Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die vorinstanzlichen Urteile werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
"Gegenüber der beklagten Partei wird festgestellt, daß die Witwenpension der Klägerin seit 17.10.1986 nicht gemäß § 61 GSVG ruht.
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die einschließlich 343,20 S Umsatzsteuer mit 3.775,20 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die einschließlich 214.35 S Umsatzsteuer mit 2.357,85 S bestimmten Kosten der Berufung und die einschließlich 257,25 S Umsatzsteuer mit 2.829,75 S bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen".
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 6.6.1930 geborene, bei der beklagten Partei versicherte Erich G***** war bis zu seinem Tod am 17.10.1986 mit der am 12.9.1949 geborenen Klägerin verheiratet.
Am 15.12.1986 beantragte die Klägerin bei der beklagten Partei die Witwenpension. Dabei erklärte sie, daß sie noch eine aufrechte Gewerbeberechtigung für das Friseurgewerbe habe und eine selbständige Erwerbstätigkeit als Gewerbetreibende (eigenes Friseurgeschäft) ausübe.
Mit Bescheid vom 7.5.1987 stellte die beklagte Partei fest,
1. daß die Witwenpension (§ 136 Abs 1 GSVG) vom 17.10. bis 31.12.1986 mit monatlich 6.774,80 S, ab 1.1.1987 mit monatlich 7.032,20 S gebührt, 2. daß der Leistungsanspruch ab 17.10.1986 zur Gänze ruhe (§ 61 GSVG). Letzteres begründete sie mit der Ausübung einer die Pflichtversicherung nach dem GSVG begründenden Erwerbstätigkeit. Dabei wies sie darauf hin, daß unter dem Ruhen kein Erlöschen des Leistungsanspruches, sondern nur eine Unterbrechung in der Auszahlung zu verstehen sei, die nach Wegfall des Ruhens ohne Antrag wiederaufgenommen würde.
In der nur gegen den 2. Bescheidpunkt gerichteten rechtzeitigen Klage behauptete die Klägerin im wesentlichen, sie sei seit Juni 1977 selbständig als Friseurmeisterin tätig. In ihrem Betrieb in G*****, seien seit damals zwei gelernte Friseurinnen und ein Lehrmädchen beschäftigt. Der Betrieb werfe seit Jahren höchstens minimale Gewinne ab und werde ausschließlich wegen der beabsichtigten Übernahme durch die damals im 3. Lehrjahr stehende Tochter der Klägerin aufrechterhalten. Die Klägerin habe ihren Lebensunterhalt ausschließlich von ihrem verstorbenen Ehegatten bezogen, in dessen Betrieb sie in den Jahren 1980 bis 1984 als angestellte Geschäftsführerin erwerbstätig gewesen sei. Sie habe bis zum Tod ihres Mannes ausreichend Wirtschaftsgeld erhalten. Seither habe sie nur die geringfügigen Einkünfte aus dem eigenen Gewerbebetrieb. Die Klägerin vertrat die Auffassung, daß § 61 GSVG gleichheitswidrig und daher verfassungswidrig sei. Sie begehrte daher, die beklagte Partei zur Zahlung der Witwenpension in der jeweils gesetzlichen Höhe seit dem 17.10.1986 zu verurteilen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil die geltende Rechtslage nicht verfassungswidrig sei.
Die Parteien stellten außer Streit, daß die Klägerin seit 1977 eine die Kammermitgliedschaft und damit die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG begründende selbständige Erwerbstätigkeit im Friseurgewerbe ausübt und daneben im Schlossereigewerbebetrieb ihres Ehegatten als Geschäftsführerin angestellt war. Die Überschüsse der Einnahmen gegenüber den Ausgaben (einschleßlich der Personalkosten) ihres Friseurbetriebes betrugen in den Jahre 1983 bis 1985 8.949,18 S, 12.156,91 S und 36.683,53 S.
