Spruch:
Der ao Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die in ihrem Feststellungsausspruch als unbekämpft unberührt bleiben, werden im übrigen aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 2.2.1986 ereignete sich auf der Bundesstraße 115 im Gemeindegebiet von Altenmarkt ein Verkehrsunfall, bei welchem Azem R***** getötet wurde. Die beklagte Partei haftet als Haftpflichtversicherer des beteiligten Kraftfahrzeuges für die entstandenen Schäden dem Grunde nach.
Die Klägerin ist die Witwe des Azem R*****. Sie begehrte von der beklagten Partei für die Zeit von Februar 1986 bis Februar 1988 an entgangenem Unterhalt S 112.108,20 sA und ab März 1988 eine monatliche Rente von S 3.961,94; weiters erhob sei ein entsprechendes Feststellungsbegehren.
Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen und wendete ein, daß die Klägerin zufolge der von ihr bezogenen Pension keinen Unterhaltsentgang erleide. Azem R***** sei auch für andere Familiengehörige unterhaltspflichtig gewesen und hätte ab 1986 in Österreich keine Beschäftigung mehr gefunden.
Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt und wies das Leistungsbegehren ab. Es traf - zusammengefaßt
dargestellt - folgende Feststellungen:
Azem R***** war seit dem Jahre 1973 ununterbrochen bei der Firma Tobias A***** als Hilfsarbeiter beschäftigt. Er verdiente im Jahre 1986 unter Berücksichtigung der anteiligen Sonderzahlungen im Monatsdurchschnitt S 10.865; im Jahr 1987 hätte er S 11.484 und im Jahr 1988 S 11.620 verdient. Der Arbeitgeber stellte ihm in P***** unentgeltlich eine Dienstwohnung zur Verfügung. Er war nicht invalid, hatte keine gesundheitlichen Probleme und verrichtete seine Arbeit zur Zufriedenheit des Arbeitgebers und der Arbeitskollegen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte er auch nach dem 30.6.1986 wieder eine Arbeitsbewilligung erhalten.
Die Klägerin wohnt in R***** in Bosnien gemeinsam mit den drei ehelichen Kindern Nazifa, Nehrudin und Fahredin. Sie bewohnt mit ihrer Familie ein Zimmer, für das sie monatlich an Miete und Betriebskosten S 1.000 bezahlen muß. Im Mai 1989 verstarb ihr viertes Kind Hajrudin. Die Klägerin und ihre Kinder waren zum Zeitpunkt des Todes von Azem R***** wegen der schlechten Arbeitsmarktsituation in Jugoslawien einkommens- und beschäftigungslos.
Die Klägerin bezog nach dem Tod ihres Ehegatten eine Witwenpension von vorerst monatlich S 1.669,70 und erhält ab 1.1.1987 eine solche von monatlich S 1.733,20. Sie bekommt in Jugoslawien eine Familienpension in der Höhe von rund S 260.
Azem R***** besuchte seine Familie ungefähr alle acht Wochen und übergab dabei seiner Familie durchschnittlich S 6.000 bis S 12.000 im Monat. In jenen Monaten, in denen er nicht nach Hause fuhr, übermittelte er durch Freunde monatlich durchschnittlich S 3.000 bis S 6.000. Auf diese Weise kamen seiner Familie in Jugoslawien monatlich S 6.000 zur Deckung des Lebensunterhaltes zu. Einen Betrag in dieser Größenordnung hätte er auch in Zukunft seiner Gattin und seinen einkommenslosen Kindern zur Verfügung gestellt.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß sich aus dem anzuwendenden Art 231 Abs 2 des Gesetzes der Teilrepublik Bosnien und Herzegowina über die Familie vom 29.5.1979 ergebe, daß Azem R***** nicht nur gegenüber seiner Ehegattin, der Klägerin, sondern auch gegenüber seinen beschäftigungslosen volljährigen Kindern unterhaltspflichtig gewesen sei. Daraus folge, daß der Klägerin lediglich etwa 25 % des der Familie monatlich zur Verfügung gestellten Betrages von S 6.000, also bloß S 1.500 zugekommen seien. Berücksichtigte man ihre Ansprüche auf Witwenpension und Familienpension von etwa S 2.000, so erleide sie letztlich keinen Schaden im Sinne des § 1327 ABGB.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin in der Hauptsache nicht Folge. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei und gelangte zur gleichen Auslegung des Art 231 Abs 2 des genannten Gesetzes über die Familie wie das Erstgericht. Da Witwe und Kinder nicht Gesamtgläubiger seien, sei der Anspruch der Klägerin isoliert zu beurteilen, was - da Azem R***** auch gegenüber den anderen volljährigen und arbeitslosen Kindern unterhaltspflichtig war - die Abweisung des Leistungsanspruches aus den vom Erstgericht dargelegten Gründen zur Folge habe.
