OGH 7Ob19/92

OGH7Ob19/921.10.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** Versicherungsanstalt, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Wolfgang P*****, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 72.767,-- s.A., infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 1.Oktober 1992, GZ 4 R 85/91-26, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 25.Oktober 1990, GZ 9 Cg 235/87-20, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Rekurskosten bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Beklagte hat für den von ihm bei der Firma I***** GesmbH geleasten PKW der Marke Mazda 626 und dem polizeilichen Kennzeichen O-749.590 bei der klagenden Partei eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen, der die AKIB 2/78 zugrundeliegen. Der Beklagte hat dem Leasinggeber zahlungshalber alle Ansprüche und Rechte aus diesem Versicherungsvertrag abgetreten.

Unstrittig ist, daß der Beklagte am 22.5.1986 gegen 22,30 Uhr mit diesem Fahrzeug auf der Hansberg-Landesstraße bei Straßenkilometer 17,8 auf die linke Fahrbahnhälfte geriet, in der Folge auf die daran angrenzende Wiese des Herbert K***** geschleudert wurde und nach weitern 5 m Fahrt gegen einen Strommast prallte. Der Strommast erlitt dadurch aber keinen Schaden. Das Fahrzeug selbst wurde durch den Aufprall manövrierunfähig. Der Beklagte hat sich in der Folge allerdings ohne Angabe seiner Generalien mit Herbert K***** über den Flurschaden an der unmittelbar vor der Mahd stehenden Wiese ausgeglichen. Er erstattete erst zwei Tage später eine Anzeige nach § 4 Abs.5 StVO bei der Gendarmerie, nachdem er bereits ausgeforscht worden war. Er wurde in der Folge von der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach mit Strafverfügung vom 21.7.1986 wegen Übertretung nach §§ 4 Abs.5 und 99 Abs.3 lit.b StVO rechtskräftig zu einer Geldstrafe von S 300,-- verurteilt. Er erstattete am 30.5.1986 der klagenden Partei eine Schadensanzeige, unterließ aber anzugeben, daß er nicht unmittelbar nach dem Unfall eine Anzeige nach § 4 Abs.5 StVO erstattet hat. Auch in der Folge teilte er der klagenden Partei nichts von dem gegen ihn eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren mit. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, ob der Beklagte auch einen Fahrbahnbegrenzungspflock umgefahren hat.

Art.6 Abs.2 AKIB lautet:

"Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles nach Maßgabe des § 6 Abs.3 VersVG 1958 die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt, werden bestimmt:

1. Dem Versicherer längstens innerhalb einer Woche schriftlich anzuzeigen

a) den Versicherungsfall (Art.2) unter möglichst genauer Angabe des Sachverhaltes;

b) die Einleitung eines diesbezüglichen verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens;

2. nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen...."

Auf der dem Beklagten zugegangenen Versicherungspolizze wird auf die AKIB hingewiesen.

Die klagende Partei hat der Firma I***** GesmbH den Klagsbetrag zur Abgeltung der Reparatur- und Abschleppungskosten bezahlt.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Bezahlung von S 72.767,-- s.A. Der Beklagte habe die sich aus Art.6 Abs.2 Z 2 AKIB ergebende Obliegenheit vorsätzlich verletzt. Er habe sich mit dem Eigentümer der beschädigten Wiese ausgeglichen, ohne diesem seine Generalien zu nennen. Auerdem habe er zum Eigentümer des beschädigten Leitpflockes keinen Kontakt hergestellt. Er habe den Unfall nicht unverzüglich der nächsten Gendarmeriedienststelle gemeldet, obwohl er dazu physisch und psychisch in der Lage gewesen wäre. Der Beklagte habe die Klägerin auch nicht von der Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens und seiner dortigen Verurteilung benachrichtigt. Der Beklagte habe den Unfall der Klägerin unrichtig geschildert. Das Abkommen des PKWs von der Fahrbahn beruhte auf grober Fahrlässigkeit. Der Beklagte sei durch die Leistung der Klägerin an die Leasinggeberin bereichert worden, weil er sonst zur Wiederherstellung des geleasten Fahrzeuges verpflichtet gewesen wäre. Das Klagebegehren wurde auch auf § 67 VersVG gestützt.

Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung. Er wendete ein, daß ein Austausch der Generalien mit dem geschädigten Grundbesitzer nicht erforderlich gewesen sei, weil er bereits an der Unfallsstelle eine Einigung mit diesem erzielt habe und sofort der Ersatz erfolgt sei, sodaß die Klägerin keine Leistungen diesem erbringen müsse. Einen weiteren Schaden habe er nach dem Unfall nicht feststellen können. Außerdem habe er unfallsbedingt einen schweren Schock erlitten. Als er am darauffolgenden Tag erfahren habe, daß er auch einen Leitpflock beschädigt hätte, habe er sich unverzüglich mit dem Gendarmerieposten in Verbindung gesetzt, um eine Anzeige nach § 4 Abs.4 StVO nachzuholen. Zu diesem Zeitpunkt seien jedoch bereits Erhebungen anhängig gewesen. Selbst bei Vorliegen einer Übertretung nach § 4 Abs.5 StVO wäre die diesbezügliche Unterlassung für die von der klagenden Partei erbrachte Leistung nicht kausal gewesen. Die klagende Partei behaupte auch nicht, daß im konkreten Fall tatsächlich etwas verabsäumt worden sei, was zur Aufklärung des Sachverhaltes dienlich gewesen wäre. Eine allfällige Obliegenheitsverletzung hätte daher nicht den Umfang der von der Klägerin zu erbringenden Leistung beeinflußt. Die AKIB seien ihm nie zugestellt worden, weshalb er keine Kenntnis von der den ihn treffenden Obliegenheiten gehabt habe. Der Vorwurf der Obliegenheitsverletzungen nach den AKIB sei erst im gerichtlichen Verfahren erhoben worden, die Klägerin habe daher auf die Geltendmachung einer allfälligen Leistungsfreiheit schlüssig verzichtet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Außer dem oben wiedergegebenen Sachverhalt nahm es unter anderem noch als erwiesen an, daß der Beklagte im Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert war, daß der Unfall auf ein unmittelbar vor dem PKW des Beklagten die Fahrbahn querendes Reh und die darauffolgende Auslenkreaktion des Beklagten zurückzuführen ist. Es konnte nicht festgestellt werden, daß der Beklagte beim Abkommen von der Fahrbahn auch einen Leitpflock umgefahren hat. Der Beklagte hat durch den Unfall einen Schock erlitten, war aufgeregt und nervös. Dem Beklagten sind die AKIB nicht zugekommen.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß der Beklagte weder vorsätzlich noch grob fahrlässig Obliegenheiten verletzt habe. Der Beklagte wäre zwar aufgrund des von ihm verursachten Schadens zu einer Anzeigeerstattung nach § 4 Abs.5 StVO verpflichtet gewesen, er durfte jedoch aufgrund der Einigung mit Herbert K***** davon ausgehen, daß dies nicht erforderlich sei. Die Lackspuren am Strommast hätten diesen nicht beschädigt. Der erlittene Schock entschuldige die unterlassene Anzeigeerstattung. Es bestehe nicht der geringste Verdacht, daß der Beklagte dadurch etwas verschleiern wollte. Es sei davon auszugehen, daß seine Fahrgeschwindigkeit nicht den Sichtverhältnissen entsprochen habe und sohin überhöht gewesen sei. Dies begründe aber nur den Vorwurf der leichten Fahrlässigkeit. Die unterlassene Mitteilung von der Einleitung eines Strafverfahrens bzw. seiner Verurteilung wegen der Übertretung des § 4 Abs.5 StVO gegenüber der klagenden Partei sei nur auf die entschuldbare Unkenntnis der AKIB zurückzuführen. Zumindest begründe diese Unterlassung auch nur den Vorwurf der leichten Fahrlässigkeit. Letztlich hätte die Klägerin durch den Hinweis in der Schadensmeldung, daß die Gendarmerie ermittelt, ohnedies nach dem Unfall die ihr notwendig erscheinenden Informationen erheben können.

