OGH 1Ob46/91

OGH1Ob46/917.10.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Georg Helmut S*****, vertreten durch Dr.Helwig Keber, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1.) Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, 2.) Land Steiermark, vertreten durch Dr.Alfred Lind und Dr.Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 150.000,-- s.A. und Feststellung infolge Rekurses der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 16. Mai 1991, GZ 5 R 8/91-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 29. Oktober 1990, GZ 13 Cg 116/90-14, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 und Art 140 Abs 1 B-VG den Antrag auf Aufhebung von § 1 Abs 3 des Amtshaftungsgesetzes vom 18.12.1948, BGBl 1949/20 idF der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989.

Text

Begründung

Der Kläger begehrte mit der am 26.März 1990 erhobenen Amtshaftungsklage wegen mehrfacher im Jahr 1981 anläßlich seines Zwangsaufenthaltes im Landessonderkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie G***** durch einen Krankenpfleger erfolgter Mißhandlungen mit Verletzungsfolgen Zahlung von S 150.000 s.A. (für ein notwendiges Zahnfleischimplantat zur Wiederherstellung der Kaufunktionen und Schmerzengeld) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen, aus den Gewalteinwirkungen des Krankenpflegers entstehenden Schäden. Er sei aufgrund eines amtsärztlichen Pareres und eines gerichtlichen Anhaltungsbeschlusses nach dem Krankenanstaltengesetz sowie aufgrund eines Bescheides der Steiermärkischen Landesregierung gemäß § 29 Abs 1 des Steiermärkischen Sozialhilfegesetzes (LGBl 1977/1) vom 14.Jänner 1981 bis 28.Feber 1982 im Landessonderkrankenhaus angehalten worden, sodaß das Organverhalten des Krankenpflegers beiden beklagten Parteien zuzuordnen sei. Der Krankenpfleger habe ihm im November 1981 14 Tage lang grundlos die verordneten Pillen mit einem Stahllöffel gewaltsam in den Mund eingeführt und durch heftiges Umdrehen des Löffels sein Zahnfleisch aufgerissen, sodaß in der Folge Eiterungen und ein massiver Schwund des Zahnfleisches eingetreten seien, womit auch künftige Komplikationen verbunden sein könnten. Überdies seien die Verletzungen unter Zufügung besonderer Qualen erfolgt, sodaß in mehrfacher Hinsicht die Qualifikation nach § 84 StGB gegeben und der Amtshaftungsanspruch wegen der gebotenen Anwendung der zehnjährigen Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 zweiter Satz AHG nicht verjährt sei.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Sie bestritten die vom Kläger behaupteten Tätlichkeiten des Krankenpflegers und wandten Verjährung ein, weil die in der Klage behaupteten Tätlichkeiten, selbst wenn sie vorgefallen sein sollten, wegen ihrer Begehung und ihrer Folgen den Bestimmungen der §§ 83, 88 und 125 StGB zu unterstellen seien, sodaß die anzuwendende dreijährige Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 erster Satz AHG abgelaufen sei. Das zweitbeklagte Land Steiermark wandte überdies ein, das behauptete rein deliktische Verhalten des Krankenpflegers sei nicht in Vollziehung ihr zurechenbarer Hoheitsverwaltung erfolgt, zumal die Gewährung der Sozialhilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs nicht durch Einweisung und Anhaltung im Landessonderkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie G***** erfolgt sei, sondern damit lediglich die Kosten für den durch Gerichtsbeschluß angeordneten Aufenthalt des damals entmündigten bzw unter Sachwalterschaft stehenden Klägers übernommen worden seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Auffassung, der Verjährungseinwand der beklagten Parteien erweise sich als zutreffend, weil die vom Kläger behaupteten Verletzungen durch den Krankenpfleger nicht dem Tatbild des § 84 StGB zu unterstellen seien und damit die anzuwendende dreijährige Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 AHG bereits abgelaufen sei.

