OGH 9Ob708/91

OGH9Ob708/9110.7.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Gamerith, Dr. Maier, Dr. Petrag und Dr. Bauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwälte *****, wider die beklagte Partei E***** B***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwalt*****, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 16. Jänner 1991, GZ 48 R 778/90-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 30. September 1990, 3 C 336/90z-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung

an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrte, die beklagte Partei zur Räumung der Geschäftsräumlichkeiten top 1 Stiege 5 des Hauses Wien 11, L*****straße 36-38, zu verpflichten. Die klagende Partei sei Hauptmieterin dieser Räumlichkeiten. Geschäftsführer der klagenden Partei sei bis 31. Juli 1987 J***** L*****, der Ehegatte der Geschäftsführerin der beklagten Partei, A***** L*****, gewesen. Die klagende Partei habe es geduldet, daß die beklagte Partei ebenfalls geschäftliche Tätigkeiten in den gegenständlichen Räumen ausübte. Seit der Abberufung des J***** L***** als Geschäftsführer der klagenden Partei verwehre die beklagte Partei der klagenden Partei den Zutritt zu den Räumlichkeiten. Sie verbrauche in den Räumen Strom und Gas und benütze die Telefonanlage, ohne etwas dafür zu zahlen. Im Zeitraum Oktober 1988 bis Dezember 1989 habe die klagende Partei für die Räumlichkeiten aufgewendet:

Miete 9.558,42 S

Strom und Gas 10.799,26 S

Telefon 23.648,40 S

diverses 798,70 S

44.804,78 S.

Die beklagte Partei benütze die Räume ohne Rechtstitel. Selbst wenn ein Rechtstitel bestünde, sei die beklagte Partei mit der Zahlung des Benützungsentgeltes säumig. Vorsichtshalber erklärte die klagende Partei für diesen Fall die Aufhebung eines allfälligen Bestandvertrages gemäß § 1118 ABGB.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Zwischen den Streitteilen bestehe ein Unterbestandverhältnis, wonach die beklagte Partei berechtigt sei, die gegenständlichen Räumlichkeiten für ihre Geschäftszwecke zu benützen. Als Entgelt seien von der beklagten Partei der gesamte Hauptmietzins sowie sämtliche Betriebskosten und Energiekosten laufend beglichen worden. Die geltend gemachten Rückstände werden bestritten; für den Fall des Bestehens erkläre die beklagte Partei die Aufrechnung mit dem von ihr der klagenden Partei gewährten Darlehen von 3,698.000 S, das Gegenstand des Verfahrens 11 Cg 135/88 des Handelsgerichtes Wien sei.

Das Erstgericht gab der Klage statt und stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die klagende Partei wurde im Jahre 1963 unter der Bezeichnung "S***** Gesellschaft mbH" von Dipl.Ing. A***** S***** und J***** L***** gegründet. Von 1979 bis zum Jahre 1988 lautete die Firma "L***** Gesellschaft mbH"; seit 1988 führt die klagende Partei wieder die ursprüngliche Firmenbezeichnung. Bis zum Jahre 1979 hatte Dipl.Ing. A***** S***** 52 % der Geschäftsanteile, J***** L***** 48 %; von 1979 bis 1988 war J***** L***** Mehrheitsgesellschafter; seither hat Dipl.Ing. A***** S***** 53,2 % und J***** L***** 46,8 % der Geschäftsanteile der klagenden Partei: Von der Gründung bis März 1977 war Dipl.Ing. A***** S***** alleiniger Gechäftsführer der klagenden Partei; anschließend bis Juli 1979 war auch J***** L***** Geschäftsführer. Danach war J***** L***** bis zum Jahre 1987 alleiniger Geschäftsführer der klagenden Partei. In den Jahren 1987 und 1988 waren N***** A***** und A***** J***** Geschäftsführer der klagenden Partei. Mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vm 2. September 1987 wurde die klagende Partei von Amts wegen aufgelöst und die Geschäftsführung A***** J***** und N***** A***** zu Liquidatoren bestellt. Mit Generalversammlungsbeschluß vom 4. November 1987 wurde die Gesellschaft unter Aufhebung der Liquidation fortgesetzt und das Stammkapital auf 500.000 S erhöht (dieser Fortsetzungsbeschluß wurde mittlerweile rechtskräftig [7 Ob 514/90] für nichtig erklärt). Seit dem Jahre 1988 ist Dipl.Ing. A***** S***** alleiniger Gschäftsführer der klagenden Partei. Die klagende Partei betrieb ein Bauunternehmen und war lange Zeit Kontrahentin der Stadt W*****. Die Tätigkeit der klagenden Partei nahm im Laufe der Zeit immer mehr ab, bis sie 1983 oder 1984 ihre geschäftliche Tätigkeit überhaupt einstellte. Die bei der klagenden Partei beschäftigten Arbeiter wurden nach und nach in den Personalstand der beklagten Partei übernommen. Als einzige Arbeitnehmerin der klagenden Partei verblieb A***** L*****, die für Borüarbeiten zuständig war. Seit dem Jahre 1988 (Übernahme der alleinigen Geschäftsführung durch Dipl.Ing. A***** S*****) ist die klagende Partei wieder in kleinstem Rahmen als Bauunternehmen tätig. Die Büroarbeit wird von zwei teilzeitbeschäftigten Arbeitskräften in der Wohnung des Geschäftsführers Dipl.Ing. A***** S***** verrichtet. Je nach Saison sind bis zu fünf Arbeiter beschäftigt.

