OGH 9ObA158/92

OGH9ObA158/922.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith und Dr.Mayer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Erich Deutsch und Mag.Michael Zawodsky in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** G*****, Arbeiterin, *****, vertreten durch*****, Rechtsanwälte*****, wider die beklagte Partei W***** M*****, Kunststoffenstererzeugung, *****, vertreten durch ***** Rechtsanwälte*****, wegen S 90.999 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.März 1992, GZ 32 Ra 26/92-16, womit das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 8.Oktober 1991, GZ 15 Cga 4/91-22, über den Grund des Anspruches bestätigt, im übrigen aber aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit September 1974 beim Beklagten, der Kunststoffenster und Bauzubehör erzeugt, als Arbeiterin beschäftigt. Etwa dreieinhalb Jahre vor der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses mußte sie sich einer schweren Unterleibsoperation unterziehen. Seither sollte sie das Heben schwerer Lasten vermeiden.

Die Klägerin behauptet, sie sei am 26.4.1990 vorzeitig ausgetreten, weil sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen sei, die mit dem Heben schwerer Lasten verbundenen Arbeiten allein auszuführen, der Beklagte aber ihrem Ersuchen, ihr zur Entlastung einen Arbeiter beizugeben, nicht entsprochen habe. Nur aus Entgegenkommen habe sie trotz Austritts noch einige Wochen für den Beklagten gearbeitet. Die Klägerin begehrt die Zahlung der Abfertigung in Höhe von sechs Monatsgehältern (a S 13.000) und errechnet daraus einen Anspruch von S 90.999 brutto.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; die Klägerin habe gekündigt, ohne auf irgendwelche Erkrankungen oder die Unfähigkeit zur Arbeitsleistung hinzuweisen. Den Anspruch auf vorzeitigen Austritt habe sie verwirkt, weil sie noch ein Monat weitergearbeitet habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Die Klägerin mußte Profile von Fenstern und Türen schneiden und zusammenschweißen. Früher hatte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann in einer Arbeitspartie gearbeitet. Als er wegen eines Nierenversagens in Frühpension gehen mußte und seine Stelle nicht nachbesetzt wurde, war die Klägerin ganz allein für diese Arbeit zuständig. Sie hatte oft keinen Arbeiter in der Nähe, der ihr hätte helfen können. Sie mußte vom Lagerplatz neben der Werkstätte Türen mit einem Gewicht von 40 kg holen; diese mußten bei der Bearbeitung gedreht werden. Die Pakete, die die Klägerin abladen mußte, hatten ein Gewicht von ca 60 kg.

Schon vor dem 26.4.1990 sagte die Klägerin mehrmals zum Beklagten, daß sie die Arbeit nicht mehr schaffe. Sie sagte zum Beklagten mehrmals, "ob man wirklich so lange arbeiten müsse, bis man hin ist und nicht mehr könne". Dem Beklagten war bekannt, daß die Klägerin nach ihrer Operation schweres Heben und Tragen vermeiden sollte.

Am 26.4.1990 um 6 oder 1/2 7 Uhr früh ging die Klägerin zum Beklagten und sagte ihm, daß es ihr zu viel sei. Die Arbeit sei ihr zu schwer, sie brauche jemanden zur Hilfe. Sie erklärte dabei auch: "Ich kündige, ich gehe, es ist hier unhaltbar, es ist mir zu viel, das ist unwiderruflich". Der Beklagte gab ihr keine Antwort. Etwas später suchte die Frau des Beklagten mit ihr ein Gespräch. Die Klägerin vertrat auch ihr gegenüber den Standpunkt, daß ihr die Arbeit zu schwer sei und daß sie Hilfe brauche. Die Frau des Beklagten teilte ihr nur mit, daß es nicht möglich sei, jemand aufzunehmen. Es "müsse halt jeder seine Arbeit machen und man soll froh sein, daß überhaupt Arbeit da ist". Die Klägerin antwortete, die Arbeit sei ihr zu schwer, wenn nichts anderes geschehen könne, dann müsse sie eben gehen.