Das Gericht zweiter Instanz hob infolge Berufung des Klägers das Urteil des Erstgerichtes auf und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Die vollständige Berücksichtigung des Klagevorbringens zu den schadensstiftenden Verletzungshandlungen des Krankenpflegers gegen den Kläger lasse eine Unterstellung der Tat(en) unter § 84 Abs 1 und/oder Abs 2 Z 3 StGB (nicht jedoch unter dessen erst mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987 eingeführten Abs 3) zu, sodaß - abgesehen davon, daß diese Behauptungen sich erst im Verfahren bewahrheiten müßten - gemäß der herrschenden Lesart des Wortes "Verbrechen" in § 6 Abs 1 Satz 2 AHG als "gerichtlich strafbare Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist" die zehnjährige Verfährungsfrist zur Anwendung kommen könne und damit der Verjährungseinwand der beklagten Parteien verfehlt wäre. Das Verhalten des Krankenpflegers gegenüber dem zwangsweise angehaltenen Kläger sei auch (und meist gerade dann) als im Hoheitsbereich gesetzte Organhandlung dem Rechtsträger zuzurechnen, wenn es schuldhaft rechtswidrig erfolge und eine Straftat darstelle, so lange das Organ nicht völlig außerhalb seiner Funktion gehandelt habe, wofür hier keine Anhaltspunkte vorlägen. Das Verhalten des Krankenpflegers sei jedenfalls der Republik zuzurechnen, aber gemäß § 1 Abs 3 AHG auch dem zweitbeklagten Land, wenn der Krankenpfleger als dessen Organ bestellt gewesen sei, was im fortgesetzten Verfahren gegen die zweitbeklagte Partei vorrangig zu prüfen sei. Eine Haftung der zweitbeklagten Partei aufgrund der bescheidgemäßigen Gewährung der Sozialhilfe für den Kläger zur Sicherung des Lebensbedarfs durch Anstaltsunterbringung (Kostentragung) sei auszuschließen, weil nicht zu übersehen sei, daß der Krankenpfleger das ihm vorgeworfene Verhalten nicht in Vollziehung der in den Kompetenzbereich des Landes fallenden Aufgabe (Kostentragung der Anstaltsunterbringung) gesetzt und nicht gerade dieser Gesetzesbestimmung zum Durchbruch verhelfen habe wollen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß richtete sich der Rekurs des zweitbeklagten Landes, der - wie noch darzulegen sein wird - bei Anwendung der die Passivlegitimation der Rekurswerberin begründenden Bestimmung des § 1 Abs 3 AHG nicht (hingegen bei Wegfall dieser Bestimmung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens) berechtigt wäre.

Zunächst ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß die für die behauptete Tatzeit November 1981 geltenden Bestimmungen des StGB eine Unterstellung der in allen Einzelheiten behaupteten Tathandlungen des Krankenpflegers gegenüber dem Kläger unter § 84 StGB (mit einer Strafdrohung bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe) zulassen. Nach herrschender Rechtsprechung werden die Qualifikationen des § 84 Abs 1 StGB, die als Tatfolge eine längere als 24tägige Gesundheitsstörung oder Berufsunfähigkeit oder eine an sich schwere Verletzung oder Gesundheitsschädigung vorsehen, als Erfolgsqualifikationen verstanden. Für ihre Zurechnung gilt daher gemäß § 7 Abs 2 StGB, daß der Täter mit dem (allenfalls auch bedingten) Vorsatz gehandelt haben muß, entweder am Körper zu verletzen oder an der Gesundheit zu schädigen (§ 83 Abs 1 StGB als Grundtatbestand), oder mit dem Vorsatz, am Körper zu mißhandeln (§ 83 Abs 2 StGB als Grundtatbestand), während er die besondere Folge wenigstens fahrlässig herbeigeführt haben muß (Leukauf-Steininger, Komm3 § 84 RN 10 mwH). Die weiters in Frage stehende Qualifikation des § 84 Abs 2 Z 3 StGB (Tatbegehung unter Zufügung besonderer Qualen) stellt hingegen nur auf diese besonderen Umstände der Tatbegehung ab, die einen erhöhten modalen Tatunwert begründen; als Taterfolg genügt hier die Zufügung einer leichten Körperverletzung (Leukauf-Steininger aaO RN 15 f). Das (Nicht-)vorliegen dieser vom Kläger behaupteten Qualifikationen kann aber nicht ohne entsprechendes Tatsachensubstrat schon bloß aufgrund der Klagsbehauptungen verneint oder bejaht werden. Demgemäß kommt aber für die gegenständliche Amtshaftungsschadenersatzforderung des Klägers die zehnjährige Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 zweiter Satz AHG in Frage, bei deren Anwendung das Klagebegehren nicht verjährt ist.