Das Büro und der Sitz der klagenden Partei befanden sich ursprünglich in ***** S*****gasse 8/1/11. Am 30. Juni 1976 mietete die damals bei der klagenden Partei beschäftigte Büroangestellte M***** W***** als Vertreterin der klagenden Partei die gegenständlichen Räumlichkeiten im Ausmaß von 48 m2 von der Stadt W***** mit Wirksamkeit von 1. Juli 1975 auf unbestimmte Zeit zur Verwendung als Lager. Diese Räumlichkeiten wurden von der klagenden Partei sodann als Büro adaptiert und auch als solches verwendet.

Die beklagte Partei wurde im Jahre 1978 von A***** L***** gemeinsam mit dem Sohn und der Schwiegertochter des J***** L***** unter der Firma "E***** Gesellschaft mbH" gegründet. Unternehmensgegenstand war der Handel mit Altwaren. Seit 1983 ist die beklagte Partei als Bauunternehmen tätig und führt seither die Firma "E***** B*****gesellschaft mbH". Sitz der beklagten Partei war ebenfalls ***** S*****gasse 8. Geschäftsführerin der beklagten Partei war bis zum Jahre 1989 A***** L*****. Seit dem Jahre 1983 hatte die beklagte Partei keine eigenen Büroräumlichkeiten mehr, sondern benützte das gegenständliche Geschäftslokal mit. Seither besorgte A***** L***** dort die Bürotätigkeiten sowohl der klagenden als auch der beklagten Partei. Dipl.Ing. A***** S***** wußte von der Benützung der gegenständlichen Räumlichkeiten durch die beklagte Partei und war damit einverstanden.

M***** W***** teilte sodann der zuständigen Hausinspektorin der Stadt W***** mit, daß die gegenständlichen Räume auch von der beklagten Partei benützt werden. Daraufhin wurde seitens der Vermieterin die Bezeichnung der Mieterin von "S***** Gesellschaft mbH" auf "L***** und E***** Gesellschaft mbH" geändert. In der Folge zahlte die beklagte Partei aus eigenen Mitteln die Mietzinse unter der Bezeichnung "E*****-L*****", wobei mit "E*****" die beklagte Partei und mit "L*****" die klagende Partei bezeichnet wurden. Auch die Telefon-, Strom- und Gaskosten wurden von der beklagten Partei gezahlt. Seit der Abberufung des J***** L***** als Geschäftsführer der klagenden Partei verwehrte die beklagte Partei der klagenden Partei, insbesondere deren Gesellschaftder Dipl.Ing. A***** S*****, den Zutritt zu den gegenständlichen Räumen. Auf die schriftliche Aufforderung der klagenden Partei, ihr das Objekt zu übergeben, antwortete die beklagte Partei mit Schreiben vom 3. Oktober 1988, daß der klagenden Partei an diesem Objket keinerlei Mietrechte zustünden und daher kein Anlaß bestehe, ihr irgend etwas zu übergeben. Dipl.Ing. A***** S***** veranlaßte daraufhin, daß die Stadt W***** die Mietzinszahlungen nicht mehr aus den Mitteln der beklagten Partei (unter der Bezeichnung "E*****-L*****") entgegennahm, sondern nur mehr von ihm als Geschäftsführer der klagenden Partei. Seit November 1988 werden Mietzins, Strom-, Gas- und Telefonkosten von der klagenden Partei getragen.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes Favoriten (3 C 6451/88) wurde festgestellt, daß die klagende Partei Hauptmieterin der gegenständlichen Geschäftsräumlichkeiten ist.

