OGH 4Ob515/93

OGH4Ob515/936.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hedwig M*****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr.Manfred Trentinaglia und Dr.Clemens Winkler, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wider die beklagte Partei Barbara P*****, vertreten durch Dr.Hanns Forcher-Mayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen restlicher S 75.000 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 23.Oktober 1992, GZ 4 R 211/92-62, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 1.Juni 1992, GZ 18 Cg 258/91-57, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung über den Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung einschließlich der Entscheidung über die gesamten Verfahrenskosten wie folgt zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von S 75.000 samt 4 % Zinsen seit 7.3.1991 zu zahlen und die mit S 62.416,92 (darin enthalten S 9.227,82 Umsatzsteuer und S 7.050 Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen zu ersetzen, dies alles binnen 14 Tagen bei Exekution.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 30.1.1987 erlitt die Klägerin in St.Johann i.T. beim Ski fahren im Zuge eines Sturzes nach einer Streifung mit der Beklagten einen Schlüsselbeinbruch mit Trümmerzone. Wegen schwerwiegender, auf die Sturzverletzungen zurückzuführender Komplikationen - wie Lungenembolien, Thrombosen, Refraktur des Schlüsselbeins, Kreislaufstillstand im Zusammenhang mit gefäßchirurgischen Eingriffen - war der Heilungsverlauf beträchtlich verzögert. Letztlich mußte der Klägerin am 7.12.1989 wegen eines lebensbedrohlichen Infektes das linke Bein abgenommen werden. Der verbliebene Oberschenkelstumpf ist sehr kurz und weich, so daß das Tragen einer Prothese schwierig bis unmöglich ist. Im Bereich des rechten Schlüsselbeins liegt - unter der Haut tastbar, kosmetisch entstellend unter großen Narbenzügen - eine Rekonstruktionsplatte, welche zu entfernen wäre. Da Komplikationen keinesfalls auszuschließen sind, lehnt die Klägerin trotz der häßlichen Kosmetik die Entfernung der Platte ab. Auch im Bereich der rechten Leiste befinden sich Vernarbungen, die kosmetisch stören.

Die Klägerin ist seit 1971 verheiratet und war vor dem Unfall bei der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband M***** e.V. angestellt, wo sie mit der Aufnahme pflegebedürftiger Personen in Wohn- und Altenheime beschäftigt war. Da sie diese - mit zahlreichen außer Haus zu verrichtenden Dienstleistungen verbundene - Tätigkeit nach der Beinamputation nicht mehr ausüben konnte, wurde sie gekündigt. Seit 15.10.1991 absolviert die Klägerin eine dreijährige Berufsausbildung zur Logopädin; sie plant, diesen Beruf nach Abschluß ihrer Ausbildung als selbständig Erwerbstätige auszuüben. Nach den gegenwärtigen Verdienstaussichten wird sie dabei ein geringeres Einkommen erzielen, als sie bei Fortführung ihrer früheren Tätigkeit in Aussicht hatte.

Die Klägerin hat - nach Ausdehnung ihrer Klage - ein Schmerzengeld von S 550.000, eine Verunstaltungsentschädigung von S 150.000 sowie die Feststellung begehrt, daß ihr die Beklagte für sämtliche künftigen Unfallschäden hafte. Mit rechtskräftigem Teilurteil des Berufungsgerichtes (ON 49) wurde die Beklagte schuldig erkannt, der Klägerin ein Schmerzengeld von S 275.000 sA zu zahlen; weiters wurde ausgesprochen, daß die Beklagte der Klägerin für 50 % aller Schäden zu haften hat, welche die Klägerin als Folge des Skiunfalls in Zukunft erleidet. Hinsichtlich der Forderung auf Zahlung einer Verunstaltungsentschädigung von S 75.000 samt 4 % Zinsen seit 7.3.1991 erging ein Aufhebungsbeschluß. Den Anspruch auf Zahlung einer solchen Entschädigung stützt die Klägerin darauf, daß die durch die Amputation eines Beines und die mehrfachen Vernarbungen bewirkte Verunstaltung ihre Lebenssituation, insbesondere in Ansehung ihres Fortkommens in dem von ihr nunmehr angestrebten Beruf, schwerstens beeinträchtigen werde. Ihren früheren Beruf könne sie wegen der Beinamputation nicht mehr ausüben.

