OGH 2Ob250/62

OGH2Ob250/6227.9.1962

SZ 35/100

Normen

ABGB §1326
ABGB §1326

 

Spruch:

Ersatzanspruch nach § 1326 ABGB. bei einem Kind, dem wegen der Verletzung nie eine Erwerbstätigkeit möglich sein wird.

Entscheidung vom 27. September 1962, 2 Ob 250/62.

I. Instanz: Landesgericht Eisenstadt; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Am 10. Februar 1959 wurde der am 15. Juli 1956 geborene Kläger von einem vom Beklagten gelenkten Personenkraftwagen niedergestoßen und verletzt. Mit Urteil des Landesgerichtes vom 5. April 1961 wurde u.

a. rechtskräftig festgestellt, daß der Beklagte dem Kläger für allen ihm aus dem Unfall entstehenden Schaden haftet. Der Kläger macht nunmehr weitere Schadenersatzansprüche geltend.

Der Erstrichter sprach ihm zu: als Entschädigung für Verunstaltung gemäß § 1326 ABGB. 75.000 S, an Pflegekosten für die Zeit bis einschließlich Februar 1962 die Beträge von 15.000 S und 23.800 S, an Mehrauslagen für die Zeit vom Februar 1959 bis einschließlich Februar 1962 die Beträge von 6000 S und 4200 S, zusammen also 124.000 S. Das Mehrbegehren von 104.600 S, in dem auch das Schmerzensgeldbegehren von 75.000 S enthalten war, wies er ab. Der Erstrichter stellte bezüglich der im Revisionsverfahren noch bekämpften Beträge von 75.000 S (Verunstaltungsentschädigung) und 23.800 S (Pflegekosten für Jänner 1961 bis Februar 1962) im wesentlichen fest: Der Kläger habe eine schwere Gehirnquetschung erlitten, die eine dauernde Schädigung des Gehirns zur Folge habe. Er befinde sich auf der Stufe des geistigen Schwachsinns. Er könne weder gehen noch reden. Er bewege sich kriechend fort, lasse unter sich, müsse gefüttert werden und bedürfe dauernd einer ständigen Pflege- oder Aufsichtsperson zu seiner Betreuung. Es sei anzunehmen, daß er auch in Zukunft nicht in der Lage sein werde, auch nur einigermaßen für sich selbst zu sorgen oder eine berufliche Tätigkeit auszuüben. Seine Lebenserwartung, die weitgehend von der Pflege abhänge, sei mit etwa 40 bis 45 Jahren anzunehmen. Der Erstrichter hielt die begehrte Verunstaltungsentschädigung von 75.000 S für angemessen, desgleichen auch den für die Pflege während der Zeit vom Jänner 1961 bis Februar 1962 begehrten Betrag von monatlich 1700 S.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Berufung des Beklagten gab es teilweise Folge. Es änderte das Urteil der ersten Instanz dahin ab, daß es dem Kläger für die durch seine Mutter in der Zeit vom Jänner 1961 bis Ende Februar 1962 besorgte Pflege statt des Betrages von monatlich 1700 S nur einen solchen von monatlich 1000 S zuerkannte und demgemäß einen weiteren Betrag von 9800 S abwies.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge, der Revision des Klägers Folge und sprach dem Kläger einen Betrag von 124.000 S samt 4% Zinsen aus 96.000 S ab 30. September 1961 zu.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Meinung des Beklagten, dem Kläger stehe für die Zeit, in der er von seiner Mutter betreut wurde, kein Anspruch auf Ersatz von Pflegekosten zu, weil die Mutter nach dem Gesetze verpflichtet sei, für das leibliche Wohl ihres Kindes zu sorgen, kann nicht beigepflichtet werden. Durch die nach dem Gesetz den Eltern ihren Kindern gegenüber obliegenden Verpflichtungen wird die Verpflichtung des Schädigers, für die auf die Beschädigung zurückzuführenden Pflegekosten aufzukommen, nicht berührt. Nach dem festgestellten Sachverhalt bedarf der Kläger mit Rücksicht auf seinen durch den Unfall herbeigeführten Zustand einer ständigen Betreuung durch eine Pflegeperson. Daraus folgt, daß für ihn, wenn die Pflege nicht von seiner Mutter besorgt würde, eine andere Pflegeperson aufgenommen werden müßte. Daß ein geistig und körperlich gesundes Kind in dem Alter, in dem sich der Kläger befindet, mindestens gleich viel Arbeit verursache wie der Kläger, kann nicht ernstlich behauptet werden. Ein gesundes Kind, welches das schulpflichtige Alter erreicht hat, bedarf keineswegs einer ständigen Betreuung durch eine Pflegeperson. Daß die Mutter des Klägers auch dann, wenn ihr Kind geistig und körperlich gesund geblieben wäre, genötigt gewesen wäre, ihre Arbeit aufzugeben, um sich der Pflege ihres Kindes zu widmen, wurde gar nicht behauptet. Mit dem in der Revision erwähnten Betrag von monatlich 300 S sollen nicht die Auslagen für eine Pflegeperson abgegolten werden, sondern verschiedene Mehrauslagen, insbesondere für die Bekleidung u. dgl., die durch den Zustand des Klägers verursacht werden.