Zutreffend hat das Berufungsgericht auch dargelegt, daß Zwangsanhaltungen aufgrund rechtswidriger behördlicher und/oder gerichtlicher Anordnungen (etwa die hier behauptete und in Frage kommende amtsärztliche Einweisung mit darauffolgender gerichtlicher Anhaltungsgenehmigung nach dem Krankenanstaltengesetz) nicht privatrechtliche Rechtsverhältnisse des Angehaltenen zur Krankenanstalt bzw zu den Ärzten und den Betreuern begründen, sondern als freiheitsbeschränkende behördliche Maßnahmen dem Hoheitsbereich der staatlichen Verwaltung zuzuordnen sind; daraus folgt, daß von der Anordnung über die Durchführung bis zur Beendigung solcher Maßnahmen alle Handlungen und Unterlassungen der betroffenen Ärzte und Pfleger hoheitlich in Vollziehung der Gesetze erfolgen (SZ 61/156 = JBl 1989, 113 mwH ua; Schragel AHG2 Rz 102). Daß bei solchem Vorgehen von Organen schuldhaft rechtswidriges oder sogar strafgesetzwidriges Verhalten unterläuft, schließt dessen Zurechnung als Organhandlung nicht aus; ersteres ist geradezu die Voraussetzung für den Eintritt der Amtshaftung nach § 1 Abs 1 AHG. Erst wenn das Organ seine Zuständigkeit eindeutig überschreitet oder erkennbar gar nicht wahrnehmen will, also klar außerhalb seines Aufgabenkreises handelt, entfällt eine Zurechnung zum Rechtsträger (SZ 54/80; SZ 54/108; SZ 54/171 ua; Schragel aaO Rz 25). Nach dem bisher vorliegenden Sachverhalt standen die dem Krankenpfleger vorgeworfenen, amtshaftungsbegründenden Handlungen jedenfalls in einem inneren Zusammenhang mit seinen Dienstverrichtungen.

Soweit der Kläger Amtshaftungsansprüche gegen das Land erhebt, wäre dessen Passivlegitimation jedoch nur aufgrund der Bestimmung des § 1 Abs 3 AHG idF der WGN 1989 zu bejahen.

Wohl bestand zwischen dem Kläger, der Leistungen aufgrund des Steiermärkischen Sozialhilfegesetzes in Anspruch nahm, und dem beklagten Bundesland eine öffentlich-rechtliche Sonderverbindung. Über Sozialhilfeleistungen ist grundsätzlich mit Bescheid abzusprechen (Pfeil, Östrreichisches Sozialhilferecht 372, 400). Rechtswidrige und schuldhafte Unterlassungen aus diesem öffentlich-rechtlichen Verhältnis, die zu einer Schädigung des Klägers geführt hätten, würden demnach Amtshaftungsansprüche begründen.

