OGH 7Ob535/91

OGH7Ob535/9123.5.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Krone Verlag GesmbH & Co KG, Wien 19., Muthgasse 1, vertreten durch Dr. Alfred Boran, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Gerhard R*****, vertreten durch Dr. Michel Walter, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 300.000) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 17. Dezember 1990, GZ 4 R 212/90-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 23. August 1990, GZ 33 Cg 69/90-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 12.247,20 (darin S 2.041,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte hielt bei der Opernballdemonstration vom 22.2.1990 folgende Rede:

"Schon seit mehreren Wochen ist in den größten österreichischen Tageszeitungen "Kronen-Zeitung" und "Kurier" zu lesen gewesen, Anti-Opernball-Demonstranten seien gewalttätig, sie würden Bomben legen und die Stadt anzünden. Deshalb hat sich die Wiener Polizei auch zwei Löschwagen angeschafft, zum Löschen kleinerer Brände. Seither gehe ich nicht mehr ohne Handtuch weg, und kommt es zu einer größeren Löschaktion; nicht mehr ohne Badehose. Man muß schwimmen können in diesem Land. Und man muß es sich gefallen lassen, daß man gewalttätig sein soll, geht man zu einer Demonstration. Diese Demonstration ist aber nicht gewalttätig und es hat auch keine Bomben gegeben oder Brände, deshalb wird es Zeit zu sagen, wer gewalttätig ist in diesem Land. Gewalttätig ist die "Neue Kronen Zeitung": Gewalttätig, das ist das neue Asylrecht. Gewalttätig, das ist das Polizeibefugnisgesetz, das kommt. Gewalttätig, das ist das Abreißen von Arena, Aegidi-, Spalo- und Gassergasse. Gewalttätig, das ist ein Polizeipräsident Bögl, der im Kurier gemeint hat, noch sei die Moral seiner Truppe gut - ein solcher Polizeipräsident ist kein Polizeipräsident, sondern ein militärischer Oberbefehlshaber - und gewalttätig, das ist ein Textilgewerbe, in dem es Löhne gibt von S 5.000 bis S 6.000 für 40 Stunden Arbeit und einen Scheiß-Job".

Die Klägerin beantragt, den Beklagten für schuldig zu erkennen, unrichtige und herabsetzende Äußerungen über das Unternehmen der Klägerin insbesondere die Äußerung "gewaltttätig ist die Kronen-Zeitung" zu unterlassen. Der Beklagte habe diese Äußerung als politischer Agitator und nicht als Künstler oder Literat gemacht. Die Behauptung stelle eine grobe Verunglimpfung der Klägerin dar. Es handle sich sowohl um eine Beschimpfung als auch um die Behauptung unrichtiger Tatsachen, für die der Beklagte keinerlei sachliches Substrat anführen könne. Es sei die Absicht des Beklagten, die Klägerin zu beleidigen und ihren Kredit, ihren Erwerb und ihr Fortkommen zu beeinträchtigen oder zumindest zu gefährden.

Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, die Klage sei nicht ausreichend substantiiert, weil sich die beiden Vorwürfe nach § 1330 Abs 1 und Abs 2 ABGB einander ausschlössen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Seiner Rechtsansicht nach stelle die inkriminierte Äußerung keine Ehrverletzung dar, da niemand daraus ableite, daß die klagende Partei Gewalttaten setze. Die Äußerung sei mangels Untermauerung durch konkrete Tatsachenbehauptungen objektiv für den unbefangenen Zuhörer nicht im Sinne von Mißhandeln, Verletzen, Töten oder Beschränkung der Freiheit gemeint erkennbar, so daß es der Klägerin an jeder Beschwer mangle, die die Voraussetzung für den begehrten Unterlassungsanspruch bildet.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Die inkriminierte Äußerung beinhalte eine Tatsachenbehauptung und kein Werturteil. Gewalt könne auch in Form der Aufhetzung von Menschen, in Form des Gesinnungsterrors oder durch abwertende Berichterstattung über Minderheiten oder Gruppen, die letztlich dann zur Gewaltanwendung der Angesprochenen gegen die Abgewerteten führe, ausgeübt werden. Die klagende Partei habe aber nicht bewiesen, daß die vom Beklagten verbreiteten Tatsachen unwahr seien. Das hiefür angebotene Beweismittel Parteieneinvernahme habe nicht durchgeführt werden können, weil es die klagende Partei unterlassen habe, die dafür in Frage kommende Person zu konkretisieren.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO wird nur durch den völligen Ausschluß einer Partei von der, zumindest von der letzten Verhandlung, nicht aber dadurch gesetzt, daß der Richter nach durchgeführter Verhandlung vor deren Schluß Beweisanträge zurückgewiesen hat. Durch die Verhinderung der Parteieneinvernahme wird der Nichtigkeitsgrund daher nicht verwirklicht (MGA ZPO14 § 477/52 ff).

Dem behaupteten Verfahrensmangel kommt aus folgenden Gründen keine Relevanz zu:

§ 1330 Abs 1 ABGB berechtigt den durch eine Ehrenbeleidigung Geschädigten zur Durchsetzung seiner Schadenersatzansprüche. Nach Abs 2 leg. cit. kann der durch die Verbreitung von Tatsachen in seinem Kredit, Erwerb oder Fortkommen Geschädigte vom Schädiger, der die Unwahrheit seiner Äußerungen kannte oder kennen mußte, Widerruf und Veröffentlichung desselben verlangen.

Vorwegzunehmen ist, daß periodisch erscheinenden Druckschriften vom Gesetzgeber die passive Beleidigungsfähigkeit durch Art II StG Nov 1929 eingeräumt worden ist. Ist nicht erkennbar, auf welche Personen ein Angriff gegen die periodische Druckschrift abzielt, ist der Herausgeber berechtigt, die Anklage zu erheben.

Sowohl in der Lehre (Koziol aaO, Reischauer aaO Rz 1 f sowie Harrer in Schwimann, Praxiskommentar zum ABGB § 1330 f Rz 2) als auch in der Judikatur (SZ 61/193 = GRUR Int. 1989,326 = MuR 1988,194; EvBl 1983/91 und EvBl 1955/395) wird der Standpunkt vertreten, daß der Schutz der Ehre nicht auf die strafrechtlichen Tatbestände der §§ 111 ff StGB beschränkt ist, sondern das jedes der Ehre eines anderen nahetretende Verhalten, auch wenn es strafrechtlich nicht zu ahnden ist, zu den rechtswidrigen Ehrenbeleidigungen gehört, die unter den Voraussetzungen des § 1330 ABGB ersatzpflichtig machen. Nach Koziol dürfte dies nur so zu verstehen sein, daß die über das bloße Tatbild der Ehrenbeleidigung hinausgehenden strafrechtlichen Tatbestandselemente nicht erforderlich sind, Reischauer nennt in einigen Beispielen bei der Abgrenzung zur real-in-iurie als Schadenersatz begründende Ehrverletzungen, die nicht strafbar sind, die Mißhandlungsandrohung oder einen fehlgeschlagenen, in seiner Art aber bereits ehrkränkenden Versuch. Aus diesen Argumenten kann nicht der Schluß gezogen werden, daß die Tatbildhaftigkeit einer Äußerung als strafrechtlich zu ahndende üble Nachrede nach § 111 Abs.1 ABGB enger als jene der Ehrverletzung nach § 1330 Abs.1 ABGB sein soll. Im übrigen läge dieser Ansicht ein nicht zu begründender Wertungswiderspruch zugrunde, der auch mit den Materialien zur letztzitierten Bestimmung im Widerspruch stünde (vgl. Koziol aaO FN 3). Bei der Beurteilung, ob eine Äußerung ehrenbeleidigend ist, sind daher die strafrechtlichen Kriterien maßgebend. Dies ändert aber nichts am weiterhin aufrecht zu erhaltenden Grundsatz, daß andere herabsetzende Verhaltensformen, die strafrechtlich nicht zu ahnden sind, rechtswidrig im Sinn des § 1330 Abs.1 ABGB sein können.