Es erscheint vielmehr die Revision des Klägers, die sich gegen die Herabsetzung der Entschädigung für eine Pflegeperson durch das Berufungsgericht richtet, begrundet. In rechtlicher Hinsicht kann aber dem Kläger darin gefolgt werden, daß der vom Berufungsgericht als Entschädigung für die Pflegeperson während des hier in Betracht kommenden Zeitraumes als angemessen erachtete Betrag von monatlich 1000 S zu niedrig ist. Auszugehen ist von den unbekämpften erstrichterlichen Feststellungen, daß ein Betrag von monatlich 1500 S die unterste Grenze dessen darstellt, worauf eine Pflegeperson unter den gegebenen Umständen Anspruch erheben könnte, sowie daß die Mutter des Klägers, um sich der Pflege ihres Kindes widmen zu können, ihre Beschäftigung als Strickerin aufgab, durch die sie monatlich rund 1600 S verdiente. Dazu kommt, daß der Kläger ständig, also nicht bloß während der üblichen Arbeitsstunden, der Betreuung durch eine Pflegeperson bedarf und daß sogar seine Lebenserwartung von der Art dieser Pflege beeinflußt wird. Bei dieser Sachlage erscheint die vom Erstrichter zuerkannte Entschädigung von monatlich 1700 S während des hier in Betracht kommenden Zeitraumes angemessen.

Der Beklagte ist auch nicht im Recht, soweit er sich gegen den Zuspruch eines Betrages von 75.000 S aus dem Rechtsgrund des § 1326 ABGB. wendet. Seiner Ansicht, dieser Anspruch sei deshalb nicht begrundet, weil noch gar nicht feststehe, ob der Kläger die Zeit, da er in seinem Fortkommen behindert sein könnte, überhaupt erleben werde, kann nicht beigepflichtet werden. Nach der in Lehre und Rechtsprechung vertretenen Auffassung genügt schon die Möglichkeit der Behinderung des besseren Fortkommens (vgl. ZVR. 1961 Nr. 118, ZVR. 1962 Nr. 196 u. a.), welche Voraussetzung auch bei einem Kind gegeben sein kann (vgl. Klang[2] VI, S. 146 f., und die dort unter Fußnote 36 angeführte Judikatur und Literatur).

Abzulehnen ist auch die Meinung des Beklagten, der Kläger habe deshalb keinen Anspruch auf eine Verunstaltungsentschädigung, weil er nach dem Sachverständigengutachten voraussichtlich niemals einer beruflichen Tätigkeit werde nachgehen können, also überhaupt kein Fortkommen haben werde. Die Auslegung, die der Beklagte dem § 1326 ABGB. geben will, wird dem Sinn dieser Gesetzesstelle nicht gerecht. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, geht der Anspruch nach § 1326 ABGB. nicht deshalb verloren, weil durch die Verunstaltung die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht bloß behindert, sondern überhaupt unmöglich gemacht wird. Ebenso unzutreffend ist auch die Meinung des Beklagten, die Verunstaltungsentschädigung stelle eine Abgeltung für subjektiv empfundene Minderwertigkeit dar, gebühre also dann nicht, wenn wie im vorliegenden Falle ein solches subjektives Empfinden nicht vorliege. Ob der Kläger seinen Zustand und die damit verbundenen Folgen zu erfassen vermag, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend.

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