OGH 9ObA203/91 (9ObA204/91)

OGH9ObA203/91 (9ObA204/91)4.12.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erhard Unterberger und Jürgen Mühlhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. H***** B*****, Pensionist, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei A***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen 992.071,70 S brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Mai 1991, GZ 34 Ra 136/90-51, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 12.März 1990, GZ 14 Cga 1282/87-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 20.419,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 3.403,20 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist am 7.März 1956 bei der beklagten Partei als Angestellter eingetreten und wurde vorerst als Schadensreferent eingesetzt. Ab Anfang 1960 wurde der Kläger mit der Führung einer Referentengruppe betraut. Ab 1.Jänner 1963 erhielt der Kläger die selbständige Leitung der Abteilung 14 (Rechtsschutzabteilung) übertragen. Die vom Kläger vom Jahre 1963 bis zum Jahre 1966 geleitete Rechtsschutzabteilung bestand neben dem Kläger und seiner persönlichen Sekretärin aus zwei Referenten und einem gemeinsamen Koreferenten, einer Gruppenschreiberin und einem Kanzleigehilfen. Sie war ausschließlich mit Rechtsschutzfällen befaßt. Das Prämienaufkommen und der bearbeitete Aufgabenbereich sind mit keiner der nachfolgend geschaffenen Abteilungen der beklagten Partei vergleichbar. Im Zuge einer Umstrukturierung der beklagten Partei wurde die Rechtsschutzabteilung mit der HUK (Haftpflicht-Unfall-Kasko)-Abteilung in einem Arbeitsbereich zusammengefaßt. Die Leitung dieses Bereiches erhielt der bisherige Leiter der (größeren) Abteilung HUK, Dr. H***** S*****, dem der Kläger damit organisatorisch unterstellt worden wäre. Es kam zu Differenzen zwischen dem Kläger und Dr. H***** S*****, weil der Kläger nicht bereit war, Dr. S***** als Vorgesetzten sowie dessen mit dieser Stellung verbundenen Kompetenzen zu akzeptieren. Mit 19.September 1966 wurde dem Kläger die Bearbeitung von Auslands- und Großschäden als neues Aufgabengebiet zugeteilt. Der Betriebsrat der beklagten Partei erhob Einspruch gegen die Versetzung des Klägers. Dieser Einspruch wurde in der Folge zurückgezogen und vom Betriebsrat einer weiteren "Versetzung" des Klägers mit Anfang 1967 zugestimmt.

Mit der zu 4 Cr 1409/67 des Arbeitsgerichtes Wien erhobenen Klage bekämpfte sodann der Kläger die zum 19.September 1966 und 2. Jänner 1967 ausgesprochenen Versetzungen als vertragswidrig. Im zweiten Rechtsgang wurde die Klage mit Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 23.Juni 1969, 4 Cr 1418/68-43, abgewiesen. Diese Entscheidung wurde vom Landesgericht für ZRS Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 9.April 1970, 44 Cg 42/70, bestätigt. Die gegen das Berufungsurteil erhobene Revision wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 22. September 1970, 4 Ob 68/70, zurückgewiesen. In diesem Verfahren gingen Erstgericht und Berufungsgericht übereinstimmend davon aus, daß dem Kläger nicht die Leitung der Rechtsschutzabteilung für alle Zukunft zugesichert worden sei. Der Kläger habe es sich selbst zuzuschreiben, daß er nicht Leiter der Rechtsschutzabteilung geblieben sei, weil er es abgelehnt habe, unter Dr. S***** zu arbeiten und die Absicht geäußert habe, den Dienst der beklagten Partei zu quittieren. Am 2.Jänner 1967 sei der Kläger nicht versetzt worden, sondern lediglich die Abteilung 7 in Abteilung 17 umbenannt worden, ohne daß sich an der Tätigkeit des Klägers etwas änderte.

Am 12.Jänner 1979 wurde der Kläger vom Dienst freigestellt, ohne daß dies Einfluß auf die Entwicklung seiner Bezüge haben sollte. Mit Schreiben vom 17.Februar 1987 wurde der Kläger wegen Erreichung des 60.Lebensjahres zum 31.März 1987 gekündigt.

Nicht festgestellt werden konnte, daß dem Kläger die Erteilung der Prokura oder eine Pension zugesagt wurde.

Der Kläger begehrt die Zahlung eines Betrages von 992.071,70 S brutto sA, und zwar 617.241 S an restlichem Gehalt für den Zeitraum vom September 1984 bis 31.März 1987 sowie 374.830,70 S an Pensionszuschüssen bis 30.Juni 1988. Er brachte vor, nach seiner Versetzung am 16.September 1966 bzw 2.Jänner 1967 seien seine Bezüge nur unzureichend angehoben worden. Der Kläger habe einen Anspruch auf die begehrten Bezüge durch seine Tätigkeit als Leiter der Rechtsschutzabteilung erworben und sei ihm die Erteilung der Prokura zugesichert worden. Nur weil der Kläger darauf hingewiesen habe, daß die Unterstellung unter Dr. S*****, der ihm bisher gleichgestellt gewesen sei, den Vereinbarungen widerspreche und der Kläger erst nach einem klärenden Gespräch der Unterstellung zugestimmt habe, sei er von der Funktion als Leiter der Rechtsschutzabteilung entbunden worden. Der Kläger habe sich als Leiter der Rechtsschutzabteilung bewährt und sich weder geweigert, mit Dr. S***** zusammenzuarbeiten noch in irgendeiner Form eine Kündigung ausgesprochen. Nach seiner Versetzung habe er wiederholt wegen der zu geringen Anhebung seines Gehaltes protestiert. Er habe Anspruch auf ein Gehalt, wie es die seiner früheren Position als Leiter der Rechtsschutzabteilung vergleichbaren Leiter von Fach- und Schadensabteilungen hätten. Darüber hinaus erhalte jeder Leiter einer Fach- oder Schadensabteilung bzw ein Prokurist einen Pensionszuschuß aufgrund einer individuellen Pensionszusage, während dem Kläger lediglich die geringere Pensionszulage gemäß der Verbandsempfehlung gewährt werde.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Dem Kläger sei nie die Erteilung der Prokura zugesagt worden; der frühere Generaldirektor der beklagten Partei Dr. H***** H***** habe dem Kläger im Sommer 1966 lediglich erklärt, bei Wohlverhalten werde er die Erteilung der Prokura an den Kläger beantragen. Damit habe Dr. H***** die gute Zusammenarbeit mit Dr. S***** gemeint. Damals sei die Organisationsstruktur der beklagten Partei grundlegend geändert worden; um den Vorstand zu entlasten, sei zwischen diesem und den Abteilungen eine weitere Entscheidungsebene geschaffen worden. Damit wäre der Kläger als Abteilungsleiter nicht mehr direkt dem Vorstand, sondern Dr. S***** unterstellt gewesen. Der Kläger habe sich aber geweigert, unter Dr. S***** zu arbeiten und habe geäußert, er werde den Dienst bei der beklagten Partei quittieren. Ein Pensionszuschuß werde mit Einzelvereinbarung zugesagt; ein Pensionszuschuß sei nicht automatisch mit einer Funktion verbunden, weder mit der eines Abteilungsleiters noch mit der eines Prokuristen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Kläger aus der ihm nach den Ergebnissen des Vorverfahrens zumutbaren Versetzung keine Ansprüche ableiten könne.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und vertrat die Rechtsauffassung, daß der Kläger im Hinblick auf das Ergebnis des Vorprozesses über seine Versetzung nicht neuerlich die ihm damals aberkannten Rechte geltend machen könne. Auch aus einer vertraglichen Zusage, aus einer betrieblichen Übung oder aus einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes könne der Kläger seine Ansprüche nicht ableiten. Dem Kläger sei der Beweis nicht gelungen, daß ihm vereinbarungswidrig die Prokura oder eine Pensionszusage vorenthalten worden seien; eine betriebliche Übung und eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kämen als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, weil das Prämienaufkommen und der Aufgabenbereich der vom Kläger früher geleiteten Rechtsschutzabteilung mit keiner der später geschaffenen Abteilungen vergleichbar sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger stützt sein Begehren darauf, daß er bis zu seiner Versetzung Leiter der Rechtsschutzabteilung gewesen sei und auch nach seiner Versetzung Anspruch auf die den Leitern vergleichbaren Abteilungen gewährten Bezugserhöhungen und Pensionszuschüsse habe.

Entscheidend für die Beurteilung dieses Begehrens ist die Frage, ob die Versetzung des Klägers rechtmäßig war. Im Vorprozeß wurde aber das Begehren des Klägers, die Versetzung sei vertragswidrig und damit rechtsunwirksam, bereits rechtskräftig abgewiesen.

Auch ohne Identität des Begehrens kann ein in einem Vorprozeß ergangenes Urteil zufolge seiner materiellen Rechtskraft zur inhaltlichen Bindung des später entscheidenden Gerichtes führen, insbesondere wenn Parteien und rechtserzeugender Sachverhalt identisch sind und beide Prozesse in einem so engen inhaltlichen Zusammenhang stehen, daß die Gebote der Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung der in beiden Fällen entscheidenden Rechtsfrage nicht zulassen (RZ 1977/49; RZ 1980/31; SZ 55/74). Diese Bindungswirkung schließt die Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung des rechtskräftig entschiedenen Anspruches aus, nicht aber auch die Verhandlung und Entscheidung über das neue Klagebegehren. Das Ausmaß der Bindungswirkung wird zwar durch den Urteilsspruch bestimmt, doch sind die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftig entschiedenen Anspruches heranzuziehen. Dies gilt insbesondere, wenn der Umfang der Rechtskraftwirkung eines abweisenden Urteils festgestellt werden soll (Fasching Kommentar ZPO III 714; SZ 55/74).

Für den vorliegenden Rechtsstreit ist daher zufolge der Tatbestandswirkung der im Vorprozeß gefällten rechtskräftigen Entscheidung davon auszugehen, daß die Versetzung des Klägers auf den Posten eines Schadensreferenten rechtmäßig war. Es fehlt daher an einer Grundlage für sein auf finanzielle Gleichstellung mit Leitern von Abteilungen gerichtetes, auf den Titel des Schadenersatzes gestütztes Begehren, so daß auch die Revisionsausführungen, die beklagte Partei sei zur finanziellen Gleichstellung des Klägers mit Abteilungsleitern nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz und aufgrund betrieblicher Übung verpflichtet, ins Leere gehen. Eine Gehaltsdifferenz gegenüber einem Schadensreferenten mit vergleichbarer Tätigkeit hat der Kläger nicht geltend gemacht, so daß auch die Revisionsausführungen, der Kläger sei durch seine Dienstfreistellung weiterhin benachteiligt worden, keine entscheidungswesentlichen Umstände betreffen. Soweit der Revisionswerber einen Schadenersatzanspruch daraus abzuleiten sucht, daß ihm durch die Dienstfreistellung ab 12.Jänner 1979 die Möglichkeit genommen worden sei, seine Qualifikation unter Beweis zu stellen, seine Gehaltsentwicklung zu gestalten und seine innerbetrieblichen Aufstiegsmöglichkeiten wahrzunehmen, ist ihm zu erwidern, daß der durch eine qualifizierte Person im Sinne des § 40 Abs. 1 ASGG vertretene Kläger den geltend gemachten Anspruch im Verfahren erster Instanz nicht auf entzogene Aufstiegsmöglichkeiten, sondern darauf gestützt hat, daß er ungeachtet seiner Versetzung bezüglich künftiger Bezugserhöhungen und sonstiger finanzieller Vorteile so zu behandeln sei, als sei er weiterhin in der Position eines Abteilungsleiters für die beklagte Partei tätig.

Mit seinen unter dem Titel "einzelvertragliche Zusage" erstatteten Ausführungen wendet sich der Revisionswerber gegen die Feststellung der Vorinstanzen, dem Kläger sei die Erteilung der Prokura sowie die Gewährung eines Pensionszuschusses nicht zugesagt worden. Er bekämpft damit in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung. In diesem Zusammenhang sei bemerkt, daß der Revisionswerber mit dem Zitat "Dem Kläger wäre bei erwartungsgemäßer Entwicklung der Abteilung die vorerwähnte Verbesserung (gemeint: Erteilung der Prokura und Pensionszusage) zuteil geworden" nicht etwa eine Feststellung des Erstgerichtes, sondern die im Rahmen der Beweiswürdigung analysierte Aussage des Klägers wiedergibt, der das Erstgericht aber nicht gefolgt ist.

Soweit der Revisionswerber schließlich ins Treffen führt, die nachträgliche Zustimmung des Betriebsrates zur Versetzung des Klägers habe gegen § 101 ArbVG verstoßen, der Kläger könne sich daher auf die Unwirksamkeit der Versetzung berufen, ist ihm zu erwidern, daß er damit eine neuerliche Prüfung jenes Anspruches anstrebt, über den im Vorprozeß bereits rechtskräftig entschieden wurde. Das Vorbringen dieser bei Schluß der Verhandlung im Vorprozeß bereits existenten und für den dort erhobenen Anspruch und für den dort erhobenen Anspruch auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der Versetzung erheblichen Tatsache ist durch die Rechtskraft der im Vorprozeß ergangenen Entscheidung präkludiert (siehe auch SZ 52/151).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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