OGH 9ObA205/91

OGH9ObA205/9118.12.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Wolfgang Neumeier in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der L***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden *****, dieser vertreten durch ***** und andere Rechtsanwälte *****, wider die beklagte Partei L***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wegen Feststellung (Streitwert 51.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11.Juni 1991, GZ 5 Ra 88/91-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 16.Jänner 1991, GZ 42 Cga 108/90-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Partei erhebt, gestützt auf § 54 Abs 1 ASGG, das Begehren auf Feststellung, daß zur Berechnung des Überstunden- und Zulagenanteils (Berechnung des Überstunden- und Zulagenteilers) zur Berechnung des Wertes einer Einzelstunde das Entgelt für die jeweilige Mehrleistung (Überstundenentgelt, sonstige Zulagen) nicht wie von der beklagten Partei durch die Gesamtanwesenheitsstunden zu teilen sei, sondern durch die sich monatlich ergebende Normalarbeitszeit (Normalarbeitsstunden abzüglich sogenannter Nichtleistungsstunden bzw Fehlzeiten, Urlaube, Krankenstände etc.). Dazu wurde vorgebracht, die von der beklagten Partei zugrundegelegte Berechnungsweise entspreche nicht dem Ausfallprinzip. Der Wert der tatsächlich geleisteten Überstundenvergütung und Zulagen sowie Zuschläge werde bei Berechnung der Entgeltfortzahlungsansprüche zum Nachteil der Arbeitnehmer verfälscht. Tatsächlich dürfte das Gesamtentgelt nur durch die Normalarbeitszeit geteilt werden; die sogenannten Nichtleistungsstunden (Feiertage, Urlaub, Krankenstand) seien zu neutralisieren und aus den von der beklagten Partei errechneten Gesamtanwesenheitsstunden abzurechnen. Die unterschiedlichen Ergebnisse bei Anwendung der verschiedenen Berechnungsmethoden wurden von der klagenden Partei an verschiedenen Beispielen dargestellt.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Auszugehen sei vom Ausfallprinzip. Darnach dürfe beim betreffenden Arbeitnehmer für die Konsumation von Urlaub, Krankenstand, Feiertagsruhe und sonstigen Entgeltzahlungsfällen eine Schmälerung des Entgeltes nicht eintreten; der Arbeitnehmer sei so zu stellen, als ob er in dieser Zeit gearbeitet hätte. Sowohl § 2 Abs 2 des Generalkollektivvertrages über den Begriff des Entgeltes gemäß dem Urlaubsgesetz sowie § 2 Abs 2 des Generalkollektivvertrages über den Begriff des Entgeltes gemäß § 3 EFZG legten fest, daß bei der Berechnung des Entgeltes nach dem Ausfallprinzip von den im Beobachtungszeitraum geleisteten Überstunden auszugehen sei. Die von der klagenden Partei vertretene Berechnungsmethode, die zugrundelege, daß nicht nur tatsächlich geleistete, sondern auch fiktive Überstunden, die im Beobachtungszeitraum zufolge von Fehlzeiten nicht geleistet wurden, zu berücksichtigen seien, finde in diesen Bestimmungen keine Deckung. Die Anwendung dieser Methode führe zu einer unzulässigen Besserstellung der Arbeitnehmer. Die von der beklagten Partei zugrundegelegte Berechnungsmethode begünstige die Arbeitnehmer gegenüber einer strengen Anwendung des Ausfallprinzipes.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei es den Spruch der Entscheidung in einer vom Begehren abweichenden Form faßte und feststellte, daß bei Ermittlung des Überstunden- und Zulagenanteiles im Rahmen des bei Arbeitsausfall fortzuzahlenden Entgeltes zur Berechnung des Wertes einer Einzelstunde das Durchschnittsentgelt, welches für die jeweilige Mehrarbeit im Rückbetrachtungszeitraum bezogen wurde (Überstundenentgelt bzw sonstige Zulagen) nicht wie von der beklagten Partei durch die Gesamtanwesenheitsstunden (also unter Einbeziehung auch der jeweiligen Mehrarbeitsstunden) zu teilen sei, sondern ausschließlich durch die sich monatlich ergebende Normalarbeitszeit (Normalarbeitsstunden) abzüglich zu berücksichtigender Fehlzeiten (wie Urlaub, Feiertage, Krankenstand, sonstige Arbeitsverhinderungen). Ausgehend von den Bestimmungen des § 3 EFZG, des § 8 AngG, des § 6 UrlG und des § 9 ARG stellte das Erstgericht an Hand von Berechnungsbeispielen dar, daß die von der beklagten Partei angewendete und im Verfahren vertretene Berechnungsmethode dem Ausfallprinzip nicht gerecht werde. Der Standpunkt der beklagten Partei, daß ein dem Klagebegehren entsprechender Berechnungsmodus zu einer unzulässigen Besserstellung der Arbeitnehmer gegenüber dem Ausfallprinzip führe, treffe nicht zu, da eine größere Anzahl von Fehlzeiten eine geringere Überstundenanzahl und somit ein geringeres Überstundenentgelt zur Folge habe und dafür rechnerisch ein entsprechender Ausgleich zu schaffen sei. Im Sinne einer "klaren Formulierung" sei der Urteilsspruch gegenüber dem Klagebegehren geringfügig zu modifizieren gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab. Den Vorschriften des EFZG bzw des zu § 3 dieses Gesetzes abgeschlossenen Generalkollektivvertrages, des Urlaubsgesetzes und des Arbeitsruhegesetzes sowie des Kollektivvertrages für die eisen- und metallerzeugende und

