OGH 5Ob1510/92

OGH5Ob1510/9218.2.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Klinger, Dr. Schwarz und Dr. Floßmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef G*****, Maurer, ***** Wien, S*****gasse 12/2/17, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Gerüstbau K***** Ges.m.b.H., ***** Wien, M*****gasse 23, vertreten durch Dr. Viktor Wolczik und Dr. Alexander Knotek, Rechtsanwälte in Baden, wegen S 815.775,-- s. A. und Feststellung (Streitwert S 100.000,-) infolge ao. Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 31. Oktober 1991, GZ 2 R 229/90-30, den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Begründung

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes hat das Baugerüst, von dem der Kläger stürzte, zwei Mängel aufgewiesen: Es löste sich die Arretierung der Brustwehr, gegen die sich der Kläger lehnte; außerdem fehlte die Mittelwehr. Zu ergänzen bleibt, daß sich im Verfahren keinerlei Hinweis ergeben hat, daß die Arretierung der Brustwehr absichtlich gelöst wurde. Es liegen somit eindeutige Verstöße gegen § 46 Abs.6 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, BGBl.1983/218, vor.

Die Arbeitnehmerschutzvorschriften bezwecken, wie schon das Berufungsgericht ausführte, den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Dienstnehmern im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit (Harrer in Schwimann, Rz 13 zu § 1311 ABGB). In diesen Schutzbereich ist zweifellos auch der Kläger einzubeziehen, da die der beklagten Partei als Gerüstbauer auferlegte Sorgfaltspflicht die Sicherheit der auf dem Gerüst arbeitenden Personen gewährleisten soll. Darüber hinaus hatte die beklagte Partei auf Grund ihres Vertrages mit dem Bauführer Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger wahrzunehmen, weil dieser als Dienstnehmer des Bauführers auf dem Gerüst zu arbeiten hatte und somit der geschuldeten Leistung, nämlich der Herstellung eines allen Schutzvorschriften entsprechenden Gerüstes, nahestand (vgl: E 12 zu § 1313a ABGB, MGA33). Eine Überdehnung des Schutzzweckes des § 46 Abs.6 AAV wird denn auch von der beklagten Partei nur unter dem Gesichtspunkt geltend gemacht, daß man den Gerüstaufsteller zweifellos nicht für Mängel und daraus resultierende Schadensfolgen haftbar machen wollte, die sich erst bei nachträglichen, nicht mehr der Kontrolle des Gerüstaufstellers unterliegenden Arbeiten am Gerüst (gemeint ist das Anbringen des Staubnetzes durch Arbeitnehmer des Bauführers) einstellten. Ob die Verpflichtung eines Gerüstbauers so weit geht, das unabsichtliche Lösen von Befestigungen (Arretierungen) auch für den Fall der nachträglichen vielleicht unsachgemäßen Anbringung von Staubnetzen u.dgl. zu verhindern, ist jedoch hier nicht zu untersuchen, weil das Berufungsgericht diese Mängelursache ohnehin als äußerst unwahrscheinlich festgestellt hat (S 20 der Urteilsausfertigung ON 30). Die tragenden Entscheidungsgründe knüpfen an die Feststellung an, daß die Brustwehr bei der Montage des Gerüstes möglicherweise nicht bis zum Einrasten der Klinke auf die Bolzen aufgeschoben wurde. Als weitere mögliche Unfallursache hat das Berufungsgericht eine Verschmutzung, Abnützung oder gar das Fehlen der Sperrklinke angenommen (S 21 der ON 30). Alle diese Mängel liegen im unmittelbaren Verantwortungsbereich des Gerüstbauers; daß zumindest sie durch die Schutznorm des § 46 Abs.6 AAV vermieden werden sollen, kann wohl nicht ernstlich bezweifelt werden. Soweit die beklagte Partei mit diesen Ausführungen den Haftungsgrund des Verschuldens in Frage stellt, weil immerhin die Möglichkeit einer nicht vorherzusehenden und ihr daher auch nicht zurechenbaren Dritteinwirkung auf die Befestigung der Brustwehr besteht, ist sie auf die spätere Behandlung des Beweislastproblems zu verweisen. Im übrigen versagen alle diese Argumente bei der zweiten feststehenden Schutznormverletzung, nämlich beim Vorwurf, es habe an der Gefahrenstelle auch die vorgeschriebene Mittelwehr des Gerüstes gefehlt. Daß sie beim Anbringen des Staubnetzes abhanden gekommen sein könne, behauptet die beklagte Partei selbst nicht.

