OGH 6Ob599/91

OGH6Ob599/915.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Kodek, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alois W*****, Versicherungsangestellter, ***** vertreten durch Dr. Jörg Kaiser, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei Hildegard W*****, im Haushalt, ***** vertreten durch Dr. Wilfried Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Ruhens der Unterhaltsverpflichtung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 24. April 1991, AZ 1 a R 560/90 (ON 30), womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 8. Oktober 1990, GZ 1 C 5/90-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 6.789,60 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 1.131,60 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem seit 8.Oktober 1979 rechtskräftigen Urteil vom 27. September 1979 war die am 7.Dezember 1970 geschlossene Ehe der Streitteile über Klage des Mannes aus dem Grund des § 50 EheG geschieden worden. Für diesen Fall hatten die Streitteile am 27. September 1979 einen gerichtlichen Vergleich geschlossen; mit diesem verpflichtete sich der Mann, seiner Frau ab 1.Oktober 1979 einen wertgesicherten monatlichen Unterhalt von 3.000 S zu bezahlen. Die dabei angenommenen Bemessungsgrundlagen wurden nicht ausdrücklich festgehalten; auch eine Vertragsregelung über die Abänderbarkeit der vereinbarten Unterhaltsleistungen wurde nicht getroffen. Tatsächlich bestanden zur Zeit der Unterhaltsvereinbarung folgende aktenkundigen und beiden Parteien bekannten persönlichen Verhältnisse:

Die im März 1948 geborene Frau, die nach dem Pflichtschulbesuch mit zweimaliger Wiederholung einer Schulstufe durch ein Jahr eine Haushaltungsschule besucht, sonst aber keine weitere Schul- oder Berufsausbildung genossen und nur Arbeiten im Haushalt und als Näherin verrichtet hatte, gebar im September 1968 eine uneheliche Tochter und behielt sie in ihrer persönlichen Obhut. Im Juli 1970 brachte sie einen Sohn zur Welt, dessen Vater ihr späterer Ehemann ist und der durch die nachfolgende Eheschließung legitimiert wurde. Zur Zeit der Eheschließung stand die Frau im 23. Lebensjahr, der im Juni 1950 geborene Mann erst im 21. Lebensjahr. Während der knapp neun Jahre währenden Ehe widmete sich die Frau der Haushaltsführung und der Betreuung ihrer drei im ehelichen Haushalt aufwachsenden Kinder. Im Scheidungsverfahren wurde ihr durch ein nervenfachärztliches Gutachten eine intellektuelle Unterbegabung und eine labile Willenslage bescheinigt, die sie bei psychischen Ausnahmezuständen zu unbeherrschbaren Kurzschlußhandlungen geneigt mache. Der Mann bezog als Organisationsleiter einer Versicherungsgesellschaft im Halbjahresdurchschnitt einschließlich Sonderzahlungen, Prämien und besonderen Beiträgen rund 14.000 S monatlich.

Im April 1982 erhob der Mann eine Protokollarklage auf Ruhen oder Erlöschen seiner vergleichsweise festgesetzten Unterhaltsverpflichtungen gegenüber der geschiedenen Ehefrau. Das Haupt- und das Eventualbegehren wurden abgewiesen. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Während der Anhängigkeit dieses Rechtsstreites ging der Mann im Mai 1982 mit einer im Mai 1942 geborenen berufstätigen Frau eine neue Ehe ein.

In der Folge traten beide ehelichen Kinder in eine Lehre ein und der Vater wurde mit Oktober 1987 von seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Sohn und mit März 1989 auch von seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Tochter befreit. Beide Kinder leben weiterhin mit ihrer Mutter im gemeinsamen Haushalt und werden von der Mutter auch verköstigt. Der Sohn zahlt der Mutter monatlich 1.000 S, die Tochter monatlich 500 S als Beitrag zur gemeinsamen Wirtschaftsführung.

