OGH 1Ob596/91

OGH1Ob596/9118.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weiterer Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andrea K*****, vertreten durch Dr. Otmar Franiek, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Dr. Walther L*****, vertreten durch Dr. Maria Brandstetter, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 58.906,44 s.A., infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 20. November 1990, GZ 11 R 168/90-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Mai 1990, GZ 16 Cg 65/88-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.910,20 (darin S 1.811,70 Umsatzsteuer und S 40,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Bei einem von Johann H***** am 30. 6. 1977 verschuldeten Verkehrsunfall erlitt die ***** 1961 geborene Klägerin als PKW-Insassin Verletzungen. Ihre Mutter betraute nach dem Unfall einen Rechtsanwalt (Dr. Gunar C*****) mit der Wahrnehmung der Interessen der verletzten Klägerin gegenüber dem Haftpflichtversicherer des schuldtragenden Lenkers. Obwohl der Versicherer die Haftung für die Unfallsfolgen dem Grunde nach nicht bestritt, konnte über die Höhe der Schadenersatzansprüche der Klägerin trotz Einholung mehrerer medizinischer Sachverständigengutachten und reger Korrespondenz, besonders wegen des uneinsichtigen Verhandlungsverhaltens der Mutter der Klägerin keine außergerichtliche Einigung erzielt werden. Mit Schreiben vom 23. 5. 1980 gab schließlich Rechtsanwalt Dr. Gunar C***** die Forderungen der Klägerin mit S 100.000,- an Schmerzengeld bekannt und kündigte außerdem die Einbringung einer Feststellungsklage an. Im Bestreben, doch noch eine gütliche Einigung zu erzielen, vereinbarte der Rechtsanwalt mit der Schadensreferentin des Haftpflichtversicherers einen Verjährungsverzicht bis zur Volljährigkeit der Klägerin (***** 1980), wobei der Verzicht auch noch eine angemessene Frist über diesen Zeitpunkt hinaus wirksam bleiben sollte, um der Klägerin eine von ihrer Mutter unbeeinflußte Beurteilung ihrer Ansprüche zu ermöglichen. In der Folge wurde die Vollmacht Dris. C***** widerrufen. Die Klägerin schaltete nunmehr den Verein ***** (VVS) ein. Mit Schreiben vom 2. 7. 1982 machte der VVS unter Berufung auf die Zession der klägerischen Ansprüche gegenüber dem Haftpflichtversicherer Schadenersatzforderungen in Höhe eines Vielfachen des vorher von Dr. C***** für die Klägerin geltend gemachten Betrages geltend. Nach Urgenz einer Stellungnahme lehnte der Haftpflichtversicherer die geltend gemachten Ansprüche unter Hinweis auf die negativen Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens ab. Er bot jedoch mit einem spätestens am 19. 7. 1983 bei der O*****) GmbH als Auftragnehmerin des VVS eingelangten Schreiben "ohne Präjudiz für den Zivilrechtsstreit" die Abfindung aller Ansprüche der Klägerin mit S 30.000,- an, teilte mit, daß er sich vier Wochen lang an dieses Anbot gebunden erachte, im Falle der Nichtannahme desselben in der Frist jedoch die Vergleichsverhandlungen als gescheitert betrachte und jeden Schadenersatzanspruch ablehne. Das Anbot wurde nicht angenommen. Ohne daß zwischenzeitige weitere Vergleichsverhandlungen geführt worden wären, stellte die O***** GmbH sodann mit Schreiben vom 16. 7. 1985 gegenüber dem Haftpflichtversicherer unter Bezugnahme auf dessen Anbot vom Juli 1983 weitere Ansprüche und vertrat dabei den Standpunkt, daß diese nicht verjährt seien. Der Haftpflichtversicherer berief sich auf die Verjährung der (klägerischen) Ansprüche und lehnte schließlich eine Erörterung über das Vorliegen der Verjährungsvoraussetzungen mit Schreiben vom 26. 8. 1985 ab. Am 27. 6. 1986 erhob die Klägerin, vertreten durch den Beklagten, zu 53 Cg 739/86 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien gegen den Haftpflichtversicherer die Schadenersatzklage, die in drei Instanzen wegen Verjährung abgewiesen wurde. Der Oberste Gerichtshof führte in der Revisionsentscheidung 8 Ob 68/87 dazu aus, daß der Fortlauf der mit dem Unfallstag begonnenen dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB mit dem Anspruchsschreiben vom 23. 5. 1980 gehemmt worden und jedenfalls mit der klaren Ablehnung aller Ansprüche nach ungenütztem Ablauf der im Schreiben des Haftpflichtversicherers vom 15. 7. 1983 zugesagten vierwöchigen Bindungsfrist (also noch im August 1983) wieder eingesetzt habe; da dem unpräjudiziellen, unter der nicht eingetretenen Bedingung seiner Annahme gestellten Vergleichsanbot des Haftpflichtversicherers ein Anerkenntnis und damit ein sonstiger neuer Rechtsgrund, der die Verjährung unterbrochen hätte, nicht entnommen werden könne, hätte die Klägerin unmittelbar nach der Ablehnung ihrer Ansprüche (im August 1983) die Klage erheben müssen, um der Verjährung vorzubeugen. Im Klagszeitpunkt sei die Verjährungsfrist jedoch bereits abgelaufen gewesen.