Nicht festgestellt werden konnte, ob und inwieweit zwischen den Parteien eine Vereinbarung über die Tragung der Kosten des gegenständlichen Geschäftslokales, wie Mietzins, Strom-, Gas- und Telefonkosten, getroffen wurde und ob zwischen den Parteien ein Untermietvertrag über das gegenständliche Geschäftslokal abgeschlossen wurde. Insbesondere hat die Geschäftsführerin der beklagten Partei A***** L***** weder schriftlich noch mündlich eine auf Abschluß eines Untermietvertrages mit der klagenden Partei gerichtete Willenserklärung abgegeben.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und vertrat die Rechtsauffassung, daß die Überlassung der gegenständlichen Räumlichkeiten gegen Direktzahlung des Mietzinses und der sonstigen Kosten an die Vermieterin, die Wiener Stadtwerke und die Post- und Telegraphendirektion als Prekarium anzusehen sei. Der von der beklagten Partei geleistete Aufwandsersatz sei nicht als Entgelt anzusehen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es vertrat gleichfalls die Rechtsauffassung, ein Untermietverhältnis sei durch die bloße Übernahme des Mietzinses, der Stromkosten und der Telefongebühr auch nicht konkludent zustandegekommen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist (§ 502 Abs 1 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Mit seiner Rechtsansicht, die Überlassung eines Geschäftslokals

gegen Zahlung des Hauptmietzinses sowie der Energie- und

Telefonkosten sei als Prekarium zu qualifizieren, setzt sich das

Berufungsgericht in Widerspruch zur Judikatur des Obersten

Gerichtshofes, wonach die Überlassung eines Bestandobjektes gegen

die Erbringung aller mit der Erhaltung und Benützung der Wohnung

verbundenen Zahlungen wie Mietzins und Betriebskosten nicht als

Bittleihe anzusehen (siehe MietSlg 27.125, aber auch

MietSlg 17.105 und 33.144). Da die zur Erhaltung des Mietrechtes

erforderliche Zahlung des Mietzinses (einschließlich

Betriebskosten) den Hauptmieter auch ohne Gebrauchsüberlassung

trifft und ihm durch die Tragung dieses Aufwandes Kosten erspart

werden, leistet der Benützer ein über die allein durch den

Gebrauch der Sache verursachten Kosten (wie Energie- und

Telefonkosten) hinausgehendes Entgelt (siehe auch JBl 1987, 320

= MietSlg 38.119/49). Der Hauptmietzins (einschließlich

Betriebskosten) ist nicht als so niedriges Entgelt anzusehen, daß

es gegenüber dem Wert der Benützung praktisch nicht mehr ins

Gewicht fällt (siehe MietSlg 27.125; 33.144).

Die Revision ist auch berechtigt.

Da die Zahlung des Mietzinses durch die beklagte Partei - deren Geschäftsführerin von 1978 bis 1989 A***** L***** war - von der klagenden Partei - deren Geschäftsführer von Juli 1979 bis zum Jahre 1987 J***** L***** war - während eines Zeitraumes von rund fünf Jahren zumindest geduldet wurde, kam zwischen den Streitteilen ein konkludentes Untermietverhältnis auf unbestimmte Zeit zustande, das von der klagenden Partei nicht einseitig widerrufen werden konnte. Es bleibt daher zu prüfen, ob der von der klagenden Partei hilfsweise geltend gemachte Auflösungsgrund nach § 1118 ABGB vorliegt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Umstand, daß die klagende Partei den Mietzins und sonstige nach der konkludenten Vereinbarung von der beklagten Partei zu tragende Kosten nunmehr aus eigenen Mitteln zahlt, die beklagte Partei nicht von der Verpflichtung befreit, die im Rahmen des Untermietverhältnisses konkludent vereinbarte Gegenleistung (Erstattung des Mietzinses und aller durch die Benützung des Mietgegenstandes entstehenden Kosten) für die Überlassung des Mietobjektes zu erbringen.

Da beide Vorinstanzen, ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, bisher weder die Forderung der klagenden Partei noch die von der beklagten Partei eingewendete Gegenforderung geprüft haben, ist eine Ergänzung des Verfahrens erster Instanz erforderlich.

Der Revision war daher Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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