Auch der Kausalzusammenhang zwischen den feststehenden Schutznormverletzungen und dem Schaden des Klägers liegt auf der Hand. Daß die mangelnde Arretierung der Brustwehr zum Absturz des Klägers geführt hat, ist überhaupt nie in Zweifel gezogen worden; daß es andererseits Sache der Beklagten gewesen wäre, die mangelnde Ursächlichkeit der fehlenden Mittelwehr für den Schadensverlauf nachzuweisen, ist eine ständig judizierte Folge der Schutznormverletzung (vgl. E Nr.40 zu § 1311 ABGB, MGA33). Die hiezu vorgebrachten Gegenargumente (die sich wiederum nur mit der mangelnden Arretierung der Brustwehr befassen) zielen in Wahrheit auf eine Korrektur der Tatsachenfestellungen (betreffend eine mögliche Verschmutzung oder Abnützung der Sperrklinke, wenn nicht gar deren Fehlen) oder unterstellen überhaupt einen urteilsfremden Sachverhalt (so z.B. die Annahme, eine bewußte Manipulation an der Brustwehrarretierung sei genauso wahrscheinlich wie eine ungewollte Öffnung). Einige der Argumente bauen im übrigen auf der unrichtigen Rechtsansicht auf, der Geschädigte habe auch bei einer Schutznormverletzung des Schädigers dessen Verschulden zu beweisen.

Das Problem der Beweislast im Zusammenhang mit Schutznormverletzungen wurde vom Berufungsgericht im Einklang mit der ständigen Judikatur gelöst (E. 34 zu § 1311 ABGB, MGA33). Der Schädiger haftet zwar nur unter der Voraussetzung, daß er das Schutzgesetz verschuldet übertreten hat; er muß jedoch den Beweis erbringen, daß ihn an der Übertretung des Schutzgesetzes kein Verschulden trifft (Harrer in Schwimann, Rz 30 zu § 1311 ABGB). Daran hat der Oberste Gerichtshof trotz gegenteiliger Lehrmeinungen (Reischauer in Rummel II, Rz 17 zu § 1311 ABGB; Koziol, Österr. Haftpflichtrecht I2, 340) festgehalten (zuletzt ImmZ 1990, 287; JBl 1991,247; 1 Ob 39,40/90). Die beklagte Partei hätte daher den Nachweis führen müssen, daß sie an der fehlenden Arretierung der Brustwehr und am Fehlen der Mittelwehr kein Verschulden trifft. Solange etwa die Möglichkeit offensteht, die Brustwehr könnte bei der Montage des Gerüstes nicht bis zum Einrasten der Klinke aufgeschoben worden sein, ist dieser Entlastungsbeweis nicht erbracht.

Was den nunmehrigen Mitverschuldenseinwand der beklagten Partei betrifft, ist darauf hinzuweisen, daß sich die Prüfung des Mitverschuldens auf jene tatsächlichen Umstände zu beschränken hat, mit denen ein Verschulden des Geschädigten behauptet wird (E 11a zu § 1304 ABGB, MGA33; zuletzt ZVR 1989/108; 2 Ob 61/88, 3 Ob 583/89). Ein solches Mitverschulden muß eingewendet werden (E 7 zu § 1304 ABGB, MGA33), die beklagte Partei trifft insoweit die Behauptungs- und Beweislast (E 12 zu § 1304 ABGB, MGA33).

Im gegenständlichen Fall hat die beklagte Partei lediglich Tatsachen vorgebracht, die auf ein Verschulden des Arbeitgebers des Klägers hindeuten. Auch die in der ao. Revision geltend gemachten Verstöße gegen § 46 Abs.9 und 13 AAV beziehen sich auf den Arbeitgeber des Klägers und nicht auf den Kläger selbst, weil sie Überprüfungspflichten "geeigneter, fachkundiger und hiezu berechtigter Personen" normieren. Der Schädiger kann jedoch dem Verletzten gegenüber ein allfälliges Drittverschulden nicht einwenden (ZVR 1976/318 ua.). der einzige Hinweis auf ein Mitverschulden des Klägers findet sich im Vorbringen auf S.4 der Klagebeantwortung, wonach sich auch Benützer von Gerüsten vor der Benützung zu überzeugen haben, ob offensichtliche Mängel vorhanden sind. Ein ausdrücklicher Mitverschuldenseinwand war damit nicht verbunden. In der ao. Revision wird nunmehr auf § 32 Ab.1 der Verordnung über den Schutz von Dienstnehmern bei Ausführung von Bauarbeiten, Bauneben- und Bauhilfsarbeiten, BGBl.1954/267, Bezug genommen und damit argumentiert, dem Kläger hätte das offenkundige Fehlen der "Mittelwehr" auffallen müssen. Darin liegt eine unbeachtliche Neuerung.

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