kindes in Kauf genommen werden müsse, wenn die Eltern oder ein Elternteil Gewähr für eine ordnungsgemäße Erziehung böten. Auf Schwierigkeiten, die sich aus der Rückkehr des Kindes zu einem Elternteil ergeben könnten, sei ohne bestehenden Erziehungsnotstand nicht Bedacht zu nehmen. Das Erstgericht sei im vorliegenden Fall jedoch davon ausgegangen, daß eine psychische Schädigung des Kindes konkret zu befürchten sei. Das Rekursgericht schloß sich der Auffassung, durch das Herausreißen des Kindes aus der vertrauten Umgebung sei die Gefährdung des Kindeswohles evident, vor allem mit Rücksicht auf das Alter des Kindes an. Das Recht des leiblichen Vaters auf Übertragung der Obsorge müsse daher derzeit gegenüber dem Kindeswohl zurückstehen. Auf die beim Rekurswerber herrschenden Verhältnisse, welche nach seinen Behauptungen besser seien als beim Stiefvater, komme es nicht an. Wenn durch Ausübung des Besuchsrechtes eine ausreichende Vater-Kind-Beziehung hergestellt sei, werde eine Übertragung der Obsorge über Antrag des Vaters vorzunehmen sein.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil soweit überblickbar, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu den §§ 145 und 176 ABGB idF des KindRÄG, bezogen auf Sachverhalte wie den vorliegenden, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse sind zulässig und berechtigt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß den Eltern das Obsorgerecht ihrer Kinder primär zukommt. Das Verlangen des außerehelichen Vaters auf Übertragung der Obsorge nach dem Tod der zunächst allein obsorgeberechtigten Mutter darf nur dann verweigert werden, wenn darin ein Mißbrauch des Erziehungsrechtes läge. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob der Vater ungeeignet ist, das Kind zu erziehen. Nur wenn sich herausstellen sollte, daß aus schwerwiegenden Gründen seine Eignung verneint werden müßte, kann die Obsorge einer anderen Person übertragen werden. Schwierigkeiten, die sich aus einem Milieuwechsel im psychischer Hinsicht ergeben könnten, müssen dabei in Kauf genommen werden und können nur dann berücksichtigt werden, wenn sich daraus eine konkrete ernste Gefahr für die weitere Entwicklung des Kindes und nicht bloß eine vorübergehende Beeinträchtigung derselben ergäbe (SZ 47/137, SZ 49/50, RZ 1991/80 uva). Diese Grundsätze hat das Rekursgericht zwar dargestellt, eine nähere Prüfung, ob die selbstverständlich mit jedem Wechsel der Umgebung und der Bezugspersonen verbundenen Anpassungsschwierigkeiten des dreieinhalbjährigen Kindes über eine vorübergehende Beeinträchtigung hinausgehen und tatsächlich eine ernste Gefahr für die weitere Entwicklung des Kindes darstellen, aber unterlassen. Die ohne nähere Prüfung und Verfahrensergebnisse nur auf eine Empfehlung der Jugendwohlfahrtsbehörde gestützte Ausführung, eine solche schwerwiegende, bleibende Beeinträchtigung des Kindeswohles sei "evident", reicht hiezu jedenfalls nicht aus. Der Ansicht der Vorinstanzen, eine Obsorgeübertragung an den Vater komme "derzeit" und so lange nicht in Betracht, bis durch Ausübung des Besuchsrechtes des Vaters zu diesem ein engerer Kontakt hergestellt sei, kann auch entgegengehalten werden, daß die Beibehaltung der derzeit bestehenden Situation durch längere Zeit die Bindung des Kindes zu seinen Pflegepersonen noch vertiefen und einen späteren Wechsel noch schmerzlicher machen kann und die durch die gegensätzlichen Interessen auftretenden Spannungen zwischen den Pflegepersonen und dem Vater durch die Ausübung des Besuchsrechtes sich zusätzlich negativ auf das Kind auswirken können. Wie sich aus dem Akt ergibt, spricht sich der Pflegevater, obwohl erste Besuchskontakte mit dem leiblichen Vater ohne Komplikationen verlaufen sind, schon jetzt gegen ein Besuchsrecht in nur 14tägigen Intervallen aus, das der Vater durch Mitnahme des Kindes in seine häusliche Umgebung anstrebt, weil dies "den Aufbau des Familienlebens unter den geänderten Verhältnissen nach dem Tode der Mutter stören würde". Wie unter solchen Voraussetzungen in der Zukunft eine Verbesserung im Interesse des Kindes gegenüber einer schon jetzt erfolgenden Obsorgeübertragung erwartet werden kann, bleibt mehr als fraglich.

Im fortgesetzten Verfahren werden daher die Verhältnisse und die Erziehungseignung des Vaters näher zu prüfen und die Beiziehung eines Sachverständigen, der sich mit dem Kind selbst befaßt und sich nicht nur auf die Stellungnahmen der betroffenen Erwachsenen beschränkt, erforderlich sein. Erst dann kann abschließend beurteilt werden, ob die Übertragung der Obsorge an den leiblichen Vater tatsächlich mit einem konkreten schweren Schaden für die weitere Entwicklung des Kindes verbunden wäre.

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