Am nächsten Werktag nach diesen Erklärungen kam die Klägerin nicht zur Arbeit, da sie in einen 14-tägigen Krankenstand trat. Nach dem Krankenstand erschien sie im Büro und legte die Krankenstandsbestätigung ihres Arztes vor. Eine Bürokraft des Beklagten händigte ihr die Arbeitspapiere aus und "gab ihr Geld". Die Klägerin erwähnte nochmals, daß ihr die Arbeit zu schwer sei, sie suche sich eine leichtere. Beim Hinausgehen wies sie auf ihre Abfertigung hin, erhielt aber die Antwort, daß ihr keine zustehe. Mit Schreiben vom 12.6.1990 forderte die Klägerin schriftlich die Abfertigung, da sie aus gesundheitlichen Gründen ausgetreten sei.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Austritt auch in die äußere Form einer Kündigung gekleidet werden könne, wenn zwischen den Parteien klar sei, daß ein wichtiger Auflösungsgrund vorliege. Diese Voraussetzungen seien gegeben, da dem Beklagten bekannt gewesen sei, daß der Klägerin nach einer schweren Unterleibsoperation das Heben und Tragen schwerer Lasten verboten wurde. Die Klägerin habe sich beim Beklagten häufig über die Schwere der Arbeit beklagt und eine Hilfe verlangt. Der Beklagte habe daher erkennen müssen, daß die Klägerin als Austrittsgrund körperliche Überbelastung mit schweren Arbeiten geltend mache und ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sei.

Die Klägerin habe nach der Austrittserklärung nicht weitergearbeitet, sondern einen 14-tägigen Krankenstand "konsumiert" und sei anschließend beim Beklagten nur mehr erschienen, um ihr Geld zu holen und die Krankenstandsbescheinigung vorzulegen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten teilweise Folge; es bestätigte das Ersturteil als Zwischenurteil über den Grund des Anspruches, hob es - was nicht erforderlich ist (2 Ob 16/68; 3 Ob 49/72; 8 Ob 91/76 ua) - hinsichtlich der Höhe der Ansprüche ausdrücklich auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zurück.

Es hatte gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes keine Bedenken.

Dem kündigenden Arbeitnehmer bleibe bei Geltendmachung eines Grundes, der ihn zum vorzeitigen Austritt berechtigt hätte, der Abfertigungsanspruch gewahrt, zumal der Verzicht auf die Abkürzung der Kündigungsfrist oder die Nichteinhaltung dieser Frist dem Interesse des Arbeitgebers an der ordnungsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entgegenkomme. Der kündigende Arbeitnehmer könne sich auch noch während des Laufes der Kündigungsfrist auf einen Austrittsgrund berufen, sofern er auf diesen nicht bei der Kündigung erkennbar verzichtet habe. Ein solcher Verzicht sei bei Dauersachverhalten nicht zu vermuten. Die Klägerin habe bei der Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses ohnehin auf ihren Gesundheitszustand hingewiesen. Auch die nachträgliche Vorlage der ärztlichen Bestätigung würde aber zur Wahrung des Abfertigungsanspruches ausreichen. Die Klägerin habe daher durch Weiterarbeit nach ihrer Kündigung auf ihr Austrittsrecht nicht verzichtet. Die Voraussetzungen des § 82 lit a GewO 1859 seien daher gegeben. Da das Erstgericht zur Höhe der Ansprüche keine Feststellungen getroffen habe, müsse das Urteil insoweit aufgehoben werden.

Der Beklagte bekämpft das Zwischenurteil des Berufungsgerichtes mit Revision wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Er beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Anspruch der Klägerin "als dem Grunde nach nicht zu Recht bestehend festgestellt" werde (richtig: das Klagebegehren abgewiesen werde). Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Da für ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruches der Wert des Streitgegenstandes im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichtes maßgebend ist (Fasching IV 281; ZBl 1936/401; zuletzt 2 Ob 78, 1070/90) bedurfte es eines Ausspruches nach § 45 Abs 1 Z 1 ASGG nicht. Die Revision des Beklagten ist ohne die Beschränkungen des § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Das Berufungsgericht hat es gebilligt, daß das Erstgericht die Frage, ob die Klägerin nach einer schweren gynäkologischen Operation die mit dem Heben schwerer Lasten verbundene Arbeit ohne Schaden für ihre Gesundheit nicht fortsetzen konnte, ohne Beiziehen eines ärztlichen Sachverständigen beurteilt hat. Ein angeblicher Verfahrensmangel erster Instanz, den die zweite Instanz nicht als gegeben erachtet, kann aber auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden (SZ 27/4 uva).