Das Berufungsgericht hob mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neue Entscheidung auf. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Von den bekämpften Feststellungen des Erstgerichtes übernahm es die, daß keine Alkoholisierung des Beklagten vorlag. Es folgerte rechtlich, daß für die Kaskoversicherung eine dem nur für die Haftpflichtversicherung geltenden § 158 f VersVG entsprechende Regelung nicht existiere. Wenn der Versicherer irrtümlich seine Leistungspflicht angenommen und dem geschädigten Dritten den Schaden ersetzt habe, sei bei Vorliegen seiner Leistungsfreiheit der Versicherungsnehmer durch den Wegfall der Verpflichtung zur Schadenersatzleistung an den geschädigten Dritten bereichert. Demzufolge könne die klagende Kaskoversicherung gegen den Beklagten einen Rückforderungsanspruch im Sinne des § 1431 ABGB erheben, falls die Versicherungsleistung von ihr irrtümlich erbracht worden sei. Die Versicherung habe erst nach der Zahlung an die Leasingfirma Kenntnis von den ihre Leistungsfreiheit allenfalls bewirkenden Umständen erlangt. Somit habe die Klägerin nicht auf ihre Leistungsfreiheit gegenüber dem Beklagten verzichtet. Obwohl von einer Bindungswirkung der verwaltungsstrafbehördlichen Verurteilung des Beklagten zufolge Verletzung der Bestimmung des § 4 Abs.5 StVO auszugehen sei, komme der Obliegenheitsverletzung des Beklagten keine Bedeutung zu, weil die klagende Partei weder behauptet noch bewiesen habe, daß bei unverzüglicher Anzeige eine andere Sachverhaltsfeststellung möglich gewesen wäre. Die Behauptung, daß sich aus der Art und der Zeit des Unfallsgeschehens sowie dem folgenden Verhalten des Beklagten der Verdacht einer alkoholbedingten Fahruntauglichkeit ergebe, reiche zu einer solchen Annahme nicht aus. Die unterlassene Anzeige der erfolgten Verurteilung wegen Übertretung nach § 4 Abs.5 StVO stehe mit dem schadensverursachenden Ereignis (Wildwechsel und Fahrfehler) in keinem der Aufklärung der Unfallsursache dienlichen Zusammenhang und könne daher ebenfalls nicht als relevante Obliegenheitsverletzung herangezogen werden. Als berechtigt erweise sich jedoch der Einwand, daß der Beklagte den Unfall möglicherweise grob fahrlässig verursacht habe und die Klägerin aufgrund der Bestimmung des § 61 VersVG leistungsfrei sei. Die hiefür beweispflichtige Klägerin habe dazu den kraftfahrtechnischen Sachverständigenbeweis angeboten, den das Erstgericht jedoch nicht durchgeführt habe. Aufgrund dieses Beweises könne jedoch die Bremsausgangsgeschwindigkeit erhoben und beurteilt werden, ob der Beklagte mit einer den damaligen Straßen- und Sichtverhältnissen entsprechenden Geschwindigkeit gefahren sei und ob seine Behauptung, daß ein querendes Reh die Ursache seiner Schleuderbewegung objektivierbar ist. Auch bei Nachweis dieser Behauptungen der Klägerin müsse jedoch nicht mehr auf die behauptete Obliegenheitsverletzung eingegangen werden.