Der Beklagte hatte vor der Einbringung der Schadenersatzklage nur mit dem Ehegatten der Klägerin persönlichen Kontakt gepflogen. Er wies diesen auch auf die Problematik der Verjährung hin, dieser wollte jedoch die Verjährungsproblematik nicht einsehen und argumentierte "unjuristisch", seine Ehegattin, die Klägerin, sei ohnedies vermögenslos, bei ihr könnten allenfalls auflaufende Prozeßkosten nicht einbringlich gemacht werden. In einem Begleitschreiben zum Klagsentwurf teilte der Beklagte der Klägerin mit, es stehe zu befürchten, daß der mit der Klage geltend gemachte Anspruch verjährt sei und allenfalls ein Schadenersatzprozeß gegen den früheren Anwalt zu führen sein werde. Die Klägerin unterfertigte zum Zeichen ihres Einverständnisses mit der Klagsführung den Klagsentwurf. Nach Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung ersuchte der Beklagte die Klägerin, ihm schriftlich mitzuteilen, ob sie Berufung erheben wolle oder nicht; das Klagebegehren sei - wie befürchtet - wegen Verjährung abgewiesen worden; er wolle nicht verhehlen, daß er die Aussichten einer Berufung für nicht sonderlich günstig erachte, eine solche sei aber doch zu überlegen, wenn die Klägerin gegen den früheren Anwalt Dr. C***** einen Prozeß zu führen beabsichtige. Die Klägerin forderte daraufhin den Beklagten telegrafisch auf, Berufung einzulegen. Nach Zustellung der bestätigenden Berufungsentscheidung teilte der Beklagte der Klägerin deren Ergebnis mit und ersuchte sie um Bekanntgabe, ob sie noch Revision erheben wolle; eine solche sei zwar zulässig, die Aussichten erschienen ihm allerdings angesichts der Sachlage gering. Die Klägerin gab daraufhin auch noch die Revision in Auftrag.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin, den Beklagten zum Ersatz der ihr im wegen Verjährung verlorenen Schadenersatzprozeß an den Prozeßgegner auferlegten Kosten von S 58.906,75 samt Zinsen zu verurteilen. Der Beklagte hätte eindeutig erkennen und die Klägerin auch entsprechend darüber belehren müssen, daß der Schadenersatzprozeß wegen Verjährung unter keinen Umständen zu gewinnen, daher aussichtslos gewesen sei.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, er habe die Klägerin in jedem Verfahrensstadium, vor der Klage und vor den jeweiligen Rechtsmitteln ausreichend über das Prozeßrisiko zufolge drohender oder anzunehmender Verjährung ihrer Schadenersatzansprüche belehrt, so daß ihn kein Verschulden wegen aussichtsloser Prozeßführung und an der Kostenverpflichtung der Klägerin im Vorprozeß treffe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Beklagte hätte nach der ganzen Sachlage den unvermeidlichen Prozeßverlust erkennen und der rechtsunkundigen und wegen der bereits jahrelangen Ablehnung ihrer vermeintlich wohlberechtigten Schadenersatzansprüche nur auf deren endliche Durchsetzung bedachten Klägerin als geradezu wahrscheinlich und typisch und nicht bloß als möglich darstellen müssen. Durch die brieflichen Mitteilungen an die Klägerin vor der Klage, "es stehe zu befürchten, daß der Anspruch verjährt sei", vor der Berufung, "die Aussichten einer Berufung erachte er als nicht sonderlich günstig, andererseits sei eine solche wegen der Schadenersatzklage gegen den früheren Rechtsanwalt zu überlegen", und vor der Revision, "die Aussicht der Revision erscheine ihm gering", sei er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Für die Klägerin sei nach diesen Belehrungen die Aussichtslosigkeit ihrer Prozeßführung auf Grund der unzureichenden Belehrung des Beklagten nicht klar erkennbar gewesen.

Das Gericht zweiter Instanz wies das Klagebegehren ab, es ließ die ordentliche Revision nicht zu. Es vertrat die Ansicht, daß wegen der Mitteilung der Vermögenslosigkeit der Klägerin für diese kein Prozeßkostenrisiko bestanden habe, so daß den Beklagten keine Aufklärungs- oder Belehrungspflicht über das Ausmaß des Prozeßrisikos (wegen Verjährung) getroffen habe, zumal im Hinblick auf das Alleinverschulden des PKW-Lenkers und Versicherungsnehmers die Möglichkeit nicht völlig von der Hand zu weisen gewesen wäre, daß diese vom Verjährungseinwand nicht Gebrauch machen oder zumindest einen Teil der Klagsforderung anerkennen werde. Auf die Vertretbarkeit der vom Beklagten im Schadenersatzprozeß gegen die Haftpflichtversicherung zur Verjährungsfrage eingenommenen Rechtsstandpunktes müsse daher gar nicht eingegangen werden.

