OGH 2Ob43/91

OGH2Ob43/9118.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma A***** Handelsaktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Maximilian Eiselsberg, Dr. Dieter Natlacen und Dr. Franz Terp, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei *****gemeinde B*****, vertreten durch Dr. Gernot Gruböck, Rechtsanwalt in Baden bei Wien, wegen S 137.320,80 sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 25.Februar 1991, GZ 14 R 5/91-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 31.Juli 1990, GZ 3 Cg 1187/89-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des bisherigen Verfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 14.6.1988 lenkte ein Angestellter der klagenden Partei deren LKW mit dem behördlichen Kennzeichen N***** durch die W*****straße in B*****. Die Sicht war gut, die Fahrbahn war trocken. Der LKW hatte eine Höhe von 3,2 m. Da dem Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei ein anderes Fahrzeug etwa in der Straßenmitte entgegenkam, lenkte er sein Fahrzeug so weit wie möglich nach rechts, wobei aber die Räder des Fahrzeuges die Fahrbahn der W*****straße nicht verließen. Dabei stieß die rechte obere Ecke des Aufbaues des LKWs gegen den unteren Teil eines in die Fahrbahn ragenden Astes, wodurch der Aufbau des LKWs in diesem Bereich beschädigt wurde. Bei der W*****straße handelt es sich um eine Landesstraße. Die Erhaltung der Ortsdurchfahrt wurde nie an die *****gemeinde B***** übertragen.

Die klagende Partei begehrte von der beklagten Partei die Zahlung des Schadens von S 137.320,80 sA. Die beklagte Partei sei verpflichtet, innerhalb von geschlossenen Ortschaften das Lichtraumprofil von Landesstraßen von Hindernissen freizuhalten. Ihr sei gemäß § 17 Abs 2 des Gesetzes NöLGBl 8500-o die Erhaltung dieser Ortsdurchfahrt übertragen worden. Als Eigentümerin des Baumes treffe sie auch eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht. Sie hätte daher dafür sorgen müssen, daß der Ast nicht in das Lichtraumprofil des LKWs hineinragt. Gemäß § 82 StVO bedürfe es zur Benützung von Straßen einschließlich des darüber befindlichen, für die Sicherheit des Straßenverkehrs in Betracht kommenden Luftraums zu anderen Zwecken als solchen des Straßenverkehrs einer Bewilligung. Da sich der Ast in einer Höhe von 3,20 m über der Fahrbahn befunden habe, habe die beklagte Partei durch seine Belassung auch gegen die Schutznorm des § 83 StVO verstoßen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein: Der den LKW des Klägers beschädigende Baum sei weithin sichtbar gewesen. Der Unfall sei daher allein dem Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei anzulasten. Bei der W*****straße handle es sich um eine Landesstraße. Straßenerhalter sei nicht die beklagte Partei, sondern das Land Niederösterreich. Die beklagte Partei sei zwar Eigentümerin des Baumes, doch habe sie niemals eine Aufforderung im Sinn des § 91 StVO erhalten. Der Baum habe nur geringfügig in einer Höhe von 3,20 m in das Lichtraumprofil der W*****straße hineingeragt und die Verkehrssicherheit in keiner Weise beeinträchtigt. Der Schaden am Baum werde bis zur Höhe des eingeklagten Betrages aufrechnungsweise eingewendet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil Halter der Straße nicht die beklagte Partei, sondern das Land Niederösterreich sei und sich auch sonst kein Haftungsgrund für die beklagte Partei finde.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Es übernahm dessen Feststellungen und berichtigte lediglich die Höhe des LKWs mit 3,45 m. Die Begründung des Erstgerichtes sei zutreffend. §§ 82 und 83 StVO seien auf den vorliegenden Sachverhalt unanwendbar, weil Maßnahmen gegen die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit durch Bäume, die neben der Fahrbahn stehen, in § 91 StVO geregelt sind, somit das "Wachsenlassen" von Bäumen, deren Äste in das nach § 83 StVO geschützte Lichtraumprofil der Fahrbahn hineinragen, nicht als "Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken" im Sinn des § 82 StVO angesehen werden könne. Da die beklagte Partei auch nicht von der Behörde, das sei gemäß § 94 b StVO die Bezirkshauptmannschaft, aufgefordert worden war, den Ast zu entfernen, sei sie einer weiteren Prüfungspflicht, ob durch ihr gehörende Bäume die Verkehrssicherheit auf der W*****straße beeinträchtigt wird, enthoben. Sie habe sich darauf verlassen dürfen, daß die hiezu berufene Behörde die notwendigen Prüfungen vornimmt. Da das gemäß § 83 StVO geschützte Lichtraumprofil der Fahrbahn nur ganz geringfügig von dem hier in Rede stehenden Ast beeinträchtigt wurde, was somit nicht deutlich in die Augen fiel, könne der beklagten Partei keinesfalls vorgeworfen werden, eine von ihr verursachte Gemeingefahr nicht beseitigt zu haben. Aus diesen Überlegungen ergebe sich, daß der Schaden am LKW der klagenden Partei nicht durch die beklagte Partei verschuldet wurde; das Erstgericht habe das Klagebegehren daher mit Recht abgewiesen.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht oder Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die klagende Partei vertritt den Standpunkt, daß die beklagte Partei wegen Verstoßes gegen Schutzgesetze und gegen Verkehrssicherungspflichten zu haften habe. Dazu war zu erwägen:

