OGH 10ObS3/93

OGH10ObS3/9318.2.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Prohaska (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Taucher (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alfred P*****, Verkäufer, ***** vertreten durch Dr.Charlotte Böhm und Dr.Erika Furgler, Rechtsanwältinnen in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Oktober 1992, GZ 34 Rs 103/92-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17.April 1992, GZ 25 Cgs 520/91-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 5.April 1947 geborene Kläger erlernte den Beruf eines Einzelkaufmannes. Nach erfolgreich absolvierter Lehrausbildung war er durchgehend als Verkäufer von Teppichen, Teppichböden und Bodenbelägen beschäftigt. Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 1.März 1991 wurde der Anspruch des Klägers auf eine zeitlich begrenzte Berufsunfähigkeitspension gemäß § 270 iVm § 256 ASVG für den Zeitraum vom 1.2.1990 bis 30.6.1991 anerkannt. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.September 1991 wurde der Antrag des Klägers vom 29. Mai 1991 auf Weitergewährung der befristet zuerkannten Berufsunfähigkeitspension über den 30.6.1991 hinaus abgewiesen. Nach abgelaufenen Hirnerkrankungen (Tumorentfernung 1971 und Schlaganfall 1989) leidet der Kläger ua an Drehschwindel, an einer leichten Einschränkung der Daueraufmerksamkeit und Dauerbelastbarkeit und an praktischer Einäugigkeit. Er kann alle geistigen Arbeiten bei durchschnittlichem Zeitdruck ausüben. Anlernbarkeit, Einordenbarkeit und Vermittelbarkeit sind gegeben. Zumutbar sind mittelschwere körperliche Arbeiten zu den üblichen Arbeitszeiten mit den üblichen Arbeitspausen unter städtischen und ländlichen Anmarschbedingungen. Ausgeschlossen sind Arbeiten, für die beidäugiges Sehen erforderlich ist und solche an gefährdenden Maschinen und auf sturzgefährdenden Plattformen. An die funktionelle Einäugigkeit ist im Lauf des Lebens eine Gewöhnung eingetreten. Der Kläger kann seinen bisherigen Beruf als Verkäufer nur noch in folgender spezialisierter Form ausüben:

kaufmännisch-administrative Berufstätigkeiten in Handelsbetrieben und zwar im Bestellwesen für die Bearbeitung und Durchführung von Bestellungen, Be- und Abrechnung von Warenbestellungen, Durchführung von kaufmännischen Korrespondenztätigkeiten, Erstellen (bzw Mitarbeit) von Angeboten und Kalkulationen, allgemeine Verwaltungstätigkeiten. Diese Arbeiten sind nur mit leichter körperlicher Belastung und durchschnittlichem Zeitdruck verbunden. Sie erfordern eine kaufmännische Berufsausbildung und werden kollektivvertraglich in den Verwendungsgruppen 3 bis 4 eingestuft.

Das Erstgericht wies das auf Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension über den 30.6.1991 hinaus gerichtete Klagebegehren ab. Der Kläger sei in der Lage, dem von ihm bisher ausgeübten Beruf weiterhin nachzugehen, wenn auch in Form einer spezialisierten Berufsausübung. Ein sozialer Abstieg wäre mit einer solchen Tätigkeit nicht verbunden, weil die kollektivvertragliche Einstufung keine Änderung erfahren würde. Er sei daher nicht berufsunfähig gemäß § 273 Abs 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer überzeugenden Beweiswürdigung und trat auch der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei. Dem Einwand, daß die bereits Jahrzehnte zurückliegende Lehrzeit eine entsprechende Nachschulung erfordere, erwiderte das Berufungsgericht, daß beim Kläger von den Verstandesleistungen her noch Anlernbarkeit für Arbeiten mit vergleichbarem psychologischen Anforderungsprofil bestehe und er nach dem Klagsvorbringen als Verkäufer von Teppichen in seinem Einsatz als Spezialist für Orientteppiche mit dem Bestellwesen und sämtlichen adminstrativen Aufgaben des Verkaufes, wie der Warenpräsentation und Übernahme betraut gewesen sei. Daß ein Versicherter wegen längerer Beschäftigungslosigkeit und infolge von Anpassungsschwierigkeiten auf einem neuen Arbeitsplatz allenfalls einer Anpassungszeit bedürfe, schließe ihn noch nicht vom Arbeitsmarkt aus. Da der Kläger nach seinem Vorbringen sämtliche administrativen Verkäufertätigkeiten ausgeübt habe, müsse er ausgehend von seinen erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage sein, das über das Maß seiner bisherigen Tätigkeit hinausgehende Wissen für einen Arbeitsplatz mit der genannten eingeschränkten spezialisierten Aufgabenstellung im Rahmen einer bloßen Einarbeitung zu erwerben. Reichten die Kenntnisse und Fähigkeiten des Versicherten nicht aus, um andere Tätigkeiten seiner Beschäftigungsgruppe als die von ihm konkret geleisteten auszuführen, so könne er nicht den Berufsschutz dieser Beschäftigungsgruppe, sondern nur den einer niedrigeren in Anspruch nehmen.