Der Tatbestand nach § 111 Abs.1 StGB erfordert eine Äußerung, die geeignet ist, den Beleidigten in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen. Läßt ein Vorwurf unsittlichen (nach mehreren Lehrmeinungen auch unehrenhaften) Verhaltens auch eine andere Deutung zu, so sind die näheren Details zu prüfen, ob dieser Vorwurf geeignet ist, den Betroffenen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen (Foregger im Wiener Kommentar zu § 111 StGB Rz 10 und 18). Die Eignung, den Betroffenen verächtlich zu machen, besteht, wenn dieser in seinem sittlichen Wert vermindert wird, während die Eignung ihn herabzuwürdigen gegeben ist, wenn er "dadurch in einen Gegensatz zu den Anforderungen gestellt wird, die dessen besondere Lebensaufgaben an ihn stellen" (vgl Mayerhofer-Rieder Anm 6 zu § 111 StGB). Es kommt bei einem derartigen Vorwurf auf die besonderen Begleitumstände an. Maßgebend sind dabei keineswegs die Anschauungen der Gesellschaftskreise, in denen sich der Angegriffene bewegt. Allerdings stellt die öffentliche Meinung aber auch nicht an alle Personen gleiche Anforderungen. So kann insbesondere die Stellung des Beleidigten wesentlich für die Beurteilung sein, ob die Allgemeinheit größere oder geringere Anforderungen an den Betroffenen stellt (vgl Leukauf-Steininger StGB2 § 111 Rz 7 f, Foregger, Ehrenbeleidigungen, 36 sowie Nowakowski, 163; Rittler2 II 106).

Der Beklagte hat die inkriminierte Äußerung nicht als ein im geschäftlichen Verkehr mit der klagenden Partei konkurrierender, sondern als selbsternannter Sprecher einer politischen Gruppe, sohin als Privatperson gemacht. Die Rechtsprechung, die hauptsächlich zu herabsetzenden Äußerungen im Rahmen der Auseinandersetzung im Zuge von miteinander im Wettbewerb konkurrierender Zeitungen oder zumindest von im geschäftlichen Verkehr konkurrierenden Personen ergangen ist (vgl SZ 61/193 mwN), kann daher auf die Bewertung im vorliegenden Fall nur im weiteren Sinn herangezogen werden.

Die von der klagenden Partei inkriminierten Worte "gewalttätig ist die Kronen-Zeitung" müssen im Zusammenhang mit der gesamten Äußerung des Beklagten betrachtet werden. Gerade wenn man davon ausgeht, daß der Beklagte als Repräsentant einer politischen Gruppierung, die die derzeitigen Gesellschaftsverhältnisse ablehnt, agierte, wobei er deren politische Ansichten, insbesondere zum Opernball, und die dagegen zu ergreifenden Maßnahmen sowie die darüber ergehende Berichterstattung mit den inkriminierten Äußerungen darlegte, so konnten diese Worte zum Zuhörer bzw. Leser nur als eine Kritik im besonderen auch an der Berichterstattung der klagenden Partei und an den gegen die demonstrierende politische Minderheit gesetzten Maßnahmen der Exekutive verstanden werden. Sohin erkennt der Zuhörer und Leser, daß nur eine politische Kritik vorliegt, mit der der Vertreter einer Minderheit deren Beurteilung und Behandlung durch die Gesellschaft als Gewalt darstellt. Damit wird die klagende Partei aber weder verächtlich gemacht, noch sind diese Äußerungen geeignet, die Redakteure in der Wertschätzung ihrer Leser heabzusetzen.

