Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Der Angeklagte wird mit seiner Berufung, die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.
Rechtliche Beurteilung
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Zoran V***** zu
1. des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143, dritter Fall, StGB und zu
2. des Verbrechens des Raubes nach dem § 142 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.
Darnach hat er in Wien mit Gewalt gegen Personen diesen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar
1. am 3.Februar 1991 allein, indem er Maria M***** auflauerte, sie zu Boden riß, auf sie einschlug und eintrat, wobei die Gewaltanwendung eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB), nämlich eine Serienrippenfraktur der fünften bis neunten Rippe links mit Dislokation der Fragmente sowie ein Hämatom des linken Glutaeus und Stauchungsschmerzen des Brustkorbes zur Folge hatte, eine braune Krokolederhandtasche und eine schwarze Geldbörse mit ca 2.000 S Bargeld, sowie
2. am 15.Februar 1991 im vorsätzlichen Zusammenwirken mit einem noch nicht ausgeforschten Mittäter, indem er Anna F***** einen Faustschlag gegen das Gesicht versetzte und der noch nicht ausgeforschte Mittäter der Genannten eine schwarze Lederhandtasche mit Scheckvordrucken und einer braunen Ledergeldbörse mit 1.020 S Bargeld entriß.
Die Geschworenen haben die Hauptfragen 1 und 2 jeweils stimmeneinhellig bejaht; weitere Fragen waren ihnen nicht gestellt worden.
Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf den § 345 Abs. 1 Z 10 a StPO gestützt wird. Den Strafausspruch ficht er mit Berufung an, die Staatsanwaltschaft erhob gegen das Unterbleiben eines Widerrufsbeschlusses Beschwerde.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist im Recht:
Für die Bejahung der Hauptfragen 1 und 2 war für die Geschworenen zunächst die Unglaubwürdigkeit der "Ambulanzkarte" maßgebend. Der Beschwerdeführer hatte am 29.August 1991 dem Gericht Ablichtungen jugoslawischer Urkunden und eine beglaubigte Übersetzung über den "Behandlungskarton" eines Zoran V***** in Jugoslawien sowie am 20. November 1991 die Originale dieser Urkunden zum Beweis dafür vorgelegt, daß er nach einer Verletzung unter anderem am 2., 4. und 15.Februar 1991 zur Behandlungskontrolle in der Polyklinik V***** erschienen war.
Weshalb die Ambulanzkarte unglaubwürdig sei, ist der Niederschrift der Geschworenen über deren Erwägungen für die Beantwortung der ihnen gestellten Fragen nicht zu entnehmen.
Da sich aus den Akten keine Hinweise für eine Bedenklichkeit der vom Nichtigkeitswerber vorgelegten Urkunden, die sein Alibi für die Tatzeiten unter Beweis stellen sollten, ergeben, bestehen nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen, nämlich der Anwesenheit des Rechtsmittelwerbers am 3. und 15. Februar 1991 in Wien.
Diese Bedenken können auch durch die von den Laienrichtern für die Bejahung der Hauptfragen ins Treffen geführten Erwägungen, nämlich "eindeutige Wiedererkennung des Täters durch die Opfer" nicht entkräftet werden, weil die beiden Tatopfer keineswegs in einer jeden Irrtum ausschließenden Weise den Angeklagten belastet haben: So hat die - mittlerweile verstorbene - Maria M***** vor der Polizei erklärt, keine Täterbeschreibung abgeben zu können, sie könne ihn weder auf einem Lichtbild, noch bei einer Gegenüberstellung wiedererkennen. Auch die Zeugin F*****, die in der Hauptverhandlung erklärte, den Beschwerdeführer hundertprozentig als Täter wiederzuerkennen, nannte vor dem Untersuchungsrichter nach Vorhalt eines Lichtbildes des Nichtigkeitswerbers die Wahrscheinlichkeitsrate seiner Täterschaft mit 90 %.
Vorliegend wäre das Gericht angesichts seiner Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit gehalten gewesen, das behauptete Alibi des Rechtsmittelwerbers in geeigneter Weise einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen; jedenfalls hätte es vor Urteilsschöpfung das Ergebnis des Ersuchens an die Interpol um Überprüfung der Richtigkeit des vom Angeklagten angebotenen Alibis (ON 93) abwarten und den Akt 1 d E Vr 9436/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, in welchem der Beschwerdeführer beschuldigt worden war, unter anderem auch zu jener Zeit Diebstähle in Wien begangen zu haben, zu denen er nach dem Inhalt der vorgelegten Urkunden in B***** in ambulatorischer Behandlung stand, beischaffen müssen.
Selbst wenn man - ungeachtet der oben festgehaltenen erheblichen Bedenken - das (erst nach Urteilsfällung in erster Instanz bei Gericht eingelangte) Erhebungsresultat der Interpol B***** vom 6. April 1992 berücksichtigte, nach welchem "das Behandlungsblatt", lautend auf den Namen des Nichtigkeitswerbers "falsch" ist (wobei im fortgesetzten Verfahren auch zu klären sein wird, inwiefern die Ambulanzkarte "falsch", nämlich unrichtig, gefälscht oder verfälscht ist) und wenn man davon ausginge, daß die vorhin erwähnten Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen bezüglich des Faktums 2 festgestellten entscheidenden Tatsachen wegen der Aussagen der Zeugin F***** nicht erheblich seien, so bleiben mit Bezugnahme auf das Faktum 1 auf jeden Fall die Bedenken gegen die Richtigkeit der diesen Wahrspruch betreffenden entscheidenden Tatsachen erheblich, zumal das (mittlerweile verstorbene) Raubopfer M***** dem Rechtsmittelwerber nicht einmal gegenübergestellt, geschweige denn eine Wahlkonfrontation vorgenommen wurde.
Da die Fakten 1 und 2 in engem Zusammenhang stehen (Tatort war in beiden Fällen Wien, zwischen den Taten liegt ein Zeitraum von bloß 11 Tagen, die Raubopfer waren jeweils Frauen, die Beute waren Handtaschen, als Gewaltmittel wurden Schläge angewendet), ist nicht völlig auszuschließen, daß die Laienrichter im erneuerten Verfahren, sollten sie die Hauptfrage betreffend das Faktum 1 verneinen, eben wegen dieses Zusammenhanges auch zu einer (gegenüber dem ersten Rechtsgang) abweichenden Antwort auf die Hauptfrage 2 gelangen könnten (§§ 289, 344 StPO).
Da sonach die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung in Ansehung des genannten Anklagevorwurfes unumgänglich ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war in Stattgebung der zum Vorteil des Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde gemäß den §§ 344, 285 e StPO schon in nichtöffentlicher Sitzung spruchgemäß zu erkennen.
Auf die mit der Nichtigkeitsbeschwerde vorgelegte Ablichtung der beglaubigten Übersetzung einer Bestätigung des Untersuchungsrichters des Zweiten Gemeindegerichtes in B*****, aus der sich ergibt, daß der Beschwerdeführer am 5.Februar 1991 in der Zeit zwischen 10 Uhr und 13,30 Uhr dort einvernommen wurden, war im Hinblick auf das im Nichtigkeitsverfahren geltende Neuerungsverbot nicht einzugehen (12 Os 62/90).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)