OGH 10ObS228/91

OGH10ObS228/9124.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gottfried Winkler (Arbeitgeber) und Mag. Karl Dirschmied (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernestine F*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Gerd Hartung, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.April 1991, GZ 32 Rs 23/91-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11. Oktober 1990, GZ 10 Cgs 265/88-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.7.1988 gerichtete Klagebegehren ab. Nach den Feststellungen erlernte die am 28.4.1940 geborene Klägerin keinen Beruf, seit 1980 war sie als Bedienerin tätig. Nach dem medizinischen Leistungskalkül kann sie nur mehr leichte, fallweise auch mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen verrichten. Auszuschließen sind Hebe- und Tragearbeiten in der Gemeinschaft, Band- und Akkordarbeiten, Arbeiten an rasch laufenden Maschinen und an solchen Maschinen, bei denen das Arbeitstempo von der Maschine diktiert wird, Arbeiten, bei denen beide Arme in oder über der Horizontalen gehalten werden müssen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten im nassen und kalten Milieu. Die rechte Hand kann nur als Hilfshand verwendet werden und nur mit Unterstützung der linken Hand auf die Tischplatte gelegt werden. Die Finger beiderseits sind frei beweglich. Die Mengenwerte der rechten Hand sind unterdurchschnittlich. Die Fingerfertigkeit der linken Hand ist außer für Feinarbeiten erhalten. Hebe- und Trageleistungen mit dem linken Arm sind mit 8 kg beschränkt. Einschränkungen der Anmarschwege bestehen nicht. Auf Grund eines berufskundlichen Gutachtens stellte das Erstgericht schließlich fest, daß die Klägerin Sortier- und Verpackungsarbeiten in der Leder- und Galanteriewarenerzeugung, in der Elektrowaren- und Kunststoffindustrie, einfache Kontrollarbeiten in Fertigungskontrollabteilungen solcher Betriebe, die sich mit der Bearbeitung kleinerer Werkstücke befassen, wie optische Kontrolle und Ausscheiden fehlerhafter Teile, verrichten kann. Weiters kommen für die Klägerin folgende Arbeiten in Frage: Warenhausbotin im internen Bereich, Verpackungsarbeiten in Schuhfabriken, Hilfsarbeiten in der Handschuh- und Krawattenerzeugung.

Rechtlich folgerte das Erstgericht daraus, daß die Klägerin, die keinen Berufsschutz genieße, noch die genannten Verweisungsberufe verrichten könne, die sich im Rahmen des medizinischen Kalküls bewegten, weshalb Invalidität nicht vorliege.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen des gerügten Verfahrensmangels, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis einer unbedenklichen und mängelfreien Beweiswürdigung und teilte auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes. Die Bezugnahme auf Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes sei nicht zielführend, weil nach diesem Gesetz eine völlig andere Einschätzung erfolge als beim Invaliditätsbegriff des § 255 ASVG.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor. Entgegen den Rechtsmittelausführungen ist das Berufungsgericht in ausreichender Weise auf den Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung eingegangen. Ganz allgemein ist zu sagen, daß das Berufungsgericht im Rahmen der Überprüfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung nicht genötigt ist, sich mit jedem einzelnen Beweisergebnis und mit jedem Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (EFSlg.44.104, 55.108 ua) und daß ein Mangel des Berufungsverfahrens insoweit nur dann gegeben ist, wenn sich das Berufungsgericht mit dem Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung überhaupt nicht befaßt hat (SZ 43/205; EFSlg.44.103; SSV-NF 1/49 ua). Dem Argument, die vom Erstgericht festgestellten Verweisungsberufe würden "aus betriebswirtschaftlichen Gründen in dieser Form nicht mehr am Arbeitsmarkt vorkommen", weil sie durch "maschinelle Anlagen" ersetzt seien, ist das Berufungsgericht durch Hinweis auf das Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen entgegengetreten.

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache (§ 503 Z 4 ZPO) macht die Klägerin zu Unrecht geltend, das berufskundliche Sachverständigengutachten verstoße gegen die Denkgesetze. Ihre Behauptung, Verweisungsberufe der oben genannten Art seien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vorhanden, ergibt sich nicht aus den Denkgesetzen, sondern höchstens aus Erfahrungssätzen, die aber nur im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden könnten (10 Ob S 162/91) und daher keine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache begründen. Die Meinung der Klägerin, es fehle bei ihr an einer "praktisch relevanten Restarbeitsfähigkeit" läßt die gegenteiligen Feststellungen außer acht. Da die Verweisbarkeit der Klägerin im Rahmen des § 255 Abs.3 ASVG schon nach dem bisher Gesagten unzweifelhaft ist, braucht auf den Umstand, daß die Behinderung ihrer rechten Hand offenbar unverändert seit frühester Kindheit besteht (siehe ON 19, 27 und 34) und daher bei der Prüfung des Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit allenfalls nicht zu berücksichtigen wäre (SSV-NF 4/160 mwN), nicht weiter eingegangen zu werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an die unterlegene Klägerin aus Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und sind aus dem Akt auch nicht ersichtlich.

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