Die Beklagte bestritt den Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung dem Grunde und der Höhe nach.

Mit dem im zweiten Rechtsgang ergangenen Urteil wies das Erstgericht den Anspruch auf Zahlung des restlichen Betrages von S 75.000 sA ab. Wohl bewirkten die Oberschenkelamputation und die zahlreichen als Folge von Operationen verbliebenen Narben eine Verunstaltung der Klägerin; eine Behinderung des beruflichen Fortkommens sei aber dadurch nicht zu erwarten. Daß die Klägerin ihre frühere Berufstätigkeit habe aufgeben müssen, sei auf die Verminderung ihrer Arbeitsfähigkeit zurückzuführen. Das sei als Verdienstentgang abzugelten; dafür gebühre ihr aber keine Verunstaltungsentschädigung.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Eine Entschädigung wegen verminderter Heiratsaussichten könne die Klägerin nicht in Anspruch nehmen, weil sie seit 1971 in aufrechter Ehe verheiratet sei. Ein Anspruch wegen Behinderung des besseren beruflichen Fortkommens würde aber eine - wenn auch bloß geringgradige - Wahrscheinlichkeit, daß die Verunstaltung das bessere Fortkommen beeinträchtigen werde, voraussetzen. Im vorliegenden Fall bestehe jedoch keine solche geringfügige Wahrscheinlichkeit. Soweit die Klägerin Gehaltseinbußen gegenüber ihrer früheren Tätigkeit erleiden werde, seien diese auf ihre teilweise Erwerbsunfähigkeit zurückzuführen, worauf nur im Rahmen eines Anspruches wegen Verdienstentganges Bedacht genommen werden könne. Daß aber die Klägerin wegen ihrer Verunstaltungen im Rahmen ihrer angestrebten Tätigkeit als Logopädin in ihrem besseren Fortkommen verhindert sein könnte, sei nicht zu erwarten. Gerade in diesem Beruf müsse die Klägerin mit Menschen arbeiten, die - wenngleich auf einem anderen Gebiet - ebenfalls behindert sind. Von diesem Personenkreis könne nicht angenommen werden, daß die Behinderung der Klägerin die Herstellung des erforderlichen Vertrauensverhältnisses erschweren oder gar verhindern würde. Die bei der Klägerin vorhandenen Narben könnten dabei nicht berücksichtigt werden, weil sie beim Tragen normaler Arbeitskleidung nicht sichtbar seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidung dahin abzuändern, daß ihr der weitere Betrag von S 75.000 sA zugesprochen werde; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin ist im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zulässig, weil das Berufungsgericht durch seine rechtliche Beurteilung in Wahrheit von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes über die Voraussetzungen einer Verunstaltungsentschädigung wegen Beeinträchtigung besseren beruflichen Fortkommens abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Ohne Zweifel führen die Oberschenkelamputation und die - beim Tragen sommerlicher Kleidung sichtbaren - Narben im Bereich des rechten Schlüsselbeins nach der dafür maßgebenden Lebensanschauung (Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 4 zu § 1326) zu einer Verunstaltung der Klägerin (Amputation: SZ 47/60 ua; Narbenbildung: SZ 41/92 ua). Abscheu, Erwecken abstoßender Gefühle oder Erregung von Mitleid sind nicht Wesensmerkmale einer Verunstaltung (Reischauer aaO). Zum "besseren Fortkommen" im Sinne des § 1326 ABGB gehört neben den - hier wegen der aufrechten Ehe der Klägerin nicht in Frage kommenden - Heiratsaussichten auch die Verbesserung der Lebenslage durch einen möglichen beruflichen Aufstieg. Mit den Worten "vermindert werden kann" verlangt das Gesetz bloß die abstrakte (SZ 44/186 ua) Möglichkeit der Verminderung besseren Fortkommens; dabei kann es aber ungewiß bleiben, ob der Schaden wirklich einmal eintreten wird (SZ 47/60), sofern nur zumindest eine geringgradige Wahrscheinlichkeit hiefür besteht (SZ 43/127; SZ 44/186; SZ 47/60 uva) und der Schadenseintritt nicht praktisch ausgeschlossen ist (SZ 44/186; ZVR 1978/290). Eine solche Wahrscheinlichkeit muß aber nach der Lebenserfahrung immer dann angenommen werden, wenn zur Berufsausübung die Anbahnung von persönlichen Kontakten mit Menschen gehört.

