OGH 14Os64/92-6

OGH14Os64/92-626.5.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.Mai 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Windisch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Alfred A***** wegen des Verbrechens des versuchten schweren und räuberischen Diebstahls durch Einbruch und mit Waffen nach §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 4, 131 erster Fall StGB, AZ 7 e Vr 12.723/90 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, sowie in der Strafvollzugssache betreffend den Genannten, AZ BE 163/89 des Kreisgerichtes Wr. Neustadt, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 6.September 1991, GZ BE 163/89-11, sowie gegen den Vorgang, daß das Landesgericht für Strafsachen Wien seiner Verständigungspflicht gemäß § 494 a Abs. 8 StPO nicht unverzüglich nachgekommen ist, nach Anhörung des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß, in öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Gesetz ist verletzt

1. durch den Vorgang, daß das Landesgericht für Strafsachen Wien von seinem gemeinsam mit dem Urteil vom 10.Juli 1991, GZ 7 e Vr 12.723/90-45, gefaßten Beschluß auf Widerruf der bedingten Entlassung des Alfred A***** nicht unverzüglich das von dieser Entscheidung betroffene Kreisgericht Wr. Neustadt verständigte, in der Bestimmung des § 494 a Abs. 8 StPO;

2. durch den Beschluß des Kreisgerichtes Wr. Neustadt vom 6. September 1991, GZ BE 163/89-11, mit dem die bedingte Entlassung des Alfred A***** für endgültig erklärt wurde, obwohl die Probezeit noch nicht abgelaufen und zudem durch den zu Punkt 1 bezeichneten rechtskräftigen Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien bereits der Widerruf der bedingten Entlassung ausgesprochen worden war, in den Bestimmungen der §§ 48 Abs. 3 und 49 StGB sowie in dem sich aus den Vorschriften des XX.Hauptstückes der Strafprozeßordnung ergebenden und in Art. 4 Z 1 des 7.Zusatzprotokolls zur MRK, BGBl. 628/88, verankerten Grundsatz, daß in derselben Sache nicht nochmals entschieden werden darf ("ne bis in idem").

Der zu Punkt 2 bezeichnete Beschluß wird aufgehoben. Dem Kreisgericht Wr. Neustadt wird aufgetragen, die Bundespolizeidirektion Wien-Strafregisteramt hievon zu verständigen.

Text

Gründe:

Mit Beschluß des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Vollzugsgericht vom 16.Mai 1989, GZ BE 163/89-6, wurde Alfred A***** mit Wirkung vom 24.Mai 1989 gemäß § 46 Abs. 2 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt entlassen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10. Juli 1991, GZ 7 e Vr 12.723/90-45, wurde Alfred A***** des am 15. Dezember 1990 (somit innerhalb der Probezeit) begangenen Verbrechens des versuchten schweren und räuberischen Diebstahls durch Einbruch und mit Waffen nach §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und Z 4, 131 erster Fall StGB und zweier weiterer Delikte schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Alfred A***** war in diesem Verfahren seit 15. Dezember 1990 ununterbrochen in Verwahrungs- und Untersuchungshaft angehalten worden. Zugleich mit dem Urteil widerrief das Landesgericht für Strafsachen Wien die mit dem eingangs erwähnten Beschluß des Kreisgerichtes Wr. Neustadt angeordnete bedingte Entlassung des Alfred A***** (§ 179 Abs. 2 StVG iVm § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO). Der Widerrufsbeschluß ist ebenso wie das Urteil sogleich in Rechtskraft erwachsen.

Eine Verständigung des von dieser Entscheidung betroffenen Kreisgerichtes Wr. Neustadt wurde erst am 8.November 1991 verfügt.

Inzwischen hatte allerdings das Kreisgericht Wr. Neustadt mit Beschluß vom 6.September 1991, GZ BE 163/89-11, in Unkenntnis sowohl der behördlichen Anhaltung des Alfred A***** im Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als auch der Widerrufsentscheidung dieses Gerichtes festgestellt, daß die bedingte Entlassung des Alfred A***** endgültig sei.