Die geschiedene Ehefrau ist seit der Geburt ihres Sohnes im Sommer 1970 keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. Sie steht nunmehr im 44.Lebensjahr. Ihr Schwachsinn besteht fort. Ihre psychische Labilität führte zu einem längerfristigen Mißbrauch von Medikamenten und Alkohol. Eine suchtmäßige Abhängigkeit ist aber nicht feststellbar. Nach ihrer Anlage, ihren Fähigkeiten und ihrem körperlich-psychischen Gesamtzustand könnte sie geistig anspruchslose Tätigkeiten als Hilfsarbeiterin ausüben; der Versuch einer Eingliederung in einen geregelten Arbeitsprozeß wäre bei der von der Norm abweichenden Persönlichkeitsstruktur mit großen Anpassungsschwierigkeiten verbunden. Ein solcher Versuch unterblieb bisher, der Erfolg eines derartigen Versuches ist nicht abschätzbar.

Der geschiedene Ehemann begehrte den urteilsmäßigen Ausspruch, daß seine Unterhaltsverpflichtung im Sinne des gerichtlichen Vergleiches vom 27.September 1979 ruhe. Dazu machte er geltend, die gesetzliche Sorgepflicht der Beklagten für ihre inzwischen selbsterhaltungsfähig gewordenen Kinder sei weggefallen. Die Beklagte wäre imstande, ihre vorhandene Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen. Soweit dies wegen Alkohol- und Medikamentenmißbrauches nicht der Fall sein sollte, wäre ein darin gelegenes Erwerbshindernis selbst verschuldet. Im übrigen erbringe die Beklagte ihren bereits selbsterhaltungsfähigen Kindern Haushaltsleistungen, deren Geldwert mit 3.000 S einzuschätzen wäre.

Die Beklagte bestritt ihre Arbeits- und Erwerbsfähigkeit.

Das Prozeßgericht erster Instanz wies das Klagebegehren des Mannes ab.

Das Berufungsgericht bestätigte nach Ergänzung der Beweise dieses Urteil. Dazu sprach es aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Der Kläger ficht das bestätigende Berufungsurteil aus den Revisionsgründen nach § 503 Z 2 und 4 ZPO mit einem auf Klagsstattgebung zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Die Beklagte strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen der darzulegenden entscheidungswesentlichen Rechtsfragen zulässig, aber nicht berechtigt.

Als der Scheidungsfolgenvergleich protokolliert wurde, war zwar noch das auf § 49 EheG gestützte Scheidungsbegehren der Frau sowie das Hauptbegehren des Mannes in seiner Widerklage auf Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Frau formell aufrecht. Unmittelbar nach der Protokollierung des Vergleiches wurde aber die Klagsrücknahme der Frau und die Rücknahme der Widerklage in ihrem auf § 49 EheG gestützten Hauptbegehren protokolliert, so daß nur das auf §§ 50 oder 51 EheG gestützte Begehren des Mannes aufrecht blieb. Es ist davon auszugehen, daß die Parteien bei Abschluß des Vergleiches nur an die Möglichkeit einer Scheidung ohne Verschuldensausspruch und an eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Mannes im Sinne des § 69 Abs 3 EheG dachten, somit lediglich eine Bemessung eines auf dieser Rechtsgrundlage bestehenden Unterhaltsanspruches beabsichtigten.

Eine wesentliche Änderung der für die Billigkeitsabwägung maßgebenden Umstände rechtfertigte auch eine Änderung der Unterhaltsbemessung, gegebenenfalls ein Ruhen der Unterhaltsverpflichtung. Umstände, die eine Beschränkung oder ein Ruhen der Unterhaltsverpflichtung rechtfertigten, selbst wenn diese auf § 66 EheG beruhte, wäre umso mehr im Fall einer auf § 69 Abs 3 EheG zu gründenden Verpflichtung beachtlich. Darüber hinaus könnte sich aber im letztgenannten Fall auch aus der Änderung der Verhältnisse eine Änderung der Billigkeitswertung ergeben.

Bei Abschluß des Scheidungsfolgenvergleiches betreute die Ehefrau in ihrem Haushalt drei Kinder im Alter zwischen 11 und 7 Jahren, so daß ihr eine Erwerbstätigkeit schon aus diesem Grunde nicht zuzumuten gewesen wäre. Damit blieb die sonst gebotene Einschätzung der Möglichkeit einer Befriedigung der Unterhaltsbedürfnisse aus den Erträgnissen einer eigenen Erwerbstätigkeit verdrängt. Nach dem Wegfall der Betreuung für die inzwischen verheiratete ältere Tochter und dem Eintritt der beiden ehelichen Kinder als Lehrlinge in das Erwerbsleben besteht das in der Kinderbetreuung gelegen gewesene Hindernis gegen eine eigene Erwerbstätigkeit nicht mehr. Soweit daher der Kläger von der Beklagten in Nachwirkung ihrer ehemals gemeinsamen Lebensführung nach den bestehenden konkreten Verhältnissen erwarten dürfte, daß die Beklagte die für ihren Lebensbedarf erforderlichen Mittel durch eigene Erwerbstätigkeit aufbrächte, entfiele deren Unterhaltsanspruch gegenüber dem Kläger.