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Abgesehen davon, daß die Lösung der Frage, ob außer den bereits vorliegenden ein weiteres Sachverständigengutachten zu demselben Beweisthema einzuholen gewesen wäre, zur Beweiswürdigung gehört und daher mit Revision nicht bekämpft werden kann (EFSlg 44.107, 55.106, 57.830 ua; 10 Ob S 317/91, 10 Ob S 86/92, 10 Ob S 244/92 ua; Fasching ZPR2 Rdz 1910), hat der Kläger das Unterbleiben der Einholung eines neurochirurgischen Sachverständigengutachtens schon als Mangel des Verfahrens erster Instanz in seiner Berufung geltend gemacht. Dieser - vom Berufungsgericht verneinte - Mangel kann aber nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (SSV-NF 1/32 = SZ 60/197; SSV-NF 5/116 uva). Dies gilt auch für den Einwand, es seien nicht sämtliche Krankengeschichten des Klägers beigeschafft worden.

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache versucht der Kläger eine Bekämpfung der von den Vorinstanzen übernommenen Ansicht des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen, daß die Einschätzung der Residualzustände nach der Tumorentfernung in das Gebiet der Neurologie und Psychologie und nicht in das Fachgebiet der Neurochirurgie falle. Wie der Revisionswerber selbst zutreffend ausführt, ist eine Anfechtung der Ergebnisse von Sachverständigengutachten, die die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrundelegten, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung nur insoweit möglich, als dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze und zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdruckes unterlaufen ist und das die Unrichtigkeit des Gutachtens zur Folge hat (SSV-NF 2/74, 3/14 ua). Solche Mängel vermag der Revisionswerber aber nicht aufzuzeigen. Genauer Feststellungen über den Operationsverlauf im Jahr 1971 und dessen Folgen wie auch über den Behandlungsverlauf in der Zeit vom 3.8. bis 20.9.1989 bedurfte es nicht. Entscheidend ist der körperliche und geistige Zustand des Klägers und sein Leistungskalkül für die Zeit der Zuerkennung der Invaliditätspension (vgl SSV-NF 5/5); dazu haben die Tatsacheninstanzen aber ausreichende Feststellungen getroffen.

Die Rechtsrüge ist auch insofern nicht berechtigt, als in ihr die Ansicht vertreten wird, der Kläger sei mit Rücksicht auf seine bisherige Tätigkeit im Verkauf nicht verweisbar, weil es ihm nicht zumutbar sei, sich einer Schulung zu unterziehen. Er beachtet offenbar zu wenig, daß es keine Berufsgruppe, aber auch keinen Lehrberuf "Verkäufer" gibt. Dabei handelt es sich vielmehr um Teiltätigkeiten mehrerer verwandter kaufmännischer Lehrberufe, insbesondere des Lehrberufes "Einzelhandelskaufmann", bei denen der Verkauf der Waren im Vordergrund steht. Auch nach dem in den Ausbildungsvorschriften für den letztgenannten Lehrberuf (zuletzt BGBl 1990/378) festgelegten Berufsbild sind während der Berufsausbildung nicht nur Fertigkeiten und Kenntnisse des Warensortiments, der Verkaufsvorbereitung, der Warenpräsentation und Verkaufsförderung, des Warenverkaufs und der Kundenberatung sowie der Verkaufsabrechnung zu vermitteln, sondern ua auch in der Verwaltung (einschlägige Schriftverkehrsarbeiten, Arbeiten bei Posteingang, Postausgang, Ablage und Evidenz, Arbeiten mit Formularen und Vordrucken, Kenntnisse über die Anlegung von Statistiken, Karteien oder Dateien, Grundkenntnisse über betriebliche Risken und deren Versicherungsmöglichkeiten sowie über Schadensmeldungen), aber auch im Zusammenhang mit der Warenbeschaffung und Lagerung und im betrieblichen Rechnungswesen (Kostenrechnung und Kalkulation, Steuern und Abgaben, Rechnungswesen, Zahlungsverkehr und Buchführung). Die bürokaufmännischen Elemente der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann werden nicht nur in der Praxis des konkreten Lehrbetriebes vermittelt, sondern auch in der Berufsschule gelehrt (ebenso 15.9.1992, 10 Ob S 160/92). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen kann der Kläger seinen bisherigen Beruf als Verkäufer in einer spezialisierten - insbesondere den persönlichen Kundenkontakt vermeidenden - Form weiterhin ausüben. Der Kläger hat bereits in seiner Klage vorgebracht, daß er "als Spezialist für Orientteppiche" ua auch mit dem Bestellwesen und sämtlichen administrativen Aufgaben des Verkaufes betraut gewesen sei. Er kann daher die ermittelte Verweisungstätigkeit nach einer kürzeren Anpassungszeit (vgl SSV-NF 5/110) ausüben und bedarf keineswegs der von ihm befürchteten "längerdauernden Schulung". Im übrigen könnte sich der Kläger auch nicht darauf berufen, daß er nicht wenigstens über die in der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreichs allgemein übliche kaufmännische Ausbildung verfüge und keinerlei Bürotätigkeit ausgeübt habe, weil er dann nicht den Berufsschutz eines Angestellten dieser Beschäftigungsgruppe beanspruchen könnte (vgl SSV-NF 4/17, 3/41). Die Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 3 ASVG liegen beim Kläger mangels Vollendung des 55.Lebensjahres nicht vor.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind auch nicht ersichtlich.

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