-verarbeitende Industrie lasse sich nicht entnehmen, daß zur Errechnung des fortzuzahlenden Entgeltes während einer Arbeitsverhinderung ein "Überstunden- und Zulagenanteil zur Berechnung des Wertes einer Einzelstunde" zu ermitteln wäre. Es handle sich vielmehr bei dem den Gegenstand des Klagebegehrens bildenden Begriff um eine Zwischenposition im Rahmen einer bestimmten, vom Gesetz in dieser Form keineswegs bindend vorgeschriebenen Lohnberechnungsart. Auf welche Weise diese Zwischenposition zu berechnen sei, um der Rechtslage zu entsprechen, könne nur dann beurteilt werden, wenn die gesamte zugrundeliegende Methode der Lohnberechnung nachvollziehbar vorgebracht und im Streitfall auch festgestellt sei, weil nur dann eine weitere Verwertung dieser Zwischenposition auf das rechtlich relevante Endergebnis nachvollziehbar und rechtlich beurteilbar sei. Diese Voraussetzung fehle hier. Es brauche aber hierauf nicht weiter eingegangen zu werden, weil schon aufgrund des Klagebegehrens dessen fehlende Berechtigung zu erkennen sei. Es könne nämlich nicht jede beliebige im Rahmen eines Dienstverhältnisses auftauchende Streitfrage zur Grundlage eines Feststellungsbegehrens gemacht werden. Abstrakte Rechtsfragen, die rechtlichen Eigenschaften von Tatsachen und Rechtshandlungen seien ebensowenig feststellungsfähig wie einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses, etwa die Auslegung bestimmter Tatbestandsmerkmale oder die Anwendung einer bestimmten Berechnungsmethode. Umso weniger sei eine Zwischenposition im Rahmen einer bestimmten Berechnungsmethode feststellungsfähig. Dem Klagebegehren liege daher kein feststellungsfähiges Recht oder Rechtsverhältnis zugrunde. Schon dies müsse zur Abweisung der Klage führen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt vor, wenn die Fassung des Urteiles so mangelhaft ist, daß dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann; ferner wenn das Urteil mit sich selbst im Widerspruch steht oder für die Entscheidung keine Gründe angegeben sind. Keiner dieser Mängel liegt hier vor. Fehlen für die Entscheidung erforderliche Tatsachenfeststellungen, so begründet dies den Rechtsmittelgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, allenfalls den der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, nicht jedoch den der Nichtigkeit. Abgesehen davon, daß das Berufungsgericht nur die Zulässigkeit der Feststellungsklage an sich geprüft und verneint und somit eine Auseinandersetzung mit der materiellen Berechtigung des Begehrens abgelehnt hat, leitet die klagende Partei den erhobenen Anspruch unmittelbar aus generellen Normen ab; ein strittiger Sachverhalt ist nach dem bisherigen Vorbringen nicht zu prüfen. Nur zu strittigen Tatsachen wären jedoch Feststellungen erforderlich.

