OGH 11Os1/93

OGH11Os1/9320.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. April 1993 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut, Dr. Hager, Dr. Schindler und Dr. Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hautz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann H* wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Strafbezirksgerichtes Wien vom 6. März 1992, GZ 18 U 1397/91‑5, sowie des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. Mai 1992, AZ 13 d Bl 381/92, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Hauptmann, jedoch in Abwesenheit des Freigesprochenen zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:E34429

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

 

Rechtliche Beurteilung

Der am 17. Februar 1942 geborene Johann H* war laut Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Neubau, vom 25. November 1991, Kr 1774/N/90, verdächtig, als Verantwortlicher der Firma P* durch Vernachlässigung von Arbeitnehmerschutzvorschriften den Bauarbeiter Nikola B*, der am 4. Dezember 1990 in Wien bei Kranarbeiten durch den Aufprall eines ungesicherten Ersatzteiles auf seinen nicht durch einen Helm geschützten Kopf einen offenen Bruch des linken Schläfenbeins erlitt, fahrlässig am Körper schwer verletzt zu haben. Der Bezirksanwalt stellte am 27. November 1991 beim Strafbezirksgericht Wien den Antrag auf Bestrafung des Johann H* wegen des Vergehens nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB. Nach Einlangen dieses Antrages samt Anzeige bei Gericht am 3. Dezember 1991 wurde mit richterlichem Beschluß vom 4. Dezember 1991 der zunächst unter AZ 4 U 23418/91 angefallene Akt der Abteilung 18 dieses Gerichtes "im Sinne der Geschäftsverteilung" abgetreten. Die nächste richterliche Anordnung zu AZ 18 U 1397/91, datiert vom 6. Dezember 1991, betraf die Beischaffung einer neuen Strafregisterauskunft zur Prüfung der Verjährung (AS 2). Nach einem diese Frage betreffenden Schriftverkehr zwischen der Anklagebehörde und dem Gericht wurde am 14. Februar 1992 die Hauptverhandlung (für den 6. März 1992) anberaumt. In dieser Verhandlung wurde Johann H* gemäß § 259 Z 3 StPO mit der Begründung freigesprochen, daß die erste konkret gegen ihn gerichtete richterliche Verfügung (Beischaffung einer Strafregisterauskunft) erst am 6. Dezember 1991 ergangen und daher die Strafbarkeit infolge Ablaufs der ab dem 4. Dezember 1990 zu rechnenden einjährigen Verjährungsfrist erloschen sei (ON 5). Der dagegen erhobenen, auf §§ 468 Abs 1 Z 4, 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützten Berufung der Staatsanwaltschaft wurde mit Entscheidung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. Mai 1992, AZ 13 d Bl 381/92 (ON 11), nicht Folge gegeben, weil das bloße Einlangen eines Bestrafungsantrages als einer auf die Anklagebehörde beschränkten Initiative - der von der Staatsanwaltschaft zur Stützung ihrer Rechtsauffassung herangezogenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes AZ 13 Os 31/89 = RZ 1990/93 zuwider - Gerichtsanhängigkeit im Sinn des § 58 Abs 3 Z 2 StGB nicht zu begründen und den Fortlauf der Verjährungsfrist nicht zu hemmen vermöge. Gleiches gelte für die gerichtsinterne Abtretung des Aktes an einen anderen, nach der Geschäftsordnung nicht offenbar unzuständigen Richter.

In ihrer zur Wahrung des Gesetzes gegen die beiden bezeichneten Gerichtsurteile erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde macht die Generalprokuratur geltend, daß der dort vertretene Rechtsstandpunkt zur Lösung der Verjährungsfrage der laut oberstgerichtlicher Entscheidung zu AZ 13 Os 31/89 gebotenen differenzierenden Auslegung der Vorschrift des § 58 Abs 3 Z 2 StGB ‑ wonach jene Zeit, während der wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei Gericht anhängig ist, in die Verjährungsfrist nicht einzurechnen sei ‑ nicht entsprechend Rechnung trage. Zusammengefaßt wiedergegeben argumentiert die Generalprokuratur in Anlehnung an die zitierte (vereinzelt gebliebene) oberstgerichtliche Entscheidung im wesentlichen dahin, daß der einer strafbaren Handlung Verdächtige nach § 38 Abs 1 StPO (bereits) als Beschuldigter anzusehen ist, wenn gegen ihn die Anklageschrift oder der Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung eingebracht wurde. Es sei deshalb davon auszugehen, daß Gerichtsanhängigkeit nur in jenen Fällen (erst) durch die erste den richterlichen Verfolgungswillen zum Ausdruck bringende Maßnahme begründet werde, in welchen (wie insbesondere bei gerichtlichen Vorerhebungen) nicht die Einbringung der Anklageschrift oder des Antrages auf Einleitung der Voruntersuchung vorausgegangen sei. Im ordentlichen Verfahren vor den Bezirksgerichten, in welchem weder eine förmliche Voruntersuchung noch eine abgesonderte Verhandlung über die Versetzung in den Anklagestand stattfinde, vielmehr ein allgemeiner, schriftlich oder mündlich eingebrachter Antrag auf gesetzliche Bestrafung genüge (§ 451 Abs 1 StPO), und im Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz, welches durch einen schriftlichen Antrag des Anklägers auf Bestrafung des Beschuldigten eingeleitet werde (§ 483 StPO), entspreche der Bestrafungsantrag der Anklageschrift und begründe daher seine Einbringung ‑ wenn auch noch nicht das Prozeßverhältnis so doch ‑ Gerichtsanhängigkeit des Strafverfahrens.

