Spruch:
Das Gericht hat die anzuwendenden ausländischen Rechtssätze unter Mithilfe der Parteien von Amts wegen zu erforschen.
Entscheidung vom 4. Oktober 1961, 5 Ob 299/61.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien: II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Unbestritten ist, daß die Klägerin Rechtsnachfolgerin ihres am 2. März 1956 vorstorbenen Gatten Benjamin J. ist und daß dieser bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges in einem Unternehmen des Beklagten in D. (damals Polen) Angestellter war, ferner daß der Beklagte nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges nach Australien emigrierte, während Benjamin J. erst 1946 nach Israel auswandern konnte. Die Klägerin behauptet, daß der Beklagte ihr als Erbin ihres Mannes einen Betrag von 5320.04 US-Golddollar schulde. Sie begehrt die Zahlung des Gegenwertes für diesen Betrag in Wien in österreichischen Schilling und legt der Umrechnung von Golddollar in Schilling einen Kurs der Oesterreichischen Nationalbank von 10 Golddollar = 436 S 22 g zugrunde. Sie beantragt daher, den Beklagten zur Zahlung von 232.070 S 78 g durch Erlag auf ein bei einer Devisenbank in Wien zum Zweck der Überweisung an die Klägerin zu errichtendes Devisensperrkonto zu verurteilen.
Das Erstgericht nahm folgenden Sachverhalt als erwiese an: Dem Beklagten stand gegen die K.-AG. in Polen seit dem Jahr 1927 eine auf US-Dollar lautende Darlehensforderung, die mit 7% zu verzinsen war, zu, wobei die genannte Gesellschaft den Dollarkurs in der Weise garantierte, daß bei einem Abweichen des Kurses des Golddollars vom Papierdollar so viele Papierdollar zurückzuzahlen waren, als dem Golddollarkurs entsprach. Mit Rücksicht auf diese günstigen Bedingungen ersuchte Benjamin J. den Beklagten, sich mit einigen tausend Dollar an dieser Anleihe beteiligen zu dürfen. Der Beklagte stimmte zu und willigte ein, daß J. gegen Zahlung oder Verrechnung des entsprechenden Betrages im internen Verhältnis zwischen ihnen mit diesem Betrag an der Anleihe (= Darlehen) beteiligt sein sollte. Nicht erwiesen ist, ob Benjamin J. dem Beklagten einen Dollarbetrag übergeben hat oder ob die dem Benjamin J. zustehende Forderung im Weg der Verrechnung festgestellt wurde. Auf Verlangen des Beklagten wurde noch vor der Dollarabwertung (31. Jänner 1934) das Darlehen von der K.-AG. dem Beklagten in der Form zurückgezahlt, daß dem Beklagten auf US-Dollar lautende Schecks übergeben wurden. Diese Schecks übermittelte der Beklagte zur Gutschrift an außerhalb Polens befindliche Banken, bei denen er Dollarkonten unterhielt. Als der Beklagte dem Benjamin J. einen auf Dollar lautenden Scheck geben wollte, der bei einer Bank in D. (Polen) einzulösen gewesen wäre, ersuchte Benjamin J. den Beklagten, dieser möge die Dollar lieber auf seinen eigenen Namen bei der Bank liegen lassen, weil J. sonst wegen der polnischen Devisenvorschriften über die Dollar nicht hätte frei verfügen können. Der Beklagte stimmte zu und vereinbarte mit Benjamin J., daß dieser für sein Guthaben jährlich 1% Zinsen verrechnen und diese jeweils zum Kapital schlagen könne, weil der Beklagte für sein Konto bei der Bank die Zinsen in derselben Weise erhalte. Zu einem späteren Zeitpunkt vereinbarten Benjamin J. und der Beklagte, daß J. auch berechtigt sein sollte, von einem Konto des Beklagten den von Golddollar auf Zloty umzurechnenden Betrag seines Guthabens abzuheben. J. machte von dieser Ermächtigung jedoch nie Gebrauch. Eine Umänderung des Anspruches des J. dahin, daß diesem nunmehr eine auf Goldbasis zu errechnende Zlotyforderung zustunde, ist mit der zuletzt erwähnten Vereinbarung nicht erfolgt. Der Beklagte war nicht verpflichtet, einen dem Guthaben des J. entsprechenden Dollarbetrag ständig zu dessen Verfügung bereitzuhalten. Ende 1956 betrug das Guthaben des J. 5215.22 Dollar, Ende 1958 5320.04 Dollar.