Der Kläger behauptet aber, ein Schaden wäre ihm rechtswidrig und schuldhaft anläßlich eines von einem Gericht angeordneten Zwangsaufenthaltes im Landessonderkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie G***** in der Zeit vom 14.1.1981 bis 28.6.1982 zugefügt worden; das beklagte Bundesland habe gemäß § 29 Abs 1 Stmk. Sozialhilfegesetz im genannten Zeitraum für seinen Lebensbedarf gesorgt. Nach § 10 des Stkm. Sozialhilfegesetzes umfaßt die Krankenhilfe, die gemäß § 7 des Gesetzes Teil des Lebensbedarfes ist, auch Behandlung und Pflege in Krankenanstalten. Daraus, daß das Rechtsverhältnis zwischen Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeträger (bzw. Krankenversichertem und Sozialversicherungsträger) dem öffentlichen Recht untersteht, läßt sich noch nicht der Schluß ableiten, daß auch das Rechtsverhältnis zwischen dem Sozialhilfeempfänger, der sich freiwillig in eine Krankenanstalt begibt, und dem öffentlichen Krankenhausträger ebenfalls dem öffentlichen Recht zuzuordnen wäre. Ungeachtet des Umstandes, daß nach § 145 Abs 1 ASVG der Krankenversicherte, dem Anstaltspflege nach § 144 ASVG gewährt wird, in eine bestimmte öffentliche Krankenanstalt einzuweisen ist, hat sich die Rechtsansicht durchgesetzt, daß zwischen dem Krankenanstaltenträger und dem derart in eine Krankenanstalt Eingewiesenen ein dem bürgerlichen Recht unterliegender Aufnahmevertrag abgeschlossen wird (Rill in Tomandl, Sozialversicherung: Grenzen der Leistungspflicht 94 ff; vgl Binder in Tomandl, System des österr. Sozialversicherungsrechts 2.2.3.4 D.) Die Einweisung erfolgt auch nur in Form der Ausstellung eines Kostenverpflichtungsscheins (Tomandl, Grundriß des österr. Sozialrechts, Rz 116). Selbst die hoheitsrechtliche Einbringung der Pflegegebühren bietet keinen zureichenden Anhaltspunkt dafür, daß die gesamte Tätigkeit öffentlicher Krankenanstalten und insbesondere die Beziehungen zu den Pfleglingen bei Aufnahme, Behandlung und Pflege mit rechtstechnischen Mitteln der Hoheitsverwaltung erfolgt (Schragel aaO Rz 103). Die Führung öffentlicher Krankenanstalten und damit auch der Behandlungs- und Aufnahmevertrag mit dem Patienten unterliegt, wie auch der erkennende Senat bereits aussprach, ausschließlich der Privatwirtschaftsverwaltung (JBl 1987, 791; SZ 38/179). Amtshaftungsansprüche aus verfehlter Behandlung oder wie hier behaupteter vorsätzlicher Zufügung von Verletzungen anläßlich der Behandlung können daher - ausgenommen Fälle von Zwangsbehandlung und Zwangsanhaltung - nicht begründet werden (Radner-Haslinger-Reinberg, Krankenanstaltenrecht, Bund, 13; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 II 117 mwN in FN 2). Rechtsgrundlage des Aufenthalts des Klägers im Landessonderkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie G***** war nach den Klagsbehauptungen aber nicht der freie Willensentschluß des Klägers, sondern der Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg als Pflegschaftsgericht vom 21.1.1981, 2 P 317/77, der die weitere Anhaltung des Klägers in der geschlossenen Anstalt verfügte. Die bloße Kostenübernahme im Rahmen der Gewährung von Sozialhilfe rechtfertigt nicht die Zurechnung des behaupteten rechtswidrigen Verhaltens des Krankenpflegers an die zweitbeklagte Partei, weil dieses Verhalten nicht als in Vollziehung von Normen des Steiermärkischen Sozialhilfegesetzes erfolgt anzusehen ist.

Der Rekurs der zweitbeklagten Partei erwiese sich sohin nur dann als nicht berechtigt, wenn die Passivlegitimation auf den mit Art XXII Z 1 WGN 1989 dem § 1 AHG angeführten Abs 3 gestützt werden kann, der mit Rücksicht auf den Schluß der Verhandlung erster Instanz (am 18.10.1990) auf den vorliegenden Rechtsstreit bereits anzuwenden ist (Art XLI Z 10 WGN 1989). Ohne Bedachtnahme auf § 1 Abs 3 AHG wäre das Klagebegehren, soweit es sich gegen die zweitbeklagte Partei richtet, schon auf der Grundlage der Klagsbehauptungen abzuweisen. Nach der vorgenannten Bestimmung haftet mit dem im Abs 1 genannten Rechtsträger (erg.: für den Schaden, den die als seine Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben) zur ungeteilten Hand auch derjenige (Rechtsträger), als dessen Organ die handelnde Person gewählt, ernannt oder sonstwie bestellt worden ist.

Der Oberste Gerichtshof hegt (wie schon im Verfahren 1 Ob 16/92) aus nachstehenden Erwägungen gegen diese Bestimmung in verfassungsrechtlicher Hinsicht Bedenken:

Der Justizausschuß, auf den diese Bestimmung zurückgeht, ging nach seinem Bericht (991 BlgNR 17. GP, 15) von der Rechtsansicht aus, Art. 23 Abs 1 B-VG umfasse sowohl einen funktionellen, als auch einen organisatorischen Organbegriff. Im übrigen meinte der Ausschuß noch, es sei für den Geschädigten wiederholt schwierig, denjenigen Rechtsträger zu erkennen, für den das Organ im Zeitpunkt seiner schädigenden Handlung gerade tätig war; es solle deshalb zur Verbesserung des Rechtsschutzes eine Mithaftung desjenigen Rechtsträgers vorgesehen werden, dem das Organ organisatorisch zugehöre.