Rechtliche Beurteilung

In der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde macht der Generalprokurator mit Recht folgende Gesetzesverletzungen geltend:

Zunächst wurde durch den Vorgang, daß das Landesgericht für Strafsachen Wien seine Entscheidung auf Widerruf der bedingten Entlassung dem Kreisgericht Wr. Neustadt erst Monate später bekanntgab, das Gesetz in der Bestimmung des § 494 a Abs. 8 StPO verletzt. Die nach dieser Gesetzesstelle dem erkennenden Gericht auferlegte Verpflichtung, alle Gerichte unverzüglich zu verständigen, deren Vorentscheidungen von seiner Entscheidung nach § 494 a Abs. 1 StPO betroffen sind, soll sicherstellen, daß das ohne Eingreifen der Regelung des § 494 a StPO zuständige Gericht von einer seine Vorentscheidung betreffenden Verfügung rechtzeitig Kenntnis erhält und selbst keine Entscheidungskompetenz mehr in Anspruch nimmt. Dieser Zweck kann aber nur dann erreicht werden, wenn die vorgeschriebene Verständigung sogleich nach der jeweiligen Entscheidung und ohne Rücksicht auf deren Rechtskraft erfolgt (EvBl. 1989/64 uva). Eine ungesäumte Verständigung war hier umsomehr geboten, als die vom Kreisgericht Wr. Neustadt bestimmte zweijährige Probezeit ohne Berücksichtigung der zwischenzeitigen behördlichen Anhaltung des Alfred A***** bereits mit 24.Mai 1991 abgelaufen gewesen wäre, sodaß eine alsbaldige Entscheidung des Kreisgericht Wr. Neustadt zu gewärtigen war.

Die sodann am 6.September 1991 - allerdings in unverschuldeter Unkenntnis des bereits rechtskräftig beschlossenen Widerrufes - erfolgte Beschlußfassung des Kreisgerichtes Wr. Neustadt, mit der die bedingte Entlassung des Alfred A***** aus Freiheitsstrafen für endgültig erklärt wurde, verstößt in mehrfacher Hinsicht ihrerseits gegen das Gesetz.

Gemäß § 49 zweiter Satz StGB sind Zeiten, in denen der Verurteilte auf behördliche Anordnung angehalten wird, in die Probezeit nicht einzurechnen. Da Alfred A***** sich seit 15. Dezember 1990 zum Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ununterbrochen in Haft befunden hatte, war im Zeitpunkt der Beschlußfassung die (zweijährige) Probezeit noch gar nicht abgelaufen. Daher durfte am 6.September 1991 die bedingte Entlassung schon mangels Ablaufes der Probezeit nicht für endgültig erklärt werden.

Ferner fehlte es an der begriffsessentiellen Voraussetzung für eine solche Erklärung, nämlich am Unterbleiben des Widerrufes (§ 48 Abs. 3 StGB), weil im Zeitpunkt der Beschlußfassung durch das Kreisgericht Wr. Neustadt das aus Anlaß einer neuen Verurteilung hiezu gemäß § 179 Abs. 2 StVG und § 494 a Abs. 1 StPO berufene Landesgericht für Strafsachen Wien bereits auf Widerruf erkannt hatte.

Da der Widerrufsbeschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.Juli 1991 sogleich in Rechtskraft erwachsen ist, stand des weiteren einer neuerlichen (gegenteiligen) Entscheidung in dieser Sache die (materielle) Rechtskraft dieses Beschlusses und die damit verbundene Sperrwirkung entgegen. Somit verstößt der Beschluß des Kreisgerichtes Wr. Neustadt vom 6.September 1991 auch gegen den sich aus dem XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung ergebenden und überdies in Art. 4 Z 1 des 7.Zusatzprotokolls zur MRK, BGBl. 628/88, verankerten Grundsatz, daß in derselben Sache nicht nochmals entschieden werden darf ("ne bis in idem"). Dieser Beschluß konnte weder den schon vorher durch das Landesgericht für Strafsachen Wien als im vorliegenden Fall nach dem Gesetz allein hiefür zuständigen Gerichtshof mit dem rechtskräftigen Beschluß vom 10.Juli 1991 mit konstitutiver Wirkung ausgesprochenen Widerruf der bedingten Entlassung des Alfred A***** beseitigen noch sonst für den Genannten irgendwelche Rechtswirkungen erzeugen (EvBl. 1989/64; 12 Os 131,132/90 ua). Der Ausspruch des Kreisgerichtes Wr. Neustadt, mit dem die bedingte Entlassung des Alfred A***** für endgültig erklärt wurde, ist vielmehr wirkungslos, konnten doch die mit dem zuvor ergangenen rechtskräftigen Widerrufsbeschluß des (zuständigen) Landesgerichtes für Strafsachen Wien verbundenen Rechtsfolgen nicht mehr durch einen gegenteiligen Beschluß eines anderen (unzuständigen) Gerichtes rückgängig gemacht werden. Da der Beschluß des Kreisgerichtes Wr. Neustadt vom 6.September 1991 somit für den Verurteilten keinerlei Rechtsfolgen entfalten konnte, war er zu beseitigen (EvBl. 1964/236; 14 Os 156/87).

Die darnach erforderliche Verständigung der Bundespolizeidirektion Wien-Strafregisteramt war aus Gründen der Zweckmäßigkeit dem Kreisgericht Wr. Neustadt aufzutragen.

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