Die gegen das Urteil der zweiten Instanz erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig und in der Sache auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ein Rechtsanwalt hat gemäß § 1299 ABGB den Mangel der für seinen Beruf erforderlichen Kenntnisse der Gesetze sowie der einhelligen Lehre und Rechtsprechung ebenso zu vertreten, wie er seine Partei nach diesen von ihm zu fordernden und zu vertretenden Kenntnissen über die Aussichtslosigkeit der gewünschten Rechtsverfolgung aufklären muß (SZ 58/165 mwH; SZ 52/56; EvBl 1972/124 uva). Gerade gegenüber der rechtsunkundigen Partei, die wie hier subjektiv zu Unrecht mit ihrem Anspruch gegenüber dem Haftpflichtversicherer des allein schuldtragenden Lenkers außergerichtlich nicht durchdringt, hat diese Belehrung bei der hier zu fordernden Erkennbarkeit der Aussichtslosigkeit des Anspruchs wegen dessen Verjährung derart klar und deutlich zu erfolgen, daß der Mandant die Aussichtslosigkeit rechtlicher Schritte und deren Kostenfolgen auch klar erkennen kann. Mit dem bloßen Hinweis darauf, es sei zu befürchten, daß der Anspruch verjährt sei, daß die Erfolgsaussicht der Berufung nicht sonderlich günstig sei oder die der Revision als gering erachtet werden, genügt ein Rechtsanwalt seiner umfassenden Belehrungspflicht nicht (EvBl. 1972/124; WBl. 1989, 160; Fenzl-Völkl-Völkl, Die Haftung der rechtsberatenden Berufe im Spiegel der Rechtsprechung, ÖJZ 1989, 520 f; Feil-Hajek, Die Berufshaftung der Rechtsanwälte und Notare, 45 f). Nach der dargestellten Sachlage war für den Beklagten nach Prüfung der Vorkorrespondenz zwischen dem VVS (bzw. der O***** GmbH) und dem Haftpflichtversicherer klar erkennbar, daß nach ungenütztem Ablauf der von diesem zuletzt mit Schreiben vom 15. 7. 1983 gesetzten Frist (zur allfälligen Annahme eines unpräjudiziellen Vergleichsanbotes, widrigenfalls alle Ansprüche abgelehnt werden) unverzüglich noch im August/September 1983 die Schadenersatzklage hätte erhoben werden müssen, um die Verjährung wirksam zu verhindern, weil dieses bedingte Vergleichsanbot keineswegs als ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis zu werten war (Schubert in Rummel, § 1497 Rz 3 mwH). Daß der Beklagte der KLägerin dennoch zur Klagsführung und in der Folge zur Ergreifung von Rechtsmitteln riet, wobei er ihr den Erfolg dieser Prozeßhandlungen nur als fraglich hinstellte, obwohl er deren Aussichtslosigkeit erkennen hätte müssen, begründet seine schuldhafte Verletzung der ihn treffenden Belehrungspflicht und damit seine Verpflichtung zum Ersatz des Schadens. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, wegen der Mitteilung des Ehegatten der Klägerin über deren derzeitige Vermögenslosigkeit hätte für diese kein Prozeßkostenrisiko bestanden, so daß der Beklagte zu keinerlei Belehrung verpflichtet gewesen wäre, weil aus der Verletzung einer solchen Verpflichtung kein Schaden entstehen hätte können, ist unzutreffend. Gerade der Beklagte als Rechtsanwalt mußte wissen, daß schon jeder - nicht unpfändbare - Vermögenszuwachs bei der Klägerin (durch Arbeitseinkommen, Prozeßerfolge in anderen Prozessen, andere Zuwendungen etwa im Erbweg usw.) ihre Haftung und damit den Nachteil auslösen kann. Der Schaden der Klägerin in Höhe der festgestellten Prozeßkostenzahlungspflicht gegenüber dem Haftpflichtversicherer ist daher eine kausale Folge des schuldhaften rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten.

Die Berechtigung der Revision in der Sache führt zur Wiederherstellung des Ersturteils. Die Anfechtung des Ersturteils durch die Klägerin im Kostenpunkt ist nicht berechtigt, da für die Verhandlungsverrichtung durch den im Rahmen der Verfahrenshilfe der Klägerin beigegebenen Wiener Rechtsanwalt nur der - auch vom Erstgericht zuerkannte - einfache Einheitssatz gebührt. Der für die Intervention bei (aus der Sicht der Klägerin) auswärtigen Prozeßhandlungen von der Rechtsanwaltskammer bestellte Rechtsanwalt ist nicht als Substitut des gewählten Vertreters der klagenden Partei anzusehen. Auch die Honorierung des Schriftsatzes vom 16. 6. 1988 bloß nach TP 2 ist zutreffend. Die verzeichneten Kosten der erfolglosen Kostenanfechtung fallen der Klägerin selbst zur Last.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, wobei auf die Honorierung der Verrichtung der Berufungsverhandlung die obigen Ausführungen gleichfalls zutreffen.

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