Spruch:
Das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 5.September 1991, AZ 8 Bs 314/91, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 146 StGB.
Text
Gründe:
Mit dem (teils freisprechenden) Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Innsbruck vom 14.Mai 1991, GZ 37 Vr 413/91-9, wurde Olga I***** teils des Vergehens des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.
Als schwerer Betrug wurde Olga I***** zur Last gelegt, ab April 1989 bis zum 31.Jänner 1991 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Bedienstete der Sozialhilfeabteilung des Stadtmagistrates Innsbruck durch Unterlassung der gebotenen Aufklärung sowie durch falsche Angaben in den Anträgen auf Weitergewährung der Sozialhilfe, indem sie den Passus (Punkt 38) im Sozialhilfeantrag, der die Einkommensverhältnisse der im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen zum Gegenstand hat, durchgestrichen und damit den Eindruck erweckt hat, daß sie allein lebt, sohin durch Täuschung über Tatsachen, zu Handlungen, nämlich zur Gewährung von Sozialhilfe ohne Berücksichtigung des (Einkommens ihres) Lebensgefährten im Betrage von 105.252 S verleitet zu haben, welche die Stadt Innsbruck um den genannten Betrag am Vermögen schädigten.
Die Angeklagte bekämpfte das Ersturteil in seinem kondemnierenden Teil mit einer Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe, wobei die Sanktionsanfechtung in der Berufungsverhandlung zurückgezogen wurde.
Das Oberlandesgericht Innsbruck vertrat aus Anlaß dieser Berufung die Ansicht, daß dem bekämpften Schuldspruch eine nicht geltend gemachte Nichtigkeit nach der Z 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO anhafte. Demgemäß hob das Berufungsgericht mit Urteil vom 5. September 1991, AZ 8 Bs 314/91, gemäß §§ 477, 489 Abs. 1 StPO den erstgerichtlichen Schuldspruch wegen materiellrechtlicher Nichtigkeit auf und fällte im Umfang der Aufhebung einen Freispruch nach dem § 259 Z 3 StPO. Die Angeklagte wurde mit ihrer Berufung auf diese von Amts wegen getroffene Entscheidung verwiesen.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Innsbruck war der erstgerichtliche Schuldspruch schon deshalb rechtlich verfehlt, weil sich die festgestellten Tathandlungen der Angeklagten anläßlich der Herauslockung von Sozialhilfe auf unwahre Behauptungen gegenüber dem Sozialamt beschränkt hatten und Verhaltensweisen dieser Art vom Täuschungsbegriff des Betrugstatbestandes nach dem § 146 StGB nicht erfaßt seien. Unwahres Parteivorbringen gegenüber einer Behörde oder einer behördenähnlichen Einrichtung, der eine Überprüfung der Behauptungen möglich sei, entspreche nämlich nur dann einer "Täuschung über Tatsachen", wenn ein Antragsteller zusätzliche Täuschungsmittel (zB nachgemachte oder verfälschte Urkunden, falsche Aussagen von Zeugen oder Auskunftspersonen) gebrauche. Bei dieser Gesetzesauslegung stützte sich das Oberlandesgericht auf eine zum Teil noch zum Begriff der "listigen Vorstellungen und Handlungen" nach dem § 197 StG ergangene Rechtsprechung, die jedoch in der Zwischenzeit nicht vorbehaltlos weitergeführt worden ist, sondern vielmehr so erhebliche Einschränkungen erfahren hat, daß in der Literatur (Bertel in ÖJZ 1989, 144) schon die Frage gestellt wird, ob überhaupt noch von einem Grundsatz der Nichtannahme einer tatbestandsmäßigen Täuschung durch unwahre Tatsachenbehauptungen beim sogenannten "Behördenbetrug" gesprochen werden kann.
Die auf einer überholten Judikatur beruhende rechtliche Beurteilung durch das Oberlandesgericht Innsbruck steht mit dem Gesetz (§ 146 StGB) nicht im Einklang.
Rechtliche Beurteilung
Nach jüngerer Rechtsprechung sind unwahre Parteibehauptungen gegenüber einer Behörde zur Erlangung vermögenswerter Leistungen von dem durch sie vertretenen Rechtsträger auch ohne zusätzliche Täuschungsmittel nicht nur dann, wenn gar keine amtswegige Überprüfungspflicht besteht (SSt. 56/77), sondern auch, wenn in dem betreffenden Verfahren eine Überprüfung de facto nicht stattfindet und die Disposition allein auf jenem Vorbringen beruht, als "Täuschung über Tatsachen" im Sinne des § 146 StGB zu beurteilen (SSt. 54/62; ÖJZ-LSK 1984/177; EvBl. 1989/44; 12 Os 98/89). Es wäre nämlich sachlich nicht begründbar, den strafgesetzlichen Vermögensschutz Personen des öffentlichen Rechtes in geringerem Umfang zu gewähren als Privatpersonen, weshalb die Herauslockung vermögenswerter Leistungen von der öffentlichen Hand durch vorsätzliche Falschbehauptungen über faktische Anspruchsvoraussetzungen nicht anders gesehen werden kann als gleichartige Verhaltensweisen zum Nachteil des Vermögens privater Geschädigter.
Aus dieser Sicht bilden irrtumsverursachende falsche Angaben über anspruchsrelevante Umstände in einem schriftlichen Antrag auf Gewährung der gesetzlichen Sozialhilfe sehr wohl eine Täuschung über Tatsachen, ohne daß es hiezu des Einsatzes weiterer Irreführungsmittel bedarf. Die vom Oberlandesgericht Innsbruck vorgenommene Differenzierung, wonach bloßes unwahres schriftliches Parteivorbringen gegenüber Beamten der Sozialhilfeabteilung des Stadtmagistrates Innsbruck keine Täuschung im Sinne des § 146 StGB verwirkliche, stellt somit eine unrichtige Anwendung des Gesetzes dar, welche allerdings für die Angeklagte keine nachteiligen Auswirkungen nach sich zog.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)