Soviel die Bestimmung des § 1 Abs 3 AHG auch zur Verbesserung des Rechtsschutzes beitragen mag (vgl auch Schragel aaO ErgHeft (1990), 5), hegt der erkennende Senat doch Bedenken, ob sie rechtlich einwandfrei auf die verfassungsgesetzliche Grundlage der Amtshaftung, also auf Art 23 Abs 1 B-VG, zurückgeführt werden kann. Die Haftung der Rechtsträger für das rechtswidrige und schuldhafte hoheitliche Organverhalten wurzelt nämlich nicht etwa im Kompetenztatbestand "Zivilrechtssachen" (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG), sondern beruht auf besonderem verfassungsrechtlichem Befehl (Art 23 B-VG; VfSlg 8202/1977; JBl 1992, 122). Der Justizausschuß begründet seine Auffassung, Art 23 B-VG umfasse auch einen organisatorischen Organbegriff in den Materialien nicht näher. Die Anordnung der Haftung des Rechtsträgers derart, daß er für die als ihre Organe handelnden Personen einzustehen habe, findet sich mit übereinstimmendem Wortlaut im Art 23 Abs 1 B-VG und im § 1 Abs 1 AHG. Nach Art 23 Abs 1 B-VG in dessen Stammfassung hatten der Bund, die Länder und die Gemeinden noch für die Rechtsverletzungen der von ihnen "bestellten" Personen zu haften. Durch die Bundes-Verfassungsgesetznovelle, BGBl 1925/268, wurde der Wortlaut dieser Verfassungsbestimmung dahin geändert, daß die Rechtsträger nun für die "als ihre Organe handelnden" Personen zu haften haben. Den Materialien hiezu (327 BlgNR 2. GP) kann als Motiv für diese Änderung die Absicht des Verfassungsgesetzgebers entnommen werden, damit die Haftpflicht von der Autorität, die die handelnde Person bestellt hat, auf jene Autorität übergehen zu lassen, als deren Organ die Person handelte. Diese Änderung erschien dem Verfassungsgesetzgeber deshalb notwendig, weil sonst etwa ein Land für Amtshandlungen des Landeshauptmanns in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung haftpflichtig wäre, selbst wenn dieser im konkreten Fall nach Weisung des vorgesetzten Bundesministers vorgegangen ist; die neue Konstruktion sei daher "logisch und praktisch richtiger". Die Wendung "für als ihre Organe handelnden Personen" kehrt auch in Art 23 Abs 1 B-VG bzw § 1 Abs 1 AHG in der geltenden Fassung wieder. Nach den Materialien (515 BlgNR 5. GP) soll jene Körperschaft für das Verhalten des Schädigers einstehen, als deren Organ er tätig war. Damit sollte auf die funktionelle Stellung des Handelnden abgestellt werden. Seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ 26/51 ist es nahezu einhellige Lehre und Rechtsprechung (vgl die Nachweise bei Schragel aaO Rz 51; weiters Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 819; Walter-Mayer, Grundriß des österr. Bundesverfassungsrecht7 Rz 1285; Adamovich-Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3 439; Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 681), daß es bei der Klärung der Frage, welcher Rechtsträger nach dem Amtshaftungsgesetz belangt werden kann, sowohl nach Art 23 Abs 1 B-VG als auch nach § 1 Abs 1 AHG nicht darauf ankommt, wessen Organ in organisatorischer Hinsicht jene Person, deren Verhalten mit der Amtshaftungsklage beanstandet wird, ist, sondern in wessen Namen und für wen - also funktionell - sie bei diesem Verhalten tätig war ("Funktionstheorie"). Soweit die Auffassung vertreten wird, daß der Verfassungsgesetzgeber im Art 23 Abs 1 B-VG nur den Mindestmaßstab für den Eintritt der Amtshaftung festlegen wollte, gilt das doch nur für die Ausdehung der Amtshaftung auch auf rechtswidriges Organverhalten ohne Verschulden (vgl Schragel aaO Rz 6), ganz abgesehen davon, daß in der Lehre (Koziol, Haftpflichtrecht2 II 380) ohnehin der Standpunkt vertreten wird, das Gesetz setze ein Verschulden des Organs gar nicht voraus, es genüge für die Amtshaftung vielmehr, daß einem Organ objektiv ein Fehlverhalten zur Last liegt. Die Ausdehung der Amtshaftung auf im Bundes-Verfassungsgesetz nicht damit belastete Rechtsträger durch einfaches Gesetz ist dagegen nach Ansicht des Senates verfassungsrechtlich bedenklich, weil die schadenersatzrechtliche Haftung des Rechtsträgers für das Verhalten ihrer Organe im Hoheitsbereich erst durch die Verfassungsnorm des Art 23 B-VG ermöglicht wird und die durch Art 23 Abs 4 B-VG dem einfachen Bundesgesetzgeber erteilte Ermächtigung zur Erlassung der näheren Bestimmungen nicht schrankenlos ist, dieser vielmehr alle durch die Bundesverfassung dem Gesetzgeber auferlegten verfassungsrechtlichen Beschränkungen beachten muß (VfSlg 8202/1977).

