OGH 7Ob550/92

OGH7Ob550/927.5.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des am 27. April 1967 geborenen Ernst K*****, vertreten durch die Sachwalterin Renate R*****, infolge Revisionsrekurses der Sachwalterin gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 18. März 1992, GZ R 186/92-24, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Amstetten vom 6. Februar 1992, GZ SW 72/86-21, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der am 27. April geborene Ernst K***** befindet sich, nachdem er vorübergehend in einem Pflegeheim in Melk untergebracht war, seit 14. Juli 1988 wieder in stationärer Behandlung der Niederösterreichischen Landesnervenklinik Mauer. Der im Anhaltungsverfahren des Erstgerichtes beigezogene Sachverständige stellte am 21. Juli 1988 eine "Idiotie mit erethischen Phasen" fest. Mit Beschluß vom gleichen Tag erklärte das Erstgericht die Anhaltung auf 12 Monate für zulässig. Das am 10. Juli 1989 erstattete Gutachten erbrachte dieselbe Diagnose. Das Erstgericht bestellte nunmehr Renate R***** gemäß § 273 ABGB zum Sachwalter und betraute sie mit der Besorgung aller Angelegenheiten. Hinsichtlich des Betroffenen bestehe eine Behinderung des Geistes, die die Gefahr eines Nachteils für ihn selbst beinhalte. Der Betroffene könne nur durch Hilfe anderer in die Lage versetzt werden, seine Angelegenheiten im erforderlichen Maß zu besorgen.

Mit Beschluß vom 6. Februar 1992 genehmigte das Erstgericht die bisherige Unterbringung des Patienten sachwalterschaftsbehördlich und ordnete seine zukünftige Unterbringung an. Der Aufenthalt des Betroffenen in der Niederösterreichischen Landesnervenklinik Mauer sei als "untergebracht" zu bezeichnen. Der Patient sei aufs schwerste im Sinne einer Debilität behindert und nicht in der Lage, selbständig eine sinnvolle und umwelt- oder situationsadäquate Handlung zu setzen. Er sei weiterhin auf die ihm bisher zuteil gewordene Pflege im untergebrachten Zustand angewiesen, wenngleich seine geistige Behinderung im Bereich der Geistesschwäche und nicht der Geisteskrankheit zu suchen sei. Eine Aufhebung der Unterbringung würde eine Gefahr für Leib und Leben des Patienten herbeiführen.

Über Rekurs der Sachwalterin hob die zweite Instanz diesen Beschluß auf; den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte sie als zulässig. Eine Unterbringung des Betroffenen gemäß § 3 Z 1 UbG sei mangels einer psychischen Krankheit unzulässig. Es müßten deshalb im Sachwalterschaftsverfahren die entsprechenden Anordnungen über den Aufenthalt des Patienten getroffen werden. Zwar könne das Pflegschaftsgericht nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 60/12) die Anhaltung einer behinderten Person in einer Krankenanstalt für Geisteskranke anordnen, weil dafür § 282 Satz 2 ABGB eine der Menschenrechtskonvention entsprechende Grundlage biete. Doch komme primär die Anordnung einer anderweitigen Betreuung des Behinderten in Betracht; sollte diese nicht möglich sein, müßte der Betroffene als behinderter Mensch iS des § 13 Abs. 2 des Niederösterreichischen Sozialhilfegesetzes den nach diesem Gesetz zuständigen Organen zur Betreuung übergeben werden. Nur dann, wenn eine adäquate Betreuung auch im Sozialhilfebereich sich als unmöglich erweisen sollte, bleibe als letzte Möglichkeit die Beibehaltung des Aufenthalts in der Niederösterreichischen Landesnervenklinik Mauer in der bisherigen Art und Weise. Da nach der derzeitigen Aktenlage nicht verläßlich beurteilt werden könne, was mit dem Betroffenen in Zukunft geschehen solle, sei eine Ergänzung des Verfahrens erforderlich. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen gewesen, weil die Entscheidung SZ 60/12 mit den (nach dem Unterbringungsgesetz ergangenen) Entscheidungen 7 Ob 590/91 und 4 Ob 542/91 (JBl. 1992/106) nicht in Einklang stehe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Sachwalterin ist zwar nicht im Ergebnis, wohl aber in dem Eventualbegehren berechtigt, auszusprechen, daß das Erstgericht nicht "ermächtigt" sei, die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt bzw. Abteilung anzuordnen oder zu genehmigen.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 28. Jänner 1987, 1 Ob 709/86 (SZ 60/12), ist zur Zeit der Rechtslage vor dem Unterbringungsgesetz, das mit 1. Jänner 1991 in Kraft getreten ist, ergangen. Da nach § 3 Z 1 UbG in einer "Anstalt" - das sind nach § 2 des Gesetzes Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden - nur untergebracht werden darf, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, besteht nunmehr keine gesetzliche Möglichkeit mehr, für eine behinderte Person, die nicht auch an einer psychischen Krankheit leidet, die Unterbringung in einer Anstalt für Geisteskranke unter Hinweis auf § 282 Satz 2 ABGB als erforderliche Personenfürsorge anzuordnen. Geistig Behinderte dürfen vielmehr nur mehr dann in Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie aufgenommen werden, wenn neben der geistigen Behinderung auch Symptome einer psychischen Erkrankung auftreten.

Einer näheren Abgrenzung der rechtlichen Begriffe der "psychischen Krankheit" und der "geistigen Behinderung" bedarf es hier nicht; denn eine über die geistige Behinderung vom Grad einer Idiotie hinausgehende Geistes- oder Gemütskrankheit ist bei dem Betroffenen nicht erwiesen.

Eine analoge Anwendung des Unterbringungsgesetzes auf bloß geistig Behinderte kommt mangels Vorliegens einer "planwidrigen Unvollständigkeit", also einer nicht gewollten Gesetzeslücke, nicht in Frage (JBl. 1992, 106; 7 Ob 590/91). Daß geistig Behinderte ohne Symptome einer psychischen Erkrankung auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer Behinderung sich oder andere ernstlich und erheblich gefährden, nach der gegebenen Rechtslage weder in einem geschlossenen Bereich angehalten noch sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden dürfen, mag unbefriedigend sein; doch ist die Änderung einer solchen Rechtslage nicht Sache der Rechtsprechung.

Die Unterbringung des Betroffenen in einer Anstalt iS des § 2 UbG ist daher entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes auch nicht als letzte Möglichkeit zulässig.

Dies bedeutet aber nicht, daß der völlig hilflose Patient auf die Straße gestellt und damit dem sicheren Verderben preisgegeben werden dürfte. Wie schon von der zweiten Instanz ausgeführt wurde, gibt es auch im Bereich des Bundeslandes Niederösterreich ein Sozialhilfegesetz, und es umfaßt die Sozialhilfe nach § 1 Abs. 2 lit. b dieses Gesetzes auch Hilfe für behinderte Menschen, soweit sie - § 2 Abs. 2 SHG - nicht von anderer Seite geleistet wird. Nach § 21 a Nö-SHG kann behinderten Arbeitnehmern, die infolge ihres Leidens oder Gebrechens nicht imstande sind, ein selbständiges Leben zu führen, Hilfe durch Unterbringung in geeigneten Einrichtungen gewährt werden; welche Einrichtungen unter Sozialhilfeeinrichtungen zu verstehen sind, wird in § 45 Nö-SHG näher ausgeführt.

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