Auch eine für die Entscheidung erhebliche Aktenwidrigkeit ist nicht gegeben (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Feststellung des Erstgerichtes, daß die Klägerin nach der Kündigung am 26.4.1990 nicht mehr weitergearbeitet hat, sondern einen "14-tägigen Krankenstand konsumierte" und dann beim Beklagten nur mehr erschienen ist, um Geld zu holen und die Krankenstandsbescheinigung vorzulegen, steht zwar in auffallendem Widerspruch zum eigenen Vorbringen der Klägerin ("dementsprechend habe ich nach dem 26.4.1990 noch ca zwei bis drei Wochen für den Beklagten gearbeitet....."; "der Beklagte hat mich am 10.6.1990 abgemeldet") und zum ärztlichen Zeugnis Beilage E (Krankenstand vom 28.5. bis 8.6.1990), doch hat schon das Berufungsgericht zutreffend darauf verwiesen, daß es auf diese Frage nicht ankommt, weil es der Klägerin nicht schade, daß sie bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses wegen Gesundheitsgefährdung von der Möglichkeit des sofortigen vorzeitigen Austritts nicht Gebrauch gemacht habe.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß der kündigende Arbeitnehmer seinen Abfertigungsanspruch nicht verliert, wenn ein Austrittsgrund vorliegt und als Grund für die Kündigung angegeben wird (Martinek-Schwarz, Abfertigung, Auflösung des Arbeitsverhältnisses 130, 369; Migsch, Abfertigung für Arbeiter und Angestellte Rz 310; Martinek-M.u.W.Schwarz, AngG7, 493; SZ 27/56 =

Arb 5934; Arb 8381; Arb 8900 = EvBl 1972/114; JBl 1980, 36; 9 Ob A

96/89 = infas A 119/89) ist zutreffend. Maßgebend ist, ob zwischen

den Parteien klar ist, daß ein wichtiger Lösungsgrund geltend gemacht wird und es sich daher nicht um eine normale Kündigung handelt, zu der es der Angabe von Gründen nicht bedarf (Martinek-M.u.W.Schwarz, AngG aaO). § 23 Abs 7 AngG bedarf insoweit der teleologischen Reduktion, daß bei Geltendmachung eines Austrittsgrundes dem Arbeitnehmer bei Selbstkündigung der Anspruch auf Abfertigung gewahrt wird, zumal der Verzicht auf die Abkürzung der Kündigungsfrist dem Interesse des Arbeitgebers an der ordnungsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entgegenkommt (9 Ob A 192/91).

Ob sich der Arbeitnehmer, der ohne Angabe von Gründen gekündigt hat, während der Kündigungsfrist noch auf einen im Zeitpunkt der Auflösungserklärung bereits vorhandenen Austrittsgrund berufen kann (so weit nicht ein schlüssiger Verzicht auf diesen anzunehmen ist), kann hier auf sich beruhen, da die Klägerin den Austrittsgrund, der sie zur Kündigung veranlaßte, dem Arbeitgeber anläßlich der Auflösungserklärung deutlich mitgeteilt hat. Der Arbeitgeber wußte von der schweren Operation der Klägerin sowie davon, daß sie das Heben und Tragen schwerer Lasten vermeiden sollte. Die Klägerin hat den Beklagten schon vor dem 26.4.1990 mehrmals darauf aufmerksam gemacht, daß sie die Arbeit nicht mehr schaffe. Der Beklagte hat dem Ersuchen der Klägerin, ihr nach dem krankheitsbedingten Ausscheiden ihres Ehemanns, der ihr bei den schweren Arbeiten geholfen hatte, einen anderen Arbeiter zur Hilfe beizugeben, nicht entsprochen. Der dem Beklagten erkennbare Grund für die Kündigung der Klägerin lag daher nicht allein in der Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes durch die bereits mehrere Jahre zurückliegende gynäkologische Operation, deretwegen sie schweres Heben unbedingt vermeiden sollte, sondern auch darin, daß die Möglichkeit, die Gesundheitsgefährdung durch Heben schwerer Lasten durch die Mithilfe ihres Ehemanns in derselben Arbeitspartie zu verringern, mit dessen Ausscheiden aus dem Unternehmen des Beklagten weggefallen ist und der Beklagte trotz mehrmaligen Ersuchens der Klägerin nicht bereit war, Abhilfe durch Beistellung eines anderen Arbeiters zu schaffen.

Die Klägerin hat daher auf die Geltendmachung dieses Auflösungsgrundes auch nicht verzichtet. Das Vorbringen des Revisionswerbers, daß die Klägerin den Auflösungsgrund erst bei der endgültigen Abrechnung, nicht aber bei der Kündigung geltend gemacht habe und derzeit keine Gesundheitsgefährdung vorliege, weicht von den Feststellungen der Vorinstanzen ab.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 52 Abs 2 und 393 Abs 4

ZPO.

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