Der Mangel der verfassungsrechtlichen Grundlage der hier maßgeblichen Bestimmung wird auch durch die Einräumung eines Anspruchs des belangten Rechtsträgers auf Rückersatz von aufgrund dieser Haftung geleisteten Zahlungen gegen den im § 1 Abs 1 AHG genannten Rechtsträger (§ 1 Abs 3 zweiter Satz AHG) nicht beseitigt. Ganz abgesehen davon, daß damit die rechtlich unbedenkliche Übereinstimmung der einfachgesetzlichen Bestimmung mit deren verfassungsgesetzlicher Grundlage auf diesem Wege nicht hergestellt werden kann, wiegt auch das mit allen Risken der Rechtsverfolgung behaftete Regreßrecht die Vorteile aus der mangelnden Passivlegitimation keineswegs auf. Nach Lehre und Rechtsprechung (vgl nur die Nachweise bei Gamerith in Rummel, ABGB2 § 896 Rz 10) schließt der Rückgriffsanspruch des in Anspruch genommenen Solidarschuldners nur Kosten ein, die von der Solidarhaftung umfaßt sind und nicht auch außergerichtliche bzw Kosten des Vorprozesses, die ein einzelner Mitschuldner dem Gläubiger ersetzen mußte oder zur Abwehr der gegen ihn erhobenen Forderung aufwendete. Besondere Gründe, die für eine davon abweichende Regelung bei der Amtshaftung im Verhältnis zwischen den Rechtsträgern sprechen, sind § 1 Abs 3 AHG nicht zu entnehmen (aA allerdings Schragel, Ergänzungsheft 7), weil mit dem Wort "Zahlungen" nach Ansicht des erkennenden Senates nur der allgemeine Grundsatz zum Ausdruck gebracht wird, daß der erfolgreiche Rückgriff tatsächliche Zahlung und nicht bloß die Entstehung des Vermögensnachteils voraussetzt (vgl Gamerith aaO Rz 2 mwN). Darüber hinaus wird durch § 1 Abs 3 AHG nun gerade dem Rechtsträger jene Beweislast (und damit das damit verbundene erhebliche Prozeßrisiko) aufgebürdet, die den Justizausschuß zur Einführung dieser Bestimmung veranlaßte. Auch der mit der Prozeßführung notwendig verbundene Prozeßaufwand kann dem nun belangbaren Rechtsträger nicht zur Gänze abgegolten werden.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Kann § 1 Abs 3 AHG in rechtlich einwandfreier Weise nicht auf die verfassungsrechtliche Grundlage der Amtshaftung - Art 23 B-VG - zurückgeführt werden, so bestehen (worauf schon Schragel in ÖJZ 1988, 586 und im ErgHeft, 6 hingewiesen hat) gegen die Verfassungsmäßigkeit der für die Erledigung des Rekurses bedeutsamen gesetzlichen Bestimmung gewichtige Bedenken, die es dem Obersten Gerichtshof geboten erscheinen lassen, dem hiefür ausschließlich zuständigen Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit zu geben, die angefochtene Bestimmung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

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