Der von der Generalprokuratur vertretenen Auffassung zuwider lassen sich die vorgebrachten Argumente für eine (partielle) Gleichsetzung der Gerichtsanhängigkeit mit dem Anfall bestimmter Anträge bei Gericht mit den hier aktuellen Intentionen des Gesetzgebers nicht Einklang bringen. Die Beschwerde gibt zwar zutreffend die dazu maßgebenden Gesetzesmaterialien wieder, wonach sicherheitsbehördliche oder staatsanwaltschaftliche Erhebungen ohne Beteiligung des Gerichtes nicht als gerichtliches Strafverfahren anzusehen sind (EBRV zum StGB 1971, 165) und (nur) alle gerichtlichen Maßnahmen gegen einen bestimmten Täter (einschließlich der Verfahrensabbrechung nach § 412 StPO) den Fortlauf der Verjährungsfrist hemmen sollen (JAB 13), zieht aber daraus nicht die gebotenen Konsequenzen. Soll nämlich nach den in diesem Punkt eindeutigen Gesetzesmaterialien ausdrücklich jede gerichtliche Maßnahme gegen einen bestimmten Täter das entscheidende Kriterium verjährungshemmender Gerichtsanhängigkeit sein, dann verbleibt vorweg kein Freiraum für die von der Generalprokuratur angestrebte differenzierte Beurteilung in der Richtung, daß in den Fällen unmittelbarer Anklagen (oder Strafanträge bzw Anträge auf Bestrafung) wie auch bei einem (unmittelbaren) Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung Gerichtsanhängigkeit im Sinn des § 58 Abs 2 Z 2 StGB bereits mit der Einbringung dieser staatsanwaltschaftlichen Verfolgungsanträge anzunehmen wäre. Gerade weil eine explizite Begriffsdefinition der "Gerichtsanhängigkeit" weder den in Betracht kommenden prozessualen noch den materiellen Gesetzesvorschriften zu entnehmen ist, gibt die in den Gesetzesmaterialien ‑ wie dargelegt unmißverständlich - klargestellte Bedeutung der ersten strafgerichtlichen Aktivität gegen einen bestimmten Täter als wesentliches Hemmungskriterium den entscheidenden Ausschlag. Eine im Sinn der Beschwerdeauffassung vorbehaltslose Orientierung der in ihrer Rechtsnatur schon nach den §§ 56 und 58 StGB nicht auf bloß formellrechtliche Belange reduzierbaren Begriffsbedeutung der "Gerichtsanhängigkeit" an den Bestimmungen des § 38 Abs 1 und 3 StPO findet im Gesetz keine Deckung und erwiese sich im Licht etwa der Regelung des § 363 Z 1 StPO über die sogenannte "formlose" Wiederaufnahme selbst aus rein strafprozessualer Sicht als inkonsequent, weil dort nicht auf die (schon in der Strafprozeßordnung gar nicht konstant durchgehaltene - zB §§ 460, 483, 484 Abs 1 und 2 StPO) "Ansehbarkeit" eines Tatverdächtigen als Beschuldigter (§ 38 Abs 1 StPO), sondern auf die Behandlung als solcher, mithin (erneut) auf eine strafgerichtliche Maßnahme gegen eine bestimmte (einer Straftat beschuldigte) Person abgestellt wird.

Aus den dargelegten Erwägungen sieht der Oberste Gerichtshof daher keinen Anlaß, von der zur in Rede stehenden Problematik seit langem im erörterten Sinn gefestigten Judikatur, von der lediglich die Entscheidung 13 Os 31/89 abwich, abzugehen. Demgemäß liegen aber die geltend gemachten Gesetzesverletzungen nicht vor, weshalb die zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu verwerfen war.

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