Die Rechtsrüge ist hingegen berechtigt. Gegenstand der besonderen Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 ASGG ist eine auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen gerichtete Klage im Sinne des § 228 ZPO. Voraussetzung des Feststellungsanspruches ist nach dieser Gesetzesstelle, daß der Kläger ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung eines (näher bezeichneten) Rechts oder Rechtsverhältnisses durch eine gerichtliche Entscheidung hat (Kuderna, ASGG, Anm 6 zu § 54 ASGG). Feststellbar sind (ausgenommen den Fall der Urkundenechtheit) nach § 228 ZPO nur Rechte oder Rechtsverhältnisse. Ob ein solches vorliegt, ist nach dem anzuwendenden materiellen Recht zu beurteilen. Ein Rechtsverhältnis ist die bestimmte, durch den vorgetragenen Sachverhalt gegebene und konkretisierte rechtlich geregelte Beziehung von Personen untereinander oder von einer Person zu einem Gegenstand; ferner auch einzelne rechtliche Folgen einer solchen Rechtsbeziehung. Es wird jedoch nicht gefordert, daß das Begehren den ganzen rechtlichen Komplex, also die gesamte Rechtsbeziehung erschöpfend festgestellt wissen will; feststellbar ist auch ein bloß quantitativer Teil eines Rechtsverhältnisses (Fasching, Kommentar III, 60; vgl auch Lehrbuch2, Rz 1088-1092).

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren der klagenden Partei auf Feststellung eines bestimmten Entgeltanspruches von jedenfalls mehr als drei Arbeitnehmern der beklagten Partei. In dem oben dargestellten Sinn kann auch die Höhe der Entlohnung aus einem Arbeitsverhältnis als quantitativer Teil der gesamten Rechtsbeziehungen aus dem Arbeitsverhältnis zum Gegenstand eines Feststellungsbegehrens gemäß § 54 Abs 1 ASGG gemacht werden. Ist aber nur eine Teilposition (hier der Wert der der Berechnung des weiterzuzahlenden Entgeltes zugrunde zu legende Einzelstunde bei Stundenlöhnen) im Rahmen einer im übrigen unbestrittenen Entgeltberechnung zwischen den Parteien strittig, so kann sich das Feststellungsbegehren auf diese Position beschränken. Durch die Entscheidung über das in dieser Form erhobene Begehren wird das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien die Lohnzahlung betreffend streitbereinigend entschieden. Damit ist auch die Voraussetzung gegeben, die der Verfassungsgerichtshof in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung ÖJZ 1985, 410, unter Berufung auf Fasching für die Zulässigkeit der Feststellungsklage fordert, nämlich daß sich die Klage nicht nur auf einzelne Elemente zu erstrecken habe, sondern bindend über das gesamte Recht oder Rechtsverhältnis zu entscheiden habe.

Mit der vorliegenden Feststellungsklage wird daher ein grundsätzlich feststellungsfähiges Begehren erhoben. Das Berufungsgericht wird sohin in eine sachliche Prüfung des erhobenen Begehrens einzutreten haben. Sollte die für die Ermittlung der strittigen Position erforderliche Methode der Lohnverrechnung nicht nachvollziehbar vorgebracht worden sein, so würde dies nicht gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage an sich sprechen; es wäre vielmehr durch entsprechende Erörterung mit den Parteien eine taugliche Entscheidungsgrundlage zu schaffen.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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