Das Erstgericht wendete österreichisches Recht an, weil der Beklagte, der den Standpunkt vertrat, daß polnisches Recht anzuwenden sei, dieses Recht nicht nachgewiesen habe und sich für die Anwendung österreichischen Rechtes Anknüpfungspunkte daraus ergäben, daß sich beide Teile seit Jahren nicht mehr in Polen aufhielten und daß sich das dem Beklagten verbliebene realisierbare Vermögen in Österreich befinde. Der Anspruch der Klägerin stehe ihr aus einem Vertragsverhältnis zu, das alle Merkmale eines Darlehensvertrages aufweise. Er bestehe daher unabhängig davon, ob die auf den Konten des Beklagten in Polen erliegenden Guthaben verlorengegangen seien oder nicht. Es sei unerheblich, ob die vereinbarte, nicht effektive Golddollarklausel heute noch wirksam sei, weil die Klägerin einen Beweis dafür, daß derzeit ein Golddollarkurs bestehe, nicht erbracht habe. Es sei daher auf den Gegenwert der Dollarforderung in Schilling zu erkennen gewesen. Da die Klägerin Zahlung in Wien begehre, sei gemäß Art. 8 Nr. 8 der 4. EVzHGB. die Verurteilung zur Zahlung nach im Kurswert vorzunehmen gewesen, der zur Zeit der Zahlung für den Zahlungsort maßgebend sei. Die Verurteilung zur Zahlung auf ein Sperrkonto bei einer inländischen Devisenbank entspreche der Kundmachung Nr. 9/59 der Oesterreichischen Nationalbank, verlautbart im Amtsblatt der "Wiener Zeitung" Nr. 39 vom 17. Februar 1959. Das sich aus der Anwendung des von der Klägerin behaupteten Umrechnungsschlüssels für Golddollar ergebende Mehrbegehren sei abzuweisen gewesen.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei daher schuldig, der Klägerin den Gegenwert von US-Dollar 5320.04 samt 4% Zinsen seit 26. März 1959 in österreichischen Schilling, berechnet nach dem zur Zeit der Zahlung maßgebenden Kurswert, binnen 14 Tagen bei Exekution durch Überweisung auf ein bei einer Devisenbank in Wien zu errichtendes und auf den Namen der Klägerin lautendes Devisensperrkonto zu zahlen. Das Mehrbegehren auf Zahlung der Differenz zwischen 232.070 S 78 g und dem sich laut dem obigen Teil des Spruches ergebenden Schillingbetrag wies das Erstgericht ab.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es setzte seinem Aufhebungsbeschluß einen Rechtskraftvorbehalt bei. Richtig sei, daß der Satz "iura novit curia" für ausländisches Recht nicht gelte; das Gericht könne aber über das anzuwendende ausländische Recht nicht hinweggehen, wenn es nicht von den Parteien bewiesen werde; es habe vielmehr die ausländischen Rechtssätze - auch die Rechtsprechung und Lehrmeinung des Auslandes - von Amts wegen zu erforschen und anzuwenden, ohne an die Behauptungen der Parteien gebunden zu sein (hiezu verweist das Berufungsgericht insbesondere auf die Entscheidung ZBl. 1932 Nr. 56 = Rspr. 1932 Nr. 1). Die Nichtermittlung der anzuwendenden ausländischen Normen sei ein Verfahrensmangel eigener Art (6 Ob 339/58; 2 Ob 122/61). Würde das ausländische Recht nicht angewendet, so bestunde die Möglichkeit, den Parteien unangenehme Vorschriften, z. B. auf dem Gebiet des Devisenrechtes, dadurch zu umgehen, daß unter Heranziehung eines ausländischen Gerichtsstandes die Rechtssache nach anderen Vorschriften beurteilt werde, ohne daß dieses Recht bei Vertragsabschluß zugrunde gelegt worden wäre. Es liege daher eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens darin, daß das Erstgericht nicht von Amts wegen den Inhalt der maßgeblichen ausländischen Rechtssätze erforscht und angewendet habe. Da diese Rechtssätze noch nicht