Wie der Ausdruck "Gewalttätigkeit" wissenschaftlich oder in einem Wörterbuch definiert wird, ist für die Beurteilung der Äußerung nach § 1330 Abs.2 ABGB ohne Bedeutung. Dieser Tatbestand kann nur durch Tatsachenbehauptungen und nicht durch Werturteile erfüllt werden. Das entscheidende Kriterium ist, ob eine objektive Überprüfung möglich ist; ist dies der Fall, so liegt eine Tatsachenbehauptung vor. Ein Urteil wird hingegen aufgrund einer Denktätigkeit gewonnen und gibt eine rein subjektive Auffassung wieder (Koziol aaO; Reischauer aaO Rz 10; SZ 46/144, SZ 37/176 ua). Ob demnach ein Ausdruck diese Kriterien erfüllt oder nicht, ist, wie der Erstrichter richtig erkannt hat, nur aus dem Zusammenhang, in dem er gebraucht wurde, zu klären. Wie zuvor ausgeführt wurde, läßt sich die Absicht des Beklagten, die österreichische Innenpolitik schlechthin einer Kritik zu unterziehen, klar erkennen. Diese Kritik stellt ein politisches Werturteil dar, das den Tatbestand nach § 1330 Abs.2 ABGB nicht erfüllt. Die Äußerung des Beklagten in bezug auf die Klägerin kann aber nur so verstanden werden, daß der Beklagte der Klägerin vorwirft, sie schreibe im Sinne der von ihm abgelehnten österreichischen Innenpolitik.

Es ist im übrigen nicht ersichtlich, wie der Beweis gegen die Richtigkeit der Behauptung der Gewalttätigkeit im Rahmen politischer Berichterstattung oder Kommentare überhaupt erbracht werden könnte (vgl die Besprechung der E v. 27.9.1990 7 Ob 607/90 von Kletecka in ecolex 1991,310 f). Schon dies zeigt die Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht auf.

Schließlich ist aber noch auf einen weiteren Aspekt zu verweisen.

Der österreichische Staat bekennt sich in seiner Verfassung zur Demokratie und zum Prinzip der freien Meinungsäußerung: Eines der entscheidenden Kriterien für eine funktionierende Demokratie ist die Möglichkeit, an staatlichen Maßnahmen sowie an öffentlichen Tätigkeiten oder in der Öffentlichkeit in Erscheinung tretenden politischen Agitationen Kritik üben zu können. Vor allem einer Minderheit muß diese Möglichkeit im Rahmen der Gesetze großzügig gewahrt bleiben. Klagen nach § 1330 ABGB dürfen daher nicht für Schritte mit dem Ziel, Kritiker durch strafrechtliches oder zivilrechtliches Vorgehen mundtot zu machen, mißbraucht werden. Was noch zulässige Kritik ist, muß aufgrund der konkreten Fakten des Einzelfalles beurteilt werden. In Grenzfällen ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. SZ 61/193 mwN). Ob beim Schutz des einzelnen gegen Verbalangriffe durch Machtträger oder finanzstarke Unternehmen ein strengerer Maßstab anzulegen ist, muß hier nicht entschieden werden. Keinesfalls ist jedoch eine auflagenstarke Tageszeitung, die laufend in die politische Auseinandersetzung eingreift, schutzwürdig gegen politische Gegenangriffe, mögen diese auch ebenfalls mit reißerischen Äußerungen vorgetragen werden, weil in Wahrheit durch solche Gegenangriffe der Kredit, der Erwerb oder das Fortkommen des Angegriffenen nicht gefährdet wird. Vielmehr dienen solche "Abwehrschritte" nur der Abschreckung künftiger Kritik.

Da demnach die Rechtsansicht des Erstgerichtes, die Klage sei schon aufgrund ihrs Vorbringens abzuweisen, richtig ist, erübrigt sich ein Eingehen auf die Mängelrüge.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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