In ihrer ao Revision macht die Klägerin geltend, daß die Vorinstanzen Art 231 Abs 2 des zitierten Gesetzes über die Familie unrichtig ausgelegt hätten. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung sei eine Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber ihren volljährigen Kindern nur dann gegeben, wenn diese "wegen Krankheit, psychischer und physischer Mängel arbeitsunfähig sind". Dies sei hier nicht der Fall.
Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, deren Erstattung ihr anheimgestellt worden war, die Revision nicht zuzulassen oder ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die ao Revision ist zulässig und berechtigt.
Zur Frage des anzuwendenden Rechtes folgt der Oberste Gerichtshof der von Duchek-Schwind, IPR 169, Anm 12 in Übereinstimmung mit Schwind, Handbuch des Österr IPR 401, und Reishofer in ZVR 1977, 37, gegen Schwimann in ZVR 1978, 170, vertretenen Ansicht, daß das nach dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen berufene Recht auch auf die von nur mittelbar Geschädigten erhobenen Schadenersatzansprüche anzuwenden ist (ZVR 1990/123 = JBl 1990, 240). Hängt der Anspruch Dritter allerdings von ihrer Unterhaltsberechtigung ab, ist dafür das Unterhaltsstatut maßgebend (Schwind aaO, Reishofer aaO, vgl auch EFSlg 18.061 ua). Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten, sind die Ansprüche der Klägerin daher grundsätzlich nach österreichischem Recht zu beurteilen, da sich der Unfall auf österreichischem Hoheitsgebiet ereignete (Art 3 des Haager Straßenverkehrsübereinkommens). Nach österreichischem Recht bestimmen sich damit die Voraussetzungen und der Umfang der Haftung, das Bestehen und die Art der zu ersetzenden Schäden sowie die Art und der Umfang des Schadenersatzes. Die Frage, ob und in welchem Umfang die Klägerin gegenüber ihrem Ehegatten Azem R***** unterhaltsberechtigt war und inwieweit sie mit weiteren Unterhaltsrechten ihrer Kinder diesem gegenüber konkurrierte, ist jedoch nach dem Recht des Unterhaltsstatutes zu beurteilen (vgl ZVR 1990/123 und die oben zitierte Zweitveröffentlichung). Richtig haben daher die Vorinstanzen zwar auf Art 231 Abs 2 des Gesetzes über die Familie vom 29.5.1979 der Teilrepublik Bosnien und Herzegowina Bedacht genommen, wonach dann, wenn "ein volljähriges Kind wegen Krankheit, physischer und psychischer Mängel arbeitsunfähig ist und keine ausreichenden Mittel zum Leben hat oder diese aus seinem Vermögen realisieren kann, die Eltern (weiterhin) verpflichtet bleiben, es solange als diese Unfähigkeit dauert, zu unterhalten." Die Vorinstanzen haben aber - wie die Klägerin im Grundsätzlichen zutreffend geltend macht - zu Unrecht eine ausdehnende Interpretation dieser ausländischen Gesetzesstelle auch auf arbeitslose volljährige Kinder vorgenommen, ohne sich mit der Lehre und Rechtsprechung des ausländischen Staates hiezu auseinanderzusetzen. Dies ist ein die Rechtssicherheit beeinträchtigender Verfahrensmangel, der vom Obersten Gerichtshof auch aus Anlaß einer ao Revision im Sinne des § 502 Abs 1 aufzugreifen ist (EvBl 1985/172 ua). Die Nichtermittlung der anzuwendenden ausländischen Norm im Umfeld ihrer Anwendungspraxis und unter Bedachtnahme auf die im ausländischen Staat bestehende Rechtsentwicklung durch die inländischen Gerichte ist ein Verfahrensmangel eigener Art, der nach der Rechtsprechung (vgl SZ 34/134; ZfRV 1977, 292; SZ 46/83; ZfRV 1987, 53; ZfRV 1989, 292
ua) die Aufhebung der Urteile erforderlich macht. Das Erstgericht und im weiteren Instanzenzug auch das Berufungsgericht werden sich daher nicht nur mit dem bloßen Wortlaut des Art 231 Abs 2 des Gesetzes über die Familie der Teilrepublik Bosnien und Herzegowina zu begnügen haben, sondern im Wege der hiefür vorgesehenen Behelfe (Anfrage an das Bundesministerium für Justiz und die von diesem allenfalls genannten Stellen, allfällige Bestellung eines Sachverständigen udgl) die Anwendung der maßgeblichen Rechtsvorschrift unter Bedachtnahme auf Lehre und Rechtsprechung der genannten Teilrepublik zu ermitteln und erst auf dieser vollständigen Rechtsgrundlage über den noch offenen Leistungsanspruch der Klägerin zu erkennen haben.
Der ao Revision war somit Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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