feststunden, könne nicht darauf eingegangen werden, welche Umstände als wesentliche Entscheidungsgrundlagen festzustellen sein würden. Dies gelte hinsichtlich der vom Beklagten aufgeworfenen Frage des Treuhandverhältnisses - am Rande sei bemerkt, daß nach österreichischem Recht die Frage des depositum irregulare zu prüfen wäre - ebenso wie von der Rechtsfrage des Anerkenntnisses. Der Vorwurf, daß der Erstrichter eine Anfrage an die Nationalbank über den Golddollarkurs unterlassen habe, sei nicht berechtigt, weil die Anfrage an eine Behörde kein Beweismittel sei (JBl. 1947 S. 446). Der Erstrichter habe wiederholt den Klagevertreter aufgefordert, die Auskunft der Nationalbank einzuholen und vorzulegen. Diese Auskunft hätte als Beweismittel verwendet werden können. Davon, daß der Golddollarkurs notorisch sei, könne keine Rede sein. Die Klägerin behaupte selbst nicht, daß regelmäßige Verlautbarungen eines maßgeblichen österreichischen Kurses von zuständiger Seite erfolgten.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Beizupflichten ist der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß das Gericht die ausländischen Rechtssätze von Amts wegen zu erforschen hat, wobei allerdings die Parteien dem Gericht hiebei Mithilfe zu leisten haben.
Das Berufungsgericht weist zutreffend darauf hin, daß die Nichtermittlung der anzuwendenden ausländischen Normen (§ 271 ZPO.) ein Verfahrensmangel eigener Art ist. Das Berufungsgericht kann allerdings diesen Verfahrensmangel dadurch beheben, daß es sich die erforderlichen Kenntnisse selbst verschafft; es muß dies aber nicht tun, sondern kann die Beweisaufnahmen und Erhebungen hierüber auch dem Erstrichter auftragen und sich damit praktisch die Kontrolle der Anwendung des ausländischen Rechtes durch den Erstrichter vorbehalten. Das ist insbesondere hier zweckmäßig, wo noch gar nicht feststeht, welches Sachverhaltsbild endgültig zu beurteilen sein wird. Nach § 37 ABGB. sind Rechtsgeschäfte, die Ausländer mit Ausländern im Ausland vornehmen, nach den Gesetzen des Ortes zu beurteilen, wo das Geschäft abgeschlossen worden ist. Bei Verträgen unter Abwesenden ist nach der von der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre vertretenen Empfangstheorie. (s. Walker, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. S. 412, und ihm folgend Verdroß - Droßberg - Satter in Klang 2. Aufl. I/1 S. 239, sowie die Entscheidungen GlUNF. 4204 und SZ. XXIX 22) als Ort der Abschließung des Vertrages der Wohnort des Antragstellers anzusehen, der gewöhnlich mit dem Ort zusammentreffen wird, wo dem Antragenden die Annahmeerklärung zugegangen ist. Aus der unbestrittenen Behauptung des Beklagten ergibt sich, daß dieser jedenfalls bis zu seiner Auswanderung nach Australien ungarischer Staatsbürger und Benjamin J. zumindest bis zum Jahr 1945 polnischer Staatsbürger gewesen ist. Benjamin J. war im Zeitpunkt der vom Erstgericht festgestellten, Vereinbarungen in Polen wohnhaft. Daraus folgt gemäß § 37 ABGB. die Anwendung polnischen Rechtes. Ob außer polnischem Recht auch das Recht eines anderen Staates anzuwenden ist, kann mit Sicherheit derzeit nicht gesagt werden, weil hiezu die Feststellungen nicht ausreichen. Daß die Parteien die Anwendung eines bestimmten Recht es ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart hätten, hat keine der Prozeßparteien bisher behauptet, und es hat auch keine von ihnen bisher hierüber einen Beweis angeboten.
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