Im vorliegenden Fall kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Klägerin in dem von ihr angestrebten Beruf als freiberufliche Logopädin durch ihre Verunstaltungen in ihrem besseren Fortkommen beeinträchtigt werden kann. Daß die von ihr betreuten Personen ebenfalls behindert sind, schließt die Möglichkeit eines solchen Schadens schon deshalb nicht aus, weil nicht die von Sprachstörungen zumeist betroffenen Kinder, sondern deren - regelmäßig - gesunde Eltern die erforderliche Heilbehandlung anbahnen. Darüber hinaus aber kann auch nicht angenommen werden, daß Behinderte der Behinderung anderer Personen regelmäßig völlig neutral gegenüberstehen und deren Behinderungen nie zum Anlaß nehmen, mit ihnen nicht in geschäftliche Kontakte zu treten.

Unter dem Titel der Verminderung des Fortkommens ist der Vermögensschaden zuzusprechen, der mit einer Verunstaltung wahrscheinlich verbunden ist; nach der Rechtsprechung erfaßt dieser Anspruch nicht immaterielle Schäden, wie die seelische Beeinträchtigung, die mit der Verunstaltung verbunden ist (vgl SZ 35/100; EFSlg 18.006 und 51.503 uva). Nicht zu berücksichtigen ist die Verhinderung des Fortkommens als Folge einer Erwerbsunfähigkeit, weil dafür eine Entschädigung wegen Verdienstentganges gebührt (Reischauer aaO Rz 11 zu § 1326 mit zahlreichen Judikaturhinweisen). Der Höhe nach erscheint die von der Klägerin erhobene Schadenersatzforderung von S 150.000 (ungekürzt) wegen der Schwere ihrer Verunstaltungen schon in bezug auf die Dauer der von der zum Zeitpunkt des Unfalls 36 Jahre alten Klägerin noch zu erwartenden Berufsausübung von rund 15 Jahren durchaus angemessen. Ob dabei - hier gar nicht geltend gemachte - immaterielle Schäden zu berücksichtigen sind (Apathy, Historisches und Dogmatisches zur Entschädigung für die Verhinderung des besseren Fortkommens [§ 1326 ABGB, § 13 Z 5 AtomHG, § 13 Z 5 EKHG] in Strasser-FS 1993, 1 ff [6 ff]) muß somit nicht erörtert werden.

Im Hinblick auf die rechtskräftig vorgenommene Verschuldensaufteilung im Verhältnis 1 : 1 war daher der Klägerin eine Verunstaltungsentschädigung in der Höhe von S 75.000 zuzusprechen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich in Ansehung des ersten (von der Klage bis zur Ausdehnung des Klagebegehrens in der Verhandlung vom 7.3.1991) und des zweiten (ab der Ausdehnung der Klage bis zum Schluß der Verhandlung am 7.3.1991) Verfahrensabschnitts auf § 43 Abs 1 ZPO. Die Klägerin ist in diesen beiden Abschnitten mit jeweils 50 % der von ihr erhobenen Ansprüche durchgedrungen; die Kosten dieser Verfahrensabschnitte waren daher gegeneinander aufzuheben. Hinsichtlich der Barauslagen hat die Klägerin gemäß dem letzten Absatz des § 43 Abs 1 ZPO Anspruch auf Ersatz in der Höhe von 50 %, d.s. S 7.050. Ab dem Berufungsverfahren im ersten Rechtsgang, in welchem nur noch die Hälfte der Ansprüche der Klägerin Gegenstand des Verfahrens war, ist die Klägerin voll durchgedrungen, so daß sie gemäß § 41 ZPO Anspruch auf vollen Kostenersatz hat; dabei beträgt die Bemessungsgrundlage im Berufungsverfahren im ersten Rechtsgang noch S 400.000 und ab dem Verfahren erster Instanz im zweiten Rechtsgang nur noch S 75.000. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens im zweiten Rechtsgang gründet sich zusätzlich auf § 50 ZPO.

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