Das Erstgericht wies die Klage unter Hinweis auf § 61 Abs 1 GSVG ab.
In der Berufung wiederholte die Klägerin die schon in der Klage geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 61 GSVG und beantragte, das Berufungsgericht möge beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung des § 61 Abs "1" (gemeint 2) 2. Halbsatz GSVG stellen, das Verfahren bis zur Klärung dieser Frage durch den Verfassungsgerichtshof unterbrechen und sodann das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abändern.
Das Berufungsgericht wies den die Gesetzesprüfung betreffenden Antrag der Berufungswerberin zurück und gab der Berufung nicht Folge, weil es gegen die Anwendung des § 61 GSVG keine verfassungsrechtlichen Bedenken hatte.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des § 61 Abs 2 2. Halbsatz GSVG zu beantragen, das Verfahren bis zur Klärung dieser Frage zu unterbrechen und (sodann) das Berufungsurteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision auf Grund der verfassungsrechtlich unbedenklichen Gesetzeslage nicht stattzugeben.
Rechtliche Beurteilung
Weil der erkennende Senat gegen die Ruhensbestimmungen der §§ 60 (in den mit Ablauf des 31.12.1989 außer Kraft getretenen Fassungen der 9. und 10. GSVGNov) und 61 GSVG verfassungsrechtliche Bedenken hatte, stellte er mit Beschluß vom 29.5.1990, 10 Ob S 345/88, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag zu entscheiden, daß § 60 GSVG verfassungswidrig war, und § 61 leg cit als verfassungswidrig aufzuheben.
Mit dem auch andere Aufhebungsanträge erledigenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14.6.1991, G 112, 113/90-23, sprach der Verfassungsgerichtshof ua aus, daß § 60 idF der 9. und 10. GSVGNov und der nach dem Antrag des Obersten Gerichtshofes mit dem Sozialrechts-ÄnderungsG 1991, BGBl 157 ab 1.4.1991 aufgehobene § 61 GSVG idF der 10. GSVGNov verfassungswidrig waren.
An diesen Spruch des Verfassungsgerichtshofes sind nach Art 140 Abs 7 Satz 1 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz mangels eines gegenteiligen Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes nach dem 2. Satz des zit Absatzes weiterhin anzuwenden.
Anlaßfall ist ausschließlich die Rechtssache, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bewogen hat (VfSlg 3103). Die Rückwirkung der Aufhebung auf den Anlaßfall besteht ausschließlich darin, daß dieser so zu entscheiden ist, als ob die aufgehobene Bestimmung im für die Entscheidung des Anlaßfalles maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr bestanden hätte (VfSlg 3961, 4072), so daß sie im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden ist (VfSlg 8934).
Weil die das Zusammentreffen eines Pensionsanspruches aus der Pensionsversicherung mit einem Erwerbseinkommen regelnden Ruhensbestimmungen der §§ 60 und 61 GSVG bei der Entscheidung dieses Anlaßfalles nicht mehr anzuwenden sind, stellt die Erzielung von Erwerbseinkommen aus einer neben dem Anspruch auf die Witwenpension ausgeübten Erwerbstätigkeit keinen Ruhensgrund mehr dar.
Der Revision war daher Folge zu geben.
Die vorinstanzlichen Urteile waren daher wie im Spruch ersichtlich abzuändern. Dabei war nicht am Wortlaut des Begehrens zu haften, sondern der Inhalt der Klage zu beachten, bei der es sich ihrem Wesen nach nicht um eine Leistungsklage, sondern um eine gegen die bescheidmäßige Feststellung des Ruhens der Witwenpension iS des § 367 Abs 2 ASVG gerichtete Feststellungsklage iS des § 65 Abs 1 und 2 ASGG handelt, weshalb dem Klagebegehren eine klarere und deutlichere Fassung zu geben war (MGA ZPO14 § 405 E 3, 4, 6, 7, 9).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)