Die von der Beklagten ihren beiden noch in Lehrlingsausbildung stehenden Kinder erwiesene Betreuung im Rahmen der aufrechten familiären Haushaltsgemeinschaft kann zwar als geldwerte Leistung gewertet werden, die zum Teil oder gänzlich außerhalb einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung erbracht wird, sie stellt aber keine entgeltliche Dienstleistung dar. Die Tatsache der Haushaltsführung ist nach dem festgestellten Gemüts- und Geisteszustand der Beklagten auch durchaus kein schlüssiger Hinweis darauf, daß die Beklagte in einen fremdbestimmten Arbeitsprozeß eingegliedert auf Dauer die von einem Dienstnehmer zu erwartenden Leistungen verläßlich erbringen könnte.

Als Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit, die im Sinne des § 66 EheG zu veranschlagen wäre, sind auch im Fall nicht tatsächlich erzielter, sondern bloß in zumutbarer Weise erzielbarer angenommener Einkünfte nur solche zu werten, die nach den konkreten Verhältnissen mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf eine längere Dauer als gesichert angenommen werden können.

Das Berufungsgericht ist nach den zugrundezulegenden Feststellungen über das gesundheitliche Gesamtzustandsbild der Beklagten mit Recht davon ausgegangen, daß die Annahme solcher auf eine gewisse Dauer gesicherten Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit der Beklagten nicht gerechtfertigt wäre.

Daß sich die Beklagte einer Arbeitsleistung als Dienstnehmerin derzeit nicht gewachsen erachtet, obwohl ihr eine solche objektiv nicht nur keine gesundheitlichen Nachteile brächte, sondern möglicherweise ihr Selbstwertgefühl steigern und ihre Labilität festigen könnte, kann ihr nicht zum unterhaltsrechtlich erheblichen Verschulden angelastet werden, weil die mangelnde Beherrschbarkeit ihrer Stimmungslagen und die fehlende Willenskraft zu einsichtsgemäßem Verhalten bei ihrer intellektuellen Minderbegabung gerade die Ursache ihres behandlungswürdigen Zustandes waren und sind.

Wenn aber der Kläger seine geschiedene Ehefrau, die auch nach der Ehescheidung der Betreuung der beiden in ihre alleinige Obsorge überwiesenen ehelichen Kinder anstandslos nachgekommen ist, nicht auf die Deckung ihrer Lebensbedürfnisse aus den Erträgnissen einer im Sinne des § 66 EheG zumutbaren eigenen Erwerbstätigkeit verweisen kann, entspräche es nach den festgestellten beiderseitigen Lebensverhältnissen, insbesondere nach dem Entfall der Unterhaltszahlungsverpflichtungen des Klägers gegenüber seinen beiden Kindern, auch nicht der Billigkeit, Dauer oder Ausmaß der vergleichsweise festgelegten Unterhaltsverpflichtung abzuändern.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes trifft im Ergebnis zu. Der gerügte Feststellungsmangel liegt aus den dargelegten Erwägungen nicht vor: Es ist nicht Sache der Gerichte, aufzuzeigen, wie schicksalsbedingte Lebensverhältnisse verbessert werden könnten, solange die Unterlassung bestimmter Bemühungen in dieser Richtung nicht der einen oder anderen Prozeßpartei zum Verschulden oder doch als in ihrem Bereich gelegen zuzurechnen wäre. Daß die bisherige Sperre der Beklagten gegenüber dem Versuch ihrer Eingliederung in einen fremdbestimmten Arbeitsprozeß ihr weder zum Verschulden anzulasten noch unter Billigkeitsgesichtspunkten ihrer Sphäre zuzurechnen ist, wurde dargelegt.

Der Revision war aus diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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