Die Bestimmungen der §§ 82 bis 83 StVO sind hier nicht unmittelbar anwendbar, weil das unbemerkte Hineinwachsenlassen von Bäumen in das Lichtraumprofil von Straßen nicht als bewilligungspflichtige Benützung derselben beurteilt werden kann. Auch § 91 Abs 1 StVO kann zur Beurteilung des vorliegenden Falles nicht herangezogen werden, weil diese Bestimmung keinen an den Besitzer bzw Grundeigentümer gerichteten Gesetzesbefehl enthält (vgl 2 Ob 1/71). Eine Haftung der beklagten Partei nach § 1311 ABGB wegen Verletzung eines unmittelbar heranziehbaren Schutzgesetzes haben die Vorinstanzen somit mit Recht abgelehnt.

Wohl aber kommen Grundsätze der Gefahrensicherungspflicht zur Anwendung:

Nach ständiger Rechtsprechung hat derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um eine Beschädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (SZ 37/97; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 1294 ABGB). Die Sorgfaltspflichten sind allerdings nicht zu überspannen (EvBl 1974/248 uza). Aus der zwar nicht als unmittelbare Schutzvorschrift für den vorliegenden Fall, wohl aber als Maßstab für die anzuwendende Sorgfalt heranzuziehenden Bestimmung des § 83 Abs 1 lit.c StVO geht hervor, daß eine wesentliche Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs dann vorliegt, wenn sich Gegenstände im Lichtraum oberhalb der Straße nicht mindestens 4,50 m über der Fahrbahn befinden. Es liegt auf der Hand, daß der im vorliegenden Fall in einer Höhe von bloß 3,20 m in die Fahrbahn ragende Ast des Baumes der beklagten Partei diese Sicherheitszone augenfällig unterschritt und damit - wie das Unfallsgeschehen erwies - die Sicherheit des Verkehrs auf der W*****straße in B***** wesentlich beeinträchtigte.

Die beklagte Partei hätte daher zeigerecht dafür sorgen müssen, daß der Ast des Baumes aus dem Lichtraumprofil der Fahrbahn entfernt wird. Daß vorher an dieser Stelle kein Unfall passierte, ist ein Glücksfall, der nichts an der Voraussehbarkeit eines solchen Ereignisses bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit änderte. Unabhängig von einer etwaigen entsprechenden Verpflichtung des Straßenerhalters ist der beklagten Partei ohne Überspannung ihrer Sorgfaltspflichten anzulasten, es bei der Gefahrenquelle belassen und damit in Kauf genommen zu haben, daß ein Fahrzeug höherer Bauart (wie hier der LKW der klagenden Partei) zu Schaden kam. Ihre Schadenshaftung ist daher im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen nicht von vornherein auszuschließen (vgl JBl 1972, 574).

Die beklagte Partei hat allerdings eingewendet, daß in die W*****straße hineinragende Äste weithin sichtbar gewesen und der Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei die Beschädigung selbst verschuldet habe. Dieser (Mit-)Verschuldenseinwand wurde von den Vorinstanzen, die von einer anderen Rechtsauffassung ausgingen, bisher nicht geklärt; insbesondere fehlen Feststellungen darüber, welche Sicht der LKW-Lenker auf den Baum hatte; auch der Begegnungsablauf mit dem entgegenkommenden Fahrzeug wurde bisher nicht erschöpfend klargestellt. Darüber hinaus wird allenfalls die Höhe des Schadens der klagenden Partei festzustellen und auch der eingewendete Schade am Baum der beklagten Partei zu erheben sein. All dies macht es erforderlich, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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