Der gegen diese Entscheidung erhobene Rekurs der klagenden Partei ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt (§ 510 Abs.3 ZPO), daß die dem jeweiligen Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Bedingungen so wie im vorliegenden Fall die AKIB auch dann Gegenstand des Versicherungsvertrages werden, ohne daß sie dem Versicherungsnehmer zugekommen sind, wenn auf sie in der Polizze verwiesen wird (SZ 63/54 mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung ist vom Versicherungsnehmer in Entsprechung der Obliegenheit nach Art.6 Abs.2 Z 2 AKIB iVm § 4 Abs.5 StVO nach einem Unfall, in jedem Fall einer wahrgenommenen Verletzung einer Person oder der Beschädigung von fremden Sachgütern ohne jede Rücksicht auf die anscheinende Geringfügigkeit dieses Schadens eine Gendarmerie- oder Polizeianzeige zu erstatten (zuletzt SZ 53/55 = JBl. 1981, 101, 7 Ob 33/91). Daß eine Obliegenheitsverletzung durch Nichtanzeige bei der Gendarmerie vom Beklagten vorsätzlich begangen worden wäre (vgl. SZ 50/37, zuletzt 7 Ob 6/90), muß aufgrund der vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes verneint werden. Einerseits hat sich der Beklagte mit dem Geschädigten sowieso geeinigt und andererseits hat er durch Abstellen seines PKW bei diesem einen erforderlichen Hinweis auf seine Identität gegeben. Daß dem Beklagten das Erkennen eines weiteren Schadens - sollte er diesen überhaupt verursacht haben - erkennbar war, kann nach den getroffenen Feststellungen nicht angenommen werden. Es stand daher dem Beklagten zu, zu behaupten und zu beweisen, daß seine Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung und den Umfang der vom Versicherer zu erbringenden Leistungen einen Einfluß gehabt hat (vgl. SZ 46/106 = EvBl. 1974/210 = VersR 1974, 871, zuletzt VR 1990/82). In der Lehre (vgl. Prölss-Martin24, 98 ff) und in der Rechtsprechung (zuletzt VR 1992, 272 mwN) wurde bereits mehrfach ausgesprochen, daß die erwähnte Obliegenheit dazu dient, die eigenen Angaben des Versicherten überprüfbar zu machen. Es ist daher ausgeschlossen, daß der Versicherte vorerst durch seine Weigerung die Aufklärung verhindert, dann aber die fehlenden Aufklärungsschritte durch seine eigenen Angaben ersetzt. Aus diesem Grund ist die bloße Parteiaussage des Versicherten bzw. ein auf seiner Aussage beruhendes Sachverständigengutachten zur Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises untauglich (vgl. ZVR 1989/110). Im vorliegenden Fall stützt sich aber die Feststellung der Vorinstanzen, daß der Beklagte im Zeitpunkt des Unfalles nicht durch Alkohol in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt war, auf die Aussagen zweier mit dem Beklagten in keinerlei Zusammenhang stehenden und am Unfallsgeschehen völlig unbeteiligten Zeugen. Sohin liegt der erwähnten Feststellung der Vorinstanzen eine Beweislage zugrunde, die jener gleichwertig ist, die der Versicherte durch seine unterlassene Anzeige zerstört hat.

Welche weiteren für die Aufklärung des Versicherungsfalles notwendigen Feststellungen durch eine Obliegenheitsverletzung verhindert worden sein sollen, ist dem erstinstanzlichen Vorbringen der Klägerin nicht zu entnehmen.

Nicht geteilt werden kann allerdings die Auslegung des Art.6 Abs.2 lit.b der AKIB durch das Berufungsgericht. Sinn dieser Bestimmung ist es, dem Versicherer eine Überprüfung sämtlicher Umstände, die seine Leistung betreffen, zu ermöglichen. Das Wort "diesbezügliche" heißt, daß der gesamte Sachverhalt im Zusammenhang mit dem Unfall dazugehört. Es ist daher ein Verfahren, das die Widerlegung der Darstellung des Versicherten ermöglichen könnte, der Versicherung zu melden. Wie aber bereits dargelegt, muß der Versicherer zumindest dartun, welche sachdienlichen Aufklärungen durch die Obliegenheitsverletzung verhindert worden sein könnten. Hier gilt das oben Gesagte. Die Klägerin hat zwar die Herbeiführung des Versicherungsfalles durch grobe Fahrlässigkeit geltend gemacht, nicht aber die Verhinderung einer diesbezüglichen Feststellung durch eine Obliegenheit. Aus diesem Grunde wurde Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung vom Berufungsgericht mit Recht abschließend verneint.

Soweit das Berufungsgericht den Unfallshergang im Hinblick auf die geltend gemachte grobe Fahrlässigkeit noch für aufklärungsbedürftig hält, betrifft dies die vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfende Tatfrage.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte