OGH 11Os98/91 (11Os100/91)

OGH11Os98/91 (11Os100/91)29.10.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Oktober 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Horak, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofbauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Temel E***** wegen des Vergehens nach § 14 a SGG über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Rechtsmittelausführung sowie über seine Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 4.Juni 1991, GZ 20 Vr 108/91-49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Angeklagten wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung wird der Akt dem Oberlandesgericht Innsbruck zugemittelt.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der ***** 1948 geborene türkische Staatsangehörige Temel E***** wurde des Vergehens nach § 14 a SGG verurteilt. Ihm liegt zur Last, im November 1990 in Lauterach Suchtgift in einer großen Menge (§ 12 Abs. 1 SGG) mit dem Vorsatz erworben und besessen zu haben, daß es in Verkehr gesetzt werde, indem er 150 Gramm Heroin zum Weiterverkauf übernahm und es einige Tage in der Wohnung der Christine A***** verwahrte.

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte durch seinen Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Manfred P***** fristgerecht die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung an (ON 52). Die Urteilsausfertigung wurde dem Verteidiger am 5. Juli 1991 zugestellt. Am 22.Juli 1991 (mithin drei Tage nach Ablauf der Ausführungsfrist am Freitag dem 19.Juli 1991) beantragte der Verteidiger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Rechtsmittelausführung im wesentlichen mit der Begründung, seine in der Anwaltskanzlei mittätige, sonst verläßliche Ehefrau Andrea P***** habe am 19. Juli 1991 in Absprache mit der Kanzleileiterin die Postaufgabe der Rechtsmittelausführung übernommen, das Poststück jedoch aus einem ihr erstmalig unterlaufenen Versehen in der Kanzlei zurückgelassen.

Rechtliche Beurteilung

Nach den durch eine eidesstattliche Erklärung der Andrea P***** glaubhaft gemachten Begleitumständen der Fristversäumnis war die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 364 Abs. 1 StPO zu bewilligen, weil es dem Angeklagten durch unabwendbare Umstände ohne sein oder seines Verteidigers Verschulden unmöglich gemacht wurde, die (versäumte) Frist für die Rechtsmittelausführung einzuhalten, und die Wiedereinsetzung unter gleichzeitiger Rechtsmittelausführung fristgerecht beantragt wurde.

Der auf § 281 Abs. 1 Z 4, 5 und 5 a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Die Verfahrensrüge (Z 4) erblickt in der Zurückweisung des in der Hauptverhandlung gestellten (S 265) Antrags auf Ablehnung des Vorsitzenden des Schöffensenates wegen Befangenheit eine Beeinträchtigung wesentlicher Verteidigungsinteressen, ist damit aber im Ergebnis nicht im Recht. Das Wesen richterlicher Befangenheit liegt regelmäßig in der Hemmung einer unparteiischen Urteilsfindung durch unsachliche psychologische Beweggründe (Mayerhofer-Rieder3 EGr 5 zu § 72 StPO), die insbesondere auch in der fehlenden Bereitschaft zum Ausdruck kommen kann, eine vor Schluß des Beweisverfahrens gefaßte Meinung über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten nach Maßgabe nachfolgender Verfahrensergebnisse entsprechend zu ändern (aaO EGr 12). Dem Beschwerdestandpunkt zuwider liegen diese Voraussetzungen hier allerdings nicht vor. Auszugehen ist zunächst davon, daß der Zeuge S***** T***** den Angeklagten im Vorverfahren bei sicherheitsbehördlichen (S 34 k) wie auch gerichtlichen Vernehmungen (S 46, 47, 111) und in der Hauptverhandlung am 23. April 1991 (S 228 f) im wesentlichen konform im Sinn des bekämpften Schuldspruchs belastete, davon abweichend in der letzten Hauptverhandlung am 4.Juni 1991 (unter Hinweis auf eine noch am 23.April 1991 ausdrücklich

bestrittene - S 228 - Auseinandersetzung) vergeltungsweise Falschbezichtigungen des Angeklagten behauptete und diese Version auch bei der Befragung durch seinen Verteidiger und den öffentlichen Ankläger wiederholte (S 264, 265).

Die dem Vorsitzenden daraufhin unterlaufene verbale Überreaktion auf das solcherart gravierend ambivalente Aussageverhalten des Zeugen stellt sich zwar - insoweit ist der Beschwerdelinie zu folgen - als richterliche Pflichtverletzung dar, deren disziplinärer Unwert aber nach Lage des Falles Befangenheit nicht zu begründen vermag. Befangenheit kann nicht allein daraus abgeleitet werden, daß die richterliche Meinung über den Beweiswert einzelner Verfahrensergebnisse bereits vor dem Schluß der Hauptverhandlung zum Ausdruck kommt. Setzt doch eine Reihe strafprozessualer Bestimmungen richterliche Reaktionen auf Aussagedivergenzen voraus, die durchwegs auf einer spontanen Meinungsbildung zu den jeweiligen Beweisergebnissen beruhen (zB §§ 168, 248, 252 Abs. 1 Z 2 StPO iVm § 291 StGB, insbesondere auch §§ 170 Z 7, 247 Abs. 2; 277 StPO). Im Hinblick auf die objektiv krasse Unvereinbarkeit der letzten Angaben des Zeugen S***** T***** mit seinen früheren Aussagen bietet die (ausdrücklich nur auf diese Divergenz ausgerichtete) Fehlreaktion des Vorsitzenden keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie von sachfremden, die Annahme einer einseitig orientierten Unzugänglichkeit für neue Beweiseindrücke rechtfertigenden Aspekten geleitet gewesen wäre. Das gerügte Zwischenerkenntnis über den Ablehnungsantrag bedeutete somit - dem Beschwerdestandpunkt zuwider - keine Hintansetzung erheblicher Verteidigungsinteressen.

Die Mängelrüge (Z 5) hinwieder beschränkt sich auf den (durch den Akteninhalt gedeckten) Einwand, das angefochtene Urteil ordne die exakte Namhaftmachung des Angeklagten als Heroinabnehmer durch den Zeugen S***** T***** dessen sicherheitsbehördlicher Vernehmung vom 15.Jänner 1991 statt (richtig:) jener vom 21. Jänner 1991 zu. Mangels entscheidungswesentlicher Erheblichkeit kann der dem Erstgericht in diesem Punkt tatsächlich unterlaufene (ersichtlich auf der Datumsangabe in der Überschrift der Seite 34 h beruhende) bloße Zitatfehler jedoch auf sich beruhen.

Soweit die Tatsachenrüge (Z 5 a) auf das Vorbringen zur Verfahrensrüge und darüber hinaus auf (vermeintliche oder unwesentliche Details betreffende) Widersprüche in den Angaben des Zeugen S***** T***** bei seinen wiederholten Vernehmungen verweist, vermag sie keine Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten wesentlichen Tatsachen zu erwecken, die - dem Beschwerdestandpunkt zuwider - auf einer die relevierten Aspekte vollständig und logisch widerspruchsfrei mitberücksichtigenden tatrichterlichen Würdigung der Verfahrensergebnisse beruhen.

Die offenbar unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher nach § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen.

Über die Berufung wird das hiefür zuständige Oberlandesgericht Innsbruck zu befinden haben (§ 285 i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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